Rede von
Heinz
Kühn
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Kollege Cillien, wenn hier etwas unwürdig war, dann war es Ihre Darstellung meiner Ausführungen.
Es gibt gewisse Fraktionen, die sich in zwei Hälften unterteilen: die eine Hälfte, die nichts versteht, und die andere Hälfte, die nichts verstehen will.
Ich überlasse es dem Herrn Kollegen Cillien, zu welcher Hälfte er sich zählt. Er hat selber erklärt, daß in der ersten Hälfte meiner Darlegungen — sogar bei mir — eine rühmenswerte Sachlichkeit obgewaltet hat. Aber gerade in dieser ersten Hälfte habe ich Dinge gesagt, die er nachher in seinen Darlegungen als eine despektierliche Äußerung über die religiösen Überzeugungen, die auch die Überzeugungen zahlreicher meiner Freunde sind, bezeichnet hat. Ich habe in keiner Weise despektierlich über das religiöse Bekenntnis irgend jemandes gesprochen.
— Nein, meine Herren, da sind Sie mir den Beweis schuldig.
Ich habe davon gesprochen, daß ich zutiefst respektiere, wenn beispielsweise jemand aus seiner religiösen Überzeugung den Vorrang der kirchlichen. Trauung vor der zivilen Eheschließung für sich reklamiert. Ich habe das in aller Deutlichkeit gesagt. Ich bin der Auffassung, daß Sie das sogar so empfinden müssen. Wir haben hier aber nicht dieses Problem, das das individuelle Gewissensproblem eines jeden einzelnen ist, zu lösen, sondern haben bei der Gesetzgebung die anderen, die staatlichen Gesichtspunkte des Vorrangs der Zivilehe zu achten.
Die Dinge, die Sie jetzt vielleicht als eine despektierliche Darstellung Ihrer Überzeugung gewertet haben möchten, betreffen, was ich selber betont habe, Einzelfälle, die uns jedoch sehr gefährlich zu sein scheinen. Wenn Sie, Herr Kollege Cillien, indem Sie diese Fälle zugeben, erklärt haben, es seien
Einzelfälle, dann haben Sie nichts anderes gesagt, als das, was ich nach dem Stenogramm nachweisbar in meinen eigenen Ausführungen gesagt habe. Ich habe deutlich gesagt: ich will kein Gesetz, das für irgend jemanden ein Instrument schafft, das der konfessionellen, weltanschaulichen, politischen oder sonstigen Schnüffelei dienen kann. Ich habe mit meinen letzten Worten ausdrücklich gesagt:
. . . dienen kann, selbst wenn von der Mehrheit, die dieses Gesetz anstrebt, das dabei nicht beabsichtigt ist.
Was wollen Sie denn mehr? Deckt sich das nicht mit Ihrer eigenen zugeständnishaften Darlegung, daß es Fälle gibt, in denen ein solcher Mißbrauch getrieben werden kann?
Nun kommen Sie doch nicht mit den statistischen Angaben: 97 %, wie der Herr Innenminister hier vorgetragen hat, bekennen sich zu einem religiösen Bekenntnis. Wenn damit gesagt sein soll, daß deren Bekenntnis im Familienbuch ihnen dann beruflich ja nicht schaden könne, so geht das doch an den Tatsachen vorbei, beispielsweise an dem Fall jenes katholischen Lehrers, der seinen Lehrberuf in einem Land der Bundesrepublik nicht ausüben kann, weil er eine evangelische Frau hat.
— Natürlich stimmt es! Natürlich stimmt es!
Das ist der katholische Lehrer, der eine evangelische Frau hat und im Lande Rheinland-Pfalz einen Lehrberuf eben nicht ausüben kann. Was nutzt es der Frau, daß sie Bekennermut hat und ihre religiöse Überzeugung ehrlich bekundet hat?
Sie wissen genau so gut wie wir, wie oft der Versuch gemacht wird, auf der Grundlage der Einsicht in die Personenstandsbücher, wie sie hier in § 69 a den Kirchen schlechthin gestattet wird, z. B. bei der Anstellung von Leuten diesen daraus einen Nachteil erwachsen zu lassen. Das ist Ihnen so sehr bekannt wie mir.
Herr Kollege Gontrum, glaube ich, war es, der gesagt hat, daß auch die Nichtangabe eines Religionsbekenntnisses eine Heuchelei sein könne. Meine Damen und Herren, Heuchelei manifestiert sich normalerweise darin, daß sich jemand durch die Erklärung oder durch die Verschweigung eines Tatbestandes einen Vorteil verschaffen kann. Wer aber wird durch die Verschweigung seines Religionsbekenntnisses schon einen Vorteil in der Bundesrepublik erlangen?!
Der religionsstatistische Bekundungseifer ist keineswegs ein Beweis, er ist sehr häufig mehr eine Ausrede als ein Beweis. Die Religionsstatistik ist ganz gewiß kein Ersatz für wirklich christliche Haltung im persönlichen Leben oder in der sozialen Verantwortung.
Das war es, worauf es mir bei den Darlegungen des Kollegen Cillien angekommen ist. Ich hoffe nicht, daß er etwa an meine Adresse das Despektierliche auch noch in „Grimassen" entdeckt hat.
— Ich habe leider geglaubt, dies aus Ihren Darlegungen entnehmen zu müssen. Lassen Sie mich noch einmal sagen: ich bin der Meinung, daß wir die religiöse Überzeugung eines jeden Menschen zu respektieren und zu achten haben, welche es auch immer ist.
Ich bin der Überzeugung und spreche diese Überzeugung auch namens meiner politischen Freunde aus — es bedarf dieses Aussprechens eigentlich gar nicht; in allen programmatischen Manifestationen haben wir das getan —: Der demokratische Staat hat die Pflicht, seine Einrichtungen so aufzubauen, daß jeder nicht nur das Recht, sondern auch die Möglichkeit hat, sein Leben nach seinem Gewissen zu gestalten.
Das ist das Wesen der Toleranz, und wenn Sie, Herr Kollege Cillien, gesagt haben, daß wir in Deutschland auch noch andere Dinge, wichtigere Dinge als den konfessionellen Hader haben, dann stimmen wir Ihnen aus vollem Herzen zu. In der schicksalhaften Bedrohung Deutschlands sollte es auf dem Boden der auch von Ihnen erwähnten unbedingten Toleranz die Möglichkeit des Zusammenlebens aller Menschen, aller Überzeugungen bei uns geben.
Insoweit sind wir für diesen Grundsatz der unbedingten Toleranz, aber Herr Oberkirchenrat Cillien — möchte ich jetzt einmal in diesem Zusammenhang sagen —,
Ihnen dürfte nicht unbekannt sein, daß es auch offizielle Protestschreiben Ihrer Kirche gibt. Ich habe kein Recht und keine Veranlassung, mich in diesen Streit einzumischen.
Aus diesen Schreiben spricht das Gefühl der tiefen Besorgnis — ich darf Sie insbesondere an den Brief Bischofs Liljes in bezug auf die Fuldaer Konferenz erinnern —
über die Gefährdung dieser unbedingten Toleranz im Zusammenleben der Konfessionen
und über die Gefahren der Benachteiligung der Minderheiten.