Meine Damen und Herren! Wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Antrag des Ausschusses im Mündlichen Bericht Drucksache 1001 hat zwei Ziffern, die zweckmäßigerweise getrennt behandelt werden. Der Ausschuß schlägt Ihnen in Ziffer 1 vor, den Gesetzentwurf Drucksache 798 als Ganzes abzulehnen. Ich rufe also in zweiter Beratung zweckmäßigerweise den gesamten Gesetzentwurf §§ 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, Einleitung und Überschrift auf und lasse darüber in einem abstimmen. Sie sind damit einverstanden? —
— Über den Gesetzentwurf, wobei ich nochmals bemerke, daß der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf abzulehnen. Wer also dem Ausschußantrag folgen will, der stimmt mit Nein, wer das nicht tun will, mit Ja. Meine Damen und Herren, wer den aufgerufenen Bestimmungen des Gesetzentwurfs zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu erheben. – Ich bitte um die Gegenprobe.
— Das ist die Mehrheit. Der Gesetzentwurf ist in seinen sämtlichen Bestimmungen in zweiter Lesung abgelehnt und damit erledigt.
Damit komme ich zu Ziffer 2 des Antrags Drucksache 1001, den Antrag Drucksache 798 — nein, er ist sowieso schon erledigt, darüber brauchen wir nicht mehr abzustimmen — und den der SPD Drucksache 845 für erledigt zu erklären. Wer dem Antrag des Ausschusses, die Drucksache 845 für
erledigt zu erklären, zustimmen will, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; der Antrag des Ausschusses ist angenommen.
Punkt 11 der Tagesordnung ist bereits am gestrigen Tag erledigt worden.
Ich komme zu Punkt 12 der Tagesordnung und rufe auf:
a) Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Wiedergutmachung ;
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Bundesmittel für die Wiedergutmachung .
Das Wort zur Begründung der Großen Anfrage
unter Punkt 12 a hat der Abgeordnete Dr. Arndt.
Dr. Arndt , Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Bundesministerium der Finanzen hatte meiner Fraktion nahegelegt, die Rede des Herrn Staatssekretärs Hartmann beim Einbringen des Haushalts abzuwarten, bevor wir die Große Anfrage und unseren Antrag zur Wiedergutmachung begründen. Wenn ich es recht verstand, war uns in Aussicht gestellt, daß schon die Etatsrede hierzu wichtige Aufschlüsse brächte. Wir haben deshalb diesem Wunsch des Bundesministeriums der Finanzen entsprochen, sehen uns aber insoweit etwas enttäuscht, als die Etatsrede noch keine Stellungnahme zu unserer Großen Anfrage und leider auch keine Begründung dafür enthielt, daß im neuen Bundeshaushalt zur Ausführung des Bundesentschädigungsgesetzes aus Bundesmitteln nur ein Betrag von 160 Millionen Deutsche Mark zur Verfügung gestellt werden soll.
Mit Befriedigung nehmen wir die in der Etatsrede enthaltene 'Versicherung zur Kenntnis, daß sich die Bundesregierung bemühen wird, das den von den Nationalsozialisten Verfolgten angetane Unrecht wiedergutzumachen. Insbesondere erkennen wir dankbar an, daß die von allen Fraktionen hier wiederholt vorgebrachten Klagen doch nicht fruchtlos blieben, sondern endlich unter der sachkundigen und zielstrebigen Leitung des Herrn Ministerialdirektors Wolf f eine erfreulich fortschreitende Arbeit im Beirat geleistet wird, um eine wesentliche Verbesserung des so unzureichenden Bundesentschädigungsgesetzes vorzubereiten. Wir hoffen, daß diese Arbeit so durchgeführt wird, wie sie jetzt, wenn auch spät, begonnen wurde.
Unbeschadet dieser gesetzgeberischen Bemühungen und auch unbeschadet unserer Anerkennung für die hierbei 'aufgewandte Tatkraft wird gleichwohl zu prüfen sein, ob es nach den bitteren Erfahrungen, die wir bisher im Bereich der Wiedergutmachung machen mußten, nicht doch geboten ist, einen unmittelbar dem Herrn Bundeskanzler verantwortlichen Bundesbeauftragten für die Wiedergutmachung zu bestellen. Denn es ist ja nicht allein mit der Reform des Gesetzes getan; Wirklichkeit wird die Wiedergutmachung doch erst dann, wenn erstens ein besseres Gesetz auch gut durchgeführt wird
und zweitens hierzu durch Bereitstellung der Geldmittel die Voraussetzung geschaffen wird.
Um diese Fragen handelt es sich bei unserem Antrage und bei unserer Großen Anfrage.
Die schwächste Stelle im Bundesentschädigungsgesetz ist sein dritter Abschnitt, der sich mit der Befriedigung der Entschädigungsansprüche befaßt. In einer mit Art. 80 des Grundgesetzes kaum noch zu vereinbarenden Weise ist es durch § 78 des Bundesentschädigungsgesetzes einem Verordnungsrecht der Bundesregierung überlassen, nach Maßgabe der Zahlungsfähigkeit der Bundesrepublik die Ansprüche zur Befriedigung aufzurufen. Immerhin ist festgelegt, daß dieser Aufruf alljährlich zu geschehen hat.
Das Bundesergänzungsgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung vom 18. September 1953 ist am 1. Oktober vergangenen Jahres in Kraft getreten. Am 1. Oktober dieses Jahres ist also die Frist für eine erste solche Rechtsverordnung verstrichen. Gleichwohl ist diese Verordnung bisher nicht ergangen.
Wohl haben wir davon gehört, daß sie vorbereitet wird und zusammen mit der auch immer noch ausstehenden Verordnung nach § 37 des Bundesentschädigungsgesetzes herauskommen soll. Aber die Verspätung der Ausführungsverordnung zu § 37 ist keine Entschuldigung für das Fristversäumnis, und das Fehlen auch nur des ersten Aufrufs verletzt das Gesetz. Deshalb fragen wir die Bundesregierung, wann endlich der erste Aufruf kommen und weichen Inhalt er haben wird.
Außerdem droht ein nahezu gesetzloser Zustand dadurch einzutreten, daß auch die Frist des § 77 Abs. 1 Satz 2 des Bundesentschädigungsgesetzes nicht gewahrt wird. Durch § 77 Abs. 1 Satz 1 hat der Bund es sich leicht gemacht und bestimmt, vorläufig hätten erst einmal die Länder die Entschädigungslasten zu tragen, obwohl nach Art. 74 Ziffer 9 des Grundgesetzes mit den Kriegsschäden zusammen auch die Wiedergutmachung zur konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes gehört und eigentlich kein Zweifel daran aufkommen sollte, daß die Wiedergutmachung in allererster Reihe eine Bundesaufgabe sein muß.
Wie gefährlich sind doch die endgültigen Provisorien, an denen unsere arme Zeit so reich ist!
Hier jedenfalls sollte das Provisorium mit Schluß dieses Jahres enden. Bis zum 31. Dezember 1954 ist durch ein Bundesgesetz — so bestimmt der § 77 Abs. 1 Satz 2 — die endgültige Verteilung der Entschädigungslasten auf Bund und Länder zu regeln. Es war ein unglücklicher Gedanke, diese Regelung mit der Finanzreform zu verquicken. Was vorausgesehen werden konnte, ist eingetreten: Das Schicksal der Finanzreform ist völlig ungewiß. Dadurch wird die Wiedergutmachung in den bösen Strudel des Zwistes zwischen Bund und Ländern hineingerissen, und die hier gesetzlich bestimmte Frist wird versäumt, weil die Bundesregierung es unterließ, insoweit rechtzeitig eine Verständigung mit den Ländern herbeizuführen und rechtzeitig das erforderliche Gesetz einzubringen.
Diese Unklarheit der Rechtslage und dieses Bestreben des Bundes, sich auf den Lorbeeren des Israel-Abkommens auszuruhen und möglichst wenig zur individuellen Wiedergutmachung beizutragen, hat bedenkliche Auswirkungen und ist nicht gerade geeignet, den auch schon erlahmenden Willen der Länder zur Wiedergutmachung neu zu
beleben. Der Hinweis des Bundes, welche Beträge er für das Israel-Abkommen zur Verfügung stellt, ist keine Rechtfertigung, die individuelle Wiedergutmachung verkümmern zu lassen,
und es wäre eine schlechte und von seinen Befürwortern nicht gewollte Wirkung des Israel-Abkommens, wenn darunter die individuelle Wiedergutmachung leiden sollte.
Um Anhaltspunkte für den Stand der individuellen Wiedergutmachung zu gewinnen, hat meine Fraktion kürzlich die Bundesregierung nach der Zahl der bisher erledigten Fälle gefragt. Die darauf vom Bundesministerium der Finanzen in der Drucksache 984 am 13. November erteilte Antwort ist unbefriedigend. Das Bundesministerium der Finanzen behauptet, allein die Länder könnten darüber Aufschluß geben, weil die Durchführung des Bundesentschädigungsgesetzes den Ländern obliege. Ist denn dem Bundesministerium der Finanzen der Art. 84 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes nicht bekannt, worin es heißt:
Die Bundesregierung übt die Aufsicht darüber aus, daß die Länder die Bundesgesetze dem geltenden Rechte gemäß ausführen.
Auch unabhängig von der Bundesaufsicht wird die Bundesregierung nach dem allgemeinen Grundsatz der Bundestreue doch jederzeit ihrerseits von den Ländern diese Auskünfte bekommen; ja die Bundesregierung ist verpflichtet, sich auf Wunsch des Bundestags um diese Auskünfte zu bemühen und sie dann dem Bundestage zu erteilen. Denn wie, auf welche andere Weise sonst sollte wohl dieses Parlament die für seine gesetzgeberischen Arbeiten unerläßlichen Kenntnisse bekommen? Die Weigerung des Bundesministeriums der Finanzen, hier diese Auskunft zu erteilen, war also eine schlechte Sache.
Das Bundesministerium der Finanzen war sonst nicht gerade zurückhaltend, wenn es die Möglichkeit sah, sich auf finanzielle Leistungen der Länder zu berufen. Erst am 30. November wieder, also nur zwei Wochen nach seiner unbefriedigenden und auch unzulässigen Nichtbeantwortung unserer Kleinen Anfrage, hat das Bundesministerium der Finanzen eine Pressemeldung verbreitet: „400 Millionen für die Wiedergutmachung" und darauf hingewiesen, die Länder würden in dem nächsten Haushaltsjahr 240 Millionen Deutsche Mark aufwenden; insgesamt hätten Länder und Bund bis zum 30. September 1954 810 Millionen Deutsche Mark an Verfolgte ausgezahlt.
Ich weiß nicht, wozu solche Meldungen dienen sollen. Geradezu irreführend werden sie, wenn das Bulletin der Bundesregierung Nr. 222 vom 26. November die erstaunliche Überschrift trägt: „95 Prozent aller Wiedergutmachungsfälle erledigt",
„70 Prozent zugunsten der Antragsteller". Erst der aufmerksame Leser entdeckt dann, daß es sich um die Durchführung des Bundeswiedergutmachungsgesetzes im öffentlichen Dienst, des sogenannten BWGÖD, handelt, soweit sie zu einem auch nur sehr kleinen Teil dem Bundesministerium der Justiz obliegt. Meine Damen und Herren, das sind Werbemethoden, die sich vielleicht der Reklamechef eines Warenhauses leisten kann,
die aber einer Bundesregierung nicht angemessen sind.
Meine Damen und Herren, derartiges Verhalten trägt dann dazu bei, daß allerlei Vergleiche herausgefordert werden, die nicht immer sachdienlich sind,
so z. B., daß fast am selben Tage wie jenes Bulletin nun auch in der britischen Presse am 25. November die „News Chronicle" einen Vergleich zwischen dem „deutschen Wirtschaftswunder" und der jährlichen Milliarde für die 131er und den Verzögerungen und Vertröstungen in der Wiedergutmachung anstellte. Ich will zu diesem Vergleich ein Wort sagen. Die Sozialdemokratie hat im Parlamentarischen Rat den Art. 131 des Grundgesetzes mit geschaffen. Meine Fraktion hat der Gesetzgebung zu Art. 131 zugestimmt, und ich selbst bekenne mich dazu, daß insbesondere die Lage der heimatvertriebenen Beamten, der Altpensionäre und der Berufssoldaten gerechterweise eine solche Gesetzgebung dringlich erforderte. Was aber hätten wohl die 131er gesagt, wenn man ihre Rechtsstellung so geregelt hätte, daß es dem Ermessen der Bundesregierung überlassen blieb, alljährlich klassenweise die Ansprüche zur Befriedigung aufrufen?
Noch niemals hat die Bundesregierung über vieljährige Zeiträume hinweg Gesamtzahlen über die insgesamt zu Art. 131 erforderlichen Leistungen veröffentlicht und hierbei auch die Leistungen der Länder mit eingerechnet. Warum also auf einmal eine so fragwürdige Publizistik bei der Wiedergutmachung?
Ohne die alliierte Währungsgesetzgebung und ohne die Frage, in welchem Zusammenhang die grundgesetzliche Organisation unseres Staatswesens zum Deutschen Reich steht, hätten die meisten Wiedergutmachungsansprüche sowie außerdem die rückerstattungsrechtlichen Geldforderungen sofort und in voller Höhe aus den Rechtsgründen der Amtshaftung, der unerlaubten Handlung und der ungerechtfertigten Bereicherung gegen den deutschen Staat eingeklagt werden können. Unser Gesetzgeber hat diese Rechtsansprüche also nicht etwa erst begründet, sondern im Gegenteil sie eingeengt und dem Bund Zahlungsaufschub gewährt. Will man sich überhaupt auf ein so zweifelhaftes Unterfangen einlassen, die verschiedenen Berechtigungen miteinander zu vergleichen, so sollten doch wohl die Rechte der durch Unrecht Verfolgten um der Gerechtigkeit willen und aus sittlichen Gründen an allererster Stelle stehen.
Wie aber sieht die harte Wirklichkeit aus? In der amerikanischen Zone sind nach Angaben, die ich glaube ungefähr verantworten zu können, bis zum 30. April 1954 502 113 Wiedergutmachungsanträge eingereicht worden. Hiervon sind in fünf Jahren erst 136 724 Fälle erledigt, und nur in 70 569 Fällen fiel eine positive Entscheidung — dabei wird die amerikanische Zone immer noch am besten stehen —, was jedoch durchaus noch nicht bedeutet, daß diese Ansprüche, wenn sie positiv entschieden wurden, auch tatsächlich befriedigt sind.
Wir halten es deshalb für unangemessen gering, daß sich der Bund an der Durchführung des Bundesentschädigungsgesetzes in diesem Jahre nur mit 160 Millionen DM beteiligen will. Man darf hoffen, daß durch die endlich in Angriff genommene Verbesserung des Bundesentschädigungsgesetzes Leistungen erforderlich werden, die größer sind und auch schneller als bisher bewirkt werden müssen. Wir sind auch nicht der Meinung, daß sich der Bund hierbei nur auf eine Art Pflichtteil den Enterbten gegenüber zurückziehen darf. Auch bei der Durchführung des Bundesentschädigungsgesetzes sollte der Bund den Ländern ein besseres Beispiel geben als bisher.