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ID0204706100

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  • tocInhaltsverzeichnis
    2. Deutscher Bundestag — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Oktober 1954 2235 47. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 7. Oktober 1954. Geschäftliche Mitteilungen . . . . 2235, 2320 A Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung vom 5. Oktober 1954 (Londoner Konferenz) (Anträge Drucksachen 863, 864): 2235 C Ollenhauer (SPD) 2235 A, 2306 C, 2308 B, 2309 A, 2314 B Dr. von Brentano (CDU/CSU): zur Sache .. 2242 B, 2248 B, 2305 A, B zur Geschäftsordnung .. . . . 2286 C Erler (SPD) . . 2248 B, 2287 A, D, 2290 D, 2291 C, 2292 A, B, 2294 A, 2317 D, 2318 C Dr. Dehler (FDP) 2249 D Haasler (GB/BHE) 2249D Dr. von Merkatz (DP): zur Sache 2257 D zur Geschäftsordnung. . . . 2286 A, D Dr. Baron von Manteuffel-Szoege (CDU/CSU) 2264 D Stegner (Fraktionslos 2267 B Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . 2269 B, 2277 D, 2316 C Kiesinger (CDU/CSU) . . . 2274 A, 2290 C, 2291 C, 2293 D Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . 2282 A, 2287 D, 2305 C, 2311 D, 2315 C, 2317D, 2318 C, D Mellies (SPD) (zur Geschäftsordnung) 2286 B Euler (FDP) : zur Geschäftsordnung 2286 C zur Sache . . . . . . . . 2319 C D. Dr. Gerstenmaier (CDU/CSU) . 2292 A, C, 2294 D, 2304 B, 2308 A, 2309 A, C, 2319 B D. Dr. Ehlers (CDU/CSU) . . 2299 C, 2300 C, 2310 B, 2311 B Dr. Arndt (SPD) 2300 C, 2303 A, 2304 C, 2305 B, C Wehner (SPD) 2309 D Heiland (SPD) 2311 A Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) . . . 2312 C Dr. Kather (GB/BHE) 2319 A Überweisung des Antrags Drucksache 863 an den Auswärtigen Ausschuß . . . . 2320 C Annahme des Antrags Drucksache 864 2320 C Nächste Sitzung 2320 C Die Sitzung wird um 9 Uhr 5 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Dr. Hermann Ehlers


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gedenke Sie in dieser vorgerückten Stunde nicht lange aufzuhalten. Mir liegt nicht daran, noch einmal in eine Einzelbetrachtung dessen einzutreten, was heute gesagt worden ist. Ich widerstehe auch wie einige Redner vor mir und insbesondere der Herr Bundeskanzler der Versuchung, eine vergleichende Geschichtsbetrachtung aus den Bundestagsprotokollen der letzten Jahre anzustellen

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU)

    und nachzulesen, was etwa über die Notwendigkeit und die wünschenswerte Zulassung zur NATO oder über den Pazifismus oder über das Junktim zwischen einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und der Herstellung der deutschen Souveränität gesagt ist. Aber es ist doch weit über das hinaus, was die Apokryphen in der Bibel bedeuten, gut und nützlich, solche Dinge wieder einmal nachzulesen, weil sie ein interessantes Bild politischer Entwicklung und politischer Argumentationen je nach der augenblicklichen Lage und den Bedürfnissen des Tages geben.
    Ich habe mir aber während dieser Debatte zwei Dinge überlegt. Wie wird das, was hier gesagt ist, auf zwei Gruppen von Menschen unseres Volkes wirken, an denen uns aufs äußerste liegt, einmal auf die deutsche Jugend, an die nun, wenn diese Verträge realisiert werden, irgendwann die Forderung, eine Uniform anzuziehen, herantreten wird? Und wie wird das, was hier heute gesprochen ist, wirken auf die Deutschen in Berlin und jenseits der Zonengrenzen drüben im Osten? Ich meine, daß wir verpflichtet sind, hier nicht nur theoretisch zu diskutieren, nicht nur Paragraphen zu sehen, sondern daß wir allerdings verpflichtet sind, die lebendigen Menschen ins Auge zu fassen und ihre Reaktionen, ihre Nöte und Schwierigkeiten uns vor Augen zu stellen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der DP.)

    Unter diesem Gesichtspunkt habe ich das, was Herr Kollege Ollenhauer gesagt hat und was auch dann und wann in der Diskussion von seiten der Opposition ausgesprochen worden ist, doch nicht ohne Sorge gehört, weil bei denen, die nun vielleicht nicht alle Hintergründe zu erkennen vermögen, doch der Eindruck lebendig werden könnte: Die Zeit der Bedrohung ist vorüber, es ist keine ernsthafte Gefahr mehr; Rußland wird nicht angreifen und keinen Krieg mehr wollen; Militär ist nicht mehr nötig, man muß eine internationale Abrüstung durchführen. „Das Opfer der deutschen Jugend" — das haben Sie gesagt, Herr Kollege Ollenhauer — „ist nicht mehr zumutbar, wenn der Effekt für die Sicherheit gleich Null wäre."

    (Sehr richtig! bei der SPD.)



    (D. Dr. Ehlers)

    Natürlich, wenn er gleich Null wäre, würden Sie recht haben. Aber ich glaube, daß genau das Gegenteil richtig ist und daß das Gesamtbild dessen, was wir vor uns haben, deutlich macht, daß weder die Bedrohung weggefallen ist noch daß wir aus der Gefahrenzone heraus sind noch daß die Wirkung für die Sicherheit Deutschlands und Europas 'gleich Null wäre.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Herr Kollege Ollenhauer hat in der ersten Grundsatzdebatte über diese Fragen — und sie ist ja immerhin nun schon drei Jahre alt — etwas gesagt, was wir uns wahrscheinlich damals alle zu eigen gemacht haben und von dem ich hoffe, daß wir es uns heute auch noch zu eigen machen, nämlich den Satz:
    Die Frage eines deutschen Verteidigungsbeitrages ist keine moralische, sondern eine politische Frage, und sie muß und kann allein unter politischen Gesichtspunkten entschieden werden. Die Anhänger einer pazifistischen Idee müssen sich darüber klar sein, daß sie die Freiheit, nach ihren pazifistischen Grundsätzen zu leben, nur so lange haben werden, wie es gelingt, die Freiheit der Demokratie zu erhalten. Die Alternative sind die Konzentrationslager der totalitären Systeme.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Meine Damen und Herren, mir liegt nicht daran, Herrn Kollegen Ollenhauer an Dingen festzuhalten, die er vielleicht heute nicht mehr will. Mir liegt gar nichts an der Polemik überhaupt.

    (Abg. Ollenhauer: Genau dasselbe würde ich heute wieder sagen, Herr Kollege Ehlers!)

    — Also, Herr Kollege Ollenhauer, Sie tun mir den größten Gefallen, der möglich ist, weil mir in diesem Augenblick nach dieser manchmal widerspruchsvollen Debatte daran liegt, wenigstens gewisse Momente herauszustellen, in denen wir uns, auch wenn wir uns über die Wege nicht einig sind, im Grundsatz einig sind. Ich glaube, das ist eine gute und notwendige Aufgabe.
    Aber nachdem nun auch der Beschluß der Jugend des Deutschen Gewerkschaftsbundes vorliegt, daß man nicht bereit sei, wieder Waffendienst zu leisten, scheint mir die Versuchung, zu glauben, es sei nicht mehr nötig, so zu verfahren, wie die Mehrheit dieses Hauses es gebilligt hat, wie die Bundesregierung es getan hat, groß zu sein. Ich möchte dem ausdrücklich widersprechen, weil ich nicht glaube, daß die Vorstellung, man könne zu einer Abrüstung und zu einer Beseitigung militärischer Macht in der Welt dadurch kommen, daß die einen vorangehen und die anderen es nicht tun, eine richtige Vorstellung ist.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Wir haben als Deutsche zweimal binnen 30 Jahren erlebt, daß wir abgerüstet waren, und haben zweimal erlebt, daß dadurch die Sicherheit und der Frieden in der Welt nicht gefördert, sondern ernsthaft bedroht worden sind.

    (Sehr richtig! in der Mitte. — Hört! Hört! bei der SPD. — Abg. Heiland: Die Aufrüstung Hitlers? — Weitere Zurufe von der SPD.)

    — Meine Damen und Herren, ich verstehe Ihr Stimmengemurmel nicht. Es scheint mir das historisch nachweisbar zu sein.

    (Abg. Dr. Arndt: Eine Frage!) — Eine Frage? Bitte, entschuldigen Sie!



Rede von Dr. Adolf Arndt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Kollege Ehlers, sind Sie der Meinung, daß die Abrüstung der Weimarer Republik oder die Aufrüstung Hitlers den Weltfrieden gefährdet hat?

(Beifall bei der SPD.)


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    Rede von Dr. Hermann Ehlers


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Kollege Arndt, ich bin der von Ihnen vielleicht nicht geteilten Ansicht, daß die Abrüstung der Weimarer Republik und die Parallelerscheinungen in der Welt dazu geführt haben, daß ein Friedenszustand in der Welt nicht eingetreten ist, und daß diese Situation der 14 Jahre von 1919 bis 1933 Wesentliches zur Herbeiführung der weltpolitischen Krisensituation beigetragen hat, die wir erlebt haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe und Unruhe bei der SPD.)

    Aber sei es, wie es sei, meine Damen und Herren, es geht hier um die Frage, ob es richtig ist, bei Menschen, die vor der Notwendigkeit eines militärischen Dienstes stehen können, den Eindruck zu erwecken, als ob heute eine Sicherung unserer Freiheit, der Aufbau einer staatlichen Macht nicht mehr nötig sei.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Ich muß deutlich aussprechen, daß das nicht meine Überzeugung ist, und ich glaube, daß es alle nüchtern Denkenden in gleicher Weise ebenso sehen. Das ist kein erfreulicher Zustand, bei Gott nicht; aber es ist ein Zustand, der auf der Situation der Welt beruht, und diese Ansicht nimmt das ernst, was in Ost und West, was insbesondere aber im Osten vorliegt. Darüber ist heute bereits einiges gesagt worden.
    Wir sind weiterhin der Meinung, daß es nicht geraten ist, mit dem Prinzip des Pazifismus zu versuchen, die Weltprobleme zu lösen.

    (Zurufe von der SPD.)

    Wir wehren uns weiterhin dagegen, daß man in einer falschen Gleichsetzung den Pazifismus und den Willen zum Frieden identifiziert.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich billige jedem und jenen insbesondere, die bei Ihnen in dieser Arbeit stehen — ich kenne die Herren ja sehr genau —, die ehrliche Überzeugung zu, daß sie durch ihr Verhalten und ihre pazifistischen Programme dem Frieden der Welt dienen wollen. Wir müssen aber erwarten, daß man nicht anderen, die in Erkenntnis einer bestimmten politischen und machtmäßigen Situation den Frieden und das Gleichgewicht der Welt auf andere Weise sichern wollen, unterstellt, daß sie damit nicht den Frieden, daß sie vielleicht sogar den Krieg wollten. Das ist nicht möglich.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Und das zweite, was mich eigentlich noch mehr bewegt: Der Herr Kollege Ollenhauer hat gesagt, es gehe darum und es sei möglich gewesen, nach dem Scheitern der EVG-Pläne einen neuen Start der deutschen Außenpolitik und insbesondere der Politik in Richtung auf die Wiedervereinigung


    (D. Dr. Ehlers)

    Deutschlands zu machen. Ich habe mit gespannter Aufmerksamkeit darauf geachtet, was uns denn nun heute als konkreter Inhalt eines solchen Handelns vorgetragen und geraten worden wäre, und ich muß zu meinem Bedauern sagen, daß das heute über die eindrucksvolle Bekundung des Willens zur Einheit wiederum nicht hinausgekommen ist und daß wir leider wiederum nicht gehört haben, wie die Vertreter der Bundesregierung in London, wie die Bundespolitik überhaupt und wir eine neue Chance für die Förderung der deutschen Einheit hätten schaffen können.

    (Sehr wahr! in der Mitte. — Zuruf von der SPD: Sie sind ja schwerhörig!)

    Die Forderungen von Herrn Kollegen Erler: Niemals sowjetisches Satellitensystem für Deutschland, niemals Abfinden mit der Spaltung, niemals Krieg, sind so selbstverständliche Grundprinzipien unserer Politik, daß wir sie alle mit dem gleichen Nachdruck aussprechen können.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Aber ich muß dasselbe sagen, was der Herr Kollege
    Gerstenmaier soeben gesagt hat: Wir hätten gerne
    gewußt, wie man diese Grundprinzipien anders
    verwirklicht, als wir es uns nun seit einigen Jahren durch die Außenpolitik der Bundesregierung
    und der Mehrheit des Bundestages zu tun bemühen.

    (Sehr gut! in der Mitte. — Zuruf von der SPD: Dann haben Sie nicht zugehört!)

    Eines muß ich nun doch sagen. Herr Kollege Erler hat in einer Weise, die mich betrübt hat, weil sie eigentlich vielleicht etwas an den Dingen vorbeiging, gemeint, gegenüber der Zitierung des Wortes von den 50 Millionen durch den Herrn Bundeskanzler die bessere Verantwortung seiner politischen Freunde und seiner selbst für die 70 Millionen herausstellen zu müssen. Es gibt einige Beweise und Belege dafür, daß wir mit diesen Zahlen schon öfter im Bundestage gearbeitet haben und daß es nicht immer die Opposition gewesen ist, die das Wort von den 70 Millionen gebraucht hat. Mir ist in demselben Augenblick dasselbe eingefallen. Ich möchte hier aber doch einmal eines aussprechen, weil mir in der ganzen Diskussion der letzten Zeit die Gefahr zu bestehen scheint, daß wir die gegenwärtige Aufgabe der Bundesrepublik und die ihr aufgetragene Verantwortung bis zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung Deutschlands nicht ernst genug nehmen:

    (Sehr gut! bei den Regierungsparteien)

    Wir haben keine Veranlassung, diesen Staat und seine Funktion zu bagatellisieren. Wir haben seine Verantwortung für die 50 Millionen Deutschen ernst zu nehmen, weil wir wissen, daß es für 70 Millionen Deutsche niemals eine Freiheit gibt, wenn sie nicht für die 50 Millionen sichergestellt wird.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ein Weiteres. Mit einer gewissen Kritik ist von Herrn Kollegen Neumann in der „BZ" von heute und dann in Übereinstimmung mit ihm von Herrn Kollegen Erler gesagt worden, für Berlin sei j a gar nichts Neues erreicht worden; Berlin sei in der gleichen Situation wie vorher. Meine Damen und Herren, mir scheint es nach diesem gefährlichen Vakuum ein außerordentlich großer Erfolg zu sein, daß Berlin in der gleichen Situation wie vorher ist

    (Sehr richtig! in der Mitte)

    und daß die Alliierten wiederum eindeutig die Versicherung abgegeben haben, daß sie einen Angriff auf Berlin als einen Angriff auf sich selbst betrachten werden. Wie die Dinge heute liegen, war bestimmt nicht mehr für Berlin zu erreichen. Dann sollten wir das aber auch nicht zum Gegenstand einer Polemik zwischen Opposition und Regierung werden lassen.

    (Abg. Brandt [Berlin]: Der Wahlkampf dauert sowieso noch eine Weile in Berlin!)

    — Herr Kollege Brandt, den Wahlkampf in Berlin werden wir schon mit anderen Argumenten zu führen haben, darauf können Sie sich verlassen.

    (Beifall und Heiterkeit bei den Regierungsparteien. — Abg. Arnholz: In der gleichen unerhörten Weise wie der Bundeskanzler den Bundestagswahlkampf!)

    Ich glaube, die Deutschen im Osten sind über ihre Lage, über den Ernst und die Bedrohlichkeit ihrer Lage vielleicht besser im Bilde, als wir es manchmal sind, die in der Versuchung stehen, uns und ganz Deutschland schon wieder als viel zu gesichert anzusehen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Sie wissen wahrscheinlich auch besser Bescheid über die heute höchst bescheidenen Möglichkeiten des praktischen Tuns auf politischem Gebiet, um den Gedanken der Einheit Deutschlands weiterzubringen, und sie wissen drittens über die äußere, militärmäßige und machtmäßige, politische und über die weltanschauliche Bedrohung, in der sie und wir mit ihnen stehen, besser Bescheid als wir, die wir aus der Distanz solche Dinge oft genug nur debattieren. Meine Damen und Herren, sie wissen aber auch eines: daß, wenn es eine politische Chance für sie gibt, sie in der Politik der Bundesregierung und der Bundesrepublik und ihren Erfolgen und in keinem anderen Moment liegt. Sie wissen— das ist nun doch sehr konkret zu sagen—, daß es keine Chance gäbe und daß das Wollen der deutschen Wiedervereinigung, das wir uns nun endlich einmal mindestens im Grundsatz gegenseitig zugestehen sollten, auf schwachen Füßen stände, wenn es auf dem isolierten politischen Willen und Können der Bundesrepublik Deutschland beruhen müßte.

    (Beifall in der Mitte.)

    Daß wir, wie die Dinge heute liegen, vom Osten keine Unterstützung darin haben werden, wissen wir. Wenn wir aber Unterstützung brauchen, dann werden und können wir sie nur vom Westen haben. Ich glaube, die Deutschen in der Zone haben alles Verständnis dafür, daß es gelungen ist, von 1945 über 1949 bis heute eine grundsätzliche Wandlung in der Anschauung und Politik des Westens herbeizuführen und das an politischen, verpflichtenden Zusagen zu erreichen, was in London wieder ausgesprochen worden ist und was ja doch nicht das Ergebnis einer zufälligen Konstellation, sondern das Ergebnis eines zielbewußten Handelns der Bundesrepublik und der Bundesregierung seit Jahren ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir wehren uns — das ist heute erfreulicherweise nicht in diesem Hause geschehen, aber es geschieht außerhalb dieses Hauses — gegen die Verharmlosung des Ostens. Besuchsreisen in Mos-


    (D. Dr. Ehlers)

    kau pflegen eine sehr oberflächliche Information zu ermöglichen und führen dazu — —

    (Zurufe von der SPD: Leipzig! — Wen meinen Sie?)

    — Ich meinte nun niemand in diesem Hause, Herr Kollege Heiland, auch wenn Sie sich freuen.

    (Heiterkeit. — Abg. Heiland: Ich habe gar nicht gewußt, daß Sie mich so gern haben!)

    — Allein der Name könnte mich ja schon veranlassen, Sie gern zu haben.

    (Große Heiterkeit. — Abg. Heiland: Er müßte Sie verpflichten!)

    Ich sagte, Besuchsreisen in Moskau sind ein sehr unzureichendes Mittel. Wenn man darüber so berichtet, daß man plötzlich bei manchen leichtgläubigen Leuten den Eindruck zu erwecken wünscht, als ob der russische Bär keine Krallen mehr hätte, sondern sich zu einem friedlichen Zirkusbären entwickelt hätte, ist es kein guter Dienst, den man dem deutschen Volk und den Christen in Deutschland leistet. Das möchte ich einmal deutlich ausgesprochen haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das heißt übrigens nicht, daß wir in eine Katastrophenstimmung hineinfallen wollten. Niemand wird uns vorwerfen dürfen, daß wir mit der Erzeugung von Katastrophenstimmungen glaubten, Stimmung für die Politik der Bundesregierung machen zu müssen. Es ist leider so, daß die Sachverhalte völlig ausreichen, Befürchtungen zu begründen, die uns ganz bestimmte Wege unserer Politik vorschreiben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das bedeutet nicht — um das immer noch einmal zu sagen —, daß wir jemals meinten, man käme mit den Sowjets zu einer vertraglichen Vereinbarung unter dem Zeichen einer Bedrohung ihrer Sicherheit. Wenn es denn — und es wird ja auch heute wieder davon gesprochen — eine russische Furcht vor einem Angriff gibt — es scheint mir im Augenblick im Blick auf Rußland und die Satellitenstaaten nicht so übermäßig substantiiert zu sein —, wird niemand mehr als wir, die wir wissen, was Sicherheit und Frieden sind, allen Anlaß nehmen, in den kommenden Zeiten dafür zu sorgen, daß durch wirkliche Systeme kollektiver Sicherheit diese Befürchtung ausgeräumt wird.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Wir werden ein Weiteres zu tun haben. Wir werden uns darüber klar sein müssen, daß es in Verhandlungen zwischen dem Westen und dem Osten — Herr Kollege Erler hat ja freundlicherweise darauf hingewiesen, daß wir eigentlich gar nicht verhandeln können, sondern daß die eigentlichen Partner Washington und Moskau sind darauf ankommen wird, daß sich das für die eine wie für die andere Seite lohnt, auch für den Osten. Ich bin sehr erstaunt gewesen, daß der Sozialdemokratische Pressedienst, als ich diesen banalen Satz vor einigen Tagen aussprach, geschrieben hat, das sei so vernünftig und decke sich so mit der Überzeugung der Sozialdemokratie, ja es sei mit der Regierungspolitik so wenig vereinbar, daß man eigentlich mit einem Dementi, einer Klarstellung oder etwas Ähnlichem rechnen müsse. Meine Damen und Herren, ich erkläre hier ausdrücklich, daß weder dementiert noch klargestellt wird. Es ist vielmehr meine ehrliche Überzeugung — und ich darf annehmen, die aller vernünftigen Menschen in der Bundesrepublik; auch der Herr Bundeskanzler hat das vorhin ja mit aller Deutlichkeit ausgesprochen —, daß wir nicht damit rechnen können, daß die Russen sich plötzlich in einen Weihnachtsmann verwandeln und uns die deutsche Einheit zum Geschenk machen, sondern daß sie es tun werden, wenn es sich für sie lohnt, 'auf ihre Macht in der sowjetisch besetzten Zone zu verzichten.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Jeder Vernünftige unter uns weiß, daß dieser Preis nicht allein von uns, vielleicht überhaupt nicht von uns gezahlt werden kann, sondern daß er nur auf weltweiter Basis ausgehandelt werden kann.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wenn das aber richtig ist, dann heißt das doch, daß es nichts Vernünftigeres gibt als das, was die Bundesregierung getan hat, nämlich diese Verhandlungsposition zu schaffen, die Voraussetzungen dafür aufzubauen, damit — wenn Sie so wollen — die Waffen gleich und gleich sind, nämlich am Verhandlungstisch, und nicht die eine Seite der anderen etwas diktieren kann. Ich glaube, das ist das richtige System eines Gleichgewichts in Europa und in der Welt.
    Aber dann erscheint es mir, verehrter Herr Kollege Schmid, auch nicht möglich, zu sagen, man könne das nur erreichen und die zukünftige Wiedervereinigung Deutschlands sei nur gesichert, wenn wir Bündnisse weder nach der einen noch nach der anderen Seite hätten. Ich glaube mich zu erinnern, daß wohlkonstruierte und gegeneinander. abgesicherte Bündnisse immer noch die vernünftigste Möglichkeit der Sicherung des Friedens und der Herstellung eines europäischen Gleichgewichts gewesen sind. Und wir werden das im Ergebnis wohl auch zu tun haben. Wir sollten uns nicht überschätzen.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Was mir am Herzen liegt, ist, noch einmal zu sagen: lassen wir doch endlich den ausgesprochenen oder unausgesprochenen Vorwurf, daß der eine weniger oder mehr die deutsche Wiedervereinigung wolle als der andere. Wir sind uns über die Wege nicht einig. Die Auswahl an aufgezeigten Wegen ist bis heute wirklich nicht groß.

    (Zuruf rechts: Das kann man wohl sagen!)

    Wir haben aber gesehen, daß wir auf dem Wege, den wir gegangen sind, bisher mindestens das eine erreicht haben, daß wir den uns zugänglichen Teil der Welt dazu veranlaßt haben, mit uns in dieser Frage an einem Strang zu ziehen.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das ist sicher noch nicht das Ergebnis; aber es ist eine Voraussetzung für das Ergebnis.
    Darum sollte uns eines hier und im Lande klar sein, daß wir diese Politik weiter betreiben müssen, daß wir auf der anderen Seite das, was in unseren Kräften steht, tun müssen, um den Deutschen im Osten zu helfen, über diese bittere Zeit des Wartens hinwegzukommen. Es gibt dazu viele ungenutzte Möglichkeiten. Vielleicht könnte es sogar eine Hilfe sein, wenn die dazu vorhandenen und eingesetzten Mittel aus dem Inland und aus dem Ausland noch sinnvoller und konzentrierter eingesetzt würden und wenn nicht manchmal diese Frage mit einer Art Trapper- und Indianerspiel verbunden würde. Das nutzt nicht der Zone, das


    (D. Dr.. Ehlers)

    nutzt nicht den deutschen Menschen und nutzt nicht der deutschen Wiedervereinigung. Wir haben — nun muß ich, entschuldigen Sie, wieder davon sprechen, nicht, weil ich Oberkirchenrat bin, sondern weil ich mit einigen Kollegen der verschiedenen Fraktionen dort war — auf dem Leipziger Kirchentag erlebt, daß die inneren Kräfte unserer Brüder im Osten stärker sind, als sie nach dieser Belastung eigentlich noch sein könnten. Es geht also nicht nur darum, äußere, finanzielle, wirtschaftliche und technische Voraussetzungen zu schaffen, sondern darum, diese inneren Kräfte zu stärken. Das ist eine Forderung, in der es keine parteipolitische Scheidung, in der es nur eine Zusammenarbeit aller gibt. Es ist gerade ein Jahr her, daß man in Berlin in einer Feier der Übergabe der Freiheitsglocke gedacht hat, die die Amerikaner der Stadt Berlin geschenkt haben. Mir bleibt im Herzen — und das ist nun keine gefühlvolle Erinnerung —, daß Berliner Jungen in dieser Feierstunde zum Abschluß sangen:
    Wo sich Männer finden, die für Ehr und Recht mutig sich verbinden, weilt ein frei` Geschlecht.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)