Rede von
Arno
Behrisch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es kommt im Leben immer auf den Zusammenhang an, und der Zusammenhang mit all den uns vorliegenden Anträgen ist gegeben durch die Beschlüsse vom 2. Juli 1953. Nach dem einstimmigen Beschluß vom 2. Juli hat die Partei des Bundeskanzlers einen großen Wahlsieg erfochten, und dieser Wahlsieg hat ihr eigentlich alle Chancen gegeben, das zu verwirklichen, was wir damals beschlossen haben. Aber die große Gelegenheit hat die Regierung nur in Verlegenheit gebracht, denn sonst hätten wir uns heute nicht mit einem solchen Bündel von unsubstantiellen Anträgen zu befassen.
Im Hinblick auf das Zonenrandgebiet ist die Gleichgültigkeit, die die erste Bundesregierung diesen Problemen gegenüber gezeigt hat, dieselbe geblieben auch in der Arbeit der zweiten Bundesregierung; denn was hier heute Neues vorgetragen wurde, war nicht überwältigend, und was Gutes vorgetragen wurde, war nicht neu.
Ich möchte Ihnen mit Albert Schweitzer sagen: es kommt nicht auf die Quantität des Wirkens, sondern auf die Qualität an,
und in Ihrer Quantität ist nichts drin.
— Herr Wacher und auch Herr Kollege Starke, schöne Worte und fettes Fleisch bleiben nicht im Halse stecken,
und das, was Sie hier geplaudert haben, ist ganz gut herausgekommen. Aber wir wollen mal abwarten, was daraus wird.
Nehmen wir Ihre Anfragen und Anträge im einzelnen vor! Wir haben gehört, was Herr Starke und Herr Bundesminister Blücher zu dieser Anfrage betreffend ERP-Sondervermögen, Verwaltung und Verwendungsmöglichkeiten gesagt haben. Herr Minister Blücher hat, wenn ich recht verstanden habe, angedeutet, daß für die kommenden zwei Jahre etwa 95 Millionen DM für das Zonenrandgebiet zur Verfügung stünden. Wenn ich bedenke, daß das gesamte zur Verfügung stehende Vermögen über eine Milliarde DM ausmacht, muß ich sagen: der Anteil ist nicht übertrieben hoch; denn immerhin haben wir es beim Zonenrandgebiet mit etwa 7 Millionen Menschen zu tun, und wenn Sie die 95 Millionen DM zu über einer Milliarde in Verhältnis setzen, werden Sie zugeben müssen, daß dieses Verhältnis nicht sonderlich günstig ist. Ich habe die bange Ahnung, daß wir in einem halben oder in einem ganzen Jahr, wenn wir wieder auf die Geschichte zurückkommen, wahrscheinlich nicht viel Besseres zu berichten haben als das, was Herr Wacher für die Vergangenheit gesagt hat, nämlich daß die Empfehlungen bedrucktes Papier geblieben sind oder, wie Frau Kollegin Brökelschen gesagt hat, daß die bisherige Entwicklung unzufrieden-
stellend war. Herr Minister Blücher hat aufgezählt, was alles geschehen ist, was in der Vergangenheit schon mit diesem ERP-Geld im Zonenrandgebiet getan worden ist. Aber wir können doch nur feststellen, daß die Wirkung ausgeblieben ist. Die gefährliche Entwicklung der Abwanderung, die Dauerarbeitslosigkeit, die Stagnation und die Angst in diesem Gebiet sind nicht nur geblieben, sie sind gewachsen. Meine Damen und Herren, ich darf namens meiner Fraktion sagen: wir sind gespannt, ob sich von dem, was Herr Minister Blücher hier angekündigt hat, im Zonenrandgebiet praktisch etwas zeigen wird.
Dann der Antrag des Kollegen Dr. Starke über die Weiterführung der Förderungsmaßnahmen im Zonenrandgebiet. Er hat uns verraten, daß die unglückselige Drucksache 808, die Antwort des Herrn Wirtschaftsministers Erhard auf eine Anfrage, die so dazwischen geflattert ist, nicht so gemeint sei, wie sie draußen verstanden wurde. Das ist eine nette Verniedlichung. Was Herr Minister Erhard hier gesagt hat, hebt doch nicht auf, was darin steht. Hier steht nämlich buchstäblich, schwarz auf weiß geschrieben, daß die Schaffung des Fonds von 120 Millionen DM Grenzlandhilfe eine einmalige Aktion war, deren Wiederholung leider nicht möglich ist.
Dann kommt er vom Pferd auf den Esel und sagt: Ja, aber mit Hilfe des Sanierungsfonds wird schon noch etwas geschehen. Gerade damit können wir uns nicht abfinden. Wir können uns deshalb nicht damit abfinden, weil Sie ja selbst in Ihrem Antrag Drucksache 742 sagen, daß zur weiteren Durchführung des Bundestagsbeschlusses vom 2. Juli 1953 bei der Vorbereitung des Bundeshaushaltes für das Haushaltsjahr 1955 die notwendigen Mittel für die Fortführung der Maßnahmen zur Förderung des Zonenrandgebietes vorgesehen werden sollen. Sie sagen wörtlich:
Insbesondere sind im ordentlichen Haushalt des Bundes entsprechende Mittel vorzusehen.
Wir sind mit diesem Antrag absolut einverstanden.
Wir schließen uns ihm an und geben Ihnen die Chance, aus diesem Antrag etwas zu machen. Es ist Ihnen ja nicht unbekannt, daß die Haushaltsberatungen vor dem Abschluß stehen.
— Wir werden also einig sein in der Überzeugung, daß Eile not tut.
Um aber nun eine möglichst einwandfreie Abwicklung zu gewährleisten, bringen wir zu Ihrem Antrag Drucksache 742 einen Änderungsantrag ein*). Im Anschluß an den ersten Satz des zweiten Absatzes, der lautet: „Insbesondere sind im ordentlichen Haushalt des Bundes entsprechende Mittel vorzusehen", soll wie folgt fortgefahren werden: „Das gilt sowohl für die am 2. Juli 1953 beschlossenen 120 Millionen DM Wirtschaftshilfe für das Zonengrenzgebiet als auch für die am gleichen Tage bewilligten 25 Millionen DM für kulturelle Hilfsmaßnahmen im Zonengrenzgebiet". Ich darf Ihnen, Herr Präsident, diesen Zusatzantrag überreichen. Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, möchte ich nun aber bitten, diesen Antrag Drucksache 742 nicht erst an den Ausschuß zu überweisen — denn da kommen wir
*) Umdruck 197.
I im Wettrennen mit dem Abschluß der Haushaltsplanung zu kurz —, sondern gleich heute und hier über ihn abzustimmen.
Das ist unser Vorschlag, und dabei können Sie gleich einmal Ihren guten Willen unter Beweis stellen.
Dann zu den Anträgen Drucksachen 743 und 744 und zu der Großen Anfrage Drucksache 745! Das sind im Grunde von Ihnen aus gesehen merkwürdige Dinge. Sie erwarten die Lösung, den Segen, die Heilung, das Wunder plötzlich von den Aufträgen der öffentlichen Hand, Sie, die Sie ansonsten doch von der öffentlichen Hand nicht allzuviel halten.
Hier wird nun diese Suppe gleich dreimal umgekocht und aufgewärmt. Im Grund aber ist es doch gar nichts anderes als eine Wortmühle. Das sind doch Honigfäden, die Sie den Leuten im Zonenrandgebiet durch den Mund ziehen! Sie bieten doch Steine statt Brot!
Sie hätten sich nur das Bulletin der Bundesregierung vom 18. August anzuschauen brauchen, in dem auf die Frage der Berücksichtigung des Mittelstandes bei der Vergabe von Besatzungsaufträgen ausführlich Bezug genommen wird. Im übrigen haben wir die Frage der öffentlichen Aufträge mit Herrn Dr. Giel vom Bundeswirtschaftsministerium nach allen Richtungen hin erörtert. Dabei hat sich klar gezeigt, daß Berlin, Wilhelmshaven und das Zonenrandgebiet ein Wettrennen veranstalten und daß dann am Ende von diesen nicht so gewaltigen öffentlichen Aufträgen eben nicht das übrigbleibt, was die Leute erwarten.
Nun hat die verehrte Kollegin Frau Dr. Brökelschen heute eine neue Hoffnung aufleben lassen.
Die Hoffnung ist zusammenzufassen in ihrem Satz: „Im Zusammenhang mit dem Truppenvertrag sind große Aufträge zu erwarten."
Frau Dr. Brökelschen, das sind doch wieder nur Steine statt Brot! Hier machen Sie den Leuten doch wieder Hoffnung und wissen ganz genau, daß all die Redereien im Zusammenhang mit dem Truppenvertrag und den Londoner Abmachungen und daß das Stichwort „Pulverzone" dazu geführt haben, daß sich die Leute sagen: Wenn unsere Zone zu gefährlich ist, als daß Gewehre und Maschinengewehre in ihr hergestellt werden könnten, j a, mein Gott, warum soll ich, der ich Pinke habe und meinen Betrieb verlagern kann, eigentlich noch in dieser gefährdeten Zone bleiben!
Sie dürfen überzeugt sein, Frau Kollegin Brökelschen: das sind faule Fische! Damit wenden Sie die Wasser nicht. Die gefährliche und verderbliche Tendenz der Abwanderung aus dem Zonenrandgebiet können Sie mit dem Hinweis auf den Truppenvertrag in keiner Weise aufhalten.
Sie hätten sich eigentlich auch die Frage an den Herrn Bundeswirtschaftsminister Erhard wegen
der „Geringfügigkeit" ersparen können. Ich muß sagen, Sie machen dem Bundestag allerlei Unkosten mit unnötigen Drucksachen. Denn Herr Staatssekretär Dr. Westrick hat hier am 26. Mai, genauer als sein Chef, auf die Frage von Dr. Bleiß, was man unter „Geringfügigkeit" zu verstehen habe, gesagt, dabei handle es sich um ungefähr 5 %. Nun, Herr Professor Erhard ist heute schmiegsamer gewesen und hat gesagt, das bleibe jedem Ressort im Grunde überlassen, und hat dann auf weitere Rundschreiben vertröstet.
Meine Damen und Herren, das ist substantiell ungefähr das, was heute hier aus dieser Sache herausgekommen ist und was in diesen Anträgen liegt.
Sie verweisen selber in Ihrem Antrag auf die Beschlüsse vom 2. Juli 1953 und fordern ihre Verwirklichung. Ich möchte Sie heute an etwas erinnern, was hier am 2. Juli 1953 mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck gekommen ist und wovon man offensichtlich jetzt wegrudern will. Am 2. Juli hat nämlich Herr Dr. Henn als der Begründer der zu treffenden Maßnahmen und Beschlüsse, als der Begründer des Antrags vom Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen wörtlich erklärt:
Bei dem heute vorliegenden . . . Förderungsprogramm für die Gebiete an der Sowjetzonengrenze geht es . . . um ein langfristiges Förderungsprogramm für die Zonengrenzgebiete, und sie wirtschaftlich, sozial und kulturell gesund zu erhalten und zu stärken. Es geht dabei um eine dringliche nationalpolitische Aufgabe.
Herr Dr. Henn hat dann weiter gesagt, daß zwischen Bund, Ländern, Wirtschaft und Parteien eine Einmütigkeit zustande gekommen sei und daß man sich abgestimmt habe über das, was zu schaffen sei. Dr. Henn hat dann auf die Bedeutung der werbenden Aufgabe des Randgebietes im Hinblick auf die Überlegenheit des Westens hingewiesen und hat gesagt, weil aus der Sowjetzone heraus ein hartnäckiger Kampf gegen die staatliche, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Ordnung der Bundesrepublik geführt werde, sei es nötig, für die Lasten, die aus der Spaltung Deutschlands heraus entstanden seien, feste Posten in den Bundeshaushalt einzufügen. Er hat dann gesagt: Wir müssen dafür sorgen, daß für diesen Zweck Mittel aus dem Etat genommen werden. Er hat weiter gesagt: Die 120 Millionen DM dürfen auf keinen Fall nur eine einmalige Leistung sein.
Das war Dr. Henn am 2. Juli 1953. Da waren wir uns alle einig. Dann kam sein Fraktionskollege Dr. Drechsel am 26. Mai 1954. Kollege Drechsel hat damals gesagt, es handle sich um ein langfristiges Förderungsprogramm, man müsse in den Ländern, Städten und Kreisen planen können, weil sonst die Wirkung verpuffe.
Und nun, Frau Dr. Brökelschen, darf ich an das erinnern, was Sie selbst am 2. Juli 1953 hier zum besten gegeben haben. Sie waren dankbar für die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Henn, und Sie haben gesagt: „Wir haben uns im Unterausschuß „Zonenrandgebiet" die Arbeit nicht leicht gemacht. Wir haben uns die Dinge aber- und abermals überlegt, und an Ort und Stelle sind wir den Problemen nachgegangen." Sie sprachen von einem Minimalprogramm.
Und als hier am 26. Mai dieses Jahres Herr Staatssekretär Westrick darauf hinwies, daß Sonderminister Kraft in zwei Monaten mit der Ausarbeitung eines Memorandums über die Lage im Zonenrandgebiet fertig sein würde — ich sage: das war im Mai! —, da haben Sie ganz richtig gesagt: „Davon haben wir genug!" — Davon haben wir auch genug!
Wir haben genug von den Wortmühlen, wir möchten Taten sehen! Herr Kraft hat sein Memorandum bis heute noch nicht vorgelegt, obwohl in diesem Memorandum bestimmt nichts Neues drin stehen kann.
Denn, Frau Kollegin Dr. Brökelschen: wir haben — da haben Sie am 2. Juli vorigen Jahres völlig recht gehabt — die Sache derartig in den Nähten nachgesehen, daß uns kaum etwas entgangen sein dürfte. Kollege Dr. Henn hat zu Recht gesagt, bei unserem Beschluß hätten mitgewirkt die Wirtschaft, die Parteien, die Länderinstanzen und die Bundesorgane, so daß im Grunde unser Bild von der Situation entsprechend umfassend war.
Warum führe ich das an? Ich führe das an, weil Kollege Henn gesagt hat: „Wir wollen das Zonenrandgebiet gesund und kräftig in ein wiedervereinigtes Deutschland einbringen." Wenn ich das Tempo der Bundesregierung betrachte, muß ich sagen: Sie haben offenbar eine sehr lange Wiedervereinigungsperspektive!
Mein Kollege Freidhof wird Ihnen nachher noch einiges über die konkreten Maßnahmen sagen, die wir Ihnen am 26. Mai von dieser Stelle aus vorgeschlagen haben. Das waren 60 Millionen DM für Arbeitsbeschaffung, 65 Millionen DM für Straßenbau und 50 Millionen DM Kredithilfe für die mittelständische Wirtschaft.
Herr Kollege Starke, Sie reden jetzt so viel von gezielter Hilfe. Ich habe den Eindruck, daß die „gezielte Hilfe" im Grunde eine Hilfe an die Großindustrie ist,
aber nicht an die mittelständische Wirtschaft und die vielen kleinen Leute, die auf Hilfe warten.
Die „gezielte Hilfe", Herr Dr. Starke, ist eine Hilfe nach dem Motto: „Wer Körner hat, dem leiht man gern Mehl."
Ich will Ihnen auch einmal das Geheimnis verraten, warum Sie gegen unseren Antrag auf Senkung der Umsatzsteuer waren.
Sie sind der Hauptgeschäftsführer der Industrie-
und Handelskammer, die ein Gebiet nicht nur im Zonenrandgebiet umfaßt. Herr Dr. Starke, es ist Ihnen ja bekannt, daß der Landkreistag, daß die Oberbürgermeister und Bürgermeister und Landräte in unseren Zonenrandgebieten und daß selbst die Industrie- und Handelskammer Kulmbach der Meinung waren, eine Senkung der Umsatzsteuer etwa wie in Berlin man kann ja über die einzelnen Dinge reden, nicht wahr, und wir sind be-
reit, darüber mit uns reden zu lassen — wäre die große Hilfe, die in die Breite geht,
die alle Zweige der Wirtschaft umfaßt.
Sie können dieser Hilfe, dieser Umsatzsteuersenkung, selbstverständlich nicht zustimmen, weil die großen Spinnereien in Kulmbach und Bayreuth, die an dieser Maßnahme nicht beteiligt würden, dann sagen würden: „Herr Hauptgeschäftsführer Starke, wie können Sie meiner Konkurrenz in Hof zu solch einem Vorteil verhelfen!?"
— Das ist keine Unterstellung; denn der Herr Kollege Dehler redet ja stets von den Interessenvertretern.
Hier haben Sie ein Beispiel dafür, wohin Interessenvertretung führt.
Wir haben, meine sehr verehrten Damen und Herren, damals, im Juni dieses Jahres, im Anschluß an die Debatte und im Anschluß an unsere Anträge die Bildung eines Arbeitskreises verlangt, der aus Haushaltsausschuß, Finanzausschuß, Wirtschafts-und Gesamtdeutschem Ausschuß bestehen sollte. Dort wollten wir die Maßnahmen absprechen, abstimmen, koordinieren. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU und von den anderen Regierungsparteien — wer hat den Zusammentritt dieses Arbeitskreises bisher verhindert?
Warum ist er nicht zusammengekommen?
Haben Sie vielleicht in Ihrer großen Fraktion noch
keinen Vorsitzenden für dieses Gremium gefunden?
Wir wären begierig, von Ihnen eine Antwort auf diese Frage zu bekommen.
Ich möchte hier noch auf etwas hinweisen: Unsere Beschlüsse vom 2. Juli 1953, sofern sie schon Wirklichkeit sind, haben ja nicht nur erfreuliche Wirkungen gezeigt, und deshalb dringen wir auf Bildung dieses Arbeitskreises. Die Gemeinden, die ihre Einnahmen zu 60 % aus der Gewerbesteuer nehmen, haben einen entsetzlichen Rückgang in der Gewerbesteuer auf Grund unserer Großzügigkeit vom 2. Juli 1953, die in diesem Punkte eine Großzügigkeit auf Kosten der Gemeinden war. Das Gewerbesteueraufkommen ist infolge des Beschlusses, nach dem Sonderabschreibungen von 50 % vorgenommen werden können usw., erschreckend gesunken. Sie brauchen nur mit den Bürgermeistern und Landräten zu reden, und wahrscheinlich kriegen Sie es auch schwarz auf weiß. Ich will sagen: wir hätten allen Grund, uns in dem von uns beantragten Arbeitskreis einmal darüber zu unterhalten, wie wir den Gemeinden, die aus Gründen, die ich hier nicht erörtern muß, seit Jahrzehnten ihre wichtigsten Aufgaben auf den Gebieten des Straßenbaues, der Elektrifizierung, der Wasserversorgung, der Kanalisation, der Gasversorgung und des Schulwesens aufschieben mußten, helfen könnten, damit sie nicht die Leidtragenden unseres
großzügigen Beschlusses sind; denn in Auswirkung unseres Beschlusses zum 131er-Gesetz haben wir die Gemeinden schon einmal hart herangenommen. Sie werden sagen: Der freie Geldmarkt ist flüssig. Nun, Sie wissen, daß die Bedingungen, die die Gemeinden am freien Geldmarkt bekommen können, Halsabschneiderei sind. Kredite zu 7 und 71/2 % bei 94prozentiger Auszahlung sind für die Gemeinden untragbar. Zwischen rentierlichen und unrentierlichen Schulden besteht ein Unterschied, und die Schulden, die die Gemeinden im Hinblick auf ihre Aufgaben machen müssen, sind nicht rentierlich.
Meine Damen und Herren, Sie haben in Ihrem Antrag gesagt, Sie möchten die Beschlüsse des 2. Juli erweitern. Dabei wollen wir Ihnen helfen. Das ist der Sinn unseres Änderungsantrags und der Sinn unserer Forderung auf Einberufung des Arbeitskreises: endlich auch unsere Anträge fachlich und sachlich zu behandeln.
Lassen Sie mich zum Schluß eine Bemerkung machen, die Sie, Frau Dr. Brökelschen, ganz besonders interessieren wird. Sie haben am 2. Juli 1953 sehr richtig gesagt: Man muß die Situation an der Zonengrenze unter politischen Gesichtspunkten sehen, und Sie haben in Verbindung mit unserm sehr verehrten Kollegen Dr. Henn, der damals gesagt hat: Es ist durchaus nötig, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Hilfe zu leisten, ei klärt: Unbeschadet des Grundgesetzes und des darin aufgestellten Prinzips der Kulturautonomie der Länder müßte man den Ländern, weil ihre Kräfte nicht reichen, helfen, ihre gesamtdeutschen Verpflichtungen zu erfüllen, und das Zonengrenzgebiet kulturell aktivieren. Frau Dr. Brökelschen, so einig waren wir selten, und wir können auch dem Herrn Kollegen Dr. Henn zustimmen, der gesagt hat: Nur wirtschaftliche Hilfe wäre falsch, weil dieser Gesichtspunkt die Situation nicht erfaßt. Nun frage ich Sie, Frau Kollegin: Warum wollen Sie den Beschluß. den wir damals auch im Hinblick auf kulturelle Hilfe für das Zonenrandgebiet gefaßt haben, nicht durchführen? Sie haben am 8. September im Ausschuß erklärt, der Betrag von 25 Millionen sei viel zu hoch gegriffen.
Ja, Frau Kollegin, haben Sie das nicht schon am 2. Juli spitz gehabt? Sie haben doch am 2. Juli gesagt, es sei notwendig, daß wir uns die Sache aber-und abermals überlegen. Damals haben Sie diesen Beschluß mit gefaßt, und später, nach der Wahl nämlich — man muß immer unterscheiden, was Sie vor einer Wahl und nach einer Wahl reden —,
haben Sie gesagt: Die 25 Millionen sind viel zu hoch gegriffen.
Ich glaube nicht, daß sich der Begriff der Vertraulichkeit eines Ausschusses auch auf solche offenkundigen Dinge erstreckt. Sie haben dann im Ausschuß zusammen mit dem verehrten Kollegen Wacher und dem verehrten Kollegen Dr. Henn, als es darum ging, die 25-Millionen-Grenzlandhilfe endlich zu gewähren, diesen Antrag niedergestimmt.
Meine Damen und Herren, ich möchte gern manchmal Mäuslein sein und hören, was Sie am Abend für Zwiegespräche mit Ihrem Herrgott
führen, wenn Sie sich so benehmen, wie Sie sich in dieser Zonenrandfrage aufführen.
Frau Dr. Brökelschen, ich sage Ihnen das deshalb, weil der Mann, dessen Namen Sie in der Parteifirma führen, uns deshalb so sympathisch ist, weil bei ihm Wort und Tat immer eins waren,
und das hätte ich gern auch bei Ihnen.
Ich möchte Ihnen, Frau Kollegin Dr. Brökelschen, und Ihren Partei- und Koalitionsfreunden abschließend etwas sagen, was ein toter Sozialdemokrat in dieser Sache gesagt hat; denn bei Ihnen gilt ja nur das, was tote Sozialisten sagen. Ernst Reuter hat zu diesem Problem gesagt:
Jahrelang hat die Außenpolitik Deutschlands sich in einer angeblichen Realpolitik auf die Aufgabe konzentriert, Papierpläne für kommende Divisionen auszuarbeiten. Die eigentliche politische Arbeit an der Stärkung Berlins, an der Hilfe für die Zonengrenze mit dem Ziel, eine überzeugende Antwort nach dem Osten zu geben, ist immer wieder bei allem Lippendienst in der Sache zweitrangig behandelt worden.
Wir möchten, daß Sie mit uns die Sache heute zu einer erstrangigen machen und sie mit uns positiv erledigen. Ich sage Ihnen nochmals, was ich hier bereits im Mai gesagt habe, daß Sie sich mit uns überlegen möchten, welche Mittel wir vielleicht auch von den Besatzungsmächten her zur Stärkung der Hauptkampflinie im Kalten Krieg frei machen können.