Rede von
Dr.
Adolf
Arndt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens und im Auftrage der sozialdemokratischen Fraktion stelle ich den Antrag, daß über den Entschließungsentwurf Drucksache 863 namentlich abgestimmt wird.
Nur mit einigen wenigen Worten will ich in dieser vorgerückten Stunde den Antrag auf Drucksache 863 und die Notwendigkeit der namentlichen Abstimmung noch einmal begründen.
Der Herr Kollege Gerstenmaier hat mit an die Spitze seiner Ausführungen den Wunsch gestellt, daß wir uns um ein Maximum an nationaler Solidarität bemühen sollten. Nun, die Probe darauf ist leicht zu machen: unbeschadet unserer Meinungsverschiedenheiten über die Londoner Schlußakte sollten wir uns doch wirklich alle auf diesen sozialdemokratischen Antrag — Drucksache 863 — einigen können. Da zeigt sich dann, wieweit wir uns darum bemühen. Denn in diesem Antrag ist gesagt, daß die Regierung ersucht wird, „in Besprechungen mit den drei westlichen Besatzungsmächten die Grundlagen einer gemeinsamen Politik zu klären, die in kommenden' Vier-Mächte-Verhandlungen die Wiedervereinigung Deutschlands herbeiführen soll." Ich habe in den vorausgegangenen Diskussionsreden nichts gehört, was einer solchen nüchternen und vernünftigen Forderung entgegenstehen könnte. Daher — so wird zweitens in unserem Entschließungsentwurf gesagt — soll zu den in der Londoner Akte vorgesehenen speziellen Verhandlungskommissionen die Bildung einer weiteren Kommission betrieben werden, „deren Aufgabe es sein soll, für das in Nr. 4 der Erklärungen der drei Westmächte in Abschnitt V der Akte aufgestellte Ziel gemeinsame Richtlinien festzustellen und eine einheitliche Politik zu ermöglichen".
Es sind hier heute sehr große Worte gemacht worden; es sind von verschiedenen Diskussionsrednern ganze Philosophien der Politik entwickelt worden. Aber, Herr Ehlers, den Vorwurf, daß wir über die Wiedervereinigung nichts Konkretes gehört hätten, den gebe ich an Sie, Ihre Freunde und Ihre Koalition zurück.
Hier ist doch unser Anliegen: daß man sich einmal zusammensetzen soll, um die Politik der Wiedervereinigung zu konkretisieren, und daß dazu auch die Bildung einer Kommission erforderlich ist.
Drittens heißt es in unserm Antrag: „bei den westlichen Besatzungsmächten darauf hinzuwirken, daß mit der sowjetischen Besatzungsmacht sobald wie möglich Verhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit und die Eingliederung Deutschlands in ein europäisches Sicherheitssystem im Rahmen der Vereinten Nationen aufgenommen werden". Hierzu hat der Kollege Gerstenmaier gesagt, das sei deshalb nicht möglich, weil die Lagebeurteilung seitens der Mehrheit und der Minderheit dieses Hauses verschieden sei. Aber was hindert denn das die Regierung, die westlichen Besatzungsmächte auf die Notwendigkeit dieser Vier-Mächte-Verhandlungen hinzuweisen? Doch in gar keiner Weise.
Hier muß ich ein Zweites hervorheben, eine Frage, die von der Mehrheit und auch von der Bundesregierung nicht beantwortet worden ist. Mein Freund Erich Ollenhauer, mein Freund Carlo Schmid und mein Freund Fritz Erler haben sehr deutlich die Frage gestellt: Wann ist denn nun nach Auffassung der Regierung und nach Auffassung der Koalition die Stunde für Vier-Mächte-Verhandlungen reif? — Diese Frage ist unbeantwortet geblieben.
— Also, bitte, Herr Bundeskanzler, wir alle sind Ihnen dankbar, wenn Sie uns sagen, wann die Stunde reif ist.
— Wir sagen, daß sich die Verhandlungen jetzt sobald wie möglich anschließen sollen,
wobei sich der Westen selbstverständlich vorher untereinander verständigen muß, mit welchem Programm einer deutschen Wiedervereinigung er in die Verhandlungen geht, wobei unser sehr konkreter Vorschlag der der Bündnisfreiheit ist, wie Carlo Schmid und Fritz Erler und Ollenhauer ausgeführt haben. Kein Mensch bei uns — Herr Bundeskanzler, da darf ich jetzt noch einmal auf Ihre Frage antworten — stellt sich vor, daß ein in sich zerrissenes und geschwächtes und miteinander verfeindet liegengebliebenes Europa, um Ihr Wort zu zitieren, das von den Vereinigten Staaten verlassen wird, nun darauf hofft, daß die Sowjetunion kommt und uns die Zone in Frieden und Freiheit auf den Händen entgegenbringt und sagt: Da habt Ihr euch wieder und seid glücklich! — Nun, Herr Kollege Dehler hat von dem Niveau des Fünfzehnjährigen gesprochen; ich glaube, es gibt nicht einmal Fünfjährige, die sich vorstellen, daß etwas Derartiges geschehen könnte. Das ist doch immer diese verfehlte Methode, so zu tun, als gäbe es entweder nur
EVG oder die Katastrophe, als gäbe es entweder nur den Weg der Londoner Akte mit der einseitigen Einbeziehung Westdeutschlands in ein westliches Militärbündnis oder aber ein in sich zerrissenes, geschwächtes und miteinander verfeindetes Europa, als ob nicht die europäischen Mächte mit Amerika zusammen sich hinsetzen könnten, um das zentralste Problem der Weltsicherheit, das es gegenwärtig gibt, nämlich das der Einigung Deutschlands im Rahmen der Vereinten Nationen, miteinander zu besprechen, die Sowjetunion beim Worte zu nehmen und zu sagen: Jawohl, wir sind bereit zu verhandeln, und das hier sind unsere konkreten Vorschläge, so stellen wir uns die Dinge vor.
Aber man sollte nicht in einem Zustand, wie Sie ihn geschildert haben, dahingehen! Unser Vorwurf gegen das, was in London geschehen ist, ist ja der, daß bei allem guten Willen, den man dort gehabt hat und den wir dankbarst anerkennen, die Konferenz in. London mit der falschen Tagesordnung stattgefunden hat,
nämlich mit der falschen Tagesordnung, daß man eine Notlösung behandelt hat, statt das zentrale Problem anzugehen: wie kann man durch VierMächte-Vereinbarungen Deutschland wieder vereinigen?
Dann darf ich zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Gerstenmaier noch etwas sagen. Herr Kollege Gerstenmaier hat immer wieder bedauert, wir hätten am Londoner Ergebnis nicht gerühmt, daß es den Schlußstrich unter die „Besetzung Deutschlands" ziehe. Herr Kollege Gerstenmaier, hier ist Ihnen ein Irrtum unterlaufen! Selbst wenn ich unterstellte, daß die Londoner Akte uns vom Besatzungsstatut frei mache, dann muß immer noch gesagt werden, daß sie erst nur das besetzte westliche Deutschland frei macht.
— Ja, „sicher" sagen Sie; und das ist eben für uns noch nicht der Grund zum Jubeln, solange wir nicht die zentrale Frage gelöst haben.
Aber auch das wissen wir nicht einmal — der Herr Bundeskanzler, der sich inzwischen zu Worte gemeldet hat, schuldet uns noch immer die Antwort auf das, was Fritz Erler ihn gefragt hat —, was unter den rechtlichen Hinderungsgründen zu verstehen ist, die ein Einschreiten der Hohen Kommissare ermöglichen können. Solange das nicht geklärt ist, besteht die Notstandsklausel und sind wir das Besatzungsstatut noch nicht losgeworden.