Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich immerhin darauf berufen, daß ich zusammen mit einigen meiner Freunde seit ein paar Jahren nach unseren besten Kräften an allem, was mit der Frage der Marktordnung zusammenhängt, arbeite. Ich kann mich auch darauf berufen, daß der erste Versuch im 1. Bundestag, sich mit den Erfahrungen aus dem Bereich der Marktordnung auseinanderzusetzen und dazu einen Ausschuß einzusetzen, auf die Initiative meiner Fraktion zurückging. Ich führe das hier an, weil ich nach einer Legitimation dafür suche, dem Herrn Kollegen Bender sagen zu können, daß meinem Gefühl nach sein Anliegen hier mindestens einen sehr schlechten Start gehabt hat. Ich weiß nicht, ob das damit zusammenhängt, daß, wie Sie gesagt haben, die Presse so lange dicht gehalten hat, oder ob es damit zusammenhängt, daß wir alle schon so früh auf das vorbereitet waren, was heute hier steigen sollte. Aber ich habe das Empfinden, es war ein schlechter Start, als Sie von der „Grünen Front von links bis rechts" redeten, um deren Verständnis und um deren Zustimmung Sie hier werben wollten.
Ich habe sehr oft das Gefühl gehabt, daß die Berufung auf diese „Grüne Front" — um nicht zu sagen: ihre Beschwörung — der Landwirtschaft immer sehr schlecht bekommen ist. Man hat es vielleicht einmal erfunden, um zu zeigen, daß man ihr etwas Gutes tun will. Aber in der Auswirkung ist es, glaube ich, doch sehr schlecht gewesen, um so mehr, als sie in der Regel ja als eine etwas bedrohliche Beschwörung empfunden wird. Ich möchte für mich und meine Freunde jedenfalls sagen, daß wir uns weder zu einer „Grünen Front" noch zu einer „Grünen Fronde" zählen lassen möchten.
Wir glauben nämlich, daß es ganz allgemein einem Abgeordneten sehr schlecht ansteht, wenn er sich so bereitwillig zum Vertreter eines der vielen Interessenstandpunkte in unserem Volke macht. Von einem Abgeordneten wird eigentlich mehr verlangt. Zur Vertretung der Interessenstandpunkte sind ja die Herren da, die das sehr ehrenwerte Geschäft der Interessenvertretung in den Verbänden versehen. Es ist sehr gefährlich, wenn man das mit den Abgeordnetenaufgaben vermischt. Es dient auch der Landwirtschaft sehr wenig, wenn man nicht jede Gelegenheit benutzt, wirklich unter Beweis zu stellen, daß ihre Anliegen am besten dann aufgehoben sind, wenn man sie in die Gesamtverantwortung hineinnimmt, sie gerade herausnimmt aus dem engen Interessenstandpunkt, der an sich völlig berechtigt ist, hier aber doch keine Sprecher haben sollte. Ich wiederhole: wir möchten uns nicht zu einer „Grünen Front" zählen und zählen lassen, und wir wünschen, es würde auch sonst etwas sparsamerer Gebrauch von dieser Formel gemacht.
Zum schlechten Start, Herr Kollege Bender, gehört vielleicht auch, daß Sie trotz Ihrer Versicherung, es gehe Ihnen gar nicht um die Marktordnung im Prinzip, in Ihren Formulierungen doch Anlaß dazu gegeben haben, eine agrarpolitische Debatte zu führen, für die eigentlich die Drucksache 732 gar keine Handhabe bietet. Sie werden sich nicht darüber zu wundern brauchen, wenn nun in der Debatte über diesen Antrag die Agrarpolitik eben doch eine große Rolle spielt. Denn Sie haben sich hier und nach dem, was ich gelesen und gehört habe, nicht darauf beschränkt, auf mehr technische und deshalb untergeordnete Fragen einzugehen; Sie haben hier Probleme angesprochen und zur De-
batte gestellt, die nicht mit den Einfuhr- und Vorratsstellen, sondern die mit der Marktordnung und mit sehr entscheidenden Grundfragen der Agrarpolitik zu tun haben.
Herr Kollege Müller hat daran erinnert, daß die Marktordnungsgesetze von der überwältigenden Mehrheit angenommen worden sind. Die merkwürdige Aufsplitterung, die Tatsache, daß es bei der Abstimmung über das Getreidegesetz soundso viele Enthaltungen und soundso viele Gegenstimmen gab, war, glaube ich, darauf zurückzuführen, daß sich in jenem Augenblick die damals noch vorhandene kommunistische Fraktion nicht einig war, ob sie sich enthalten oder ob sie gegen das Gesetz stimmen wollte; und da hat sie sich auf diese Weise nach zwei Möglichkeiten hin entschieden.
Ich glaube auch nicht, daß diese Entscheidungen unter dem besonderen Gesichtspunkt jener Jahre gefallen sind. Aus Zwischenrufen hatte ich den Eindruck, daß damit der Meinung Ausdruck gegeben werden sollte, es würde in diesem Hause eine Mehrheit für die Marktordnungsgesetze nicht mehr geben. Demgegenüber möchte ich aus meiner Kenntnis der Zusammensetzung dieses Hauses und der Arbeit in dem speziellen dafür zuständigen Ausschuß, dem Ernährungsausschuß, sagen, daß ich die Richtigkeit dieser Andeutung oder diese Befürchtung — ich weiß nicht, wie ich sagen soll — bezweifle. Ich glaube, es würde auch in d i es e m Hause wieder eine Mehrheit geben, weil eben der Grund der landwirtschaftlichen Marktordnung in unserer agrarpolitischen Situation viel zu sehr verankert ist, als daß man ihn etwa an bestimmte Zeitläufte oder an bestimmte politische Einzelerscheinungen anhängen könnte.
Auf der anderen Seite bedauere ich vor allem —und ich glaube, Herr Kollege Bender, daß man das besser hätte vermeiden sollen —, daß wir jetzt in eine Diskussion hineinkommen, die, wie gesagt, weit über das hinausgeht, was in dem Antrag 732 meinem Empfinden nach eigentlich angesprochen wird. Ich möchte nicht verhehlen, daß in der Praxis der Einfuhr- und Vorratsstellen — das ist uns allen geläufig — eine ganze Menge Dinge vorgekommen sind, mit denen man sich keineswegs ohne weiteres einverstanden erklären kann.
— Was heißt hier „Na also"? Daß das so ist, beweist sich ja schon durch die hier mitgeteilte, aber uns allen, die wir seit langem daran arbeiten, bekannte Tatsache, daß man sich auch im Ministerium mit Fragen der Einfuhr- und Vorratsstelle, ihrer zweckmäßigen Organisation usw., befaßt. Es könnte doch allzuleicht der Eindruck entstehen — und er ist vielleicht gerade durch eine gewisse Vorbereitung, die Sie der Sache gegeben haben, entstanden —, als wären Sie jetzt auf Dinge gekommen, die bisher entweder allen verborgen geblieben sind oder die eine verschworene Gemeinschaft der Grünen Front böswillig verborgen gehalten hat. Daß es Anlaß gibt, sich mit den Erfahrungen auseinanderzusetzen, ist so unsensationell, daß ich nur immer wieder bedauern kann, wenn die ganze Geschichte heute einen etwas sensationellen Anstrich bekommen hat und es so aussieht, als seien auf der einen Seite irgendwelche Leute, die die Marktordnung angreifen, und auf der anderen Seite irgendwelche Leute, die die Marktordnung verteidigen. Es könnte nämlich bei diesem Gefecht leicht das verlorengehen, was nicht verlorengehen sollte, und es könnte vor allem das gefährdet und
beeinträchtigt werden, was, wie gesagt, schon längst Gegenstand ernster Arbeit ist.
Ich weiß nicht, ob Sie dem Haushaltsausschuß angehören. Wenn das nicht der Fall sein sollte, können Sie sich von Ihren Kollegen aus dem Haushaltsausschuß sagen lassen, daß anläßlich der letzten Beratungen in diesem Ausschuß, ich glaube, auf die Initiative eines meiner Freunde hin, auf alle Fälle aber mit der überwiegenden Mehrheit des Ausschusses, festgestellt worden ist, daß man sich wieder einmal mit den Einzelheiten der Vorratshaltung befassen muß. Ich kann mich außerdem darauf berufen, daß wir mehr als einmal Gelegenheit gehabt haben, uns über die Möglichkeit einer Auflockerung von Marktordnungsbestimmungen zu unterhalten, in der Regel auf Grund der Initiative aus meiner Fraktion. Wenn das dann nicht zu Erfolgen geführt hat, so bedauere ich dies sehr. Aber es muß hier daran erinnert werden, und zwar nicht so sehr, um irgendeine Autorschaft anzumelden, nicht so sehr, um wieder einmal die Frage zu behandeln, wer nun eigentlich für die Freiheit in der Wirtschaft ist, soweit das möglich ist, und wer dagegen ist, sondern um ganz deutlich zu machen: es handelt sich hier keineswegs um eine sensationelle Entdeckung, um die Aufdeckung irgendeiner fürchterlichen Geschichte, mit der man sich hier endlich einmal auseinandersetzen müßte. Ich will damit nur sagen: das, was wahrscheinlich Gegenstand Ihrer Sorge war, ist uns allen geläufig, und Sie haben es schon gehört, werden es aber wahrscheinlich auch noch von dem Herrn Minister hören — ich nehme an, daß er dazu ebenfalls etwas sagen wird —, daß daran gearbeitet wird.
Ich möchte mit aller Deutlichkeit sagen: Veranlassung, an der Einrichtung zu arbeiten, ist immer. Das ist auch gar kein Wunder. Die Einfuhr- und Vorratsstellen sind völlig neu geschaffene Einrichtungen. Ich darf Ihnen sagen, daß wir uns damals sehr sorgfältig darum bemüht haben, Bestrebungen, Erfahrungen aus der Zeit des Reichsnährstands geltend zu machen, abzuwehren. Es ist wirklich kein Wunder, daß man mit solchen neuen Einrichtungen neue Erfahrungen macht und versucht. sich mit ihnen auseinanderzusetzen und etwas daraus zu lernen. Das ist ganz natürlich, und ich glaube, daß nicht soviel Aufhebens davon gemacht werden sollte. Sie werden jetzt und in Zukunft selber erleben, daß dadurch ein Eindruck entstanden ist, der für den einen einen willkommenen, für den andern vielleicht einen unausweichbaren Zwang darstellt, sich vor die Marktordnung zu stellen, von der ich, was jedenfalls meine Freunde angeht, sagen möchte, daß sie nicht bedroht ist.
Ich möchte das auch denjenigen sagen, die sich nun vielleicht berufen fühlen, die Marktordnung zu verteidigen. Da sie meiner festen Überzeugung nach einen ernsthaften Feind nicht hat, kommt man in die Verlegenheit, sich ein bißchen lächerlich zu machen, wenn man als Kämpfer gegen einen Feind auftritt, den man sich vorher selber erst an die Wand gemalt hat. Der Sache der Marktordnung würde auch kein guter Dienst erwiesen, wenn man sie sozusagen als ein Tabu hinstellt, an idas nicht gerührt, über das nicht einmal geredet werden darf. Wir haben hier oft von dieser Stelle aus, als unsere Meinung jedenfalls, vorgetragen, daß die größte Gefährdung der Marktordnung dann eintreten müßte, wenn man offensichtliche Mißbräuche nicht bereinigen wollte, wenn man sich nicht für beweglich genug hielte, Einrichtungen
2. Deutscher Bundestag — 53. Sit ung. Bonn, Donnerstag, den 4. November 1954 2617
der Marktordnung, die schließlich nicht die Marktordnung sind, auch einmal im Lichte der Erfahrungen und ganz unvoreingenommen zu besehen.
Ich möchte darauf verzichten — gerade weil ich glaube, daß kein Anlaß für eine agrarpolitische Debatte besteht —, zu Einzelheiten der Marktordnung etwas zu sagen, obwohl dazu auch immer Veranlassung vorliegt; denn bei aller grundsätzlichen Anerkennung der Marktordnung wird man sich immer wieder überlegen müssen, ob denn nicht mit Mitteln der Marktordnung, mit denen für Getreide sehr viel getan wird, in anderen Bereichen mehr getan werden könnte, also z. B. in der oft zitierten Veredlungswirtschaft — ich denke besonders an die Milch —, und ob das alles nicht zweckmäßiger geregelt werden könnte. Aber, wie gesagt, das steht heute nicht auf der Tagesordnung, und ich möchte es deshalb nicht vertiefen, um die Debatte nicht aufzuhalten. Gerade aber, Herr Kollege Müller — und hier unterscheidet sich jetzt meine Auffassung von Ihrer Auffassung —, weil ich der Überzeugung bin, daß man der Marktordnung einen schlechten Dienst erweist, wenn man nicht bereit ist, sich mit dem auseinanderzusetzen, was da mit Recht — in vielen Fällen allerdings auch zu Unrecht — diskutiert wird, möchte ich nicht, daß wir so verfahren, wie Sie es eben beantragt haben: über diesen Antrag, weil er kein richtiger Antrag, sondern eigentlich mehr eine Anfrage ist, zur Tagesordnung überzugehen.
Ich sage: es gibt berechtigte Sorgen. Ich bestreite gar nicht, daß es auch sehr unberechtigte Sorgen gibt, denn manche Kritik kommt auch von solchen Leuten, die zu kurz gekommen sind, die sich durch , das Eingreifen oder das Vorhandensein der Einfuhr- und - Vorratsstellen in der Abwicklung ihrer Geschäfte beeinträchtigt fühlen. Und da liegt dann die Schuld nicht immer bei der Einfuhr- und Vorratsstelle, sondern manchmal auch bei den Leuten, die auf ihre Weise nicht landen konnten. Wir haben gar keine Veranlassung, einer solchen Diskussion auszuweichen. Ich halte es nur für völlig unmöglich, daß die Regierung die Fragen hier dem Hause beantwortet. Ich möchte keineswegs den Eindruck erwecken, als sei die Marktordnung auf dem Gebiete der Landwirtschaft eine Art von Geheimwissenschaft und nur ganz eingefahrenen Fachleuten zugänglich. Aber so außerordentlich einfach ist es nun auch wieder nicht, daß man die Beantwortung dieser Fragen nach der Reihenfolge vornehmen könnte, wie sie hier gestellt sind. Das ist doch ein bißchen zu einfach gemacht.
Im übrigen haben wir auch ein gewisses öffentliches Interesse daran, daß bestimmte Bereiche der Vorratspolitik und der damit zusammenhängenden Abwicklung von Geschäften hier nicht in aller Breite und sehr vereinfacht diskutiert werden. Ich würde es ,deshalb für zweckmäßiger halten und Ihnen vorschlagen, den Antrag von Herrn Dr. Müller so abzuwandeln, daß wir die Regierung bitten, die hier gestellten Fragen im Ernährungsausschuß zu debattieren, und den Ernährungsausschuß beauftragen, das Resultat dieser Debatte zu gegebener Zeit hier vorzutragen. Das scheint mir eine viel bessere Grundlage für eine sachliche Behandlung dieser Angelegenheit zu sein. Nur so wird es übrigens möglich sein, ihr die zu meinem Bedauern hier eben gegebene gewisse sensationelle Seite wieder abzunehmen und sie auf das zurückzuführen, was sie ist: ein sehr nüchternes Geschäft, pflichtgemäße Auseinandersetzungen mit Erfahrungen, pflichtgemäße Auseinandersetzungen mit Wünschen, Anregungen und Beschwerden. Wenn das aber ordentlich gemacht werden soll und wenn man dabei sehr berechtigte, auch öffentliche Interessen nicht zu kurz kommen lassen will, dann geht das sicherlich nicht in einer Stellungnahme hier vor dem Plenum, sondern das geht nur in einer dann allerdings sehr gründlichen Arbeit, an der sich möglichst viele mit Sachkenntnis, mit Nüchternheit und mit dem Willen zum Ausbessern, zum ständigen Verbessern unserer öffentlichen Einrichtungen, aber auch mit dem Willen beteiligen sollen, unser Wirtschaftsleben von allen überflüssigen Eingriffen der Verwaltung aller Arten freizuhalten, wozu für meinen Geschmack im übrigen Verbände genau so gehören wie Träger von Hoheitsaufgaben. Wir sollten also bei der Gelegenheit wieder einmal revidieren: was läßt sich da jetzt auf Grund der Erfahrungen vereinfachen?
Zum Schluß noch einmal: die Marktordnung steht nicht zur Debatte, und es sollte niemand so tun, als würde sie jetzt zur Debatte gestellt; und es sollte sich auch niemand durch irgend etwas getroffen fühlen, was so aussehen könnte wie ein Angriff auf die Marktordnung.