Rede von
Dr.
Wilfried
Keller
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(GB/BHE)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GB/BHE)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hätte es nicht für notwendig gehalten, hier überhaupt noch etwas zu einer Sache zu sagen, die ohne jede Theatralik behandelt werden kann, wenn nicht die Möglichkeit entfallen wäre, im Ausschuß einiges zu sagen, was manches Mißverständnis, das aufgekommen ist, beseitigt hätte.
— Ja, eben das wollte ich sagen. Ich bin in den Ausschuß entgegen den Regeln der Geschäftsordnung als Antragsteller nicht geladen worden. Deshalb war ich — leider! — nicht da, und deswegen muß ich jetzt einige kurze Bemerkungen zur Sache machen.
Darüber, daß das Gebiet, um das es sich handelt, nämlich der Spessart, ein Notstandsgebiet im klassischen Sinne darstellt, besteht, glaube ich, kein Zweifel; das ist unbestritten! Es geht lediglich darum, auch diesem seit Jahrzehnten als armes, unentwickeltes Gebiet bekannten Landstrich die Förderung zu verschaffen, die er nicht bloß verdient, sondern auf die er auch im Interesse der sozialen
Befriedung, die wir alle anstreben, einen weitgehenden Anspruch hat. Es geht also um den Weg, nicht um das Ziel.
Im Ausschuß ist damals, weil ich eben nicht geladen war und das nicht vortragen konnte, eines nicht gewürdigt worden: daß nämlich die Bemühungen des Landes Bayern und aller beteiligten Stellen in Bayern, hier eine Remedur zu schaffen, sehr lange zurückliegen und daß sie sich eben nicht entwickeln konnten, weil gewisse formelle Hindernisse entgegengetreten sind. Natürlich kann man in keinem Falle solche Programme ohne Richtlinien entwickeln, natürlich muß es immer irgendwelche Maßstäbe geben, an die man sich halten kann und die einen festen Anhaltspunkt darstellen. Man kann aber nicht so verfahren, daß man dann in einer allzu formalistischen Anklammerung an solche Richtlinien vielleicht haarscharf an den Möglichkeiten und Notwendigkeiten vorbeigeht. Darum geht es im vorliegenden Falle.
Eine der Schwierigkeiten, die immer bei Abgrenzung solcher Gebiete — besonders wenn man auf die historische Entwicklung sieht — auftauchen und die auch bei dem Spessartprojekt aufgetaucht sind, bestand darin, daß man früher meist nicht von der natürlichen, sondern von der politischen Abgrenzung der im fraglichen Gebiet liegenden Stadt- oder Landkreise ausgegangen ist. Das trifft besonders auch im Falle des Spessarts nicht die Gegebenheiten. Hier haben wir die Situation, daß sich verschiedene Kreise — ich brauche sie nicht namentlich aufzuzählen — zusammen in einer traubenförmigen Art um diesen Spessart herum gruppieren, Kreise, die meistens vom Main durchschnitten werden. Hier ist die wirtschaftlich begründete, aber leicht erklärbare Eigenart festzustellen, daß die betroffenen Kreise meistens einen Teil aufweisen, der wirtschaftlich gesünder ist und der dem Main zugewandt liegt, und einen wirtschaftlich unentwickelten, notleidenden Teil, der sich dem Kern des Spessarts zu erstreckt.
Ich weiß — und die beteiligten Damen und Herren wissen es sicher auch —, daß die Dinge bereits einmal im Bayerischen Landtag behandelt worden sind. Sie haben dort nicht ein so abweisendes Echo gefunden, wie vielleicht mancher glaubt. Der Mitberichterstatter in dieser Frage im Wirtschaftspolitischen Ausschuß des Bayerischen Landtags hat sich damals mit vollem Herzen und hundertprozentig, möchte ich sagen, für diese Dinge eingesetzt.
Damals ist eben auch herausgestellt worden, daß man sich nicht allein auf die Nachbarschaftshilfe verlassen kann. Es entspringt einem schönen Gedanken, zu sagen: wenn in einem Kreis wirtschaftliche Unausgeglichenheiten bestehen, wenn in einem Kreis ein Gebiet besser entwickelt ist und im andern schwach, dann soll eben im Wege der Nachbarschaftshilfe der Kreis schauen, daß sein ganzes Gebiet in Ordnung kommt. Das ist an sich ein richtiger Gedanke, der aber in der Praxis infolge der menschlichen Unzulänglichkeiten nicht zur Auswirkung kommt. Deswegen gewinnen die Dinge ein ganz anderes Gesicht, wenn man sieht, daß eben zum Teil im Inneren von ansonsten wirtschaftlich gut entwickelten Kreisen des Spessarts ein Notgebiet liegt.
Man hat dann eines getan. Man hat im interministeriellen Ausschuß in Bonn über diese Dinge verhandelt und gesagt, man sei nicht abgeneigt, neue Gebiete in das Bundessanierungsprogramm einzubeziehen, wenn gleichzeitig in entsprechendem Umfange andere Gebiete aus der Sanierung herausfallen könnten. Ich muß ehrlich sagen: das ist mir etwas zu salomonisch. Das heißt von Wünschen ausgehen, ohne die Gegebenheiten anzuerkennen. Denn wenn eben die wirtschaftliche Entwicklung von Sanierungsgebieten, Gott sei es geklagt, in der Zeit nicht weitergetrieben werden konnte, darf man daraus doch nicht den Schluß ableiten, daß für andere einfach keine Hilfe übrig sei.
Die Richtlinien treffen auf den Spessartfall vor allem in einem Punkt nicht zu, nämlich in der Frage der Arbeitslosenziffer. Hier muß eines berücksichtigt werden, was diesem Gebiet ganz eigentümlich ist und vielleicht nur in wenigen andern Fällen im übrigen Gebiet der Bundesrepublik ein Gleiches findet, nämlich die äußerst weitgehende, geradezu unheilvolle Zersplitterung durch Realteilung. Vielleicht sollte dieser Fall — aber das ist ein Gedanke, den ich nur am Rande einflechte — einmal Anlaß zur Überlegung geben, ob es im volkswirtschaftlichen Sinne gut ist, diese Realteilung ungehindert durch den Gesetzgeber so weitergehen zu lassen, bis dann wirklich eine fast atomare Zersplitterung der landwirtschaftlichen Ackernahrung erfolgt, die eben im Falle des Spessarts dazu geführt hat, daß dort Tausende und aber Tausende von Familien eine echte Ackernahrung einfach nicht mehr finden können, obwohl sie als Landwirte im berufsständischen Sinne gelten. Und wir haben noch den Umstand, daß in Tausenden und aber Tausenden Fällen die Ackernahrung etwa nur für ein halbes Jahr zur Ernährung der Familie und ihres Nachwuchses ausreicht und infolgedessen diese Menschen praktisch in dem weiteren Zeitraum des Wirtschaftsjahres erwerbslos sind, ohne in den amtlichen Statistiken als Erwerbslose in Erscheinung zu treten.
Statistik, meine sehr Verehrten, ist Glückssache. Ich glaube, das ist eine allgemeine Erkenntnis. Statistik kann nach dieser oder jener Richtung gelesen und ausgelegt werden. Sie geht in ihrer kalten Abstraktheit manchmal doch etwas an den Notwendigkeiten vorbei.
Sie haben recht, Herr Kollege, irgendwo müssen die Grenzen liegen. Der Sinn dieses Antrags war ja auch nicht, hier irgendeinen Streit zu entfachen, sondern der Sinn war, daß wir uns darum bemühen, im Rahmen der Richtlinien, die natürlich vorhanden sein müssen, irgendwie sinnvoll abzugrenzen und den Spessart — ich glaube, darin sind wir einig — in den Kreis der näheren Überlegungen einzubeziehen. Wenn man einwendet — und ich glaube, das wird gesagt —, daß dann weitere Gebiete in den Blickkreis rücken, erwidere ich: gut, ich wage zu behaupten, wenn es notwendig ist, dann müssen wir es tun. Wenn es notwendig ist, auch etwa den Hunsrück oder andere Notstandsgebiete, die viele von Ihnen besser kennen werden, in den Kreis der Überlegungen einzubeziehen, dann sollten wir es tun.
Die Realteilung ist — ich darf Ihnen da einige wenige Zahlen nennen, ohne Sie aufhalten zu wollen — erschreckend. Wir haben z. B. in dem Gebiet, das nach den sehr bemerkenswerten Erhebungen der Regierung von Unterfranken in Frage käme, den Umstand, daß die forst- und landwirt-
schaftliche Fläche zu 52 % aus Forstflächen besteht und daß davon allein wieder bereits zwei Drittel Staatsforsten sind, die damit also der privaten Bewirtschaftung entzogen sind. Die landwirtschaftliche Fläche beträgt etwa 41 %, wenn man die Ödlandfläche abzieht, und dort liegen bereits wieder 68 % Parzellen mit unter 5 ha für den einzelnen Eigentümer und Bewirtschafter. Hochinteressant ist auch z. B. die Entwicklung im letzten Vergleichszeitraum von zehn Jahren. In der Beobachtungszeit von 1939 bis 1949 hat die Zahl der Betriebe über 2 ha um 350 abgenommen, auf der anderen Seite hat aber die Zahl der Betriebe unter 2 ha um über 1800 zugenommen. Das sind erschreckende Zahlen! Man darf sich da nicht wundern, wenn man sieht, daß in einem Lande des klassischen Holzreichtums wie dem Spessart zwar noch das Holz geschlagen wird, aber nicht mehr dort an Ort und Stelle verarbeitet werden und damit auch zu Arbeit und Brot für die Arbeitnehmer führen kann, sondern seinen Weg hinaus nimmt in andere Gebiete und dort die Sägemühlen beschäftigt.
Der Fremdenverkehr, der im Spessart durchaus seinen Platz haben könnte und sollte, ist durch die Verkehrsarmut des Gebietes, durch die mangelnde Entwicklung, durch den sehr zurückgebliebenen Standard schwer behindert.
Ich glaube, wir sollten der Überweisung des Antrags als Material an die Bundesregierung zustimmen.
Ich will zunächst nichts Weiteres sagen. Aber ich bitte Sie herzlich, einem Gebiet, das diese Hilfe verdient und nötig hat, dadurch, daß wir es hier erneut in den Blickpunkt der Notwendigkeit einer Hilfe rücken, Ihre Unterstützung zuteil werden zu lassen.