Keine weitere Zusatzfrage? — Dann ist die Fragestunde abgeschlossen
Ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung:
Wahl der Mitglieder kraft Wahl des Richterwahlausschusses.
Es handelt sich um die Drucksache 900, die Ihnen vorliegt. Nach dem Wortlaut des Richterwahlgesetzes muß die Wahl nach den Grundsätzen des Verhältniswahlsystems erfolgen. Sie haben vor sich zwei Vorschläge liegen, die beide in der erwähnten Drucksache abgedruckt sind, einen Vorschlag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, GB/ BHE, DP und einen Vorschlag der Fraktion der SPD. Ich bitte Sie, Ihr Kreuz in dem Kreis anzubringen, der zu dem Vorschlag gehört, den Sie zu wählen wünschen. Befinden sich alle Anwesenden im Besitz der Drucksache 900? — Das ist der Fall. Ich bitte die Herren Schriftführer, die Zettel einzusammeln.
Ich möchte vorher bekanntgeben, daß auf Grund einer Vereinbarung des Ältestenrats vom 19. Oktober entsprechend dem Verfahren bei der Wahl des Herrn Bundespräsidenten die Berliner Stimmen nicht gesondert geführt werden. Ich mache weiter darauf aufmerksam, daß Abstimmung mit verdeckten Zetteln vorgeschrieben ist. Ich bitte die Herren Schriftführer, mit dem Einsammeln zu beginnen.
Meine Damen und Herren, haben alle Mitglieder des Hauses, die sich an der Abstimmung beteiligen wollen, ihre Stimme abgegeben?
— Dann bitte ich Sie, sich zu beeilen.
Die Abstimmung ist geschlossen. Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen.
Ich schlage Ihnen vor, meine Damen und Herren, daß wir, während die Auszählung vorgenommen wird, schon mit der Behandlung des Punktes 3 der Tagesordnung beginnen. — Sie sind einverstanden. Ich rufe also Punkt 3 der Tagesordnung auf:
a) Große Anfrage ,der Abgeordneten Dr. Starke, Frau Dr. Brökelschen, Dr. Henn, Wacher und Genossen betreffend Wirtschaftsplan des ERP-Sondervermögens für das Rechnungsjahr 1954; hier Förderungsmaßnahmen für das Zonenrandgebiet (Drucksache 741);
b) Große Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Brökelschen, Dr. Starke, Wacher , Dr. Henn und Genossen betreffend Richtlinien der Bundesregierung für die Berücksichtigung bevorzugter Bewerber bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen (Drucksache 745);
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Starke, Frau Dr. Brökelschen, Dr. Henn, Wacher und Genossen betreffend Weiterführung der Förderungsmaßnahmen für das Zonenrandgebiet im Haushaltsjahr 1955 (Drucksache 742);
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Henn, Frau Dr. Brökelschen, Dr. Starke, Wacher und Genossen betreffend Anwendung der Richtlinien der Bundesregierung für die Berücksichtigung bevorzugter Bewerber bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen auf Aufträge der Besatzungsmächte (Drucksache 743);
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wacher , Dr. Starke, Frau Dr, Brökelschen, Dr. Henn und Genossen betreffend Richtlinien der Bundesregierung für die Berücksichtigung bevorzugter Bewerber bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen (Drucksache 744).
Auf Grund einer Vereinbarung der Anfragenden bzw. Antragsteller zu den Punkten 3 a bis e werde ich zur Begründung der Anfragen und Anträge diese in folgender Reihenfolge aufrufen: zunächst 3 a, dann 3 c,. dann 3 b, d und e.
Zur Begründung der Großen Anfrage unter Punkt 3 a erteile ich das Wort dem Herrn Abgeordneten Dr. Starke.
Dr. Starke , Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu der Großen Anfrage Drucksache 741, die ich zu begründen habe, darf ich eingangs darauf hinweisen, daß wir zuletzt am 26. Mai dieses Jahres in diesem Hause über die Zonengrenzfragen debattiert haben. Damals haben wir von der Regierung die Erklärung bekommen, im Bundeshaushalt seien 120 Millionen DM bereitgestellt. Sie wissen alle, daß dieser Betrag aus dem Bundeshaushalt sich jetzt in der Abwicklung befindet, meist im Bereich der Länder. Nun haben wir in den vergangenen Monaten eine wirtschaftliche Entwicklung gehabt, die einen allgemeinen Aufschwung mit sich gebracht hat. Wir haben Produktionszahlen, die die Ziffern vergangener Jahre übersteigen. Wir haben ein weiteres Absinken der Arbeitslosigkeit zu verzeichnen. Sie wissen wie ich, daß alle diese Vorgänge zugleich auch eine Besserung der Situation in den Zonenrandgebieten mit sich bringen. In diesem Sinne können wir auch die Regierungserklärung vom 26. Mai verstehen, in der auf diese Punkte schon hingewiesen worden ist.
Auf der anderen Seite liegt mir nun daran, in diesem Zusammenhang — wie am 26. Mai — noch einmal festzustellen, daß meine politischen Freunde und meine Fraktion die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung, die auch in einem allgemeinen Sinne dem. Zonenrandgebiet zugute kommt, bejahen und ihr Einverständnis mit dieser Politik ausdrücklich erklären.
Es ist in diesem Zusammenhang aber zugleich eine andere Tatsache zu betonen. Wir nehmen so häufig die Worte in den Mund, daß sich unsere wirtschaftliche Entwicklung sozusagen rein marktwirtschaftlich vollzieht, daß sie also sozusagen außerhalb des engeren staatlichen Geschehens liege. Wir wissen aber alle — wenn wir uns die Statistiken ansehen, ja, wenn wir insbesondere daran denken, welch großer Anteil am Sozialprodukt über die öffentliche Hand geleitet wird —, daß dem in diesem Umfang nicht so ist, sondern daß die öffentliche Hand mit den gewaltigen Mitteln, die sich bei ihr vereinigen — gleichgültig, ob bei Bund, Ländern oder Gemeinden —, einen entscheidenden Einfluß auf die wirtschaftliche Entwicklung und insbesondere auf die Richtung dieser wirtschaftlichen Entwicklung im einzelnen ausübt.
Es ist nun in diesem Gesamtzusammenhang unser ganz besonderes Anliegen — und das darf ich ausdrücklich betonen —, daß dann, wenn diese Fragen — wie heute die Frage der Zonenrandgebiete — zur Debatte stehen oder wenn es sich darüber hinaus um die anderen Gebiete, wie die Sanierungsgebiete, handelt, die sich ja teilweise räumlich mit den Zonenrandgebieten decken, nicht immer wieder ein Einwand kommt, den wir angesichts der tatsächlichen Entwicklung, wie ich sie eben aufzuzeigen versuchte, nicht gerne hören. Ich meine den Einwand, daß sich der Staat um diese Fragen — insbesondere solche wirtschaftlicher Natur — nicht zu kümmern habe. Ich bin vielmehr der Ansicht, daß wir uns zu dem Satz bekennen müssen — und meine politischen Freunde vertreten dies ausdrücklich —, daß der Staat mit diesen großen und reichen Mitteln, die durch seine Hände laufen, vor allem dort einzugreifen hat, wo es notwendig ist, wo es insbesondere nationalpolitisch notwendig ist. Und zu diesen nationalpolitischen Fragen gehören die Fragen des Zonenrandgebiets.
Angesichts der von mir bereits charakterisierten wirtschaftlichen Entwicklung gerade auch der letzten Sommermonate darf ich nun Ihr ganz besonderes Augenmerk noch einmal auf folgendes lenken: Bei einer allgemein im Zuge der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung auch gegebenen Besserung der Situation in den Zonenrandgebieten, die also gewissermaßen von dieser Entwicklung gleichsam besser mitgetragen werden, als es eben in der zurückliegenden Zeit war, läuft nicht alles gut. Mit der Steigerung der wirtschaftlichen Tätigkeit, mit dieser günstigeren wirtschaftlichen Entwicklung in den westlichen Schwerpunktgebieten des Bundesgebiets ist dort bereits Facharbeitermangel eingetreten. Wir haben aber darüber hinaus eine Entwicklung vor uns, die mit dem Abkommen von London und den jetzigen Beratungen in Paris in Zusammenhang steht. Diese Entwicklung wird gleichfalls wieder eine verstärkte Einwirkung des Staates auf das allgemeine wirtschaftliche Geschehen bringen, allerdings nicht in dem Sinne, daß wir glauben, etwa wieder zu planwirtschaftlichen Maßnahmen zurückkehren zu müssen. Nein. Aber es wird — und das werden Sie mit mir sagen — ganz unerläßlich sein, daß sich der Staat der wirtschaftlichen Entwicklung und insbesondere der Richtung, in der sie läuft, in verstärktem Maße annimmt. Gerade aus diesen Gründen begrüßen wir es, daß wir uns -in einem solchen Zeitpunkt, wo diese neue Entwicklung vor uns liegt, noch einmal über die Fragen dieser östlichen Randgebiete des Bundesgebietes unterhalten.
Wir haben auch einen besonderen Anlaß, das heute festzustellen. In diesem Hause ist eine Kleine Anfrage gestellt worden, die in der Drucksache 808 beantwortet worden ist. Diese Antwort ist vom Herrn Bundeswirtschaftsminister unterschrieben. Ich darf hier noch einmal sagen, daß diese Beantwortung der Kleinen Anfrage in den Zonenrandgebieten, in den Ostgebieten der Bundesrepublik einen sehr schlechten Eindruck gemacht hat.
Ich habe mich unterdes davon überzeugt, daß diese schriftlich abgegebene Beantwortung nicht in dem Sinne gemeint gewesen ist, wie sie draußen verstanden worden ist. Wir dürfen aber doch nicht vergessen, daß bei allen diesen Fragen das psychologische Moment eine ganz große Rolle spielt.
Ich darf dieses Moment charakterisieren. Die 120 Millionen DM aus dem Bundeshaushalt haben sich, wie ich vorhin schon sagte, in der Abwicklung befunden und befinden sich noch darin. Als im September diese Kleine Anfrage kam, hat praktisch draußen nicht nur der kleine Mann, sondern haben auch größere Betriebe, oder um was es sich sonst handelt, von diesem Geld noch nichts gemerkt. Die Sache befand sich sozusagen noch im Verhandlungsstadium. Wenn dann eine solche Beantwortung einer Kleinen Anfrage herauskommt, aus der man so den Eindruck haben könnte — wie gesagt, der Eindruck ist falsch, wie ich durch Erkundigungen erfahren habe —, daß nun ein Schlußpunkt gesetzt werden soll, dann ist es unvermeidlich, daß die Menschen draußen glauben, dieser Schlußpunkt befinde sich bereits vor dem, worüber Sie im Augenblick verhandeln,
daß also gewissermaßen ihr Anliegen gar nicht mehr zum Zuge kommt. Es ist sicherlich verwunderlich, wenn man dann in der Zentrale feststellt, daß diese Dinge eigentlich nicht so gesehen werden, wie ich jetzt versucht habe, sie hier vor Ihnen auszubreiten. Auch aus diesem Grunde sind wir dankbar. daß wir diese Fragen heute noch einmal aufgreifen können.
So lassen Sie mich denn, bevor ich im einzelnen zu der von mir zu begründenden Drucksache 741 komme — ich habe das mit den Damen und Herren, die die weiteren Anträge und Anfragen zu Punkt 3 der Tagesordnung zu begründen haben, ausdrücklich abgesprochen —, einige wenige allgemeine Erwägungen anstellen, auf die es mir ebenso wie meinen politischen Freunden, mit denen ich mich darin in völliger Übereinstimmung befinde, ganz besonders ankommt. Wir müssen feststellen, daß es trotz des Beschlusses des Bundestages, der die Grundlage für alle die Maßnahmen ist, die unterdessen getroffen worden sind oder die sich jetzt in der Entwicklung befinden, noch immer an einem Programm der Bundesregierung fehlt. Ich stelle mir dieses Programm etwa so vor, daß es alle Gebiete der staatlichen Verwaltung erfaßt, .daß es sich auf die Tätigkeit aller Ressorts, auf die Tätigkeit aller Referate in den Ministerien des Bundes bezieht. Ein solches Programm muß eine Leitlinie sein, sowohl für die innere Tätigkeit der Verwaltung, wie auch für uns, die wir uns mit diesen Fragen zu befassen haben und die wir diese Fragen immer wieder hier im Bundestag, aber auch in den Besprechungen mit den Ministerien zu vertreten haben.
Ich darf in diesem Zusammenhang einmal ausdrücklich auf die kürzlichen Ausführungen des Herrn Bundesministers für Vertriebenenfragen, des Herrn Bundesministers Oberländer, hinweisen, der im Namen der Bundesregierung gerade auch diesen Gesichtspunkt in den Vordergrund gerückt hat. Ich darf auch noch einmal daran anknüpfen, daß es nicht so sehr darauf ankommt, Befugnisse an die Verwaltung zu verleihen, sondern daß es mehr darauf ankommt, daß bei dem Einsatz der Mittel, von denen ich vorhin sprach —
ein Drittel des Sozialprodukts wird ja durch die öffentliche Hand verausgabt —, in allen Ressorts, in allen Referaten, die Fragen gebührend berücksichtigt werden, die uns am Herzen liegen und die ich heute im einzelnen zu berühren brauche, weil sie immer wieder erörtert worden sind. Dann wäre das erreicht, was ich mit diesem Wort „eine Leitlinie für die ganze Verwaltung" meine.
Wir haben einen Ansatzpunkt dazu: das ist der vielleicht nicht überall bekannte Erlaß des Herrn Bundeskanzlers vom November 1953. Ich darf noch einmal betonen: Ich wollte gern, daß man im Sinne dieses Erlasses, der sich an alle Ressorts wendet, fortschreitet. Wir möchten gern, daß dieser Erlaß eine Ergänzung erfährt im Sinne der von mir aufgezeigten Leitlinie, die Richtschnur für die Verwaltung ist und die uns die Möglichkeit gibt, in allen Einzelfragen, die immer wieder auftauchen und die eben meist in diesen Gebieten schwerer zu behandeln sind als woanders, diese Gesichtspunkte zur Geltung zu bringen.
Ich brauche Ihnen, meine Damen und Herren, hier nur mit ganz wenigen Strichen zu sagen, daß es dabei auf sehr viele Fragen ankommt, nicht nur auf das rein Wirtschaftliche, sosehr das selbstverständlich als materielle Grundlage auch dieser Zonenrandgebiete, der Ostgebiete, von Bedeutung ist. Es kommt genau so auf das Zusammenlaufen aller Maßnahmen an. Es muß zusammenpassen, es muß sich alles an diese Leitlinie hängen sowohl z. B. auf dem Gebiet des Wohnungsbaus als auch des Straßenbaus. Lassen Sie mich einmal sagen: es gibt Gebiete, wo man mit einem Straßenbau unendlich vieles gutmachen kann, was seit 1945 verabsäumt worden ist, nachdem diese Gebiete sozusagen von ihrem engeren wirtschaftlichen und kulturellen Lebensraum durch die Zonengrenze abgeschnitten worden sind.
Das gilt weiter — darüber ist auch wiederholt gesprochen worden — auf dem Gebiete der Kultur. Hier liegt es mir ganz besonders am Herzen, einmal wenigstens in einem Satz präzise etwas dazu zu sagen. Es handelt sich um die selbstverständlich gerade in einem solchen Grenzgebiet wichtigen Schulfragen. Es dreht sich darüber hinaus aber auch noch um etwas anderes. Ohne daß ich Sie jetzt mit Zahlen behelligen will, darf ich es einmal feststellen. Für den engeren Raum, in dem mein Wahlkreis liegt, könnte ich Ihnen jetzt die Zahlen geben. Ich lasse sie aber weg. Es dreht sich darum, daß die Zahl der Jugendlichen gerade in diesen Gebieten wegen des dort ganz besonders großen Stroms von Flüchtlingen, der hineingekommen und dort hängengeblieben ist, gegenüber dem Bundesgebiet überdurchschnittlich ist, daß also in diesen Gebieten mit all den finanziellen Belastungen für das Land wie für die Gemeinden und Gemeindeverbände — vergessen wir das nicht! — die Kosten für die Ausbildung dieser überdurchschnittlichen Zahl von Jugendlichen besonders hoch sind. Ich glaube — wenn man einmal davon sprechen will —, daß auch diese Fragen, z. B. der Berufsschulen, zu den kulturellen Problemen gehören. Ich habe dabei die Fragen der Gemeinden schon mit angerührt.
Wenn wir also, meine Damen und Herren, schon eine solche Leitlinie haben, dann kommt es selbstverständlich immer auf die Finanzierung solcher Maßnahmen an. Und da bin ich nicht der Meinung, daß uns heute noch damit gedient ist, daß wir durch Umfragen Programme aufstellen, wie wir
sie insbesondere auch auf kulturellem Gebiet gehabt haben, wo dann Programme mit mehreren hundert Millionen DM entstehen; denn das sind ja Dinge, die in absehbarer Zeit nicht realisiert werden können. Wir sollten uns also lieber konzentrieren auf Dinge wie etwa Ausbildung der Jugendlichen, auf ganz bestimmte, fest umrissene Programme, wofür bei den Staatsverwaltungen und bei der Selbstverwaltung der Gemeinden und Gemeindeverbände Unterlagen bereits vorliegen.
Nun zu der Finanzierung. Wer in den vergangenen Monaten, im Frühjahr 1954, die Dinge miterlebt hat, als es um die Auseinandersetzungen um den Bundeshaushalt, als es um den Anteil des Bundes an der Einkommen- und Körperschaftsteuer ging, dem ist es verständlich, daß damals die Gedanken gewissermaßen Gestalt angenommen haben, die ich Ihnen jetzt als ein ganz besonderes Anliegen meiner politischen Freunde und von mir darlegen möchte. Der Bundeshaushalt, worüber nachher zu einem Antrag, der unmittelbar nach dieser An- frage kommt, der Abgeordnete Wacher noch im einzelnen sprechen wird, wird die Mittel, die notwendig sind, um all die Aufgaben zu finanzieren, von denen ich Ihnen einen Umriß zu geben versuchte, nicht allein geben können. Das ist die Erkenntnis von mir und meinen politischen Freunden. Wir müssen also daran denken, daß wir weitere Finanzauellen eröffnen müssen, um diese Fragen wirklich einer Lösung zuführen zu können.
Ich darf hierzu noch ausdrücklich sagen — ich tue das ganz besonders im Namen meiner Fraktion —, daß die Finanzverfassung, wie sie im Grundgesetz festgelegt worden ist, in diesen Fragen gerade der östlichen Randgebiete außerordentlich schwerfällig und unbeweglich ist. Im Zuge der Verhandlungen hat sich herausgestellt, daß diese Finanzverfassung es sehr schlecht zuläßt, rechtzeitig und beschleunigt zu den Maßnahmen zu kommen, die wir für notwendig halten und die gerade auch dieses Hohe Haus am 2. Juli des vergangenen Jahres gebilligt hat.
Die Fragen, um die es uns geht, rühren also nicht an den Streit, ob der Art. 30 oder der Art. 120 des Grundgesetzes, wo über die Kriegsfolgelasten gesprochen wird, zum Zuge kommt. Vielmehr kommt es darauf an, daß man in einem gemeinsamen Entschluß der dafür zuständigen öffentlichen Stellen zu einer Finanzierung des von mir einmal im ganzen umrissenen Programms kommt, zu einer Finanzierung, die wirklich realisierbar ist. Es geht dabei darum, daß man nicht nur einseitig den Bundeshaushalt in Anspruch nimmt, dessen Beanspruchung, wie Sie alle wissen, durch die vielen Beschlüsse dieses Hohen Hauses in den letzten Wochen und durch die vor uns liegende Entwicklung nicht kleiner wird. Es kommt darauf an, diese Probleme auf breitere Schultern zu legen und weitere Finanzguellen zu erschließen. Ich bin deshalb auch der Überzeugung — wir haben uns am 26. Mai darüber unterhalten, und ich darf es hier ausdrücklich noch einmal sagen —, daß die von der sozialdemokratischen Fraktion zum Zonengrenzproblem gestellten Anträge sich mindestens zu einem Teil wahrscheinlich deshalb nicht werden realisieren lassen, weil sie nur auf den Bundeshaushalt abgestellt sind. Ich glaube, die weiteren Beratungen werden es zeigen, daß wir die Mittel, die wir benötigen und wie wir sie uns vorstellen, aus diesem beengten Bundeshaushalt, der ja angesichts einer Steuersenkung und angesichts der Tatsache, daß er sich das Geld auf der anderen Seite über eine Erhöhung des Bundesanteils an der Einkommen- und Körperschaftsteuer von den Ländern holen müßte, keine Ausdehnungsfähigkeit hat, schwerlich in vollem Umfang bekommen werden, daß es also deshalb wahrscheinlich erneut zu Schwierigkeiten kommen wird.
Ich darf mir erlauben, für das Weitere ausdrücklich auf die Erklärung der Regierung vom August 1953 Bezug zu nehmen, die ja als Folgewirkung des Beschlusses dieses Hohen Hauses vom 2. Juli 1953 anzusehen ist. In dieser Regierungserklärung steht doch, daß die Belange der Zonenrandgebiete auch außerhalb des Haushalts und außerhalb der dort ins Auge gefaßten steuerlichen Maßnahmen bei allen Förderungsprogrammen der Bundesregierung besonders berücksichtigt werden sollen. Ich darf Ihnen heute schon im Namen meiner Fraktion — und ich hoffe, daß ich dies darüber hinaus von einem größeren Kreis sagen kann — erklären, daß wir u. a. den Finanzausgleich zwischen den Ländern als eine weitere Quelle für die Finanzierung dieser Dinge ansehen.
Ich darf mich hier darauf beschränken, mit zwei, drei Sätzen zu umreißen, was damit gemeint ist. Das Ostproblem, um das es sich hier dreht, ist ja nach 1945 nicht neu — nur in einer anderen Gestalt — an uns herangetreten. Es hat in früheren Jahren in meiner früheren Heimat im Osten schon immer bestanden. Wer diese Dinge gerade in der Weimarer Republik schon miterlebt hat, wie ich es früher habe tun können, der kann mit aller Deutlichkeit sagen, daß diese Fragen in der Weimarer Republik und in der damaligen Finanzverfassung in besseren Händen waren. Die Ostgebiete lagen mit geringen Ausnahmen praktisch im Bereich Preußens. Innerhalb Preußens vollzog sich ein Finanzausgleich, der so große Beträge umfaßte, daß alles, was wir heute auf diesem Wege zugunsten der heutigen Ostgebiete der Bundesrepublik, wie sie durch die Zonengrenze nun einmal entstanden sind, zu erreichen versuchen, nur ein kleines gegenüber dem ist, was damals ohne Aufheben geschehen ist. Wenn man also an diese große Finanztransaktion denkt, die sich laufend über den preußischen Haushalt vollzog, und wenn man berücksichtigt, daß eine ähnliche Finanztransaktion heute zwischen den westlichen Ländern und den östlichen Ländern, in denen sich die von uns hier behandelten Dinge abspielen, nicht erfolgt, dann wird einem klar, um wieviel mehr wir den Finanzausgleich zwischen den Ländern mit in Betracht ziehen müssen, wenn wir über die Finanzierung der Maßnahmen sprechen, die erforderlich sind und um die wir uns sorgen.
Ich kann mich auf diese Ausführungen beschränken, darf aber bereits ankündigen, daß ein von mir bereits im Finanz- und Steuerausschuß gestellter Antrag im Plenum, vielleicht in einer etwas anderen Form, von, wie ich hoffe, einer möglichst großen Zahl von Abgeordneten getragen, wieder gestellt werden wird.
Und ein Zweites, was heute speziell meiner Anfrage zugrunde liegt und worüber im folgenden auch Herr Abgeordneter Wacher noch sprechen wird: Es geht auch darum, neben dem Bundeshaushalt und neben dem Finanzausgleich, von dem ich eben sprach, die zentralen Vermögensträger für diese Fragen mit anzusprechen.
Gerade dort liegen ja Mittel, Milliardenbeträge, die es nicht neu zu beschaffen gilt, sondern die
ohnehin laufend jedes Jahr von der öffentlichen Hand zur Förderung des wirtschaftlichen Geschehens, aber auch des Geschehens auf anderen Gebieten verausgabt werden. Ich möchte mich dahingehend ausdrücken, daß es meiner und meiner politischen Freunde Absicht ist, mit unseren Anfragen und Anträgen, die heute unter Punkt 3 auf der Tagesordnung stehen, die Aufmerksamkeit des Hauses darauf zu lenken, daß bei den dort verausgabten Mitteln auch diese Ostgebiete mit berücksichtigt werden müssen, so daß man bei all den Gebieten, auf denen diese Mittel verausgabt werden, in Zukunft gewärtig sein kann, daß diese Ostprobleme dabei zu einem gewissen Teil mit gelöst werden.
Es handelt sich also um eine Akzentverschiebung bei der Verausgabung der Mittel, und meine politischen Freunde und ich sind der Überzeugung, daß der Zeitpunkt dafür jetzt gekommen ist. Dies gilt insbesondere, wenn wir damit rechnen dürfen, daß im kommenden Jahr dank der noch vor uns liegenden Gesetzgebung die Verhältnisse auf dem Kapitalmarkt andere werden. Gerade dann dürfen wir erwarten, daß die zentral gesteuerten Mittel des Bundes, wie ich sie einmal nennen darf, vermehrt für diese regionalen Fragen eingesetzt werden, die ja gleichfalls in einem ganz starken Umfang wirtschaftspolitischen Charakter tragen.
Es dreht sich dabei — ich komme nachher mit einigen Sätzen noch darauf zu sprechen — um das ERP-Sondervermögen. Es dreht sich aber auch um die Mittel der Bundesanstalt in Nürnberg. Es dreht sich darüber hinaus auch um die Frage der Wohnungsbaumittel, die ebenfalls mit unter diesen Gesichtspunkten — koordiniert mit den anderen Maßnahmen, die der Bundestag schon beschlossen hat — eingesetzt werden müssen. Ja, ich wage hier einmal das kühne Wort: es dreht sich dabei auch um die Mittel des Plans, der gestern hier zur Erörterung stand, die Mittel des Bundesjugendplans. Auch bei all diesen Mitteln darf man nicht vergessen, daß diese östlichen Gebiete eben wirtschaftlich schwächer sind und deshalb auch in ihrer Steuerkraft schwächer sind. Dort hat also das Land weniger Mittel zur Verfügung, und der Finanzausgleich zwischen den Ländern führt nicht, wie es früher — ich sagte es schon — innerhalb Preußens zum Osten hin der Fall war, die notwendigen Mittel herbei. Deshalb sind, da aus diesen Gründen natürlich der kommunale Finanzausgleich in jenen Ländern geringer ausgestattet ist, dort selbstverständlich auch die Gemeinden finanzschwächer. Die örtlichen und regionalen Kreditinstitute in diesen Gebieten verfügen auch nicht über die Möglichkeiten wie weiter westlich. Da aus diesen Gründen die Möglichkeiten auch z. B. bei den Fragen, die der Bundesjugendplan betrifft, geringer sind als im Westen, sind unsere Forderungen nicht übertrieben, sondern betreffen nur Ausgleichsmaßnahmen, die wir verlangen, damit der Gesamtkomplex dessen, was man Ost-West-Gefälle nennt, besser ausgeglichen wird.
Es ist also, wenn ich es noch einmal sagen darf, notwendig, daß die Bundesregierung alle Ressorts, alle Referate eindringlich anweist, bei allen Maßnahmen, insbesondere bei der Verausgabung der an sich auszugebenden Mittel diese Gesichtspunkte, die uns am Herzen liegen, gebührend und in stärkerem Maße als bisher zu berücksichtigen.
Ich darf nun nach diesem Umriß der heute vorliegenden Anträge und Anfragen, den ich im Einverständnis mit meinen politischen Freunden geben konnte, zu der Drucksache 741 nur einiges weniges sagen. Parallel zu dieser Debatte läuft die auch noch am heutigen Tag anstehende Verabschiedung des Wirtschaftsplans für das ERP-Sondervermögen für 1954. Ich werde sogar die Ehre haben, vor diesem Hohen Haus als Berichterstatter auch zu diesem Wirtschaftsplan zu sprechen. Während der Beratungen dieses Wirtschaftsplans im Wirtschaftspolitischen Ausschuß sind die Fragen, die ich heute allgemeiner vor Ihnen ausgebreitet habe, gesondert besprochen und erörtert worden. Es hat sich dabei ergeben, daß bei der Bundesregierung, in diesem Falle beim Herrn Bundesminister für die wirtschaftliche Zusammenarbeit, Geneigtheit besteht. Wir haben über die Kreditbedingungen gesprochen, um die es dabei geht, und ich habe — wieder im Namen meiner politischen Freunde — ausdrücklich erklären können, daß die Mittel des ERP-Sondervermögens, die ja für weitere Verwendungszwecke erhalten bleiben sollen, nicht für Sanierungen eingesetzt werden sollen, daß also nicht in dem Sinne ein Einsatz erfolgen soll, daß man Verluste zu erwarten hat, die gewissermaßen schon voraussehbar sind. Es geht uns vielmehr darum, auch in den Gebieten im östlichen Grenzraum nach der Sowjetzone die Rationalisierung und Modernisierung der Industrie z. B., die ja überhaupt das große Anliegen Westdeutchlands ist, voranzutreiben. Ja, ich möchte darüber hinaus sagen, wir möchten sie wegen der verlorengegangenen Standortbedingungen für diese Betriebe sogar bevorzugt vorantreiben. Wenn wir das nicht tun, werden wir erleben, daß diese Betriebe bei sich verschärfendem, bei zunehmendem Wettbewerb schließlich zum Erliegen kommen. Das ist nicht unser Anliegen, sondern wir wollen gerade eine Stärkung dieser Betriebe. Die Mittel auch des ERP-Sondervermögens sollen also für die Rationalisierung an sich durchaus gesunder Betriebe in einem größeren Ausmaß als bisher unter Berücksichtigung der Gesichtspunkte, die ich vorgetragen habe, eingesetzt werden. Ich darf auch zu diesem Punkte wiederholen: wir glauben, der Zeitpunkt ist jetzt da, daß man diese Akzentverschiebung vornimmt.
Wir haben sowohl bezüglich der Mittel, die kreditweise gegeben werden sollen, wie auch bezüglich der Kreditbedingungen von dem Herrn Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit eine Zusage erhalten, die ich in dem Bericht über die Verabschiedung des Wirtschaftsplans für das ERP-Sondervermögen heute nachmittag noch erwähnen darf. Es wird jetzt darauf ankommen, wie diese Zusagen verwirklicht werden, insbesondere darauf, wie der Erfolg sich draußen bemerkbar machen wird.
Die Anfrage Drucksache 741, auf die ich,, weil im Wirtschaftspolitischen Ausschuß weitgehend erörtert, nicht mehr im einzelnen einzugehen brauche, ist also nur ein Teilstück dessen, was ich vorhin in einem gewissen Rahmen auszuführen versuchte und wozu wir noch einige Anfragen und Anträge laufen haben, die nachher begründet werden: der Schaffung einer Leitlinie, die für alle Ressorts verbindliche Grundsätze schafft, so daß jedes Ressort und jedes Referat weiß, was man will. Dabei wird man, wie ich schon sagte, noch einmal genau zu untersuchen haben, was man wirklich will; denn die Maßnahme, die für den einen Raum paßt, paßt für den anderen nicht. Ich darf hier ausdrücklich sagen, daß es mir
nicht nur auf das eine, sondern auch auf das andere ankommt. Es müssen einmal Maßnahmen sein, die der Erhaltung dienen, und auf der anderen Seite Maßnahmen, die der Entwicklung dienen; denn wir haben in dem Zonenrandraum Gebiete — denken Sie an das Gebiet Braunschweig oder an das Gebiet Oberfranken um Hof herum —, in denen es eine starke gewerbliche Ansiedlung gibt, in denen wir eine Industriedichte haben, die nur hinter dem Ruhrgebiet und dem Raum um Stuttgart zurücksteht. Es kommt darauf an, dies zu erhalten. Das ist das eine Anliegen. Auf der anderen Seite haben wir Räume, die ebenfalls im Zonenrandgebiet liegen — sei es beispielsweise im Bayerischen Wald, in der Rhön, im Harz oder in anderen Gebieten —, in denen man zu allererst entwickeln muß. Man muß also beides tun, und zwar, wie Sie alle wissen, mit verschiedenen Maßnahmen.
— Betriebe entwickeln liegt schon in dem Ausdruck „Gebiete entwickeln". Das kann man ja wohl nur über Betriebe machen.
Hinsichtlich der Finanzierung habe ich mir erlaubt, vor Ihnen auszubreiten, daß es notwendig sein wird — dazu wird es erheblicher Arbeit und erheblichen guten Willens bedürfen —, die Finanzverfassungsschwierigkeiten, wie sie sich nun einmal aus dem Grundgesetz ergeben, in einem kühnen Entschluß zu überwinden, damit das Hin- und Herschieben, wie ich schon sagte, zwischen dem Art. 30 und dem Art. 120 des Grundgesetzes, kurz gesagt, zwischen Bund und Ländern, einmal aufhört, so daß man über Ressort- und Zuständigkeitsfragen hinweg wirklich zu beschleunigten, zeitgerechten, echten und durchgreifenden Maßnahmen kommt. Dabei soll selbstverständlich nicht übersehen werden, auch die Länder und die Gemeinden zu ihrem 'Teil an diesen Fragen zu be- teiligen. Deshalb zum Schluß noch einmal das Wort Finanzausgleich, sowohl zwischen den Ländern, was uns im Bundestag angeht, wie innerhalb der Länder beim kommunalen Finanzausgleich. Denn wenn man diesen öffentlich-rechtlichen Körperschaften nicht die Mittel an die Hand gibt, können sie sich an der Lösung dieser Frage nicht beteiligen. Es wäre sehr zu bedauern, wenn man von unserem Grundgesetz, das nun einmal diese Finanzverfassung vorsieht, mehr und mehr sagen müßte, seine Grundsätze, die zur Lösung dieser Frage angewendet werden müssen, reichten nicht aus, um diesem nationalpolitischen Problem gebührend zu Leibe zu gehen.
Ich darf schließlich noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen, und zwar gerade im Hinblick auf das ERP-Sondervermögen, daß die Weimarer Republik in den Fragen der Ostgebiete weiter war, als wir es heute sind, daß sich diese Fragen damals leichter lösen ließen, nicht bloß deshalb, weil die Probleme etwa kleiner gewesen wären, nein, auch deshalb, weil man eine andere Finanzverfassung und -organisation hatte und — nun muß ich noch etwas sagen, was mir besonders am Herzen liegt — auch deshalb, weil sich der Staat damals um alle Wirtschaftsfragen nicht in dem Maße kümmerte wie heute und dadurch den Kopf frei und klar behielt für die Gebiete, auf denen seine Hilfe besonders notwendig war.
Heute dagegen kümmert sich der Staat um alles und jedes, auch in wirtschaftlichen Fragen, wie ich es aufzuzeigen versuchte. Dadurch treten notwendigerweise Ermüdungserscheinungen in Staat und Verwaltung auf, gerade bei echten Notfragen, um die es hier heute ging.
Zum Schluß darf ich hinsichtlich der Anträge im Einverständnis mit meinen politischen Freunden die Bitte vortragen, sie außer an die sonst dafür zuständigen Ausschüsse auch an den Gesamtdeutschen Ausschuß zu überweisen, damit sie in dem bei diesem Ausschuß bestehenden Unterausschuß „Zonenrandgebiete" in einer gewissen Koordinierung behandelt werden können, da sie zusammen mit den schon früher gestellten Anträgen ein unteilbares Ganzes bilden.