Rede von
Fritz
Erler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Kollege Kiesinger, ich bin für diese Intervention außerordentlich dankbar. Es ist eigentlich doch ein schönes Stück erfolgreicher Arbeit der parlamentarischen Demokratie, wenn ein Redner, der sich vorher bei weitem nicht so klar ausgedrückt hat, nun unter dem Eindruck der Argumente des Kanzlers und eines Sprechers der Opposition überzeugt werden kann.
Ich möchte nun umgekehrt von mir aus einen kleinen Irrtum richtigstellen, der hier in den Debatten verschiedentlich anklang. Es ist richtig: wir Sozialdemokraten haben immer darauf hingewiesen, daß der Ausschluß der Bundesrepublik Deutschland von der Mitwirkung in der Nordatlantikpakt-Organisation auf eine Bereitstellung von Soldaten ohne Mitwirkung an der Verfügungsgewait hinausliefe. Wir Sozialdemokraten haben nie gesagt, daß wir nur aus diesem Grunde etwa in die Nordatlantikpakt-Organisation hineinwollten.
Wir haben Ihnen lediglich gezeigt, wie Ihre eigene Politik in diesem Punkte zu einer entscheidenden — jetzt zu einem großen Teil überwundenen — Diskriminierung auf diesem Gebiet geführt hätte. Unser Haupteinwand gegen die Politik der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft gründete sich nicht auf die Argumente wegen der minderen
Rechtslage der Bundesrepublik gegenüber den anderen Teilnehmern nicht allein der EVG, sondern des gesamten Systems der Atlantikpakt-Organisation; unser Haupteinwand — und der trifft auf die NATO-Mitgliedschaft genau so zu wie auf die Mitgliedschaft in der EVG — betraf das Verhältnis des Einbaues der Bundesrepublik Deutschland in ein westliches Militärsystem zur Wiedererlangung der deutschen Einheit. Das ist der Kern auch unserer heutigen Auseinandersetzungen. Da ist es doch vielleicht gut, wenn man um der Deutlichkeit willen hier noch einmal — von Ihnen ist auch manches doppelt gesagt worden — an die entscheidenden Gesichtspunkte erinnert.
Kollege Dehler hat davon gesprochen — und da gebe ich ihm recht —, man dürfe die Hand des Siegers nicht ausschlagen. Er hat weiter davon gesprochen, daß die Vereinigten Staaten die beherrschende Macht der Welt seien und daß sie den Fehler, den sie mit ihrer einseitigen Abrüstung im Verhältnis zum Sowjetblock begangen hätten, wieder gutgemacht hätten. Nun also, darin liegt doch das Anerkenntnis, daß diese beherrschende Macht der Sowjetunion nicht bedingungslos ausgeliefert ist, wie es manchmal den Anschein hat, daß diese Macht durchaus auf der Basis der Gleichwertigkeit und der gleichen Stärke mit der Sowjetunion verhandeln kann, wenn wir sie davon überzeugen, daß es auch in ihrem Interesse nützlich ist, derartige Verhandlungen zu führen.
Der Verhandlungspartner ist doch nicht Deutschland, der Verhandlungspartner ist nicht einmal Europa; denn in der Lage, in der wir uns befinden, sind die wirklichen Teilnehmer auch von VierMächte-Verhandlungen über Deutschlands Wiedervereinigung in Wahrheit die Sowjetunion hüben und die Vereinigten Staaten drüben.
Das ist die reale Lage, und auf das Verhältnis von deren Stärke zueinander — wenn Sie sich schon auf den Boden der sogenannten Politik der Stärke bei Verhandlungen stellen wollen — kommt es an. Da meinen wir nun, daß es ziemlich sinnlos ist, auf ein Anwachsen der Stärke der westlichen Welt durch das Hinzufügen deutscher Divisionen in einem Zeitpunkt zu warten, in dem die Vereinigten Staaten als Gegenleistung gewissermaßen ihren eigenen Militärhaushalt um 5 Milliarden Dollar verringert haben.
Die Vereinigten Staaten haben damit zu erkennen gegeben, daß sie dieses Argument des Aufbaus rein militärischer Stärke für Verhandlungen selbst nicht für so entscheidend halten. Hier liegt doch auch der Trugschluß mit dem Tier, mit dem Rußland angeblich nur verhandeln könne, wenn es einigermaßen seine eigene Gestalt habe.
— Dieses Tier Karl Marx ist doch heute nicht der arme Herr Bundeskanzler, sondern das ist, wenn Sie es personifizieren wollen, der Präsident der Vereinigten Staaten, und der hat heute schon durchaus die Statur von Herrn Malenkow. Der wartet nicht auf die zwölf deutschen Divisionen, um zu dieser Stärke heranzuwachsen.
— Bitte, bitte!