Rede von
Robert
Dannemann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als am 1. Februar vorigen Jahres eine Unwetterkatastrophe in den Niederlanden zu großen Deichbrüchen führte und durch die folgende Überflutung weiter Landstriche über 2000 Menschen neben Tausenden von Tieren ums Leben kamen und rund 100 000 Menschen evakuiert werden mußten, da ging ein Schaudern durch die gesamte Welt. Mit banger Sorge legten sich die für die Sicherheit unseres Landes zuständigen Stellen die Frage vor, was wohl geschehen wäre, wenn der Wind aus einer anderen Richtung gekommen wäre, ob dann nicht eine ähnliche Katastrophe auch bei uns hätte Platz greifen können.
Leider muß diese Frage bejaht werden. Tatsache ist, daß seit 1914 an der gesamten Nordseeküste die notwendigen Ergänzungsarbeiten nur in beschränktem Umfange haben durchgeführt werden können. Es ist aber eine Tatsache, daß jährlich unsere Deiche um etwa 1 cm sacken und daß darüber hinaus durch die Küstensenkung im Laufe von 100 Jahren eine weitere Sackung von 20 bis 40 cm eintritt. Hinzu kommt, daß durch die in 'den letzten Jahrzehnten vorgenommenen Begradigungen unserer Flüsse, durch den Ausbau von Kanälen und sonstigen Wasserstraßen die Fluten ständig höher auflaufen. Ja, wir haben heute zum Teil Deiche, die bis zu 1 m Minderbestick aufweisen. Allein im Lande Niedersachsen liegen in dem sogenannten Tidegebiet über 500 000 ha, davon
*) Siehe Anlage 10. 80 000 ha unter dem Meeresspiegel. Dieses umfangreiche Gebiet ist durch mehr als 650 km Deiche geschützt. Aber all die Ländereien, von denen ich eben gesprochen habe, diese über 500 000 ha sind an jedem Tage zweimal der Einwirkung von Ebbe und Flut unterworfen. Wären die Deiche nicht vorhanden, könnte das Land nicht landwirtschaftlich genutzt, geschweige denn überhaupt bebaut werden.
In jahrhundertelangem harten Kampf haben die Marschbewohner dieses Land dem Meere abgerungen und versucht, es landwirtschaftlich zu nutzen. Dabei handelt es sich zum Teil um recht fruchtbare Böden mit einem Einheitswert von 2000 DM und darüber je Hektar.
Wenngleich die Deiche das Land vor einer Überflutung schützen, so ist die Binnenentwässerung keineswegs ausreichend. Zwar durchzieht ein sehr großes und starkes Netz von Kanälen und Gräben das gesamte Gebiet. Wir haben über 100 000 km Gräben in diesem Gebiet; das heißt, auf einen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche entfallen im Oldenburger und ostfriesischen Raum etwa 140 bis 150 m Gräben, und im Lande Staden steigt diese Zahl sogar bis zu 500 m je Hektar. Daraus kann gefolgert werden, daß im Durchschnitt etwa 12 % des Landes allein durch Gräben und Grüppen verlorengeht, ja in einzelnen Gebieten bis zu 20 % Landverlust entsteht. Durch eine große Zahl von Schöpfwerken versucht man, binnendeichs das Land wasserfrei zu halten. Trotz der sehr hohen finanziellen Belastung der Eigentümer durch Deich- und Sielgebühren, die etwa 10 bis 20 DM/ha an baren Kosten und 20 bis 50 DM/ha an unbaren Kosten betragen, ist, wenn das Land auch wasserfrei gehalten wird, die Binnenentwässerung so unzureichend, daß der gesamte Küstenstrich mehr oder weniger einseitig nur für die Grünlandwirtschaft, zum großen Teil nur für eine sehr schlechte Grünlandwirtschaft, genutzt werden kann.
Der Ernährungsausschuß dieses Hohen Hauses hatte im Sommer Gelegenheit, sich an Ort und Stelle über die dortigen Verhältnisse eingehend zu informieren. Er konnte feststellen, daß selbst diese fruchtbaren Böden, die, wie ich erwähnte, einen Einheitswert von 2000 DM je Hektar haben, wegen der einseitigen Nutzung als Grünland und wegen der schlechten Wasserführung nur einen Rohertrag von durchschnittlich 700 bis 800 DM je Hektar aufweisen; ja, in der Moormarsch, in den Moorbezirken betragen die Roherträge im Durchschnitt 500 bis 600 DM.
Es ist ganz klar, daß unter diesen Voraussetzungen der gesamte Strich an der Küste an der gewaltigen Ertragssteigerung in den letzten Jahrzehnten, an der Rationalisierung, der Technisierung, der Fruchtfolgeumgestaltung überhaupt nicht hat teilnehmen können; im Gegenteil, wir müssen feststellen, daß in diesem Gebiet in den letzten Jahrzehnten praktisch fast ein Stillstand eingetreten ist. Die Verschuldung nimmt ständig zu. Sie hat sich besonders seit 1950 etwa verdreifacht. Eingriffe in die Viehbestände, Landverkäufe und Zerschlagung der Betriebe sind an der Tagesordnung, und Handel und Gewerbe fechten ebenfalls einen verzweifelten Kampf. Eine industrielle Erschließung war bislang nicht möglich, da sowohl die Wasserversorgung als insbesondere auch die Stromversorgung und die Straßenverkehrsverhältnisse so rückständig und schlecht sind, daß eine industrielle Erschließung unter den derzeitigen Verhältnissen sehr schwer möglich ist.
So mußte in den letzten Jahren ein Gebiet nach dem anderen zum Notstandsgebiet erklärt werden. Die Zahl der Arbeitslosen ist in diesem gesamten Küstenstrich weit über den Durchschnitt des Landes Niedersachsen hinausgekommen; sie betrug im letzten Sommer allein bei den männlichen 27 000 und stieg im Winter auf 38 000. Allein im Lande Oldenburg und im Regierungsbezirk Aurich wurden im Durchschnitt der letzten Jahre 55 Millionen DM Arbeitslosenunterstützung gezahlt, dazu im Lande Staden 28 Millionen DM. Das heißt, in ,diesem Tidegebiet sind an unproduktiver Arbeitslosenunterstützung im letzten Jahr 83 Millionen DM gezahlt worden. Es unterliegt gar keinem Zweifel — und die von uns angelegten Versuchsflächen haben das ganz eindeutig erwiesen —, daß es bei einer entsprechenden Verstärkung der Deiche, bei einer verbesserten Melioration und einer Veränderung des Kulturartenverhältnisses durchaus möglich ist, die Erträge in dem gesamten Gebiet je Hektar um etwa 300 DM zu erhöhen. Da es sich hierbei, wie angeführt, um etwa 540 000 Hektar handelt, würde man bei einem entsprechenden Meliorationsprojekt spielend und mit Sicherheit eine Ertragssteigerung von etwa 170 Millionen DM im Jahre erreichen können. Man kann sich leicht ausrechnen, wie sich ein solches großzügig angepacktes Meliorationsprojekt nicht nur auf die Landwirtschaft, sondern auf die ganze Wirtschaft der dortigen Gegend auswirken muß, ja ich behaupte: es gibt im ganzen Bundesgebiet kein ähnlich günstig sich auswirkendes und kein ähnlich schnell und kurzfristig sich verzinsendes Meliorationsprojekt wie hier an der Küste.
Seit Jahren haben wir uns mit diesem Plan befaßt und haben nunmehr in Zusammenarbeit mit der Regierung in Hannover, mit den Deich- und Sielverbänden und den Landwirtschaftskammern einen sogenannten Küstenplan aufgestellt, dessen umfangreiches Material den hiesigen und den sonst in Frage kommenden Stellen zugeleitet worden ist. Mit kleinlichen Maßnahmen ist hier nichts zu machen, sondern das gesamte Tidegebiet muß als eine Einheit gesehen und einheitlich angepackt werden. Es ist ganz unbestritten, daß der Deichschutz, ,d. h. der Schutz des gesamten Landes, eine Bundesangelegenheit ist, ganz abgesehen davon, daß die Finanzierung dieses Projekts über die Leistungsfähigkeit der Deich- und Sielverbände und des Landes Niedersachsen weit hinausgeht. Die in dem Plan vorgesehenen Maßnahmen wird man in Etappen, und zwar in einem Zehnjahresturnus, ergreifen müssen, wobei wir insonderheit die Verstärkung der Deiche und daneben umfangreiche Meliorationsmaßnahmen, Verbesserung der Wasser- und Stromversorgung, Investierungen der Betriebe, Verbesserung der vollkommen unzureichenden Straßen- und Wegeverhältnisse, Flurbereinigung, Landgewinnungsarbeiten und Maßnahmen gewerblicher und industrieller sowie kultureller Art an die Spitze gestellt haben, um dieses in den letzten Jahrzehnten in Not geratene Gebiet wieder zu einem produktiven Landstrich werden zu lassen.
Ist schon von jeher jede Meliorationsmaßnahme vom Staat aus gesehen eine notwendige und volkswirtschaftlich wichtige Angelegenheit gewesen, so kommt bei diesem Projekt hinzu, daß es sich hier um eine Maßnahme handelt, die zudem eine für den Staat allerbeste Verzinsung erbringt. Alles spricht also für diesen Küstenplan, und jeder, der einmal Gelegenheit gehabt hat, sich an Ort und Stelle von den dortigen Zuständen zu überzeugen, kann gar nicht anders als zu dem Ergebnis kommen, daß seitens des Bundes und des Landes schnellstens gehandelt werden sollte. So ist es auch kein Zufall, daß sich in dem vorliegenden Antrag alle Fraktionen des Hohen Hauses zusammengefunden haben und daß sich eine so große Zahl von Abgeordneten aus allen Berufen, aus allen Kreisen diesem Antrag angeschlossen haben.
Ich darf das Hohe Haus bitten, dem von uns vorgelegten Antrag zuzustimmen und durch die Mitarbeit in den Ausschüssen dafür Sorge zu tragen, daß unser Plan in wirklich erfolgversprechender Form schnellstens zum Zuge kommt, und zwar so schnell, daß auch haushaltsmäßig die dafür erforderlichen Gelder so frühzeitig bereitstehen, daß wir noch im nächsten Jahre anfangen können. Abschließend darf ich bitten, den Antrag dem Haushaltsausschuß und dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu überweisen.