Rede von
Dr.
Carlo
Schmid
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich danke Ihnen.
Heute feiert unser Kollege Schröter aus Wilmersdorf seinen 62. Geburtstag.
— Ich stelle fest, daß das Haus ihm mit einem besonderen Berliner Herzlichkeitszuschlag ,gratuliert hat.
Ich habe weiter bekanntzugeben, daß der Bundestagsabgeordnete, nunmehr Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein Kai-Uwe von Hassel mit Wirkung -vom 4. November seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag durch Verzicht verloren hat. Sein Nachfolger ist noch nicht bei uns.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 3. November 1954 die Kleine Anfrage 118 der Fraktion der SPD betreffend Fahrpreiserhöhung für Anschlußverkehr durch Autobusses der Deutschen Bundesbahn — Drucksache 901 —beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 943 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 3. November 1954 die Kleine Anfrage 119 der Fraktion der SPD betreffend Berufsverkehr der Bundesbahn — Drucksache 902 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 944 vervielfältigt.
Eine weitere Mitteilung: Gemäß interfraktioneller Vereinbarung sind die Punkte 3 und 4 der heutigen Tagesordnung, Drucksache '735, Antrag der Fraktion der Deutschen Partei betreffend Schaffung eines Bundesministeriums für Fragen des Mittelstandes, und Drucksache 807, Antrag der Fraktion des GB/BHE betreffend Spende für den Aufbau des Reichstagsgebäudes, abgesetzt worden. Dafür soll nach einer interfraktionellen Vereinbarung die Tagesordnung erweitert werden um einen gestern abgesetzten Punkt der gestrigen Tagesordnung:
Fortsetzung der Zweiten und Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Oberleitung der Beteiligung des ehemaligen Landes Preußen am Grundkapital der Deutschen Pfandbriefanstalt auf den Bund ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Geld und Kredit (Drucksache 874 [neu]).
Berichterstatter: Abgeordneter Kirchhoff.
Ich halte es für richtig, daß wir diesen Punkt als ersten Punkt der heutigen Tagesordnung behandeln. Die Drucksachen sind verteilt.
Der Bericht ist bereits erstattet. Wir kommen zur Abstimmung.
Ich rufe auf zur zweiten Beratung §§ 1, — 1 a, —2, — 3, — 4, — Einleitung und Überschrift. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer mit diesen Bestimmungen einverstanden ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Ich stelle einstimmige Annahme fest. Ich schließe die zweite Beratung.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Einzelaussprache. §§ 1 bis 4, — Einleitung und Überschrift. — Wer einverstanden ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Einstimmig angenommen.
Wer mit dem Gesetz im ganzen einverstanden ist, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich stelle einstimmige Annahme fest. Damit ist dieser Punkt erledigt.
Ich rufe auf Punkt 1 der heutigen Tagesordnung:
Große Anfrage der Fraktionen der DP, GB/BHE betreffend Großer Knechtsand .
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, daß man sich mit einer Begründung von 20 Minuten begnügen möge. Ich halte mich nach einigen gestrigen Vorgängen doch für verpflichtet, auf diese Vereinbarung im Ältestenrat heute hinzuweisen. Wer begründet die Anfrage? — Das Wort hat der Abgeordnete Müller .
Müller (DP), Anfragender: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ihnen vorliegende Große Anfrage der Fraktionen der DP und des GB/BHE Drucksache 841 wurde dadurch veranlaßt, daß die Vereinbarungen zwischen der Bundesregierung und dem Britischen Hohen Kommissar vom 9. September 1952 in zahlreichen Fällen nicht eingehalten wurden.
In Ziffer 3 der Vereinbarungen ist festgelegt, daß Übungs- und Sprengbomben bis zu einem Höchstgewicht von 453,6 kg auf den Mittelpunkt der Gefahrenzone gezielt geworfen werden. Bei keiner Übung sollen mehr als 100 Sprengbomben geworfen werden. Es sind aber Reihenabwürfe erfolgt und Bomben schwersten Kalibers geworfen worden. Dadurch sind Gebäudeschäden in erheblichem Umfang eingetreten. Die Marsch hat als Untergrund eine anmoorige Schicht, so daß Erschütterungen auf große Entfernungen übertragen werden. Diese waren sogar bis Bremerhaven, also noch auf zirka 30 km, spürbar. Die Krankenhäuser in Nordholz, Wursterheide, Sahlenburg und Cuxhaven wurden in Mitleidenschaft gezogen, wie die Ärzte übereinstimmend feststellten.
Ziffer 4 besagt, daß der Knechtsand jede Nacht zur Verfügung steht und Tagübungen jedesmal angekündigt werden. Ein britischer Vertreter äußerte seinerzeit, daß Tagübungen nur zwei- bis dreimal im Monat stattfinden sollten. Die Wirklichkeit sieht aber ganz anders aus. In der Zeit von November 1953 bis Juni 1954 wurden 69 Tagübungen und 18 Nachtübungen angesetzt. Im Juli 1954 wurden 20 Tagübungen und nur 1 Nachtübung angemeldet, im August 1954 21 Tag- und 13 Nachtübungen, im September 1954 28 Tag- und 16 Nachtübungen. Bei dieser starken Inanspruchnahme des Knechtsandes war jegliches Fischen unmöglich, und den Fischern wurde eine Entschädigung von 74 000 DM ausgezahlt. Im Oktober dieses Jahres sind 27 Tagübungen und keine Nachtübung angesetzt worden.
Sie sehen also, daß die heutige Form der Abwurfübungen ein glatter Verstoß gegen die Vereinbarungen vom 9. September 1952 ist.
Ziffer 5 besagt, daß für Tagübungen das Übungsgebiet von Montag bis Freitag von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zur Verfügung steht. Der Sonnabend und der Sonntag sollen übungsfrei bleiben und somit den Fischern zum Fang zur Ver-
fügung stehen. Entgegen dieser Zusage ist aber wiederholt die Sperre bis Sonnabendmorgen ausgedehnt worden, so daß den Fischern ein Auslaufen nicht mehr möglich war. Außerdem sollten an den Übungstagen von drei Stunden vor Hochwasser bis drei Stunden nach Hochwasser keine Bomben geworfen werden. Auch diese Bestimmungen sind wiederholt nicht innegehalten worden.
Nach Ziffer 6 soll das Ziel entweder nach Sicht oder mit Hilfe von Radargeräten bombardiert werden. Am 24. November 1953 wurden Bomben geworfen, obwohl ein Fischkutter wegen Motorschadens im Sperrgebiet des Großen Knechtsandes lag. Außerdem wurden Warnungen mit dem Hinweis verbunden, daß auch bei Nebel eine Übung stattfinden würde.
Ziffer 10 und 11 behandeln die Blindgängergefahr. Nach Ziffer 11 soll das Zielgebiet durch ein britisches Übungsplatzkommando nach Blindgängern abgesucht werden. Es ist bisher nicht beobachtet worden, daß dies durchgeführt ist.
Sie sehen also, daß die Vereinbarungen vom 9. September 1952 nicht innegehalten wurden. Auch die Entschädigung der Fischer ist noch nicht befriedigend. Die Entschädigung beruht auf Richtlinien des Bundesfinanzministeriums vom 10. März 1954. In der Praxis hat sich herausgestellt, daß diese in keiner Weise den gerechten Forderungen der Krabbenfischer entsprechen. Auf Grund der Eingaben aller möglichen Stellen und der Verhandlungen im Bundestag wurden diese Richtlinien einer Revision unterzogen und am 30. September 1954 eine Einigung erzielt. Diese Neuregelung mußte selbstverständlich rückwirkend ab 1. März 1954 in Kraft gesetzt werden, da sich klar gezeigt hat, daß die alte Entschädigungsregelung ungenügend war. Nunmehr will das Bundesfinanzministerium aber offenbar diese Regelung erst mit Wirkung ab L Oktober 1954 in Kraft setzen. Das ist eine unerhörte Benachteiligung der Fischer. Durch diese Handlungsweise werden die Fischer äußerst verbittert und verlieren jedes Vertrauen auf Zusagen unserer Regierungsstellen.
Außerdem sind die Darre- und Zulieferbetriebe der Krabbenfischer in die Entschädigung einzubeziehen.
Ferner sollte berücksichtigt werden, daß die jungen Fischer heute dem Müßiggang und dem tatenlosen Herumstehen preisgegeben sind. Es liegt auf der Hand, daß dies zu einer völligen Verlotterung der jungen Menschen führen muß. Daß hierbei auch die politischen Gefahren nicht übersehen werden dürfen, sondern einer sehr ernsten Betrachtung unterzogen werden müssen, darüber dürfte Einigkeit bestehen.
Außerdem möchte ich noch darauf hinweisen, daß der Knechtsand die Stätte ist, wo im Juli/ August die Brandgänse aus dem größten Teil des nordeuropäischen Raumes sich zur Mauser einfinden. Obwohl bereits im Juni von den interessierten Stellen wegen der Gefahren, die den Brandgänsen drohten, ernsteste Vorstellungen erhoben worden sind, ist hierauf keine Rücksicht genommen worden. Wie Lehrer Freemann, Wremenn, ein anerkannter Sachverständiger, feststellt, sind von Juli bis Anfang September mindestens 40 000 Brandgänse umgekommen. Falls im nächsten Jahr dieses Verfahren des Massenmordes der Gänse fortgesetzt wird, dürften diese mehr oder weniger ausgerottet werden.
Welche Folgerungen sind nun zu ziehen? Die ständige Nachtsperre ist aufzuheben, da nur selten nachts geworfen wird. Bombenabwurfübungen sind 36 Stunden vor Beginn anzumelden, damit rechtzeitig gewarnt werden kann. Nach Möglichkeit sind einige bestimmte Tage jeder Woche für Übungen vorzusehen, damit an den anderen Tagen die Fischer ausfahren können. Bei der heutigen Handhabung der Abwurfübungen muß die Fischerei über kurz oder lang zum Erliegen kommen. Reihenabwürfe und Abwürfe schwersten Kalibers sind zu vermeiden.
Wie verlautet, sollen nun noch weitere Flächen südlich und nördlich des Knechtsandes für Ziele zum Beschuß mit Bordwaffen und leichten Bomben in Anspruch genommen werden. Damit würde die Wesermündung von Bremerhaven bis Cuxhaven ein einziges Zielfeld werden. Da ist doch wohl die Frage berechtigt, ob nicht vor der schottischen Küste oder auf Truppenübungsplätzen, die heute als Jagdreviere in völliger Ruhe daliegen, geeignetere Zielobjekte sind, als es die dichtbesiedelte Küste und das stark befahrene Fahrwasser der Weser sind.