Rede von
Erich
Ollenhauer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich in so später Stunde noch einmal das Wort nehme; aber es wäre eine Unhöflichkeit gegenüber dem Herrn Bundeskanzler, wenn ich auf seine letzten Ausführungen nicht antwortete.
Er hat sie mit der Feststellung eingeleitet, daß nach seinem Eindruck in der letzten halben Stunde eine völlig veränderte Stellung der Sozialdemokratie zur Frage der Verteidigung der freien Welt sichtbar geworden sei. Nun, meine Damen und Herren, da ich dem Herrn Bundeskanzler nicht unterstellen will, daß er mit dieser Bemerkung nur einer Diskussion über den materiellen Inhalt unserer Anträge und einer Abstimmung darüber ausweichen möchte, sondern unterstelle, daß er wirklich von der Sorge erfüllt ist, festzustellen, welche Haltung die Sozialdemokratie in den uns alle bewegenden Fragen hat, möchte ich ihm hier einige Aufklärung geben. Es liegt an der mangelnden Zusammenarbeit zwischen dem Herrn Bundeskanzler und dem Parlament, daß solche Aufklärung in einer Plenarsitzung des Bundestages gegeben werden muß.
Was zunächst einmal den militärischen Beitrag der Bundesrepublik zu einem westlichen Verteidigungssystem angeht, so ist die Haltung der Sozialdemokratie völlig klar und seit Jahren unverändert. Der Herr Bundeskanzler hat völlig recht gehabt, hier Äußerungen von mir von dieser Stelle aus aus dem Jahre 1952 zu zitieren, in denen ich mich im Namen meiner Partei zu dem Grundsatz der Verteidigung der Freiheit und der Demokratie auch mit militärischen Mitteln 'bekannt habe. Unsere Auseinandersetzung in den vergangenen Jahren ging überhaupt nicht um das Prinzip,
sondern um die Frage — in der wir anderer Meinung waren als Sie — der Zweckmäßigkeit der EVG und der Auswirkungen einer Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der EVG auf die Frage der Wiedervereinigung. Nun, jetzt ist die EVG gefallen; jetzt stehen wir vor dem Versuch, die Bundesrepublik im Rahmen der Londoner Vereinbarung in den Brüsseler Pakt und über den Brüsseler Pakt in die NATO einzugliedern.
Die Sozialdemokratie hat heute durch ihre Redner ihre Position wiederum sehr klar gekennzeichnet. Ich habe heute abend noch einmal verlesen, was wir gesagt haben. Wir wünschen nicht, daß die Bundesrepublik jetzt neue militärische Verpflichtungen im Rahmen der NATO übernimmt, solange nicht durch neue Verhandlungen die Frage der Wiedervereinigung und die Möglichkeit ihrer Lösung untersucht ist.
Das ist unsere Position. Darin liegt nicht, Herr Bundeskanzler, irgendeine andere Haltung in bezug auf unsere grundsätzliche Einstellung gegenüber der Frage der Verteidigung und des Anteils der deutschen Bundesrepublik an einer solchen Verteidigung. Im Gegenteil, ich habe heute morgen, um auch das noch einmal zur Information des Herrn Bundeskanzlers in die Erinnerung zurückzurufen, sogar ausdrücklich erklärt, meine Damen und Herren: Wenn dieser von uns für notwendig gehaltene Versuch neuer Verhandlungen über die Wiedervereinigung scheitert, dann wird sich die Sozialdemokratische Partei in vollem Umfange an die Beschlüsse gebunden halten, die die Partei auf ihrem Berliner Parteitag gefaßt hat.
In diesem Beschluß ist die Bereitschaft der Sozialdemokratie zur Mitarbeit an einer Verteidigung unter dieser Voraussetzung der Unmöglichkeit der Wiedervereinigung in absehbarer Zeit genau so positiv ausgedrückt wie in früheren Beschlüssen. Es kann also überhaupt nicht die Rede davon sein, daß in dieser grundsätzlichen Frage irgendeine Änderung, irgendeine Unsicherheit oder irgendein
Abschwächen unseres Standpunktes zu verzeichnen wäre. Wenn wir das für nötig hielten, meine Damen und Herren, würden wir es hier in aller Öffentlichkeit vor Ihnen erklären,
weil man nämlich in Lebensfragen des Volkes keine illegale Geheimpolitik machen kann.
Lassen Sie mich dazu noch ein Wort sagen. Vielleicht gelingt es mir, hier ein Wort aus der Diskussion herauszubringen, das — ich meine es jetzt ganz von der Sache her — überhaupt nicht in den Zusammenhang mit der Diskussion über die Vorschläge zu der Position eines wiedervereinigten Deutschlands, so wie wir sie sehen, gehört. Alles nämlich, was ich hier über die Mitgliedschaft Deutschlands in einem kollektiven europäischen Sicherheitssystem im Rahmen der UNO gesagt habe, bezieht sich auf ein Gesamtdeutschland nach der Wiedervereinigung.
Nun das Zweite, was ich sagen möchte. Neutralisation oder Neutralisierung bedeutet doch, wenn ich das recht verstehe und wenn wir über den Begriff objektiv reden wollen, die Vorstellung, man könne eine Land wie Deutschland im Zentrum Europas in irgendeiner Weise aus den politischen, wirtschaftlichen, wenn Sie wollen, auch militärischen Gegebenheiten einfach ausklammern und inmitten Europas ein Vakuum schaffen. Eine solche Vorstellung ist absolut irreal,
und sie entspricht in keiner Weise der sozialdemokratischen Auffassung.
Meine Damen und Herren, ich sage das hier nicht in Verteidigung gegenüber irgendeiner Bemerkung vorher. Die Vorstellung, die wir in bezug auf den militärischen Status haben — und vielleicht gibt es da eine Meinungsverschiedenheit, über die wir einmal intensiver diskutieren können —, ist die: Wir würden es nicht für richtig und für das Schicksal des deutschen Volkes nicht für glücklich halten, wenn sich ein Gesamtdeutschland, ein freiheitliches und demokratisches Deutschland etwa in dieser Welt auf dem Gebiet der Militärallianzen auf die eine oder andere Seite schlüge,
sondern wir sind der Meinung,
— entschuldigen Sie;
entschuldigen Sie; darf ich fortfahren — daß die deutsche Position im Rahmen eines mit den Hauptbeteiligten vereinbarten und ausgehandelten europäischen Sicherheitssystems sein sollte. Das hat nichts mit Neutralität zu tun, sondern das bedeutet die Eingliederung Deutschlands in eine Gemeinschaft der Völker, die sich durch die höchste internationale Organisation, nämlich die Vereinten Nationen, gebunden fühlt.
Daß in bezug auf die politische, geistige, kulturelle
Einstellung dieses Volkes, daß in bezug auf seine