Rede:
ID0205900900

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 2059

  • date_rangeDatum: 9. Dezember 1954

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    2. Deutscher Bundestag — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. Dezember 1954 3005 59. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 9. Dezember 1954. Geschäftliche Mitteilungen . . . 3005 B, 3017 B Mitteilung über Beantwortung der Kleinen Anfrage 128 betr. kriminalpolizeiliche Durchsuchung der Wohnung des Senators a. D. Dr. Klein in Bonn (Drucksachen 968, 1065) 3005 C Fortsetzung der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1955 (Haushaltsgesetz 1955) (Drucksache 1100) 3005 C Schoettle (SPD) 3005 C Dr. Vogel (CDU/CSU) 3017 B Dr. Blank (Oberhausen) (FDP) . . . 3028 D Dr. von Merkatz (DP) 3033 A Unterbrechung der Sitzung . 3038 B Dr. Eckhardt (GB/BHE) 3038 D Ritzel (SPD) 3043 D Niederalt (CDU/CSU) 3052 D Dr. Dresbach (CDU/CSU) 3058 A Dr. Gülich (SPD) 3060 B, 3066 A Dr. Luchtenberg (FDP) . . 3064 A, 3066 A Krammig (CDU/CSU) 3067 B Bauknecht (CDU/CSU) 3069 C Hartmann, Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen 3073 C Überweisung an den Haushaltsausschuß 3075 D Nächste Sitzung 3076 C Die Sitzung wird um 9 Uhr 3 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Jaeger eröffnet.
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    Rede von Dr. Martin Blank


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Wenn ich heute aus dem Ausland oder von einem anderen Planeten ohne Kenntnis der Tagesordnung hier hineingeschneit wäre und den Zustand hier so gesehen hätte, wie er schon seit . . . Stunden andauert, dann hätte ich gesagt: das kann nur eine Haushaltsdebatte sein!"

    (Heiterkeit.)

    Ich muß den Herrn Präsidenten um Entschuldigung bitten, daß ich mich selbst zitiert habe; ich habe mich wörtlich so am 27. November 1952 ausgedrückt. Trotz aller frommen Wünsche haben sich die Dinge nicht sehr geändert. Das ist traurig. Ich zerbreche mir immer den Kopf darüber, wie wir unsere Dinge vielleicht etwas anregender machen könnten. Mir tun die jungen Menschen, die abwechselnd im Turnus auf der Zuschauertribüne sitzen, wirklich ein bißchen leid, weil sie vom Leben und Treiben dieses Parlaments an einem solchen Tage leider verhältnismäßig wenig zu sehen bekommen. Ich weiß nicht, ob es nötig war, daß ausgerechnet heute morgen vier Ausschüsse angesetzt wurden.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Das steht draußen an der berühmten Messingtafel und entzieht uns wichtige Kollegen für vielleicht auch wichtige Dinge. Aber solange wir es nicht in uns selbst und in unseren Bundestag hineinkriegen, daß der Haushalt das Wichtigste ist, dürfen wir nachher — das sage ich besonders denen, die


    (Dr. Blank [Oberhausen])

    es augenblicklich nicht hören und natürlich auch nicht nachlesen werden —

    (Heiterkeit)

    auch nicht schimpfen, wenn die Dinge im Haushalt und in unserer ganzen Finanzgebarung nicht so laufen, wie viele Leute sich das denken.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Wir wollen uns hier heute in der ersten Beratung — das ist jedenfalls meine Absicht — in erster Linie mit der Marathonrede von Herrn Staatssekretär Hartmann auseinandersetzen, die er uns gestern gehalten hat. Dabei darf ich angesichts der Krankheit des Herrn Bundesfinanzministers bemerken, daß auch meine Freunde und ich ihm aufrichtig baldige und völlige Wiederherstellung wünschen. Ich glaube aber, daß es schön gewesen wäre, wenn mehr Mitglieder des Bundeskabinetts, vielleicht sogar der Führer, hier hätten anwesend sein können.

    (Zurufe: Der Führer?! — Große Heiterkeit. — Abg. Kunze [Bethel] : Was für ein Wörterbuch haben Sie eigentlich?)

    — Der Lapsus ist, glaube ich, verzeihlich. Im übrigen scheint es mir faktisch gar keine so falsche Bezeichnung zu sein. —

    (Erneute große Heiterkeit. — Zuruf von der SPD: Das muß die FDP ja wissen!)

    Es wäre also sehr schön gewesen; aber wir sind in der Beziehung Kummer gewohnt und wollen uns darüber auch nicht weiter beschweren. Vielleicht wird es dann einmal anders, wenn, wie es der Herr Staatssekretär in seiner Rede so wunderbar vorsichtig ausgedrückt hat, es nötig werden würde, infolge irgendeiner von uns nicht gewünschten Entwicklung in anderer Richtung Einfluß auf die Einnahmenseite zu nehmen. Ich habe mir diesen Ausdruck besonders gemerkt; für den normalen Sterblichen heißt das wohl: wenn eines Tages die Notwendigkeit von Steuererhöhungen auftreten sollte.

    (Abg. Dr. Dresbach: Ist mit der Ergänzungsabgabe schon da!)

    — Als Anfang sicherlich! Das nehmen wir ja diesmal noch so hin.

    (Abg. Krammig: Sie meinen, das reicht nicht!)

    — Das muß sich herausstellen. Über den Ausgleich werde ich mir nachher noch einige Worte erlauben.

    (Abg. Dr. Dresbach: Sie haben vorhin Ihr Jawort zur Ergänzungsabgabe gegeben!)

    — Ich glaube, Sie haben mich falsch verstanden, Herr Kollege Dresbach; wo wir uns doch sonst so gut verstehen!

    (Heiterkeit.)

    Ich halte es für ausschlaggebend wichtig, daß der Haushaltsentwurf 1955 so frühzeitig vorgelegt worden ist. Das haben meine Herren Vorredner ja auch schon dankbar anerkannt. Ich glaube allerdings, daß ,es beinahe eine übermäßige captatio benevolentiae war, wenn der Herr Staatssekretär dafür den Dank des Bundesfinanzministeriums an den Bundestag abgestattet hat. Umgekehrt scheint mir die Sache 'richtiger zu sein, und daher schließen wir uns den 'Dankesworten der Herren Vorredner und auch des Herrn Staatssekretärs selber an seine Mitarbeiter aufs nachdrücklichste an.

    (Bravo! in der Mitte.)

    Den Zeitgewinn, der dadurch erzielt worden ist, gilt es nun unter .allen Umständen zu halten. Da aber sehe ich offen gestanden — lassen Sie mich das bitte in diesem Augenblick einmal sagen — etwas schwärzlich angesichts unseres derzeitigen und auch in das neue Jahr hinüberzunehmenden Arbeitsrhythmus. Daß der Haushaltsausschuß im Anfang dieses Jahres den Haushalt 1954 in einem Rekordtempo hat behandeln können, lag nicht zuletzt daran, daß jede dritte Woche eine sitzungsfreie Woche war, die für den Haushaltsausschuß dann gerade die richtige war, um ernsthaft und konsequent von morgens bis abends zu arbeiten. Ich habe persönlich den Eindruck — und es gibt eine ganze Menge unter meinen Freunden, die davon noch mehr überzeugt sind als ich —, daß der neueingeführte Rhythmus uns bisher in unserer Arbeit und in dem, was wir fertiggebracht haben, bedauerlicherweise nicht sehr viel vorwärts gebracht hat.

    (Sehr richtig! in der Mitte und rechts.)

    Ich glaube, diese ganze Angelegenheit muß — selbstverständlich im Einverständnis aller Fraktionen — spätestens mit Beginn des neuen Kalenderjahres noch einmal wieder in Behandlung genommen werden.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, die Drucksache 1100 mit den Anlagen ist ein gewaltiges Werk. Die Allgemeinen Vorbemerkungen, die im übrigen aus mir nicht ganz erfindlichen Gründen nicht als eine Anlage zu Drucksache 1100 bezeichnet sind — vielleicht sollen sie dadurch besonders herausgehoben werden, ebenso wie durch den Stempel, daß sie nur einmal verteilt werden —, sind ja eine Lektüre, die uns der Herr Staatssekretär für geruhsame Stunden empfohlen hat. Es liegt zwar angesichts des Herannahens des Weihnachtsfestes verhältnismäßig nahe, aber ich muß doch sagen, daß ich mir, so wertvoll das Werk ist, noch schönere Lektüre neben dem Adventskranz vorstellen könnte als diese 557 Seiten. Keiner von uns — ich glaube nicht, daß es eines der Mitglieder des Hohen Hauses wird behaupten wollen -- hat bisher diese Arbeit durchgelesen. Das wird auch von niemandem erwartet. Aber ich bin ebenso wie die Herren Vorredner davon überzeugt, daß dieses Werk noch eine wesentliche Grundlage für ausgedehnte Unterhaltungen, speziell auch in unserem Haushaltsausschuß, werden wird. Das Bestreben, das mit der Vorlage dieser Vorbemerkungen zum Ausdruck kommt, nämlich auch dem den Dingen fernerstehenden Abgeordneten — oder sogar nicht mal einem Abgeordneten, sondern einem wirk1ich en Laien — eine Möglichkeit der Einsicht in unsere öffentliche Finanzgebarung zu geben, erkennen wir hoch an. Uns sind da wirklich neue Aufschluf3möglichkeiten an die Hand gegeben, die wir dann gegebenenfalls auch einmal, ich möchte sagen: gegenüber den Verfassern ins Feld führen werden,

    (Zuruf von der Mitte: Aha!)

    vielleicht werden führen müssen. Das haben die Herren aber sicher in Rechnung gestellt.
    An sich muß ja leider folgendes gesagt werden. Das Mißverhältnis zwischen dem Sachverständnis des normalen und auch des sich besonders mit Haushaltsdingen beschäftigenden Abgeordneten be-


    (Dr. Blank [Oberhausen])

    züglich der Einzelfragen auf der einen Seite und der in Tag- und Nachtarbeit — ausschließlich — erworbenen Sachkenntnis und dem Sachverstand der zuständigen Herren unserer Bürokratie auf der andern Seite droht in irgendeiner Weise gefährlich zu werden und ist nach meinem Gefühl mit ein Grund für die Erscheinung, die heutzutage manchmal als das Überhandnehmen der Bürokratie beklagt und angeprangert wird. Wir stehen als Abgeordnete in dieser Beziehung zweifellos unter einem Handikap. Aber ich für meine Person bin jedenfalls durchaus dafür, daß wir uns in dieser Beziehung nicht unterkriegen lassen. Der Haushaltsauschuß hat durch die Wahl ständiger Berichterstatter für die Einzelpläne des Bundeshaushalts einen wesentlichen Fortschritt in der Richtung gemacht, daß sich wenigstens bei bestimmten Persönlichkeiten unter den Mitgliedern des Haushaltsausschusses auch ein mit ,den Jahren wachsendes `Sachverständnis zeigt, das für das ganze Parlament nur von Nutzen sein kann.
    Ich will mich nicht allzulange bei den verschiedenen Abteilungen und Kapiteln der Allgemeinen Vorbemerkungen aufhalten, um so mehr, als einige meiner Freunde zu speziellen in den Vorbemerkungen behandelten Fragen noch Stellung nehmen werden. Ich darf das Hohe Haus darauf vorbereiten, daß zur Frage des Bundesvermögens selbstverständlich mein Kollege Dr. Atzenroth das Wort ergreifen wird, während sich zu den Fragen der Wissenschaftsförderung und der Förderung der wissenschaftlichen Forschung der Kollege Professor Luchtenberg äußern wird.
    DerHerr Staatssekretär Hartmann hat selbst die Frage offengelassen, ob nach der Verabschiedung der Steuerreform unser Steuerwesen vielleicht komplizierter geworden . sei als bisher. Ich glaube aber, daraus sprach etwas die Enttäuschung dar-über, daß der Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen sich nicht völlig mit der Regierungsvorlage einverstanden erklärt hat. Ich hoffe doch, daß, wenn diese Reform jetzt tatsächlich durchgeführt wird und die ganzen Rationalisierungsmöglichkeiten auf dem Gebiete der Steuererhebung, der Prüfung usw. usw. wirklich ausgenutzt werden, von einer zusätzlichen Komplizierung nicht die Rede sein kann.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Der Herr Staatssekretär hat sich gestern in seiner Rede auch gegen den Gedanken einer fortdauernden Steuerreform gewendet. Das Wort ist von meinem Kollegen Wellhausen geprägt worden und war der Ausdruck des Wunsches, daß mit diesem, man darf ja vielleicht sagen: beinahe zufälligen Ergebnis, das nun bei der letzten Steuerreform herausgekommen ist, nicht für alle Zeiten Schluß gemacht werden soll. Ich glaube, daß die Zensiten gegenüber einer angeblich so erstrebenswerten Rechtssicherheit die Möglichkeit weiterer Minderung ihrer Steuerleistungen auf gesetzlichem Wege jederzeit begrüßen und die sich daraus ergebenden Komplikationen gerne in Kauf nehmen werden.
    Nicht ohne Sinn hatte das Bundesfinanzministerium mit seinen Vorschlägen zur Steuerreform auch die Vorschläge zur Finanzreform vorgelegt. Daß diese Vorschläge von diesem Hause in so großer Einmütigkeit gebilligt wurden, war zu begrüßen. Um so bedauernswerter ist das Schicksal, das diese Vorlagen nun im Bundesrat erfahren haben. Meine Freunde und ich bedauern besonders die Behandlung des vom Bundestag beschlossenen Finanzverfassungsgesetzes durch den Bundesrat.

    (Abg. Dr. Dresbach: Sehr richtig!)

    Hier ist ein Verfahren angewendet worden, das etwa der Beteiligung des Bundesrats an unseren Beratungen am heutigen Tag entspricht.

    (Heiterkeit. — Abg. Arnholz: Sehr richtig!)

    Wir können in dieser Art und Weise nicht fortfahren, meine Damen und Herren.

    (Abg. Kunze [Bethel]: Sehr richtig!)

    Ich habe diese Nacht um 3 Uhr die Lektüre der Vorschläge und Änderungswünsche ,des Bundesrates und der Antworten der Bundesregierung darauf abgeschlossen. Das ist einfach scheußlich zu lesen. Ich will die Schuld gar nicht nur der einen Seite zur Last legen; aber daß sich beamtete deutsche Instanzen in dieser Art und Weise gegenseitig an den Kopf schmeißen: „Das hast du falsch gemacht!" und daß der andere sagt: „Die Bundesregierung bleibt auf ihrem Standpunkt; das muß anders gemacht werden!", ist unmöglich, ist auch unlogisch. Diese uns in der Drucksache vorgeführten Gegensätzlichkeiten zwischen öffentlichen Gewalten in Deutschland finde ich offengestanden unerträglich, und wenn auf diesem Gebiet nicht etwas geschaffen wird, was dauernden Bestand hat — und zwar wahrscheinlich durch die Verabschiedung einer vernünftigen Finanzreform —, dann sehe ich allein aus dieser Konfliktsquelle große Gefahren für unser ganzes öffentliches Dasein erwachsen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir sollten alles tun — soweit wir insbesondere auch in unseren Ländern Einfluß haben —, um diesen unerträglichen Zustand zu beseitigen.

    (Abg. Dresbach: Na, da fangen Sie mal bei Middelhauve an! -Heiterkeit.)

    — Ich hatte an ihn gedacht, als ich diese Erklärung abgab.
    Der Herr Staatssekretär hat die Hoffnung auf eine echte Vermittlung durch den Vermittlungsausschuß im Sinne von Art. 107 des Grundgesetzes ausgesprochen. Meine Freunde und ich schließen uns dieser Hoffnung sehr intensiv an und erwarten, daß selbst unter dem Zeitdruck, der jetzt natürlich vorhanden ist, ein Ausgleich der tatsächlichen und vermeintlichen Interessen zustande kommt, der dem Ganzen dient und keinerlei Eigensüchtigkeiten in dieser oder jener Richtung deutlich werden läßt. Meine Freunde und ich schließen uns der Kritik, die der Herr Staatssekretär an den Abstrichen des Bundesrates geübt hat, in jeder Weise an.
    Nun möchte ich gerne einige Fragen an den Herrn Staatssekretär richten. Es ist zwar schon vorher davon gesprochen worden, daß mit Sicherheit mit einem Nachtragshaushalt gerechnet werden müsse; das Wort ist jedoch seitens des Herrn Staatssekretärs nicht gefallen. Es besteht aber wohl keine Aussicht, die Erhöhung der Kriegsopferrenten ohne einen Nachtragshaushalt mit der entsprechenden Deckung unterzubringen.
    Dann möchte ich mich gerne noch erkundigen, was es mit den neuen Stellen und Stellenhebungen auf sich hat, die der Herr Staatssekretär angekündigt hatte und die noch nicht im gedruckten Haushaltsplan stehen. Ich habe eben schon, nach-


    (Dr. Blank [Oberhausen])

    dem ich ihm diese Frage nur angekündigt hatte, einen Zettel bekommen, auf dem steht — ich brauche das aber nicht vorzulesen —, daß immerhin ein Ministerialdirektor, 3 Ministerialdirigenten und 23 Ministerialräte neu angefordert werden. Das scheint mir eine ganze Menge zu sein. Unser Kollege Vogel hat ja schon geäußert, daß wir uns darüber wahrscheinlich noch im Haushaltsausschuß werden unterhalten müssen.

    (Zuruf von der Mitte: In welchem Ministerium? — Das steht hier nicht dabei. Dann hat der Herr Staatssekretär eine Wendung gebraucht, über die ich gern auch etwas mehr Klarheit haben möchte. Er hat — nach meinem Gefühl durchaus mit Recht — gesagt: wir müssen einmal die finanzpolitische Entwicklung im Laufe der nächsten Monate abwarten und wollen dann im Haushaltsausschuß — er meint wahrscheinlich: mit dem Haushaltsausschuß — entscheiden. Das ist eine Formulierung, die mich deshalb sehr interessiert, weil ich mir nicht recht vorstellen kann, wie der Haushaltsausschuß ohne Auftrag vom Plenum und letzten Endes auch ohne Billigung der Ergebnisse seiner Arbeit durch das Plenum entscheiden soll. Der Herr Staatssekretär hat uns sehr interessante Ziffern genannt über die geradezu erschreckend gestiegene öffentliche Belastung je Kopf der Bevölkerung seit 1913. Ich persönlich muß sagen, ich begrüße es sehr, daß der Herr Staatssekretär diese Zahlen von sich aus gebracht hat und auch selber durchaus die Möglichkeit offengelassen hat, daß die „Staatsund Verwaltungsaufgaben überentwickelt" seien. Wir können uns diesem Eindruck bei manchen Gelegenheiten und an manchen Stellen ebenfalls nicht verschließen. Ich möchte aber doch sagen, daß wir glauben — Herr Kollege Vogel hat schon davon gesprochen —, im Wege einer intensiven und vertrauensvollen Zusammenarbeit sowohl mit den Ressorts, speziell natürlich mit dem Bundesfinanzminister, wie auch mit dem Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung — in dieser Beziehung ist vor einiger Zeit ein sehr glücklicher Anfang gemacht worden —, Möglichkeiten finden zu können, um der weiteren Aufblähung der Verwaltung einen Riegel vorzuschieben. Damit allein können wir nicht zufrieden sein. Ich begrüße deshalb durchaus die Anregung, besondere Sachverständigenkommissionen nach englischem Vorbild zu schaffen. Wir müssen auch darangehen, wenn sich auf gewissen Gebieten herausstellt, daß eine Aufgabe nicht mehr ,den alten Arbeitsumfang erfordert, abzubauen, wo immer das möglich ist. Die Formulierung vom Aufgabenund Ausgabenabbau ist mir auch durch den Kopf gegangen, Herr Kollege Willeke. Ich habe sie deshalb nicht gebraucht, weil wir ja nach dem Kriege, insbesondere infolge der fürchterlichen Katastrophe, so unendlich viel neue Aufgaben dazubekommen haben, die uns nicht nur nach der Verwaltungsseite, sondern auch wegen der effektiven Hilfeleistung enorme Ausgaben gebracht haben. Aber ich sagte ja eben schon: wo etwa nun, nachdem das Gröbste in dieser Richtung geschafft ist, Menschen und Ausgaben eingespart werden können, da müssen wir dahinter sein wie der Teufel hinter der bekannten armen Seele. Wir haben vom Herrn Staatssekretär sehr dankenswerte Aufklärungen über die Entstehungsgründe, den Umfang und die Verwendung der gewaltigen Kassenbestände bekommen. Wir werden uns die Ausführungen, die dazu in den Vorbemerkungen gemacht sind, insbesondere das außerordentlich dornenvolle Problem der Ausgabereste und Einnahmereste noch sehr viel näher ansehen müssen. Ob vielleicht eines Tages hier andere Rechtsvorschriften erlassen werden müssen, wage ich für meine Person im Augenblick nicht zu entscheiden. Aber wir werden ja bei der Lektüre der Allgemeinen Vorbemerkungen auch darüber noch Näheres erfahren, was in der Umgestaltung des Haushaltsrechts geplant ist. Es ist einmal das Wort gefallen, manche Dinge in der Reform des Haushaltsrechts seien so dringlich, daß man vielleicht eine kleine Haushaltsordnungsreform vorwegziehen müsse. Wir sind gerne bereit, alle Vorschläge, die in dieser Beziehung an uns gelangen, zu prüfen, wo immer man da zur Vereinfachung und zur Rationalisierung im Sinne der ratio, der Vernunft, beitragen kann, vielleicht auch, indem man Zöpfe abschneidet. Dazu sind wir jederzeit gerne -bereit. Auf die Streitfrage, ob der Bundesfinanzminister berechtigt oder vielleicht sogar auf Grund der Haushaltsordnung verpflichtet war, die Einsparungen, die er im ordentlichen Haushalt infolge der Hinausschiebung des endgültigen Verteidigungsbeitrags machen konnte, in der hier mehrfach besprochenen Form zu verwenden, will ich meinerseits hier nicht eingehen. Der Herr Staatssekretär hat wieder gesagt, daß ihn die Reichshaushaltsordnung dazu zwingt. (Abg. Dr. Vogel: Das ist eine der beiden Möglichkeiten!)


    (Zurufe: Aha! und Lachen.)


    (Abg. Dr. Willeke: Aufgabenabbau!)

    Daß es nett, freundlich und loyal — ich will nicht sagen, ,daß das andere illoyal war — und im Sinne der guten Zusammenarbeit mit dem Haushaltsausschuß gewesen wäre, wenn man sich darüber vorher unterhalten hätte, dem wird, glaube ich, in diesem Hause niemand widersprechen. Ob ein Nachtragshaushalt dazu notwendig gewesen wäre, scheint mir allerdings zweifelhaft.
    Sehr dankbar bin ich persönlich in meiner Eigen-. schaft als Vorsitzender des Rechnungsprüfungsausschusses des Haushaltsausschusses dafür, daß der Herr Staatssekretär auch seinerseits auf die Wichtigkeit und auf den, ich möchte einmal sagen, Lehrcharakter der abgeschlossenen und der zu prüfenden Rechnungen hingewiesen hat, aus denen man unter Umständen mehr lernen könne als aus einem Haushaltsvoranschlag. Wir werden uns im Haushaltsausschuß und selbsverständlich im Rechnungsprüfungsausschuß gerne den sich daraus ergebenden Aufgaben unterziehen. Wir haben nur den einen Wunsch, daß es gelingt, den Zeitpunkt, in dem die Rechnung vorliegt, immer näher an den Zeitraum, ,auf den sich die Rechnung bezieht, heranzurücken, damit wir um so unmittelbarere und lehrreichere Schlüsse ziehen können.

    (Abg. Dr. Vogel: Sehr richtig!)

    Die schöne Zeit der freundlichen Zufälle, von denen der Herr Staatssekretär gesprochen hat, könnte vorüber sein. Auch ich halte das für durchaus möglich, für denkbar, besonders wenn man sich


    (Dr. Blank [Oberhausen])

    einmal vergegenwärtigt, in welcher außerordentlichen Weise unser ganzer Haushalt, unsere Volkswirtschaft, unser ganzes Dasein, möchte ich sagen, konjunkturabhängig ist. Hier wird man um so höher veranschlagen müssen, daß seitens des Herrn Bundesfinanzministers und seiner Mitarbeiter, aber auch seitens des Parlaments ein so großer Wert auf die Stabilität, auf die Solidität der Haushaltsgebarung überhaupt gelegt wird. Wenn es sich darum handelt, den Haushalt solide zu gestalten, wird der Herr Bundesfinanzminister uns immer an semer Seite finden. Wenn die solide Gestaltung des Haushalts erfordert, daß Ausgaben, so erwünscht sie sein mögen, unterbleiben, dann wird sich das Parlament auch dieser Notwendigkeit nicht entziehen dürren. Solide, stabil — das ist erwünscht, ist sehr schön. Etwas kritisch kann man nur werden, wenn der Herr Staatssekretär selbst sagt, der Ausgleich des laufenden Haushalts sei etwas fragwürdig. Wieweit man den Ton auf das „etwas" legen kann, ist gewissermaßen Geschmacksache. Herr Kollege Schoettle hatte das „etwas" mehr oder weniger gestrichen. Unter Hinweis auf die erneute Nichtberücksichtigung des § 75 der Haushaltsordnung und unter Berücksichtigung der Tatsache, daß in diesem Haushaltsvoranschlag noch 40 % Bundesanteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer stehen, könnte man schon sagen, daß der Ausgleich zur Zeit papierenen Charakter hat. Immerhin hat der Herr Staatssekretär — auch dieses Wort möchte ich wiederholen — harte Konsequenzen für 1955 in Aussicht gestellt. Wenn sie gezogen werden müssen im Interesse der Solidität, dann werden wir uns dem sicherlich nicht versagen.
    Im ganzen aber ist nach meinem Gefühl, wenn man den Haushalt von 1954 und den Voranschlag für 1955 miteinander vergleicht, festzustellen, daß keine fundamentalen, ganz grundstürzenden Änderungen haben vorgenommen werden müssen. Es ist eine ausgesprochene Vergleichbarkeit zwischen den beiden Haushalten gegeben. Auf die Unterschiede und die Besonderheiten, insbesondere auf die sehr begrüßenswerte Schaffung eines neuen Einzelplans 33, werden wir durch die Vorbemerkungen noch besonders hingewiesen. Wir werden das alles auch im Haushaltsausschuß noch intensiv erörtern, bevor wir das Werk dem Hohen Hause zur zweiten Beratung wieder unterbreiten.
    Über die Unerfreulichkeit, um mich milde auszudrücken, des Verhältnisses zwischen Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat will ich hier nicht noch einmal viele Worte verlieren. Ich glaube aber, daß die Abstriche — mit einer merkwürdigen Gesamtsumme, die zum Nachdenken anregt —, die der Bundesrat an den Ausgaben des Haushaltsvoranschlags vorgenommen hat, in dieser Form von uns unter gar keinen Umständen hingenommen werden können. Hier sind zum Teil Abstriche vorgenommen warden, die das Funktionieren der Bundesregierung und der Bundesressorts einfach in Frage stellen.
    Sehr bemerkenswert erschienen mir die Ausführungen, die Herr Staatssekretär Hartmarin gemacht hat zu dem beachtlichen Verhältnis der Sozialaufwendungen der öffentlichen Hand und der Sozialaufwendungen aus der sich selbst verwaltenden Sozialversicherung zueinander. Hierzu glaube ich, daß auch die Konsequenzen, ,die er aus dieser Betrachtung gezogen hat, von uns zu billigen sind. Wir können nur hoffen, daß es gelingt — dazu bedarf es vielleicht der so viel berufenen, offenbar sehr langsam marschierenden großen Sozialreform
    —, die selbstverwaltende Sozialversicherung und deren Leistungen wieder an die alte größere Stelle zu bringen gegenüber den aus allgemeinen Steuermitteln aufgebrachten Sozialleistungen.

    (Abg. Dr. Dresbach: Herr Blank, hier fehlt die dritte Kategorie, die freiwilligen Aufwendungen der Firmen!)

    — Die freiwilligen Aufwendungen der Firmen gehören natürlich auch in diesen Bereich. Aber ich bin da den Überlegungen von Herrn Staatssekretär Hartmann gefolgt. Er hat sich hier ja nur mit den öffentlich-rechtlichen Sozialleistungen befaßt und auf diese merkwürdige Verschiebung hingewiesen.
    Ich möchte mich darauf beschränken, diese allgemeinen Bemerkungen im Anschluß an die Einbringungsrede des Herrn Staatssekretärs zu machen, und es mir versagen, auf viele einzelne, bemerkenswerte, auch viele Millionen umfassende Veränderungen im Bundeshaushaltsvoranschlag 1955 einzugehen.
    Ich glaube und hoffe das sehr, ,daß wir die zweite und anschließend die dritte Beratung des Haushalts 1955 in Breite und Ruhe, vielleicht sogar in Anwesenheit einer größeren Anzahl von Kollegen, durchführen können. Dann wird noch vieles zu sagen sein, was ich für den Augenblick dem Haushaltsausschuß vorbehalten möchte.
    Ich darf nur darauf hinweisen: wir werden ja auch noch im Haushaltsausschuß darüber sprechen müssen, daß gerade im Augenblick ein neuer Anlauf genommen wird, dem § 96 der Geschäftsordnung eine Form zu geben, die unangreifbar ist und trotzdem der Ausgabefreudigkeit des Parlaments im gewissen Umfange einen Riegel vorschiebt. Die Überlegungen darüber, ob die Geschäftsordnung genügt oder ob es eines Tages vielleicht sogar erforderlich sein wird, den sogenannten Deckungszwang in die Verfassung selbst zu schreiben, sind noch nicht abgeschlossen. Ich denke eigentlich, daß eine derartige Verfassungsänderung von jedem, der es mit unserem Staatswesen gut meint, nur bejaht werden könnte.
    Eine ganz kleine, scherzhafte Bemerkung möchte ich mir noch erlauben. Das Kap. 0804 heißt nunmehr Bundesfinanzverwaltung. Das ist die Zusammenlegung verschiedener, bisher in einzelnen Kapiteln geführter Teile der Dienstbereiche des Bundesfinanzministeriums. Um jedem Irrtum vorzubeugen, möchte ich darauf hinweisen, daß mit dieser etwas anderen kapitelmäßigen Bezeichnung das, was meine Freunde und ich seit Jahren mit der Bundesfinanzverwaltung erstreben, natürlich nicht erreicht ist.
    Schließlich habe ich noch eine Bitte und einen Ratschlag an die verschiedenen Fachausschüsse unseres Hohen Hauses. Wenn sich die Damen und Herren erinnern wollen: als wir uns nach der ersten Beratung des Haushalts 1954 im Januar dieses Jahres im Haushaltsausschuß mit dem bekannten Feuereifer auf die Dinge stürzten, brach ein noch feurigerer Eifer bei den Fachausschüssen aus, die anfingen, sich der Einzelpläne, die zu ihren Sachgebieten gehörten, zu bemächtigen; sie verhandelten dann auch darüber — ob mit oder ohne Auftrag des Plenums, bleibe dahingestellt; ich glaube, das letzte war der Fall —, und es kam zu irgendwelchen Terminen, auch zu Mitteilungen über sehr mannhafte Beschlüsse an den Haushaltsausschuß,


    (Dr. Blank [Oberhausen])

    die fast durchweg Ausgabenerhöhungen beinhalteten und die von diesen Fachausschüssen gefaßt waren. Ich würde den Fachausschüssen empfehlen, sich diese Mühe in dieser Form nicht zu machen, sondern lieber rechtzeitig die Fühlung mit dem Haushaltsausschuß und seinen Mitgliedern aufzunehmen — es sind ja alle Fraktionen vertreten —, bevor der Haushaltsausschuß seine Beratungen über den betreffenden Einzelplan abgeschlossen hat. Denn es war im Anfang dieses Jahres tatsächlich mehrfach der Fall, daß ,der Haushaltsausschuß den betreffenden Einzelplan längst verabschiedet hatte, wenn der Fachausschuß mit seinen auf Fachkenntnis beruhenden Sonderforderungen kam. Das hat natürlich gar keinen Zweck, und diese überflüssige Arbeit — wir haben ja ohnehin Arbeit genug — sollten wir uns nicht machen.
    Damit über die Zuständigkeit des Haushaltsausschusses für den Bundeshaushalt auch 1955 gar kein Zweifel besteht, habe ich die Ehre, namens meiner Freunde das Hohe Haus zu bitten, den Haushaltsvoranschlag nach Abschluß dieser Beratung dem Haushaltsausschuß, und nur diesem Ausschuß, zu überweisen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Merkatz.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans-Joachim von Merkatz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute morgen das Vergnügen gehabt, die Ausführungen von Fachleuten zu hören. Man kann nur sagen, daß man vor dem Sachverstand, der hier in gelassener Ruhe dargelegt worden ist, Respekt haben muß. Ich muß nun das Hohe Haus um Nachsicht bitten, daß hier der politische Sprecher der DP-Fraktion auf die Tribüne gekommen ist, ein Laie also in diesen Dingen, wie der Politiker überhaupt in vielen Dingen ein Laie ist und wohl auch sein muß, denn in allen Sätteln gerecht zu reiten, ist selbst einem Manne von enzyklopädischem Wissen nicht gegeben. Wir sind aber der Auffassung, daß die gute alte Tradition, wonach anläßlich der Einbringung des Etats auch die politischen Lichter aufgesetzt werden, nicht verlassen werden sollte.
    Die Außenpolitik ist ausgeschieden worden, und ich verspreche Ihnen auch, schon mit Rücksicht auf die herannahende Mittagspause, keine außenpolitischen Ausflüge zu machen. Über unserem Hause und über unserer Politik schwebt überhaupt die Mahnung oder auch der Unwille, daß wir zuviel Außenpolitik getrieben, ja selbst unsere Landtagswahlkämpfe mit diesen Themen bestritten hätten und die Innenpolitik darüber zu kurz gekommen sei. Meine Damen und Herren, ich glaube, wenn man den Etat und die sehr eindrucksvollen Darlegungen über die volkswirtschaftlichen Grundlagen unserer Finanzpolitik ansieht, dann kann man nicht sagen, daß dieser Vorwurf berechtigt ist, die Bundesregierung und mit ihr die Koalition, die die Verantwortung für diese Regierung trägt, hätten in den vergangenen Jahren zu wenig Innenpolitik getrieben.
    Auch die Fraktion der Deutschen Partei begrüßt es lebhaft — wie ich gleich zu Anfang erwähnen möchte —, daß dieser Haushalt so früh eingebracht worden ist. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an unseren Antrag, Drucksache 940, den wir am 4. November eingereicht haben, daß eine Angleichung des Haushaltsjahres an das Kalenderjahr erstrebt werden solle. Hierbei handelt es sich nicht nur um den Wunsch nach einer kalendermäßigen Verschiebung, sondern das Zustandekommen einer Kongruenz der staatlichen Entwicklung mit der Entwicklung des übrigen Geschäftslebens und des Lebens der Gesellschaft. Daher ist diese terminmäßige Verschiebung des Haushaltsjahres anzustreben.
    Wenn man die Stimmungen des vergangenen Jahres überblickt, dann zeigt sich, daß man über das Jahr 1954 vielleicht das Stichwort schreiben könnte: ein Jahr der Enttäuschungen. Ich glaube aber, daß dieses Urteil des Unmuts übertrieben ist. Wenn man die soliden Grundlagen des Etats überblickt, so ist dieses Bild einer Enttäuschung über unsere Entwicklung nicht gerechtfertigt. Meine politischen Freunde vertreten den Standpunkt eines toleranten Konservativismus. Dieser Konservativismus hat nichts zu tun mit einer reaktionären Einstellung, also mit einer Einstellung, als wünsche man, die Zustände der Vergangenheit wieder herbeizuführen, als wolle man an gesellschaftlichen Positionen festhalten, die von der Zeit überwunden sind. Unser ganzes Leben untersteht Entwicklungen, und kein vernünftiger Mensch kann sich diesen Entwicklungen entziehen. Aber was ist das Wesen dieses toleranten Konservativismus? Unser Grundziel ist, daß der Lebensraum des einzelnen wieder stärker unter seiner Verantwortung stehen möge, daß der Freiheitsraum des einzelnen, aus eigener Kraft sein Leben zu bestimmen, wieder erweitert werden möge.

    (Abg. Dr. Eckhardt: Einverstanden!)

    Das, glaube ich, ist das Ziel einer modernen konservativen Politik. Denn die gesellschaftliche Wirklichkeit unseres Daseins ist anders geartet. Wir erinnern uns alle noch der Zeit um 1945, als die Stromversorgung ausfiel, als die Ordnung des Staates verfiel, als die Polizeigewalt, der Schutz des Staates unterging. Da hat jeder Kulturmensch auf einmal gemerkt, wie weit bereits sein persönlicher Lebensraum eingeschränkt ist, wie unser Dasein ein abgeleitetes geworden -ist, daß wir — es ist ein starkes Wort — so ein wenig in eine Staatssklaverei hineingeraten sind. Meine Damen und Herren, ich möchte dies nicht als ein Schlagwort stehenlassen; aber ich glaube, die freiheitliche Kultur kann im Vorfeld der bolschewistischen Bedrohung, die eine ganz andere Welt darstellt, nicht erhalten werden, wenn nicht alle Bemühungen der Gesellschaft und des Staates — und das hängt sehr eng auch mit Fragen der Etatgestaltung zusammen — darauf gerichtet werden, durch Steuer- und Finanzpolitik dazu beizutragen, den Freiheitsraum des einzelnen und damit das Maß seiner freien Verantwortung wieder zu erweitern.
    Wenn man unter diesem grundsätzlichen Gesichtspunkt den Etat zu betrachten versucht, wird man, glaube ich, leider sagen müssen, daß auch dieser Etat einen Fortschritt, jedenfalls auf diesem Wege, nicht darstellt. Bitte, das ist kein Vorwurf gegen den Finanzminister. Wir sind uns alle darüber klar, wie schwierig die Probleme sind, die gelöst werden müssen, um jenen Freiheitsraum des einzelnen wieder zu gestalten. Der Staat — das zeigt dieser Haushalt ganz deutlich auf — ist direkt oder indirekt der Vermittler der Lebensmöglichkeit des einzelnen geworden. Der ein-


    (Dr. von Merkatz)

    zelne ist, bis in seinen privatesten Bereich hinein, von ihm abhängig geworden. Darin liegt gewiß etwas Zwangsläufiges. Allzu groß ist die Zahl derer, die durch Krieg und Katastrophen hilflos geworden sind und denen geholfen werden muß. Das sind Fragen, denen unter gar keinen Umständen ausgewichen werden darf. Der Staat und dann das, was sich im Schutze des Staates entwickelt hat, die Organisationsmächte, d. h. die organisierten Interessen der einzelnen, bestimmen unser Dasein und unsere Existenzmöglichkeiten. Wir dürfen hier nicht in eine falsche, nur noch rhetorische Betonung der Freiheit hineingeraten; wir müssen diese Realitäten erkennen. Allerdings darf ich sagen, daß ich vom Standpunkt des konservativen Denkens aus diese Entwicklung zu bekämpfen gewillt bin, bis zum letzten, auch wenn dieser Kampf vergeblich sein sollte.
    Die Steuerreform war gewiß — das muß man gerechtermaßen zugeben — ein mutiger Schritt in der Richtung, eine Umkehr von dieser bisher kollektivistischen und nivellierenden Entwicklung zu erzielen. Aber sie reicht doch wohl nicht aus, um das, was in unserer Gesellschaft zerstört worden ist, nämlich das Eigentum, wieder zu schaffen, die Eigentumsbildung wirklich zu ermöglichen. Gewiß, man hat zur Beruhigung gesagt, es solle eine laufende Steuerreform sein, man wolle jetzt, Schritt für Schritt, zu einem Abbau der bisherigen kollektivisierenden und nivellierenden Steuerpolitik kommen. Aber, wie gesagt, da scheinen sich Entwicklungen für viele Jahre anzudeuten, und es bedürfte einer großen Stabilität und Zielstrebigkeit in der Fortsetzung der Prinzipien unserer Innenpolitik, um dieses Ziel zu erreichen. Die Staatsausgaben sind auch nach diesem Etat — das weist er deutlich aus — weiter und weiter gewachsen. Der Herr Staatssekretär hat ja, im Namen des Bundesfinanzministers, gerade diese Erscheinung der anwachsenden Staatsausgaben sehr deutlich unterstrichen. Der Versorgungsstaat — lassen Sie mich dieses harte Wort nicht in einem diffamierenden, sondern in einem feststellenden Sinne sagen — schreitet ständig weiter fort und gewinnt immer weiteren Raum. Vielleicht ist es eine Utopie, demgegenüber ein anderes Staatsbild aufzeigen zu wollen; aber man soll sich auch — wenn sich unausweichliche Entwicklungen in einer Kultur andeuten — nicht kampflos preisgeben; denn gerade der Widerstand, die Polarität der Auffassungen, bringt die richtige Synthese zustande.
    Ich darf hierbei ein Wort sagen: Innenpolitik in Deutschland ist vor allem eine Politik zur Wiederherstellung der Einheit unseres Vaterlandes. Gewiß, ich bekämpfe die Theorie des Provisoriums unseres Staates. Unsere Pflichten gegenüber Deutschland sind nicht provisorisch, sondern definitiv, so definitiv, wie sie überhaupt nur sein können. Wir dürfen den Begriff des Provisoriums nicht als eine Entschuldigung für eine Inaktivität, für ein Nicht-ganz-ernstnehmen unserer Situation ansehen. Hinsichtlich der Gebietshoheit aber ist unser Staat ein Torso, und dieser Torso unserer Macht und Möglichkeit bestimmt natürlich auch den Bewegungsraum in der Innenpolitik, vor allen Dingen unseren sozialpolitischen Bewegungsraum. Ich betrachte Innenpolitik — und darf das ruhig einmal sagen — so: Die Essenz einer Innenpolitik mündet schließlich im sozialpolitischen Ergebnis. Wieviel an sozialpolitischen Ergebnissen eine Gesellschaft aufzubringen vermag, das ist gewissermaßen das Zeugnis der Kraft und des Erfolges aller innenpolitischen Vorgänge.
    Was haben wir anzustreben, um die Wiederherstellung der Einheit unseres Landes, d. h. die Wiederherstellung der Menschenrechte in allen Gebieten deutschen Landes zu ermöglichen? Unerläßlich ist eine Stabilität der Staats-, Wirtschafts-und Sozialordnung, und wenn wir da Bilanz ziehen, glaube ich nicht, daß eine allzu selbstgerechte Beurteilung unserer Situation am Platze wäre, sondern ein wenig Zurückhaltung gegenüber Worten wie „das deutsche Wunder" und etwas weniger In-die-Brust-Werfen in bezug auf die deutsche Leistungskraft. Gewiß, wir sind ein tüchtiges Volk, wir sind fleißig. Wir wollen uns nicht klein machen; aber wir wollen die Kirche im Dorf lassen, und wenn wir wirklich einmal etwas geleistet haben, sollten wir es für uns behalten und dieses schweigende, stille Selbstbewußtsein, das Festigkeit des Charakters bietet, etwas mehr beobachten. Denn wenn man alles in allem betrachtet — gerade als Bilanz der letzten Landtagswahlen —, dann findet man als die beste Leistung des deutschen Volkes, die man nur mit sehr großer Hochachtung betrachten darf, daß der deutsche Wähler eine Stabilität unserer Politik wünscht. Das ist ganz klar zum Ausdruck gekommen.
    Alle Verschärfungen der Landtagswahlkämpfe, wo sie auch gewesen sein mögen, alle Übertreibungen sind vom Wähler nicht abgenommen und nicht honoriert worden. Alle intellektuellen Nuancierungen, die man gemacht hat, alles, was am grünen Tisch als eine „Masche" und als ein „Wahlknüller" ersonnen worden ist, hat der Wähler nicht aufgenommen.

    (Zuruf von der SPD.)

    — Ich weiß, was Sie denken; aber gestatten Sie mir, aus Taktgründen hier einmal nicht zu antworten.

    (Abg. Hermsdorf: Ist das auch die Erkenntnis Ihres Freundes Seebohm?)

    — Erkenntnisse zu haben in diesem Leben, ist, glaube ich, das wichtigste menschliche Anliegen, auch ein Anliegen des Politikers. Ich versuche, eine Bilanz zu ziehen, und wer da ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.

    (Heiterkeit.)

    Ich werfe jedenfalls keinen Stein. Ich liebe nicht diese Übertreibungen, die vorgekommen sind.
    Aber lassen Sie mich einen Gedanken darlegen, den wir Politiker, gleichgültig wo wir stehen, ob rechts oder links oder in der Mitte, haben müssen. Unsere Wähler verlangen von uns jedenfalls, daß wir in allen Dingen den Realitäten und Möglichkeiten Rechnung tragen. Die Wähler wünschen eine nüchterne Realpolitik. Der Wähler hat die Politik der Koalition, die wir alle verantwortet haben, im Grunde bestätigt. Er ist in seinen Auffassungen stabil geblieben. Das ist nicht ein Selbstlob, das ich hier aussprechen möchte, das ist in allererster Linie eine Verpflichtung, und ich glaube, Opposition und Koalition sollten von dieser Grundmeinung unseres Volkes Notiz nehmen, so daß wir in unserem Verhältnis zueinander wieder zu einem Kontakt gelangen, damit nüchtern und anständig von Koalition und Opposition insgesamt „deutsche Regierung" dargestellt wird, wie es Herr Kollege Schoettle sehr eindrucksvoll gesagt hat.


    (Dr. von Merkatz)

    Die ganze Innenpolitik in Deutschland wird das Ziel zu verfolgen haben, die Vertrauenswürdigkeit unseres Staatswesens wiederherzustellen. Bitte betrachten Sie das nicht als eine Selbstanschuldigung, als eine Selbsterniedrigung oder als eine Warnung, wir seien besonders berufen, durch ein Schelten deutscher Vergangenheit unsere eigene Ehre wiederherzustellen. Nein, wir sind berufen, unsere Ehre durch unser Handeln zu bestätigen. Das Prestige unseres Landes muß unser Anliegen sein. Wir müssen die Vertrauensgrundlagen nach draußen, weniger durch Worte, als durch eine gesicherte Leistung, vor allen Dingen der Innenpolitik, schaffen. Und gerade hier dürfen wir dem Finanzminister und der strengen Finanzpolitik, die er getrieben hat, unser Lob nicht versagen. Sein eisernes Bemühen um den ausgeglichenen Haushalt — ein Bemühen, das uns oft geärgert hat — ist letzthin nur der Ausdruck einer staatspolitischen Notwendigkeit. Ich stehe nicht an, seitens meiner politischen Freunde dieses Bemühen hier zu honorieren.
    Wenn ich sage: Vertrauen nach außen, so meine ich natürlich damit eine Stabilität unseres Landes, die es, auf die Länge gesehen, eines Tages ermöglicht, auch nach Osten hin — denn die Menschen dort sind nun einmal unsere natürlichen geographischen Nachbarn — ein Verhältnis zu gewinnen, das eine ruhige Stabilität und Sicherheit gewährleistet. Ich möchte nicht in den Verdacht kommen, eine neutralistische betuliche Einstellung an den Tag zu legen. Das liegt mir sehr fern. Ich glaube auch nicht, daß man mir das nachsagen kann. Aber ich meine, <laß die Festigkeit einer in sich ruhenden politischen Einheit, die mit gelassener Tatkraft ihre inneren Verhältnisse ordnet, sehr viel zur Sicherheit unseres Landes, zur Sicherheit und Stabilität I unserer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beitragen würde.
    Oberstes Gesetz ist für meine politischen Freunde Gesunderhaltung und Stabilität der Währung. Wir dürfen hier nicht sündigen. Wir sind oft geneigt, durch Gefälligkeitsbewilligungen zu sündigen und damit das Gleichgewicht des Etats und unserer Finanzpolitik zu gefährden. Sozialer Frieden muß geschaffen werden; aber hierbei ist auch zu beachten, daß wir uns alle vereinigen müssen, um unvernünftigen und unmöglichen Forderungen künftig mehr entgegenzutreten, als das in der Vergangenheit schon der Fall gewesen ist.
    Herr Kollege Sc ho et t l e hat die großen Sorgen angesprochen, die mit dem Verteidigungsetat verbunden sind. Ich glaube, jeder, der hier im Hause sitzt, teilt diese Sorgen. Es wäre wohl richtiger, daß dieses Parlament bei all den Fragen, die mit der Herstellung der Verteidigungskraft verbunden sind, rechtzeitig bis ins einzelne beteiligt wird. Die Regierung sollte dem Wunsch des Herrn Kollegen Schoettle, sich über die tatsächlichen wirtschaftlichen und finanzpolitischen Grundlagen zu äußern, die eine Herstellung der Verteidigungskraft erfordert, stattgeben. Ich teile auch den Gedanken des Herrn Kollegen Schoettle, unabhängige Untersuchungskommissionen zu schaffen, vorausgesetzt, daß solche Untersuchungskommissionen auch wirklich unabhängig sind und von Menschen besetzt werden, die die Überlegenheit des objektiven Standpunktes als Wissenschaftler, Forscher und Sachkenner aufzubringen vermögen.

    (Abg. Schoettle: Deshalb müssen sie als Institution geschaffen werden!)

    — Durchaus einverstanden! Ich halte den Grundgedanken solcher Institutionen, wenn sie nicht zu einer Vervielfältigung parlamentarischer Organe, sozusagen zu parlamentarischen Schattenorganen oder zu parlamentarischen Schatten-Untersuchungsausschüssen werden, sondern wirklich unabhängige „royal commissions" bilden, für durchaus akzeptabel. Hier sollte ein objektives und genaues Bild der wirtschaftlichen Grundlagen einer Verteidigungspolitik ermittelt werden.
    Sie wissen, daß ich mich immer gegen den Gegensatz: soziale oder militärische Sicherheit gewandt habe. Meiner Ansicht nach ist die Frage der Sicherheit für ein Land immer unteilbar. Sie ist nämlich eine soziale und militärische zugleich. Beide Richtungen sind miteinander zu koordinieren und zu einer Einheit zu bringen.
    Ich darf aber bei dieser Gelegenheit gerade anläßlich der Ausführungen, die zum Etat der Verteidigungslasten gemacht worden sind, sagen: Wenn man in der Welt glaubt, wir drängten uns dazu, solche Lasten auf uns zu nehmen, dann irrt man sich. Es wäre doch vollkommen unvernünftig, wenn ein Land, das solche Wunden zu heilen hat wie wir, sich nach solchen Dingen drängte.

    (Abg. Dr. Menzel: Wie war es mit dem Schreiben des Bundeskanzlers vom 8. August 1950 an die Alliierten?!)

    Ich möchte mich mit aller Entschiedenheit dagegen aussprechen, daß wir eine solche Lust an der Sache hätten.

    (Abg. Dr. Menzel: Und warum hat der Bundeskanzler dieses Schreiben den Deutschen so lange verheimlicht?)

    — Das war kein Drängen, Herr Kollege Menzel, sondern wir sind damals bedrängt worden. Da wir in dieser Welt bedrängt werden, da sehr viel auf dem Spiele steht, ist eine verantwortliche Regierung allerdings verpflichtet, auch diese große Last auf sich zu nehmen und sie so zu tragen, daß die sozialen Belange und die Belange militärischer Verteidigung in ein richtiges Verhältnis gebracht werden.
    Ich möchte an dieser Stelle — da ich glaube, daß unser Land nicht gerade einfachen Verhältnissen entgegengeht, daß wir in den kommenden Jahren sehr viele schwierige innenpolitische Probleme zu lösen haben — doch den Gedanken vertreten, daß bei dieser Politik die Stabilität der Währung unter allen Umständen verteidigt und gehalten werden muß. Deshalb trete ich dafür ein, daß wir eine unabhängige, in voller Autonomie, rein nach dem wirtschaftlichen, finanziellen Sachverstand entscheidende Notenbank behalten, ein Notenbanksystem, das sich als eine selbständige, unabhängige Kraft bewährt und gegen die Versuchungen und den Ansturm gefeit ist, wie sie in jeder Massendemokratie vorhanden sind, und sich auch dagegen zu verteidigen in der Lage ist.
    Hier möchte ich von vornherein gewisse Warnungen aussprechen und gewisse Bremsen haben. Wir müssen uns einer Politik befleißigen, die sich in der Härte der Tatsachen, die eine stabile Währung immer nach sich zieht, bewährt und den Realitäten Rechnung trägt. Denn nur dann, wenn wir diesen Maßstab der Klarheit und Sicherheit unserer Grundlagen haben, wie sie eine stabile Währung bietet, sind wir in der Lage, die innenpolitischen Probleme so anzufassen, wie das notwendig ist,


    (Dr. von Merkatz)

    um sie wirklich klar zu lösen und nicht in irgendwelche Behelfs- und Gefälligkeitslösungen oder auch reine Machtentscheidungen auszuweichen.
    Wir müssen uns überhaupt davor hüten — und auch dieses Parlament sollte sich davor hüten —, daß wir als Fraktionen oder als einzelne Menschen irgendwie in die Abhängigkeit von Partikularinteressen kommen. In Wirklichkeit sind wir uns doch darüber klar, daß in vielen Punkten das Bild unserer Verfassung, jener liberal-demokratischen Verfassung des 19. Jahrhunderts, mit der Verfassungswirklichkeit als solcher nicht übereinstimmt. Es kommt eines Tages die Notwendigkeit, daß wir das tatsächliche gesellschaftliche Leben mit unseren Verfassungsinstitutionen in Einklang bringen müssen, d. h. die Verfassungswirklichkeit mit dem geschriebenen Recht der Verfassung.
    Sehr traurig — muß ich als Föderalist sagen — sind die Vorgänge, die sich um die Finanzverfassung abgespielt haben. Wir als Föderalisten der Deutschen Partei vertreten nicht einen etatistischen, sondern den integrierenden Föderalismus. Für uns sind die deutschen Länder nicht selbständige Einheiten, sondern sie sind Glieder eines höheren Gesamtverbandes, der letztlich wirtschaftlich, sozial und finanzpolitisch eine Einheit darstellt. Ich glaube, daß wir bei der Entwicklung, die unser Leben nimmt — einer Entwicklung, die zu den größeren europäischen Räumen hinüberschreitet —, um eine gründliche Reform der Finanzverfassung, und wenn es gar nicht anders geht, im Sinne der Bundesfinanzverwaltung einfach nicht herumkommen.

    (Sehr richtig! bei der DP.)

    Wir dürfen nicht den Föderalismus des 19. Jahrhunderts und seiner staatsrechtlichen Vorstellungen zu einem Dogma der Gegenwart machen. Der integrierende Föderalismus, ,den wir vertreten und den auch Herr Kollege Schoettle erwähnt hat, ist dem amerikanischen Begriff des Föderalismus ähnlich. Dieser integrierende Föderalismus ist ein Gegensatz zu Methoden zentralistischer Verwaltung, die die politische Willensbildung in eine Zentrale verlegt, während der integrierende Föderalismus die Willensbildung möglichst weit nach unten . verlegt, d. h. das, was der einzelne oder ein kleinerer Verband bewältigen kann, das soll und muß er in eigener Verantwortung bewältigen. Was aber nicht so zu bewältigen ist, muß nach oben verlagert werden. Das entspricht dem Prinzip der Subsidiarität.
    Ich begrüße es — damit komme ich zu 'einigen konkreten Punkten —, daß der landwirtschaftliche Etat im gegenwärtigen Haushaltsplan erweitert worden ist. Allerdings glaube ich nicht, daß diese Erweiterung genügen wird, um den in Not geratenen mittleren und kleinen Bauern zu helfen, die Verschuldung bis gegen 7 Milliarden, in die die Landwirtschaft bereits geraten ist, zu beseitigen und die Gesundung unserer Agrarstruktur bald herbeizuführen. Immerhin ist das Bemühen anerkennenswert, daß man den landwirtschaftlichen Etat erweitert hat. Wir bejahen auch, dem Grundsatz nach, die Vorstellungen des Herrn Bundesministers für Landwirtschaft, der sich ein längeres Programm zur Sanierung der Agrarstruktur in Deutschland vorgenommen hat. Aber ich glaube, in der Praxis kommen alle diese Maßnahmen zu spät.
    Ich darf an dieser Stelle an etwas erinnern, das aus dem Bewußtsein der Öffentlichkeit wieder geschwunden ist, nämlich daran, daß die Ernteschäden recht beträchtlich und ihre Folgewirkungen sehr bedeutend sind. In meinem Wahlkreis kenne ich Fälle, in denen ein großer Teil der Wintersaat nicht rechtzeitig hereingebracht werden konnte, in denen die Viehbestände ganz wesentlich verringert werden mußten, oft auf die Hälfte oder noch weniger. Hinzu kommt, daß das Verfahren der Individualentschädigung für die Ernteschäden, die ja von den Ländern vorgenommen wird, so kompliziert ist und einen solchen Papierkrieg hervorruft, daß sich die mittleren und kleinen Bauern scheuen, überhaupt daranzugehen. Ich bitte also zu prüfen, ob es nicht möglich ist, in den erntegeschädigten Gebieten zu einer Pauschalentschädigung überzugehen.
    Ferner dürfte auch von Wichtigkeit sein, das Küstennotstandsprogramm so schnell wie möglich durchzuführen. Das Paritätsproblem ist ein alter Diskussionsgegenstand. Ich darf das seitens meiner Fraktion etwas präzisieren. Die landwirtschaftlichen Betriebe sind durch wirtschaftliche und soziale Gleichstellung der Landwirtschaft mit den übrigen Zweigen der Volkswirtschaft in den Stand zu setzen, bei ordnungsmäßiger Bewirtschaftung die notwendige Rentabilität zu erreichen. Die Bundesregierung sollte verpflichtet werden, die Mittel der allgemeinen Wirtschaftspolitik, vornehmlich der Preis-, Handels-, Steuer- und Kreditpolitik einzusetzen, damit unter Zugrundelegung des landwirtschaftlichen Wirtschaftsjahres der Gesamtertrag der Landwirtschaft den notwendigen Aufwand deckt. Unter „notwendigem Aufwand" sind vor allen Dingen auch zu erfassen die sächlichen Betriebsaufwendungen, Lohnaufwand für fremde und familieneigene Arbeitskräfte, ein angemessenes Entgelt für die Tätigkeit des Betriebsleiters, die Betriebssteuer, die öffentlichen Lasten, Abgaben, die Abschreibungen, die Inventarverminderung, eine Verzinsung des Kapitals, die dem Zinsatz auf dem Kapitalmarkt gegebener langfristiger Anleihen entspricht. Dies nur als einige der wichtigsten Punkte zu den landwirtschaftlichen Belangen, die wir anzuführen haben.
    Lassen Sie mich — ich bitte den Herrn Präsidenten, mir noch einige Minuten zu gewähren, damit ich meine Ausführungen abschließen kann — hier noch ein paar Weitere Punkte anführen. Es wird viel gesprochen von der Mittelstandspolitik. Es wird versucht, die soziologische Erscheinung des Mittelstandes auf einen wirtschaftspolitischen Generalnenner zu bringen. Das ist außerordentlich schwierig; denn der Mittelstand ist keineswegs etwas Einheitliches, sondern es sind in ihm zum Teil erhebliche Interessengegensätze vorhanden. Dennoch glaube ich, daß drei Elemente bei einer den Mittelstand fördernden Politik immer zu berücksichtigen sind: einmal eine Steuer- und Finanzpolitik, die eine Kapitalbildung auch bei den kleineren Einkommen ermöglicht, eine Vereinfachung der Steuergesetzgebung, damit der Mittelständler selbst seinesteuerlichen Belange wahrnehmen kann und nicht erhebliche Zeit und erhebliche Gelder aufwenden muß, um überhaupt seinen staatsbürgerlichen Pflichten hinsichtlich der Steuer zu genügen, und schließlich, nach dem Ausbluten, das der Mittelstand durch die beiden verlorenen Weltkriege und ihre Folgeerscheinungen sowie endlich durch die Entwicklung zur Konzentration und zum großen Betrieb hin erlitten hat, eine großzügige Kreditpolitik. Ich halte eine solche Kreditpolitik für eine der Grundforderungen der Mittelstandspolitik.


    (Dr. von Merkatz)

    Eine kleine Bemerkung zu einer anderen Frage. Ich sehe mit etwas Sorge, daß Herr Kollege Vogel Kritik an den etwas sibyllinischen Worten des Herrn Staatssekretärs bezüglich der Lufthansa geübt hat. Meine Damen und Herren, ich bin sehr für Sparsamkeit und Solidität eines Haushalts. Wir sollen uns auch hier nichts vormachen. Ich bin nicht für subventionierte Betriebe, für künstliche Sachen. Aber nach allem, was bisher hinsichtlich des Luftverkehrs geschehen ist, glaube ich, daß wir einfach nicht umhin können, zunächst einmal auch die Lufthansa mit der Flasche großzuziehen. Ist es erträglich, frage ich, daß ein Land von unserer Bedeutung aus der modernsten Verkehrsentwicklung, nämlich der des Luftverkehrs und des transozeanischen Verkehrs, ausgeschaltet bleiben soll? Ich glaube, das wäre eine Kapitulation.

    (Abg. Dr. Vogel: Darum geht es ja gar nicht, Herr von Merkatz, sondern es geht um den Zusammenschluß zu einer nicht mehr subventionsbedürftigen europäischen Luftfahrtgesellschaft!)

    — Durchaus. Mir ist das Problem bekannt, Herr Kollege Vogel. Aber bevor wir zu diesem Zusammenschluß kommen, müssen wir, glaube ich — ich bin nicht Fachmann auf diesem Gebiet —, hier durchaus etwas, sagen wir einmal, à fonds perdu tun. Politisch ist das nicht nur eine Unterstützungsaktion. Wir sollten die Dinge entwickeln.

    (Abg. Dr. Gülich: Das ist doch ein reiner Prestigestandpunkt! — Abg. Dr. Vogel: Damit haben Sie dem ersten Stadium zugestimmt!)

    — Ich vertrete hier nicht — darf ich das sagen,
    Herr Kollege Gülich — einen Prestigestandpunkt.
    Es geht mir hier nicht um nationales Prestige, sondern um die Notwendigkeit, daß unser Land in die modernste Entwicklung des Verkehrs eingeschaltet ist. Ob man nun — und ich hoffe, es kommt so — zu überkontinentalen Gesellschaften und zu einer Konzentration des Luftverkehrs kommen wird, so müssen wir jedenfalls auch von unserer Seite aus die erforderlichen Beiträge leisten. Wir müssen auf dem Gebiet der Luftfahrt — auch hinsichtlich der Forschung und des Fortschritts — Schritt halten können. Denn alle internationale, alle integrierte, ja, alle supranationale Zusammenarbeit hängt von den Beiträgen ab, die das einzelne Glied hier zu geben hat.
    Schließlich etwas ganz anderes. Bei einem derart weitfassenden Thema kommt immer so etwas wie eine Speisenkarte der Wünsche bei einer Rede zusammen; aber es muß gesagt werden: Die Politik gegenüber den Zonengrenzgebieten wird immer eine Sorge und ein Anliegen sein, das wir hier in diesem Hause zu vertreten haben. Die Zonengrenzgebiete tragen nun schon, durch Jahre hindurch, die Last der Zerreißung unseres Landes. Ich darf es hier kurz machen und fünf konkrete Forderungen meiner Freunde anmelden, die bei gutem Willen im Rahmen des gegebenen Etats durchaus verwirklicht werden könnten:
    1. Für die Sanierungs-, die Existenzaufbau- und die Arbeitsplatzdarlehen in den Zonengrenzgebieten muß ;dringend eine längere Laufzeit eingeführt werden, als sie bis jetzt gegeben ist. Die gegenwärtige Laufzeit ist zu kurz und macht große Schwierigkeiten.
    2. Die Zinssätze der Sanierungsdarlehen können in der jetzigen Höhe nicht aufrechterhalten werden.
    3. Bei der Vergabe von Landeshaushaltskrediten zur Förderung der gewerblichen Wirtschaft müssen in Zukunft die Klein- und Mittelbetriebe stärkere Berücksichtigung finden, als es geschehen ist.
    4. Freie Darlehen sind schnellstmöglich mit ausreichenden Bundes- und Landesausfallbürgschaften zu sichern.
    5. Grundsätzlich muß der Verfahrensweg bei Kreditanträgen aller Art verkürzt werden; denn wer schnell gibt, gibt bekanntlich doppelt.
    Auf dem Gebiet der Beamtenpolitik kann man befriedigt sein von dem, was der Herr Staatssekretär gesagt hat. Er hat nämlich erklärt, daß die Grundlagen für die Besoldungsreform erarbeitet worden seien. Wir sind der Auffassung, daß diese Besoldungsreform so schnell wie möglich durchgeführt werden muß; denn der Beamte gehört zu den geistig schaffenden Berufen, und nur ein Beamter, der ein wirklich geistig schaffender Mensch mit der ganzen Ethik der inneren Selbständigkeit ist, vermag ja das Prestige unseres deutschen Beamtentums zu erhalten und wiederherzustellen. Ich glaube, daß bei diesem Personenkreis tatsächlich ein soziales Absinken vor sich gegangen ist. Die Gehälter beziehen sich im wesentlichen auf die Kaufkraft des Jahres 1927. Auch die Aufbesserungen, die man gegeben hat, sind der Entwicklung keineswegs gefolgt. Ich glaube, daß eine gründliche Reform auf diesem Gebiet so bald wie möglich gemacht werden muß, um das soziale, selbständige Niveau dieser Berufskreise wieder zu heben.
    Die freien Berufe sind bekanntlich immer die Stiefkinder unserer Zeit. Es ist beinahe ein bißchen peinlich, wenn man dieses Thema auf dieser Tribüne erwähnt und erklärt, daß den freien Berufen geholfen werden sollte. Nun haben wir ja einmal geholfen, ganz bescheiden, und dann wendet sich der Bundesrat dagegen. Jetzt geht unser Vorschlag in den Vermittlungsausschuß. Hoffentlich werden die Dinge im Vermittlungsausschuß so geregelt, daß das bei jeder Landtagswahl gegebene Wort realisiert wird.
    Zum Abschluß noch ein Wort über die Konzeption unserer Jugendpolitik. Gewiß, es sind Mittel dafür vorgesehen; ich glaube aber, daß wir hier doch noch erheblich mehr zu tun in der Lage sind und tun sollten. Das Verhältnis unseres Staates zur Jugend ist nicht in Ordnung, keineswegs. Wer vor einem Jugendforum spricht und wer mit den jungen Menschen in Kontakt tritt, wird mir recht geben, daß die Diktion, wie und was wir sagen, von dieser Jugend nicht verstanden wird. Hier ist eine andere und neue Mentalität entstanden. Ich glaube, daß wir gar nicht unzufrieden mit dieser anderen Mentalität, dieser anderen Diktion sein sollten. Diese Jugend ist sehr nüchtern geworden. Sie versucht, alles Emotionale, alles Unberechenbare aus ihrem Leben auszugliedern. Man hat den Eindruck, daß, wenn dieser strenge, rationalistische und nüchterne Geist, der da wächst, sich weiter entwickelt, wir dann einem strengen Jahrhundert entgegengehen.
    Vor allen Dingen aber bedarf es einer wirklich viel größeren Nähe zwischen den Generationen. Wir, die wir gegenwärtig einen wichtigen Teil der Verantwortung zu tragen haben, sollten uns bemühen, auch mit den praktischen Maßnahmen der Jugendpolitik mehr zu ermöglichen, daß hier eine


    (Dr. von Merkatz)

    neue Staatsgesinnung und Gesellschaftsgesinnung — auch aus der Tradition heraus, die wir ja weitergeben müssen — wächst. Ich bin damit nicht Vertreter einer Staatsjugendpolitik. Alle Jugendpolitik muß aus sich selbst wachsen; aber es bedarf auch hinsichtlich der materiellen Mittel einer gewissen Großzügigkeit.
    Mit Rücksicht auf die Mittagspause möchte ich mir einige Ausführungen, die ich noch zu machen hätte, schenken. Das Wesentliche und Wichtige habe ich zu sagen versucht. Aber Sie haben alle viel zu arbeiten, und eine gewisse Regelmäßigkeit im Tageslauf gehört auch zur Ordnung der Gesellschaft hinzu. Dagegen haben wir häufig verstoßen. Deswegen ordne ich mich diesem Ordnungsprinzip unter und breche hiermit ab, um ein kleines Beispiel praktischer konservativer Politik zu geben.

    (Heiterkeit. — Abg. Kunze [Bethel] : Das akademische Viertel haben Sie trotzdem benutzt!)

    — Darin zeigt sich die Großzügigkeit, daß mir die akademischen 10 Minuten geschenkt worden sind. Aber ohne eine gewisse Großzügigkeit ist auch konservatives Leben nicht herzustellen. Wir haben die große Hoffnung, daß der Geist der Solidität dieses Etats sich auf unsere ganze Innenpolitk ausweiten möge und damit angesichts der schweren Aufgaben, die vor uns stehen, auch zwischen Koalition und Opposition ein neues Leben, eine Möglichkeit echter Zusammenarbeit gegeben werde. Das ist unsere Hoffnung für das kommende Jahr, das durch diesen Etat regiert werden soll.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)