Rede von
Dr.
Hermann
Ehlers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gedenke Sie in dieser vorgerückten Stunde nicht lange aufzuhalten. Mir liegt nicht daran, noch einmal in eine Einzelbetrachtung dessen einzutreten, was heute gesagt worden ist. Ich widerstehe auch wie einige Redner vor mir und insbesondere der Herr Bundeskanzler der Versuchung, eine vergleichende Geschichtsbetrachtung aus den Bundestagsprotokollen der letzten Jahre anzustellen
und nachzulesen, was etwa über die Notwendigkeit und die wünschenswerte Zulassung zur NATO oder über den Pazifismus oder über das Junktim zwischen einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und der Herstellung der deutschen Souveränität gesagt ist. Aber es ist doch weit über das hinaus, was die Apokryphen in der Bibel bedeuten, gut und nützlich, solche Dinge wieder einmal nachzulesen, weil sie ein interessantes Bild politischer Entwicklung und politischer Argumentationen je nach der augenblicklichen Lage und den Bedürfnissen des Tages geben.
Ich habe mir aber während dieser Debatte zwei Dinge überlegt. Wie wird das, was hier gesagt ist, auf zwei Gruppen von Menschen unseres Volkes wirken, an denen uns aufs äußerste liegt, einmal auf die deutsche Jugend, an die nun, wenn diese Verträge realisiert werden, irgendwann die Forderung, eine Uniform anzuziehen, herantreten wird? Und wie wird das, was hier heute gesprochen ist, wirken auf die Deutschen in Berlin und jenseits der Zonengrenzen drüben im Osten? Ich meine, daß wir verpflichtet sind, hier nicht nur theoretisch zu diskutieren, nicht nur Paragraphen zu sehen, sondern daß wir allerdings verpflichtet sind, die lebendigen Menschen ins Auge zu fassen und ihre Reaktionen, ihre Nöte und Schwierigkeiten uns vor Augen zu stellen.
Unter diesem Gesichtspunkt habe ich das, was Herr Kollege Ollenhauer gesagt hat und was auch dann und wann in der Diskussion von seiten der Opposition ausgesprochen worden ist, doch nicht ohne Sorge gehört, weil bei denen, die nun vielleicht nicht alle Hintergründe zu erkennen vermögen, doch der Eindruck lebendig werden könnte: Die Zeit der Bedrohung ist vorüber, es ist keine ernsthafte Gefahr mehr; Rußland wird nicht angreifen und keinen Krieg mehr wollen; Militär ist nicht mehr nötig, man muß eine internationale Abrüstung durchführen. „Das Opfer der deutschen Jugend" — das haben Sie gesagt, Herr Kollege Ollenhauer — „ist nicht mehr zumutbar, wenn der Effekt für die Sicherheit gleich Null wäre."
Natürlich, wenn er gleich Null wäre, würden Sie recht haben. Aber ich glaube, daß genau das Gegenteil richtig ist und daß das Gesamtbild dessen, was wir vor uns haben, deutlich macht, daß weder die Bedrohung weggefallen ist noch daß wir aus der Gefahrenzone heraus sind noch daß die Wirkung für die Sicherheit Deutschlands und Europas 'gleich Null wäre.
Herr Kollege Ollenhauer hat in der ersten Grundsatzdebatte über diese Fragen — und sie ist ja immerhin nun schon drei Jahre alt — etwas gesagt, was wir uns wahrscheinlich damals alle zu eigen gemacht haben und von dem ich hoffe, daß wir es uns heute auch noch zu eigen machen, nämlich den Satz:
Die Frage eines deutschen Verteidigungsbeitrages ist keine moralische, sondern eine politische Frage, und sie muß und kann allein unter politischen Gesichtspunkten entschieden werden. Die Anhänger einer pazifistischen Idee müssen sich darüber klar sein, daß sie die Freiheit, nach ihren pazifistischen Grundsätzen zu leben, nur so lange haben werden, wie es gelingt, die Freiheit der Demokratie zu erhalten. Die Alternative sind die Konzentrationslager der totalitären Systeme.
Meine Damen und Herren, mir liegt nicht daran, Herrn Kollegen Ollenhauer an Dingen festzuhalten, die er vielleicht heute nicht mehr will. Mir liegt gar nichts an der Polemik überhaupt.
— Also, Herr Kollege Ollenhauer, Sie tun mir den größten Gefallen, der möglich ist, weil mir in diesem Augenblick nach dieser manchmal widerspruchsvollen Debatte daran liegt, wenigstens gewisse Momente herauszustellen, in denen wir uns, auch wenn wir uns über die Wege nicht einig sind, im Grundsatz einig sind. Ich glaube, das ist eine gute und notwendige Aufgabe.
Aber nachdem nun auch der Beschluß der Jugend des Deutschen Gewerkschaftsbundes vorliegt, daß man nicht bereit sei, wieder Waffendienst zu leisten, scheint mir die Versuchung, zu glauben, es sei nicht mehr nötig, so zu verfahren, wie die Mehrheit dieses Hauses es gebilligt hat, wie die Bundesregierung es getan hat, groß zu sein. Ich möchte dem ausdrücklich widersprechen, weil ich nicht glaube, daß die Vorstellung, man könne zu einer Abrüstung und zu einer Beseitigung militärischer Macht in der Welt dadurch kommen, daß die einen vorangehen und die anderen es nicht tun, eine richtige Vorstellung ist.
Wir haben als Deutsche zweimal binnen 30 Jahren erlebt, daß wir abgerüstet waren, und haben zweimal erlebt, daß dadurch die Sicherheit und der Frieden in der Welt nicht gefördert, sondern ernsthaft bedroht worden sind.
— Meine Damen und Herren, ich verstehe Ihr Stimmengemurmel nicht. Es scheint mir das historisch nachweisbar zu sein.
— Eine Frage? Bitte, entschuldigen Sie!