Rede von
Dr.
Hans-Joachim
von
Merkatz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute morgen das Vergnügen gehabt, die Ausführungen von Fachleuten zu hören. Man kann nur sagen, daß man vor dem Sachverstand, der hier in gelassener Ruhe dargelegt worden ist, Respekt haben muß. Ich muß nun das Hohe Haus um Nachsicht bitten, daß hier der politische Sprecher der DP-Fraktion auf die Tribüne gekommen ist, ein Laie also in diesen Dingen, wie der Politiker überhaupt in vielen Dingen ein Laie ist und wohl auch sein muß, denn in allen Sätteln gerecht zu reiten, ist selbst einem Manne von enzyklopädischem Wissen nicht gegeben. Wir sind aber der Auffassung, daß die gute alte Tradition, wonach anläßlich der Einbringung des Etats auch die politischen Lichter aufgesetzt werden, nicht verlassen werden sollte.
Die Außenpolitik ist ausgeschieden worden, und ich verspreche Ihnen auch, schon mit Rücksicht auf die herannahende Mittagspause, keine außenpolitischen Ausflüge zu machen. Über unserem Hause und über unserer Politik schwebt überhaupt die Mahnung oder auch der Unwille, daß wir zuviel Außenpolitik getrieben, ja selbst unsere Landtagswahlkämpfe mit diesen Themen bestritten hätten und die Innenpolitik darüber zu kurz gekommen sei. Meine Damen und Herren, ich glaube, wenn man den Etat und die sehr eindrucksvollen Darlegungen über die volkswirtschaftlichen Grundlagen unserer Finanzpolitik ansieht, dann kann man nicht sagen, daß dieser Vorwurf berechtigt ist, die Bundesregierung und mit ihr die Koalition, die die Verantwortung für diese Regierung trägt, hätten in den vergangenen Jahren zu wenig Innenpolitik getrieben.
Auch die Fraktion der Deutschen Partei begrüßt es lebhaft — wie ich gleich zu Anfang erwähnen möchte —, daß dieser Haushalt so früh eingebracht worden ist. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an unseren Antrag, Drucksache 940, den wir am 4. November eingereicht haben, daß eine Angleichung des Haushaltsjahres an das Kalenderjahr erstrebt werden solle. Hierbei handelt es sich nicht nur um den Wunsch nach einer kalendermäßigen Verschiebung, sondern das Zustandekommen einer Kongruenz der staatlichen Entwicklung mit der Entwicklung des übrigen Geschäftslebens und des Lebens der Gesellschaft. Daher ist diese terminmäßige Verschiebung des Haushaltsjahres anzustreben.
Wenn man die Stimmungen des vergangenen Jahres überblickt, dann zeigt sich, daß man über das Jahr 1954 vielleicht das Stichwort schreiben könnte: ein Jahr der Enttäuschungen. Ich glaube aber, daß dieses Urteil des Unmuts übertrieben ist. Wenn man die soliden Grundlagen des Etats überblickt, so ist dieses Bild einer Enttäuschung über unsere Entwicklung nicht gerechtfertigt. Meine politischen Freunde vertreten den Standpunkt eines toleranten Konservativismus. Dieser Konservativismus hat nichts zu tun mit einer reaktionären Einstellung, also mit einer Einstellung, als wünsche man, die Zustände der Vergangenheit wieder herbeizuführen, als wolle man an gesellschaftlichen Positionen festhalten, die von der Zeit überwunden sind. Unser ganzes Leben untersteht Entwicklungen, und kein vernünftiger Mensch kann sich diesen Entwicklungen entziehen. Aber was ist das Wesen dieses toleranten Konservativismus? Unser Grundziel ist, daß der Lebensraum des einzelnen wieder stärker unter seiner Verantwortung stehen möge, daß der Freiheitsraum des einzelnen, aus eigener Kraft sein Leben zu bestimmen, wieder erweitert werden möge.
Das, glaube ich, ist das Ziel einer modernen konservativen Politik. Denn die gesellschaftliche Wirklichkeit unseres Daseins ist anders geartet. Wir erinnern uns alle noch der Zeit um 1945, als die Stromversorgung ausfiel, als die Ordnung des Staates verfiel, als die Polizeigewalt, der Schutz des Staates unterging. Da hat jeder Kulturmensch auf einmal gemerkt, wie weit bereits sein persönlicher Lebensraum eingeschränkt ist, wie unser Dasein ein abgeleitetes geworden -ist, daß wir — es ist ein starkes Wort — so ein wenig in eine Staatssklaverei hineingeraten sind. Meine Damen und Herren, ich möchte dies nicht als ein Schlagwort stehenlassen; aber ich glaube, die freiheitliche Kultur kann im Vorfeld der bolschewistischen Bedrohung, die eine ganz andere Welt darstellt, nicht erhalten werden, wenn nicht alle Bemühungen der Gesellschaft und des Staates — und das hängt sehr eng auch mit Fragen der Etatgestaltung zusammen — darauf gerichtet werden, durch Steuer- und Finanzpolitik dazu beizutragen, den Freiheitsraum des einzelnen und damit das Maß seiner freien Verantwortung wieder zu erweitern.
Wenn man unter diesem grundsätzlichen Gesichtspunkt den Etat zu betrachten versucht, wird man, glaube ich, leider sagen müssen, daß auch dieser Etat einen Fortschritt, jedenfalls auf diesem Wege, nicht darstellt. Bitte, das ist kein Vorwurf gegen den Finanzminister. Wir sind uns alle darüber klar, wie schwierig die Probleme sind, die gelöst werden müssen, um jenen Freiheitsraum des einzelnen wieder zu gestalten. Der Staat — das zeigt dieser Haushalt ganz deutlich auf — ist direkt oder indirekt der Vermittler der Lebensmöglichkeit des einzelnen geworden. Der ein-
zelne ist, bis in seinen privatesten Bereich hinein, von ihm abhängig geworden. Darin liegt gewiß etwas Zwangsläufiges. Allzu groß ist die Zahl derer, die durch Krieg und Katastrophen hilflos geworden sind und denen geholfen werden muß. Das sind Fragen, denen unter gar keinen Umständen ausgewichen werden darf. Der Staat und dann das, was sich im Schutze des Staates entwickelt hat, die Organisationsmächte, d. h. die organisierten Interessen der einzelnen, bestimmen unser Dasein und unsere Existenzmöglichkeiten. Wir dürfen hier nicht in eine falsche, nur noch rhetorische Betonung der Freiheit hineingeraten; wir müssen diese Realitäten erkennen. Allerdings darf ich sagen, daß ich vom Standpunkt des konservativen Denkens aus diese Entwicklung zu bekämpfen gewillt bin, bis zum letzten, auch wenn dieser Kampf vergeblich sein sollte.
Die Steuerreform war gewiß — das muß man gerechtermaßen zugeben — ein mutiger Schritt in der Richtung, eine Umkehr von dieser bisher kollektivistischen und nivellierenden Entwicklung zu erzielen. Aber sie reicht doch wohl nicht aus, um das, was in unserer Gesellschaft zerstört worden ist, nämlich das Eigentum, wieder zu schaffen, die Eigentumsbildung wirklich zu ermöglichen. Gewiß, man hat zur Beruhigung gesagt, es solle eine laufende Steuerreform sein, man wolle jetzt, Schritt für Schritt, zu einem Abbau der bisherigen kollektivisierenden und nivellierenden Steuerpolitik kommen. Aber, wie gesagt, da scheinen sich Entwicklungen für viele Jahre anzudeuten, und es bedürfte einer großen Stabilität und Zielstrebigkeit in der Fortsetzung der Prinzipien unserer Innenpolitik, um dieses Ziel zu erreichen. Die Staatsausgaben sind auch nach diesem Etat — das weist er deutlich aus — weiter und weiter gewachsen. Der Herr Staatssekretär hat ja, im Namen des Bundesfinanzministers, gerade diese Erscheinung der anwachsenden Staatsausgaben sehr deutlich unterstrichen. Der Versorgungsstaat — lassen Sie mich dieses harte Wort nicht in einem diffamierenden, sondern in einem feststellenden Sinne sagen — schreitet ständig weiter fort und gewinnt immer weiteren Raum. Vielleicht ist es eine Utopie, demgegenüber ein anderes Staatsbild aufzeigen zu wollen; aber man soll sich auch — wenn sich unausweichliche Entwicklungen in einer Kultur andeuten — nicht kampflos preisgeben; denn gerade der Widerstand, die Polarität der Auffassungen, bringt die richtige Synthese zustande.
Ich darf hierbei ein Wort sagen: Innenpolitik in Deutschland ist vor allem eine Politik zur Wiederherstellung der Einheit unseres Vaterlandes. Gewiß, ich bekämpfe die Theorie des Provisoriums unseres Staates. Unsere Pflichten gegenüber Deutschland sind nicht provisorisch, sondern definitiv, so definitiv, wie sie überhaupt nur sein können. Wir dürfen den Begriff des Provisoriums nicht als eine Entschuldigung für eine Inaktivität, für ein Nicht-ganz-ernstnehmen unserer Situation ansehen. Hinsichtlich der Gebietshoheit aber ist unser Staat ein Torso, und dieser Torso unserer Macht und Möglichkeit bestimmt natürlich auch den Bewegungsraum in der Innenpolitik, vor allen Dingen unseren sozialpolitischen Bewegungsraum. Ich betrachte Innenpolitik — und darf das ruhig einmal sagen — so: Die Essenz einer Innenpolitik mündet schließlich im sozialpolitischen Ergebnis. Wieviel an sozialpolitischen Ergebnissen eine Gesellschaft aufzubringen vermag, das ist gewissermaßen das Zeugnis der Kraft und des Erfolges aller innenpolitischen Vorgänge.
Was haben wir anzustreben, um die Wiederherstellung der Einheit unseres Landes, d. h. die Wiederherstellung der Menschenrechte in allen Gebieten deutschen Landes zu ermöglichen? Unerläßlich ist eine Stabilität der Staats-, Wirtschafts-und Sozialordnung, und wenn wir da Bilanz ziehen, glaube ich nicht, daß eine allzu selbstgerechte Beurteilung unserer Situation am Platze wäre, sondern ein wenig Zurückhaltung gegenüber Worten wie „das deutsche Wunder" und etwas weniger In-die-Brust-Werfen in bezug auf die deutsche Leistungskraft. Gewiß, wir sind ein tüchtiges Volk, wir sind fleißig. Wir wollen uns nicht klein machen; aber wir wollen die Kirche im Dorf lassen, und wenn wir wirklich einmal etwas geleistet haben, sollten wir es für uns behalten und dieses schweigende, stille Selbstbewußtsein, das Festigkeit des Charakters bietet, etwas mehr beobachten. Denn wenn man alles in allem betrachtet — gerade als Bilanz der letzten Landtagswahlen —, dann findet man als die beste Leistung des deutschen Volkes, die man nur mit sehr großer Hochachtung betrachten darf, daß der deutsche Wähler eine Stabilität unserer Politik wünscht. Das ist ganz klar zum Ausdruck gekommen.
Alle Verschärfungen der Landtagswahlkämpfe, wo sie auch gewesen sein mögen, alle Übertreibungen sind vom Wähler nicht abgenommen und nicht honoriert worden. Alle intellektuellen Nuancierungen, die man gemacht hat, alles, was am grünen Tisch als eine „Masche" und als ein „Wahlknüller" ersonnen worden ist, hat der Wähler nicht aufgenommen.
— Ich weiß, was Sie denken; aber gestatten Sie mir, aus Taktgründen hier einmal nicht zu antworten.
— Erkenntnisse zu haben in diesem Leben, ist, glaube ich, das wichtigste menschliche Anliegen, auch ein Anliegen des Politikers. Ich versuche, eine Bilanz zu ziehen, und wer da ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.
Ich werfe jedenfalls keinen Stein. Ich liebe nicht diese Übertreibungen, die vorgekommen sind.
Aber lassen Sie mich einen Gedanken darlegen, den wir Politiker, gleichgültig wo wir stehen, ob rechts oder links oder in der Mitte, haben müssen. Unsere Wähler verlangen von uns jedenfalls, daß wir in allen Dingen den Realitäten und Möglichkeiten Rechnung tragen. Die Wähler wünschen eine nüchterne Realpolitik. Der Wähler hat die Politik der Koalition, die wir alle verantwortet haben, im Grunde bestätigt. Er ist in seinen Auffassungen stabil geblieben. Das ist nicht ein Selbstlob, das ich hier aussprechen möchte, das ist in allererster Linie eine Verpflichtung, und ich glaube, Opposition und Koalition sollten von dieser Grundmeinung unseres Volkes Notiz nehmen, so daß wir in unserem Verhältnis zueinander wieder zu einem Kontakt gelangen, damit nüchtern und anständig von Koalition und Opposition insgesamt „deutsche Regierung" dargestellt wird, wie es Herr Kollege Schoettle sehr eindrucksvoll gesagt hat.
Die ganze Innenpolitik in Deutschland wird das Ziel zu verfolgen haben, die Vertrauenswürdigkeit unseres Staatswesens wiederherzustellen. Bitte betrachten Sie das nicht als eine Selbstanschuldigung, als eine Selbsterniedrigung oder als eine Warnung, wir seien besonders berufen, durch ein Schelten deutscher Vergangenheit unsere eigene Ehre wiederherzustellen. Nein, wir sind berufen, unsere Ehre durch unser Handeln zu bestätigen. Das Prestige unseres Landes muß unser Anliegen sein. Wir müssen die Vertrauensgrundlagen nach draußen, weniger durch Worte, als durch eine gesicherte Leistung, vor allen Dingen der Innenpolitik, schaffen. Und gerade hier dürfen wir dem Finanzminister und der strengen Finanzpolitik, die er getrieben hat, unser Lob nicht versagen. Sein eisernes Bemühen um den ausgeglichenen Haushalt — ein Bemühen, das uns oft geärgert hat — ist letzthin nur der Ausdruck einer staatspolitischen Notwendigkeit. Ich stehe nicht an, seitens meiner politischen Freunde dieses Bemühen hier zu honorieren.
Wenn ich sage: Vertrauen nach außen, so meine ich natürlich damit eine Stabilität unseres Landes, die es, auf die Länge gesehen, eines Tages ermöglicht, auch nach Osten hin — denn die Menschen dort sind nun einmal unsere natürlichen geographischen Nachbarn — ein Verhältnis zu gewinnen, das eine ruhige Stabilität und Sicherheit gewährleistet. Ich möchte nicht in den Verdacht kommen, eine neutralistische betuliche Einstellung an den Tag zu legen. Das liegt mir sehr fern. Ich glaube auch nicht, daß man mir das nachsagen kann. Aber ich meine, <laß die Festigkeit einer in sich ruhenden politischen Einheit, die mit gelassener Tatkraft ihre inneren Verhältnisse ordnet, sehr viel zur Sicherheit unseres Landes, zur Sicherheit und Stabilität I unserer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beitragen würde.
Oberstes Gesetz ist für meine politischen Freunde Gesunderhaltung und Stabilität der Währung. Wir dürfen hier nicht sündigen. Wir sind oft geneigt, durch Gefälligkeitsbewilligungen zu sündigen und damit das Gleichgewicht des Etats und unserer Finanzpolitik zu gefährden. Sozialer Frieden muß geschaffen werden; aber hierbei ist auch zu beachten, daß wir uns alle vereinigen müssen, um unvernünftigen und unmöglichen Forderungen künftig mehr entgegenzutreten, als das in der Vergangenheit schon der Fall gewesen ist.
Herr Kollege Sc ho et t l e hat die großen Sorgen angesprochen, die mit dem Verteidigungsetat verbunden sind. Ich glaube, jeder, der hier im Hause sitzt, teilt diese Sorgen. Es wäre wohl richtiger, daß dieses Parlament bei all den Fragen, die mit der Herstellung der Verteidigungskraft verbunden sind, rechtzeitig bis ins einzelne beteiligt wird. Die Regierung sollte dem Wunsch des Herrn Kollegen Schoettle, sich über die tatsächlichen wirtschaftlichen und finanzpolitischen Grundlagen zu äußern, die eine Herstellung der Verteidigungskraft erfordert, stattgeben. Ich teile auch den Gedanken des Herrn Kollegen Schoettle, unabhängige Untersuchungskommissionen zu schaffen, vorausgesetzt, daß solche Untersuchungskommissionen auch wirklich unabhängig sind und von Menschen besetzt werden, die die Überlegenheit des objektiven Standpunktes als Wissenschaftler, Forscher und Sachkenner aufzubringen vermögen.
— Durchaus einverstanden! Ich halte den Grundgedanken solcher Institutionen, wenn sie nicht zu einer Vervielfältigung parlamentarischer Organe, sozusagen zu parlamentarischen Schattenorganen oder zu parlamentarischen Schatten-Untersuchungsausschüssen werden, sondern wirklich unabhängige „royal commissions" bilden, für durchaus akzeptabel. Hier sollte ein objektives und genaues Bild der wirtschaftlichen Grundlagen einer Verteidigungspolitik ermittelt werden.
Sie wissen, daß ich mich immer gegen den Gegensatz: soziale oder militärische Sicherheit gewandt habe. Meiner Ansicht nach ist die Frage der Sicherheit für ein Land immer unteilbar. Sie ist nämlich eine soziale und militärische zugleich. Beide Richtungen sind miteinander zu koordinieren und zu einer Einheit zu bringen.
Ich darf aber bei dieser Gelegenheit gerade anläßlich der Ausführungen, die zum Etat der Verteidigungslasten gemacht worden sind, sagen: Wenn man in der Welt glaubt, wir drängten uns dazu, solche Lasten auf uns zu nehmen, dann irrt man sich. Es wäre doch vollkommen unvernünftig, wenn ein Land, das solche Wunden zu heilen hat wie wir, sich nach solchen Dingen drängte.
Ich möchte mich mit aller Entschiedenheit dagegen aussprechen, daß wir eine solche Lust an der Sache hätten.
— Das war kein Drängen, Herr Kollege Menzel, sondern wir sind damals bedrängt worden. Da wir in dieser Welt bedrängt werden, da sehr viel auf dem Spiele steht, ist eine verantwortliche Regierung allerdings verpflichtet, auch diese große Last auf sich zu nehmen und sie so zu tragen, daß die sozialen Belange und die Belange militärischer Verteidigung in ein richtiges Verhältnis gebracht werden.
Ich möchte an dieser Stelle — da ich glaube, daß unser Land nicht gerade einfachen Verhältnissen entgegengeht, daß wir in den kommenden Jahren sehr viele schwierige innenpolitische Probleme zu lösen haben — doch den Gedanken vertreten, daß bei dieser Politik die Stabilität der Währung unter allen Umständen verteidigt und gehalten werden muß. Deshalb trete ich dafür ein, daß wir eine unabhängige, in voller Autonomie, rein nach dem wirtschaftlichen, finanziellen Sachverstand entscheidende Notenbank behalten, ein Notenbanksystem, das sich als eine selbständige, unabhängige Kraft bewährt und gegen die Versuchungen und den Ansturm gefeit ist, wie sie in jeder Massendemokratie vorhanden sind, und sich auch dagegen zu verteidigen in der Lage ist.
Hier möchte ich von vornherein gewisse Warnungen aussprechen und gewisse Bremsen haben. Wir müssen uns einer Politik befleißigen, die sich in der Härte der Tatsachen, die eine stabile Währung immer nach sich zieht, bewährt und den Realitäten Rechnung trägt. Denn nur dann, wenn wir diesen Maßstab der Klarheit und Sicherheit unserer Grundlagen haben, wie sie eine stabile Währung bietet, sind wir in der Lage, die innenpolitischen Probleme so anzufassen, wie das notwendig ist,
um sie wirklich klar zu lösen und nicht in irgendwelche Behelfs- und Gefälligkeitslösungen oder auch reine Machtentscheidungen auszuweichen.
Wir müssen uns überhaupt davor hüten — und auch dieses Parlament sollte sich davor hüten —, daß wir als Fraktionen oder als einzelne Menschen irgendwie in die Abhängigkeit von Partikularinteressen kommen. In Wirklichkeit sind wir uns doch darüber klar, daß in vielen Punkten das Bild unserer Verfassung, jener liberal-demokratischen Verfassung des 19. Jahrhunderts, mit der Verfassungswirklichkeit als solcher nicht übereinstimmt. Es kommt eines Tages die Notwendigkeit, daß wir das tatsächliche gesellschaftliche Leben mit unseren Verfassungsinstitutionen in Einklang bringen müssen, d. h. die Verfassungswirklichkeit mit dem geschriebenen Recht der Verfassung.
Sehr traurig — muß ich als Föderalist sagen — sind die Vorgänge, die sich um die Finanzverfassung abgespielt haben. Wir als Föderalisten der Deutschen Partei vertreten nicht einen etatistischen, sondern den integrierenden Föderalismus. Für uns sind die deutschen Länder nicht selbständige Einheiten, sondern sie sind Glieder eines höheren Gesamtverbandes, der letztlich wirtschaftlich, sozial und finanzpolitisch eine Einheit darstellt. Ich glaube, daß wir bei der Entwicklung, die unser Leben nimmt — einer Entwicklung, die zu den größeren europäischen Räumen hinüberschreitet —, um eine gründliche Reform der Finanzverfassung, und wenn es gar nicht anders geht, im Sinne der Bundesfinanzverwaltung einfach nicht herumkommen.
Wir dürfen nicht den Föderalismus des 19. Jahrhunderts und seiner staatsrechtlichen Vorstellungen zu einem Dogma der Gegenwart machen. Der integrierende Föderalismus, ,den wir vertreten und den auch Herr Kollege Schoettle erwähnt hat, ist dem amerikanischen Begriff des Föderalismus ähnlich. Dieser integrierende Föderalismus ist ein Gegensatz zu Methoden zentralistischer Verwaltung, die die politische Willensbildung in eine Zentrale verlegt, während der integrierende Föderalismus die Willensbildung möglichst weit nach unten . verlegt, d. h. das, was der einzelne oder ein kleinerer Verband bewältigen kann, das soll und muß er in eigener Verantwortung bewältigen. Was aber nicht so zu bewältigen ist, muß nach oben verlagert werden. Das entspricht dem Prinzip der Subsidiarität.
Ich begrüße es — damit komme ich zu 'einigen konkreten Punkten —, daß der landwirtschaftliche Etat im gegenwärtigen Haushaltsplan erweitert worden ist. Allerdings glaube ich nicht, daß diese Erweiterung genügen wird, um den in Not geratenen mittleren und kleinen Bauern zu helfen, die Verschuldung bis gegen 7 Milliarden, in die die Landwirtschaft bereits geraten ist, zu beseitigen und die Gesundung unserer Agrarstruktur bald herbeizuführen. Immerhin ist das Bemühen anerkennenswert, daß man den landwirtschaftlichen Etat erweitert hat. Wir bejahen auch, dem Grundsatz nach, die Vorstellungen des Herrn Bundesministers für Landwirtschaft, der sich ein längeres Programm zur Sanierung der Agrarstruktur in Deutschland vorgenommen hat. Aber ich glaube, in der Praxis kommen alle diese Maßnahmen zu spät.
Ich darf an dieser Stelle an etwas erinnern, das aus dem Bewußtsein der Öffentlichkeit wieder geschwunden ist, nämlich daran, daß die Ernteschäden recht beträchtlich und ihre Folgewirkungen sehr bedeutend sind. In meinem Wahlkreis kenne ich Fälle, in denen ein großer Teil der Wintersaat nicht rechtzeitig hereingebracht werden konnte, in denen die Viehbestände ganz wesentlich verringert werden mußten, oft auf die Hälfte oder noch weniger. Hinzu kommt, daß das Verfahren der Individualentschädigung für die Ernteschäden, die ja von den Ländern vorgenommen wird, so kompliziert ist und einen solchen Papierkrieg hervorruft, daß sich die mittleren und kleinen Bauern scheuen, überhaupt daranzugehen. Ich bitte also zu prüfen, ob es nicht möglich ist, in den erntegeschädigten Gebieten zu einer Pauschalentschädigung überzugehen.
Ferner dürfte auch von Wichtigkeit sein, das Küstennotstandsprogramm so schnell wie möglich durchzuführen. Das Paritätsproblem ist ein alter Diskussionsgegenstand. Ich darf das seitens meiner Fraktion etwas präzisieren. Die landwirtschaftlichen Betriebe sind durch wirtschaftliche und soziale Gleichstellung der Landwirtschaft mit den übrigen Zweigen der Volkswirtschaft in den Stand zu setzen, bei ordnungsmäßiger Bewirtschaftung die notwendige Rentabilität zu erreichen. Die Bundesregierung sollte verpflichtet werden, die Mittel der allgemeinen Wirtschaftspolitik, vornehmlich der Preis-, Handels-, Steuer- und Kreditpolitik einzusetzen, damit unter Zugrundelegung des landwirtschaftlichen Wirtschaftsjahres der Gesamtertrag der Landwirtschaft den notwendigen Aufwand deckt. Unter „notwendigem Aufwand" sind vor allen Dingen auch zu erfassen die sächlichen Betriebsaufwendungen, Lohnaufwand für fremde und familieneigene Arbeitskräfte, ein angemessenes Entgelt für die Tätigkeit des Betriebsleiters, die Betriebssteuer, die öffentlichen Lasten, Abgaben, die Abschreibungen, die Inventarverminderung, eine Verzinsung des Kapitals, die dem Zinsatz auf dem Kapitalmarkt gegebener langfristiger Anleihen entspricht. Dies nur als einige der wichtigsten Punkte zu den landwirtschaftlichen Belangen, die wir anzuführen haben.
Lassen Sie mich — ich bitte den Herrn Präsidenten, mir noch einige Minuten zu gewähren, damit ich meine Ausführungen abschließen kann — hier noch ein paar Weitere Punkte anführen. Es wird viel gesprochen von der Mittelstandspolitik. Es wird versucht, die soziologische Erscheinung des Mittelstandes auf einen wirtschaftspolitischen Generalnenner zu bringen. Das ist außerordentlich schwierig; denn der Mittelstand ist keineswegs etwas Einheitliches, sondern es sind in ihm zum Teil erhebliche Interessengegensätze vorhanden. Dennoch glaube ich, daß drei Elemente bei einer den Mittelstand fördernden Politik immer zu berücksichtigen sind: einmal eine Steuer- und Finanzpolitik, die eine Kapitalbildung auch bei den kleineren Einkommen ermöglicht, eine Vereinfachung der Steuergesetzgebung, damit der Mittelständler selbst seinesteuerlichen Belange wahrnehmen kann und nicht erhebliche Zeit und erhebliche Gelder aufwenden muß, um überhaupt seinen staatsbürgerlichen Pflichten hinsichtlich der Steuer zu genügen, und schließlich, nach dem Ausbluten, das der Mittelstand durch die beiden verlorenen Weltkriege und ihre Folgeerscheinungen sowie endlich durch die Entwicklung zur Konzentration und zum großen Betrieb hin erlitten hat, eine großzügige Kreditpolitik. Ich halte eine solche Kreditpolitik für eine der Grundforderungen der Mittelstandspolitik.
Eine kleine Bemerkung zu einer anderen Frage. Ich sehe mit etwas Sorge, daß Herr Kollege Vogel Kritik an den etwas sibyllinischen Worten des Herrn Staatssekretärs bezüglich der Lufthansa geübt hat. Meine Damen und Herren, ich bin sehr für Sparsamkeit und Solidität eines Haushalts. Wir sollen uns auch hier nichts vormachen. Ich bin nicht für subventionierte Betriebe, für künstliche Sachen. Aber nach allem, was bisher hinsichtlich des Luftverkehrs geschehen ist, glaube ich, daß wir einfach nicht umhin können, zunächst einmal auch die Lufthansa mit der Flasche großzuziehen. Ist es erträglich, frage ich, daß ein Land von unserer Bedeutung aus der modernsten Verkehrsentwicklung, nämlich der des Luftverkehrs und des transozeanischen Verkehrs, ausgeschaltet bleiben soll? Ich glaube, das wäre eine Kapitulation.
— Durchaus. Mir ist das Problem bekannt, Herr Kollege Vogel. Aber bevor wir zu diesem Zusammenschluß kommen, müssen wir, glaube ich — ich bin nicht Fachmann auf diesem Gebiet —, hier durchaus etwas, sagen wir einmal, à fonds perdu tun. Politisch ist das nicht nur eine Unterstützungsaktion. Wir sollten die Dinge entwickeln.
— Ich vertrete hier nicht — darf ich das sagen,
Herr Kollege Gülich — einen Prestigestandpunkt.
Es geht mir hier nicht um nationales Prestige, sondern um die Notwendigkeit, daß unser Land in die modernste Entwicklung des Verkehrs eingeschaltet ist. Ob man nun — und ich hoffe, es kommt so — zu überkontinentalen Gesellschaften und zu einer Konzentration des Luftverkehrs kommen wird, so müssen wir jedenfalls auch von unserer Seite aus die erforderlichen Beiträge leisten. Wir müssen auf dem Gebiet der Luftfahrt — auch hinsichtlich der Forschung und des Fortschritts — Schritt halten können. Denn alle internationale, alle integrierte, ja, alle supranationale Zusammenarbeit hängt von den Beiträgen ab, die das einzelne Glied hier zu geben hat.
Schließlich etwas ganz anderes. Bei einem derart weitfassenden Thema kommt immer so etwas wie eine Speisenkarte der Wünsche bei einer Rede zusammen; aber es muß gesagt werden: Die Politik gegenüber den Zonengrenzgebieten wird immer eine Sorge und ein Anliegen sein, das wir hier in diesem Hause zu vertreten haben. Die Zonengrenzgebiete tragen nun schon, durch Jahre hindurch, die Last der Zerreißung unseres Landes. Ich darf es hier kurz machen und fünf konkrete Forderungen meiner Freunde anmelden, die bei gutem Willen im Rahmen des gegebenen Etats durchaus verwirklicht werden könnten:
1. Für die Sanierungs-, die Existenzaufbau- und die Arbeitsplatzdarlehen in den Zonengrenzgebieten muß ;dringend eine längere Laufzeit eingeführt werden, als sie bis jetzt gegeben ist. Die gegenwärtige Laufzeit ist zu kurz und macht große Schwierigkeiten.
2. Die Zinssätze der Sanierungsdarlehen können in der jetzigen Höhe nicht aufrechterhalten werden.
3. Bei der Vergabe von Landeshaushaltskrediten zur Förderung der gewerblichen Wirtschaft müssen in Zukunft die Klein- und Mittelbetriebe stärkere Berücksichtigung finden, als es geschehen ist.
4. Freie Darlehen sind schnellstmöglich mit ausreichenden Bundes- und Landesausfallbürgschaften zu sichern.
5. Grundsätzlich muß der Verfahrensweg bei Kreditanträgen aller Art verkürzt werden; denn wer schnell gibt, gibt bekanntlich doppelt.
Auf dem Gebiet der Beamtenpolitik kann man befriedigt sein von dem, was der Herr Staatssekretär gesagt hat. Er hat nämlich erklärt, daß die Grundlagen für die Besoldungsreform erarbeitet worden seien. Wir sind der Auffassung, daß diese Besoldungsreform so schnell wie möglich durchgeführt werden muß; denn der Beamte gehört zu den geistig schaffenden Berufen, und nur ein Beamter, der ein wirklich geistig schaffender Mensch mit der ganzen Ethik der inneren Selbständigkeit ist, vermag ja das Prestige unseres deutschen Beamtentums zu erhalten und wiederherzustellen. Ich glaube, daß bei diesem Personenkreis tatsächlich ein soziales Absinken vor sich gegangen ist. Die Gehälter beziehen sich im wesentlichen auf die Kaufkraft des Jahres 1927. Auch die Aufbesserungen, die man gegeben hat, sind der Entwicklung keineswegs gefolgt. Ich glaube, daß eine gründliche Reform auf diesem Gebiet so bald wie möglich gemacht werden muß, um das soziale, selbständige Niveau dieser Berufskreise wieder zu heben.
Die freien Berufe sind bekanntlich immer die Stiefkinder unserer Zeit. Es ist beinahe ein bißchen peinlich, wenn man dieses Thema auf dieser Tribüne erwähnt und erklärt, daß den freien Berufen geholfen werden sollte. Nun haben wir ja einmal geholfen, ganz bescheiden, und dann wendet sich der Bundesrat dagegen. Jetzt geht unser Vorschlag in den Vermittlungsausschuß. Hoffentlich werden die Dinge im Vermittlungsausschuß so geregelt, daß das bei jeder Landtagswahl gegebene Wort realisiert wird.
Zum Abschluß noch ein Wort über die Konzeption unserer Jugendpolitik. Gewiß, es sind Mittel dafür vorgesehen; ich glaube aber, daß wir hier doch noch erheblich mehr zu tun in der Lage sind und tun sollten. Das Verhältnis unseres Staates zur Jugend ist nicht in Ordnung, keineswegs. Wer vor einem Jugendforum spricht und wer mit den jungen Menschen in Kontakt tritt, wird mir recht geben, daß die Diktion, wie und was wir sagen, von dieser Jugend nicht verstanden wird. Hier ist eine andere und neue Mentalität entstanden. Ich glaube, daß wir gar nicht unzufrieden mit dieser anderen Mentalität, dieser anderen Diktion sein sollten. Diese Jugend ist sehr nüchtern geworden. Sie versucht, alles Emotionale, alles Unberechenbare aus ihrem Leben auszugliedern. Man hat den Eindruck, daß, wenn dieser strenge, rationalistische und nüchterne Geist, der da wächst, sich weiter entwickelt, wir dann einem strengen Jahrhundert entgegengehen.
Vor allen Dingen aber bedarf es einer wirklich viel größeren Nähe zwischen den Generationen. Wir, die wir gegenwärtig einen wichtigen Teil der Verantwortung zu tragen haben, sollten uns bemühen, auch mit den praktischen Maßnahmen der Jugendpolitik mehr zu ermöglichen, daß hier eine
neue Staatsgesinnung und Gesellschaftsgesinnung — auch aus der Tradition heraus, die wir ja weitergeben müssen — wächst. Ich bin damit nicht Vertreter einer Staatsjugendpolitik. Alle Jugendpolitik muß aus sich selbst wachsen; aber es bedarf auch hinsichtlich der materiellen Mittel einer gewissen Großzügigkeit.
Mit Rücksicht auf die Mittagspause möchte ich mir einige Ausführungen, die ich noch zu machen hätte, schenken. Das Wesentliche und Wichtige habe ich zu sagen versucht. Aber Sie haben alle viel zu arbeiten, und eine gewisse Regelmäßigkeit im Tageslauf gehört auch zur Ordnung der Gesellschaft hinzu. Dagegen haben wir häufig verstoßen. Deswegen ordne ich mich diesem Ordnungsprinzip unter und breche hiermit ab, um ein kleines Beispiel praktischer konservativer Politik zu geben.
— Darin zeigt sich die Großzügigkeit, daß mir die akademischen 10 Minuten geschenkt worden sind. Aber ohne eine gewisse Großzügigkeit ist auch konservatives Leben nicht herzustellen. Wir haben die große Hoffnung, daß der Geist der Solidität dieses Etats sich auf unsere ganze Innenpolitk ausweiten möge und damit angesichts der schweren Aufgaben, die vor uns stehen, auch zwischen Koalition und Opposition ein neues Leben, eine Möglichkeit echter Zusammenarbeit gegeben werde. Das ist unsere Hoffnung für das kommende Jahr, das durch diesen Etat regiert werden soll.