Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bekomme ja gleich entsprechende Rufe aus Ihrer Fraktion.
— Ich habe es sehr deutlich gehört.
Meine Damen und Herren, ich möchte das eine sagen: Ich kann solche Diskussionen nie ohne innere Erregung mit anhören — aber wirklich mit einer inneren 'Erregung höre ich zu —, weil es mir ein ganz ernsthaftes Anliegen ist, daß auch in diesem Parlament dem Christentum nicht geschadet, sondern genützt wird. Ich bin der Meinung, wir schaden dem Christentum dann, wenn wir uns nicht bemühen, wirklich einmal aufeinander zu hören,
und die Art, wie Herr Kollege Cillien auf eine ganze Reihe von Äußerungen meines Kollegen Kühn reagiert hat, zeigt doch, wie außerordentlich voreingenommen wir uns gerade auf dem Gebiete des Religiösen und Christlichen noch einander gegenüberstehen.
— Jetzt seien Sie ruhig einmal auch ein bißchen tolerant und hören Sie zunächst einmal zu! Vielleicht haben wir die Möglichkeit, daß wir uns doch einiges sagen können.
Ich möchte es wirklich in der Weise tun, daß man auch hören kann.
Ich glaube, die CDU sollte sich endlich einmal darum bemühen — ich sage: ernstlich bemühen —, zu verstehen, daß man bei der SPD dann, wenn sie irgend etwas kritisiert, nicht sofort die Schlußfolgerung ziehen darf: Das sind ja die Antichristen, das sind ja die Antikirchlichen!
— Meine Damen und Herren, Herr Kollege Cillien hat aus der Rede des Kollegen Kühn diese Schlußfolgerung wieder gezogen.
— Wenn Sie es nicht getan haben, soll es mir um so lieber sein.
— Aber Herr Kollege Cillien, Herr Kollege Kühn hat z. B. gesagt, er gehe nicht so weit wie Ihr Koalitionskollege Dehler, der sagt, daß es uns angst davor sein soll, wenn die Prälaten und Oberkirchenräte in Deutschland regieren. Er hat ausdrücklich erklärt, er, Kühn, gehe nicht so weit. Sie
sind von der Voraussetzung ausgegangen, er habe gesagt, daß e r Angst davor habe. Sie haben ihm das auf das Butterbrot geschmiert. Sie zeigen damit, daß Sie nicht gründlich zugehört haben, Herr Kollege Cillien.
Sie haben auch davon gesprochen, daß sich Herr Kollege Kühn in despektierlicher Weise über die Überzeugungen anderer geäußert habe.
Wenn Sie gründlich zugehört hätten, müßten Sie zugeben, daß das nicht richtig ist. Herr Kollege Kühn hat einige Beispiele — und er hat ausdrücklich erklärt, daß das die Ausnahmen sind — dargelegt und hat Äußerungen gebracht, die er sich nicht zu eigen gemacht hat, sondern er hat Tatsachen mitgeteilt und geltend gemacht, weil die Gefahr bestehe, daß solche Auswüchse — es handelt sich natürlich um Auswüchse — möglich sind, wollen wir nicht die gesetzliche Handhabe geben, daß sie sich fernerhin ereignen. Das ist etwas ganz anderes, als sich diese Dinge zu eigen zu machen. Wir sollten aufeinander hören und sollten einander zu verstehen versuchen, warum man da und dort Bedenken, ja Mißtrauen hat.
Herr Kollege Cillien, wir beide stehen in der evangelischen Kirche, und ich stehe mindestens mit genau derselben Begeisterung und genau demselben Bewußtsein in der evangelischen Kirche wie Sie. Sie werden mir nicht bestreiten können, daß in bezug auf die Frage der obligatorischen Zivilehe in der evangelischen Kirche einiges — ich sage ') es Ihnen nun einmal ganz deutlich — Mißtrauen vorhanden ist. Das können Sie an Hand einer ganzen Reihe von Tatsachen feststellen. Ich weiß nicht mehr, ob Sie auf der Synode in Berlin waren. Die Synode in Berlin, in Spandau, hat sich im Zusammenhang mit den Ereignissen, die damals gerade im Schwang waren, ausdrücklich für die obligatorische Zivilehe erklärt. Glauben Sie, die Synode hätte eine solche Äußerung von sich gegeben, wenn sie nicht geglaubt hätte, daß dazu Veranlassung besteht?
Sie haben sich, Herr Kollege Cillien, zur Toleranz bekannt, und ich denke nicht daran, Ihnen den guten Willen abzustreiten. Allerdings ist es, glaube ich, billig, wenn irgendein Gesichtsausdruck sofort auf eine ganze Fraktion bezogen wird.
— Sie haben sofort erheblichen Beifall dabei geerntet, und da merkt man die Ressentiments.
Ich will Ihnen das eine sagen, Herr Kollege Cillien: Wir haben in bezug auf die Toleranz allerdings einige ganz erhebliche Zweifel. Ich glaube, wir haben Anlaß zu Mißtrauen.
Es ist auf den Fall des Lehrers in Rheinland-Pfalz angespielt worden.
— Aber Herr Kollege, erzählen Sie doch keine Märchen!
Das ist doch einfach, vor allem wenn Sie es in dieser generellen Weise sagen, eine — nun, ich will es nicht zu scharf sagen, ich will die Diskussion nicht vergiften — Unwahrheit.
Ich könnte Ihnen da erhebliche Beispiele bringen. Ich habe schließlich auf diesem Gebiet ein bißchen mehr Erfahrung als Sie.
Ich will Ihnen zu dem Fall von Rheinland-Pfalz das eine sagen. Sie haben so getan, als wenn das in Wirklichkeit nicht so wäre, daß diesem Lehrer der berufliche Lebensfaden abgeschnitten sei. Ich habe hier das Schreiben des Kultusministers von Rheinland-Pfalz da. Ich will es Ihnen, soweit die Stelle in Frage kommt, zur Kenntnis bringen, damit wir einmal sehen, wie die Dinge liegen.
Es wird auf eine Verfassungsbestimmung Bezug genommen und heißt dann:
Damit ist gesagt, daß das Leben des Lehrers in Einklang stehen muß mit seinem Bekenntnis. Als Katholik mußten Sie wissen, daß Sie sich durch die Nichtbeachtung der Ehevorschriften der katholischen Kirche von ihr distanziert haben. Diese Tatsache, die für Ihre Einstellung als Lehrer entscheidend ist, haben Sie uns beim Eintritt in die Pädagogische Akademie verschwiegen.
Das sagt man einem Mann, der acht Jahre in Kriegsgefangenschaft war, der zurückkommt und sich meldet und gar nicht daran denkt, auf solche Dinge einzugehen. Aber das will ich noch auf sich beruhen lassen. Jetzt kommt aber der entscheidende Satz, meine Damen und Herren:
Wir haben deshalb nur die Möglichkeit, Sie zwar gegebenenfalls zur Abschlußprüfung zuzulassen, können Sie aber keiner Bezirksregierung in Rheinland-Pfalz zur Anstellung vorschlagen und empfehlen.
Hier steht eindeutig drin, daß ein katholischer Lehrer, der eine evangelische Frau geheiratet hat, in dem Lande, das entsprechend regiert wird, in dem Lande Rheinland-Pfalz, keine Möglichkeit hat, Lehrer zu werden. Es wird dann der schöne Rat gegeben:
Wir stellen Ihnen anheim, sich in einem anderen Bundesland um eine Einstellung in den Schuldienst zu bemühen.
Er soll also aus Rheinland-Pfalz emigrieren.
Es wird noch hinzugefügt, daß man ihn auch deswegen nicht vorschlagen könne, weil auch die evangelische Kirche in diesem Punkte strenge Maßstäbe
anlege. Ich kann Ihnen aus meiner eigenen Erfahrung sagen, daß diese Behauptung falsch ist,
jedenfalls soweit die für mich zuständige Landeskirche, die Landeskirche in Hessen-Nassau, deren Synode ich angehöre, in Frage kommt. Diese Behauptung ist einfach falsch. Man hat einem Lehrer den Stuhl vor die Türe gesetzt, nur deshalb, weil der Lehrer eine evangelische Frau geheiratet hat. Inzwischen ist dieser Lehrer bereits in die Pädagogische Akademie in Jugenheim aufgenommen worden — in dem Lande der Intoleranz, in Hessen, Herr Kollege.
Ich glaube, wenn wir in diesen Fragen miteinander auskommen wollen — und- wir sollten es wirklich ernsthaft versuchen —, dann dürfen wir an diesen Dingen nicht vorbeigehen. Auch Sie, meine Damen und Herren von der CDU, haben Veranlassung, vom christlichen Standpunkt aus sich sehr ernsthaft mit diesen Dingen auseinanderzusetzen.
Ich könnte Ihnen über diese Dinge sehr viel erzählen, ich könnte stundenlang reden.
Dann können wir uns zusammensetzen und können einmal sehr eingehend miteinander reden.
Ich könnte Ihnen aus den Verhältnissen von Rheinland-Pfalz in bezug auf die Art berichten, wie dort Konfessionsschulen gebildet werden. Ich habe mit einer großen Zahl
— ja, warten Sie ab, ich will auch noch auf Niedersachsen kommen — von evangelischen Pfarrern in Rheinhessen gesprochen. Wenn Sie Gelegenheit gehabt hätten, die Berichte dieser evangelischen Pfarrer zu hören, würden Sie sagen: Hier ist etwas faul im Staate Dänemark! Einerlei, ob ich katholisch oder evangelisch bin — hier stimmt etwas nicht! Von evangelischer Seite aus — nicht nur von unserer Seite aus — besteht erhebliches Mißtrauen.
Und dann, meine Damen und Herren, Niedersachsen! Ich will Ihnen nur die ganz einfache Frage vorlegen, und es wäre mir lieb, wenn Sie mir diese Frage einmal beantworten würden: Halten Sie es für richtig, daß weiteste Kreise, die zudem nicht einmal wissen, um was es geht, dazu aufgeputscht werden,
einen Schulstreik gegen ein staatliches Gesetz —
— Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen eine Frage gestellt, und Sie antworten mit Pfui?
Das ist eine Antwort, von der weiß ich nicht, was sie bedeuten soll.
— Wollen Sie die Tatsache des Schulstreiks in Niedersachsen bestreiten?
— Na also!
— Was ist gelogen?
— Ach, meine Damen und Herren, das wissen wir doch besser.
Die Tatsache des Schulstreiks können Sie nicht bestreiten.
— Hören Sie, warum regen Sie sich eigentlich so furchtbar auf?
— Wenn ich verdrehe, dann kommen Sie herauf und berichtigen Sie mich! Wenn Sie mir etwas Besseres sagen können, wenn Sie mich durch Tatsachen überzeugen können, bin ich der letzte, der sich nicht überzeugen läßt,
aber wenn Sie hier brüllen und „Pfui" rufen, können Sie mich doch nicht überzeugen. So können wir doch nicht miteinander reden.
Meine Damen und Herren, die Tatsache des Streiks können Sie nicht bestreiten. Daß ein solcher Schulstreik nicht von ungefähr kommt, können Sie auch nicht bestreiten.
Daß also Kräfte dahinter stehen, darüber gibt es keinen Zweifel.
Und es hat gerade in Niedersachsen — ich habe sehr guten Bericht darüber —
große Veranstaltungen gegeben, da ist die Behauptung aufgestellt worden, daß diese böse niedersächsische Regierung unter sozialdemokratischer Leitung den lieben Gott abschaffen wolle.
So ist argumentiert worden, meine sehr verehrten
Damen und Herren, und dafür habe ich Beweise.
Ich will Ihnen noch etwas Persönliches sagen.
Ich habe ja die große Freude gehabt — ich habe diese Arbeit gern getan —, drei Jahre Kultusminister eines Landes zu sein, in dem wir uns bemüht haben, wirklich tolerant zu sein.
Wenn ich Ihnen erzählen wollte, was an gewissen
Stellen — ich will es ganz offen sagen: auch in katholischen Gottesdiensten — mitunter an Behaup-
tungen aufgestellt worden ist, die einfach nicht wahr waren, dann müßten Sie mir zugeben, daß Veranlassung zu Mißtrauen ist. Ich bedauere es tief — —
— Unterstellung soll das sein?
— Das hat mit dem Gesetz deswegen etwas zu tun, weil der Kollege Cillien auf diese Frage gekommen ist. Er hat über die Frage der Toleranz gesprochen. Und ich glaube, wir haben Veranlassung, einmal darüber zu reden. Denn wenn wir nicht anfangen, hier einmal sehr ernsthaft miteinander zu reden, und wenn wir nicht bereit sind, uns auch einmal gegenseitig ins Gewissen reden zu lassen — ich lasse mir auch ins Gewissen reden —, dann werden wir auf diesem Gebiet nicht weiterkommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir es mit dem Christentum ernst meinen — und ich sage: wir —,
dann müssen wir — —
— Ja, was wollen Sie denn? Wollen Sie mir das vielleicht auch noch bestreiten? Ich sage, wenn wir es mit dem Christentum ernsthaft meinen, dann müssen wir den Mut haben, dies heiße Eisen einmal anzufassen,
und dann müssen wir sehr offen miteinander reden.
— Das können Sie ruhig tun. Da können wir offen miteinander reden, und ich bin bereit, Ihnen Rede und Antwort zu stehen, Kollege Horn. Aber ich will Ihnen das eine noch sagen, meine Damen und Herren: Wir sind ja in Deutschland in der Lage, daß das Christentum heute wieder in einer anderen Weise gesehen wird. Die Verbindung des Christentums mit herrschenden Mächten ist weithin gelöst worden, und weithin ist in Kreisen, die früher die christliche Kirche oft als eine Vertreterin bestimmter Interessen ansehen mußten, ein neues Vertrauen im Werden.
Und deswegen rede ich. Helfen Sie doch mit, daß dieses neue Vertrauen nicht dauernd wieder kaputtgetreten wird.
Sie ahnen gar nicht — und auch darüber müssen wir einmal reden —, wie oft Sie dieses neue Pflänzchen des Vertrauens durch unbedachte Äußerungen kaputtmachen.
— Ich rede eben von dem Christentum, das in unserem Volk ein neues Verständnis zu gewinnen beginnt. Das ist eine sehr ernsthafte Frage. Das ist für mich keine Frage der Demagogie und keine Frage der Propaganda, sondern eine Lebensfrage für unser Volk. Ich will hier nicht weiter darauf eingehen; vielleicht können wir bei anderer Gelegenheit noch einmal darüber sprechen. Aber ich habe die Bitte an Sie: fangen Sie endlich einmal an, darüber nachzudenken.
— Wir sind ja bereit und wir denken sehr viel darüber nach. Sie dürfen nicht immer gleich mit der Gegenantwort kommen! — Fangen wir endlich einmal an, darüber nachzudenken, daß das Mißtrauen in dieser Frage im deutschen Vaterland weithin historisch berechtigt war,
daß wir dabei sind — —
— Können Sie denn gar nicht zuhören? Sie reden immer von Toleranz und können nicht einmal auch nur einen Satz zu Ende hören!
Merken Sie denn gar nicht, daß hier ein Mann redet, dem es um die innersten Dinge geht? Spüren Sie das denn gar nicht?
— Ja, mein lieber Kollege! Herr Kollege Cillien hat sich hier über eine Grimasse geärgert Und was tun Sie? Was soll ich dazu sagen? Herr Kollege Cillien, wir sind in der gleichen Verdammnis.