Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt wohl keinen deutschen Stamm, der den Boden, auf dem er lebt, mit urwüchsiger Kraft selbst hat schaffen und der landwirtschaftlichen Kultur hat erhalten müssen wie gerade die friesische Küstenbevölkerung, die an der deutschen Nordseeküste wohnt. Die holländische Katastrophe des Vorjahres, die in sehr kurzer Zeit etwa 2000 Menschen das Leben gekostet und einen Schaden von 1,2 Milliarden Gulden hervorgerufen hat, hat neben dem Mitgefühl, das sich allenthalben geregt hat, an der Küste aber auch das Gefühl der Sorge wachgerufen. Die Bewohner der deutschen Nordseeküste sagen sich: die gleiche Katastrophe hätte uns treffen können, wenn Wind und Wetter etwas anders gewesen wären. Sie sagen das nicht so obenhin, sondern sie sagen das im Blick auf ihre Geschichte, die sie ja kennen. Wir haben im Laufe der Jahrhunderte an der deutschen Nordseeküste immer wieder derartige Katastrophen erlebt. Ich erinnere Sie an die sogenannte „Weihnachtsflut", die besonders unseren ostfriesisch-oldenburgischen Raum betroffen hat. Die Menschen, die dabei umgekommen sind, sind an Zahl nicht geringer als die Menschen, die bei der holländischen Katastrophe ihr Leben haben lassen müssen: rund 5000 Menschen sind damals an der Küste ums Leben gekommen, ganz abgesehen von dem unermeßlichen Sachschaden, der auch damals entstanden ist.
Es ist an der Küste immer das gleiche: das Meer greift an; Sie sehen den Jadebusen bei Wilhelmshaven oder den Dollartbusen bei Emden oder die uns Küstenbewohnern natürlich im einzelnen noch näher bekannten kleineren Buchten wie die Harlebucht und die Leybucht und wie sie alle heißen mögen. Sie sehen das Meer im Angriff, und Sie sehen die Menschen in der Verteidigung, und immer wieder tritt der Mensch an in diesem Ringen um Boden und nimmt dem Meer wieder ab, was es sich in fürchterlichen Katastrophen einmal genommen hat. Aber das ändert nichts daran, daß solche Katastrophen in allen Jahrhunderten gekommen sind. Leider müssen wir damit rechnen, daß sie auch künftig kommen werden.
Uns beschleicht die Sorge, daß wir nicht gerüstet sein könnten auf die Angriffe und die Katastrophen, die uns möglicherweise bevorstehen.
Denn wir beobachten weiterhin folgendes: wir sehen, daß die Wasserstände in der deutschen Nordsee höher werden, wir sehen, daß jede Sturmflut höher aufläuft als die vorangegangene. Die eigentliche Ursache kennen wir nicht. Ein Teil der Menschen behauptet, es liege an der Küstensenkung, ein anderer Teil behauptet, vielleicht senke sich die Küste auch, aber die Hauptursache seien doch die klimatischen Veränderungen in den polaren Gewässern. Ihnen wird bekannt sein, daß etwa in Grönland jetzt Bezirke der Landwirtschaft erschlossen werden, die früher unter Eis und Schnee lagen, und daß heute in Bezirken die Fischerei betrieben wird, wo das früher gar nicht möglich war. Ob nun Küstensenkung oder ob höhere Wasserstände der Nordsee — das Ergebnis ist für die Küstenbewohner dasselbe; jede Sturmflut läuft höher auf, und die Menschen an der Küste müssen höher nachdeichen.
Die Menschen tun das auch, aber die Nachschau, die sich jetzt nach der holländischen Katastrophe ergeben hat, hat gezeigt, daß die jetzt vorhandenen Deiche jedenfalls einer Katastrophe, wie wir sie im Vorjahr an der holländischen Küste erlebt haben, nicht überall gewachsen wären, und dabei ist gar nicht einmal allenthalben in Rechnung gestellt, daß dieses höhere Anwachsen der Fluten von außen, von dem ich eben gesprochen habe, eigentlich ein noch höheres Aufdeichen zur Folge haben müßte. Nicht daß wir untätig dagesessen hätten. Wir an der Küste deichen eigentlich dauernd. Ich darf daran erinnern, daß beispielsweise in dem Kreis Leer in Ostfriesland, in dem ich wohne, seit zwanzig Jahren ununterbrochen gedeicht wird, um die Deiche wieder auf eine normale Höhe zu bringen, die sie im Laufe der Zeit natürlich immer wieder zu verlieren drohen, und sie auf das Maß zu bringen, das den gegenwärtigen Flutverhältnissen entspricht. Das verlangt aber Aufwendungen, die die uralten Deichkorporationen der Küste selbst nicht mehr tragen können. Allein dieser Deichbau im Bereich von Emden-Leer kostete etwa 7 Millionen DM auf einer Strecke von vielleicht 25 km, und meine engere Heimat in Ostfriesland umgibt ein Deichnetz von 360 km. Insgesamt sind es zwischen Ems und Elbe etwa 700 km Deiche.
Aber es tritt noch ein anderes hinzu, was dem Binnenländer nicht so bekannt ist. Der Binnenländer ist gewohnt, daß sich die sogenannte Vorflut tagtäglich und stündlich abwickeln kann und daß ein Stillstand in der Vorflut nicht eintritt. Bei uns an der Küste ist das wesentlich anders. An der Küste ist es so, daß, wenn man das Land mit Deichen umgibt, das Wasser, das aus dem Hinterland nun durch die Deiche hindurchfließen soll, nur zeitweilig durchfließen kann. Von den 24 Stunden des Tages kann — bei noch ganz normalen Wasserverhältnissen — bei uns im schlechtesten Fall während zweier Stunden, im besten Fall während acht Stunden entwässert werden. In allen übrigen Tag- und Nachtstunden entfällt die Entwässerung, weil das Außenwasser höher ist als das Binnenwasser. Es ist nicht schwer für uns an der Küste — aber wohl etwas schwieriger für den Binnenländer —, sich vorzustellen, was dann passiert, wenn das Außenwasser an der Küste nicht nur einige Tage unruhig wird, sondern einige Wochen unruhig ist und wenn die Außenwasserstände an der Küste dann tagelang immer wieder höher sind als die Binnenwasserstände. Dann versagt die Entwässerung im Lande vollkommen. Dann tritt das ein, was wir kennen, daß wir das aus dem Binnenland nachströmende Wasser künstlich durch die Deiche hindurchpumpen müssen, mit einem erheblichen Aufwand an Geld und Kraft. Die Einrichtungen dafür müssen ja immer wieder den veränderten Verhältnissen angepaßt werden. Ich sagte Ihnen eben, daß die Wasserstände immer höher werden. Infolgedessen müssen wir nicht nur nachdeichen, sondern wir müssen die Einrichtungen, die die Entwässerung des Binnenlandes regeln sollen und auch in der Zeit regeln müssen, wenn eine natürliche Entwässerung nicht mehr möglich ist, immer wieder den schwierigen Verhältnissen anpassen. Auch das muß immer kräftiger und stärker geschehen, damit wir unser Land einigermaßen trocken und wirtschaftlich verwertbar halten können.
Es wäre ungerecht, wenn wir von der Küste bei dieser Gelegenheit nicht zum Ausdruck brächten, daß uns in diesem schweren Kampf, den wir seit Jahrhunderten führen und immer wieder führen müssen, früher das Reich und Preußen und jetzt der Bund und die Länder unterstützt haben bzw. unterstützen. Hätten sie das nicht getan, wäre der Zustand, den wir augenblicklich haben, gar nicht mehr vorhanden. Die Kraft der Bauern allein reicht nicht aus. Es ist von meinem Vorredner schon hervorgehoben worden, daß das wirtschaftliche Absinken der Küstengebiete natürlicherweise gerade die Kräfte schwächt, die in erster Linie berufen sind, diese Deich- und Sielarbeit, wie wir sie nennen, zu finanzieren. Gerade durch das wirtschaftliche Absinken der Küstengebiete wird die Abwehrkraft der Deich- und Siel-Korporationen immer schwächer gemacht. Um so notwendiger ist es, daß sich der Bund und das Land, wie sie es früher getan haben, auch künftig an dieser Arbeit finanziell beteiligen.
Das Ergebnis ist folgendes: Die Deichsicherheit ist nicht mehr allenthalben gewährleistet. Die Entwässerung ist von Jahr zu Jahr schlechter geworden. Wir hatten in früheren Jahrhunderten an der Küste die „Herrschaft über das Wasser". Ohne diese Herrschaft kann man eine gute Landwirtschaft gar nicht betreiben. Aber wir haben diese Herrschaft inzwischen verloren infolge der höheren Wasserstände draußen, aber auch infolge der höheren Wasserstände drinnen. Denn das Fortschreiten der landwirtschaftlichen Kultur, die Meliorationen, die Dränagen, das Fortschreiten der Arbeiten an den Flüssen, die Flußkorrektionen, die Verringerung der Flußlängen, die Beseitigung der Flußschleifen, die Moorkultivierungen, all das hat ja zur Folge, daß das Wasser aus dem Binnenlande in den entscheidenden kritischen Tagen sehr viel schneller an die Küste herankommt, als es normal gekommen sein würde, wenn diese Maßnahmen nicht getroffen wären. Gerade auf diese kritischen Tage und Wochen kommt es aber entscheidend an.
Wenn wir also sagen: Die Deichsicherheit ist nicht mehr gewährleistet und die Entwässerung ist allenthalben schlechter geworden, so bitten wir damit gleichzeitig. das Hohe Haus — nachdem sich der Ernährungsausschuß von diesen Zuständen selber ein Bild gemacht hat —, uns dabei zu helfen, daß wir, die wir hinter dem Deiche leben müssen, wieder das Gefühl haben dürfen, in Sicherheit zu leben, und daß wir die Gewißheit haben dürfen, daß unsere Arbeit, die hauptsächlich in der Landwirtschaft geleistet werden muß, nicht nur gesichert ist, sondern sich auch lohnt.
Ich darf zum Schluß darauf aufmerksam machen: Wenn wir Wünsche zu einer Zusammenfassung der
Kräfte in einem 10-Jahres-Plan zum Ausdruck bringen, so glauben wir, versichern zu dürfen, daß sich diese Hilfe auch wirklich lohnt. Wir müssen doch daran denken, daß etwaige Katastrophen, die wir erleben könnten, neben den unersetzlichen Menschenverlusten auch materielle Schäden hervorrufen könnten, wie wir sie jetzt in Holland sehen. Wir wissen, was es bedeutet, wenn diese Schäden hinterher wieder einigermaßen ausgeglichen werden müssen. Diese Aufwendungen machen ein Vielfaches der finanziellen Aufwendungen aus, die wir jetzt machen könnten, um die Sicherheit zu gewährleisten.
Volkswirtschaftlich scheint uns diese Maßnahme abgesehen von dem Sicherheitsgefühl, das der Bevölkerung an der Küste wieder gegeben werden muß, auch gerechtfertigt zu sein. Von meinem Vorredner wurde bereits hervorgehoben, daß sich landwirtschaftliche Mehrerträge ergeben werden, so daß sich die Beträge, die jetzt aus öffentlichen Mitteln hineingesteckt werden müssen, dann vielfältig verzinsen.
Und noch ein Gesichtspunkt! Nach dem, was wir erlebt haben, und nach dem, was wir aus unserer Geschichte an der Küste wissen, können wir nicht warten. Die Sturmflut und das Meer warten auch nicht; sondern die Sturmflut und das Meer verlangen von uns, daß wir wie unsere Vorväter das Unsere tun, damit wir für etwaige Katastrophen, die sich anbahnen könnten, gerüstet sind. Es gibt ein stolzes Wort in der Küstenbevölkerung, das sich durch die Jahrhunderte hindurch erhalten hat. Es lautet: „Gott schuf das Meer, die Friesen aber schufen die Küste". Daran ist viel Wahres. Helfen Sie uns Küstenbewohnern dazu, daß wir die Küste weiterhin verteidigen können und daß sich hinter der Küste ein wirtschaftlich blühendes Leben wieder entfalten kann, das immer weiter abzusinken droht.
Ich habe den Wunsch, Ihre Sympathien für diesen Küstenplan zu erringen und Ihre Sympathien dafür mobil zu machen. Ich darf Sie bitten, dem Antrag zuzustimmen, diesen Küstenplan zunächst dem Haushaltsausschuß und dem Ernährungsausschuß zu überweisen.