Rede von
Fritz
Erler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, es ist gut, wenn ich zur Beseitigung einiger Mißverständnisse noch einmal einige Hauptpunkte sozialdemokratischer Außenpolitik, von denen ich glaube, daß sie eigentlich auch Hauptpunkte der Außenpolitik des ganzen Hohen Hauses sein könnten, hier herausstelle. Die Debatte ist mitunter so geführt worden, als gäbe es darüber Zweifel.
Erstens: Niemals wird die deutsche Sozialdemokratie sich bereit finden, Deutschland dem sowjetischen Satellitensystem preiszugeben.
Zweitens: Aber ebenso wird die deutsche Sozialdemokratie sich niemals mit ,der Spaltung unseres Vaterlandes abfinden.
— Meine Damen und Herren, ich habe eben unterstellt, daß Sie bereit sind, diese Punkte auch als Punkte Ihrer Außenpolitik zu akzeptieren. Was wollen Sie denn eigentlich mehr?
Drittens: Niemals soll unser Volk — auch darüber sind wir uns einig — dem Schrecken eines Krieges ausgesetzt werden.
Es ist notwendig, im Lichte dieser drei Punkte einiges aus der heutigen Debatte hier Revue passieren zu lassen, und zwar zunächst den Hauptpunkt, der den Gegenstand unserer meisten Auseinandersetzungen gebildet hat: das ist die Wiedererlangung der Einheit unseres Vaterlandes. Da klingt mir ein Wort des Herrn Bundeskanzlers in den Ohren, mit dem ich innerlich einfach noch nicht fertig geworden bin. Er sprach vorhin von der Freiheit für ein Volk von 50 Millionen Menschen. Dieses Volk gibt es nicht. Für mich gibt es nur ein Volk von 70 Millionen Menschen,
zu dem die Bewohner Berlins, die Bewohner der Saar und die Bewohner der Sowjetzone genau so hinzugehören wie die Deutschen in der Bundesrepublik.
— Sie winken ab, meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat uns einmal den Rat gegeben, unsere Worte sorgfältig zu wägen. Dann müßte der Regierungschef das auch tun.
Nun ein Zweites. In welchem Zusammenhang steht die Freiheit, die in der Londoner Akte für die Bundesrepublik Deutschland begründet werden soll, mit der Leistung eines militärischen Beitrags dieser Bundesrepublik Deutschland zu dem westlichen
Verteidigungssystem? Gestatten Sie mir dazu eine I ganz offene Bemerkung. Da der Bundeskanzler sagt, erst die Londoner Akte und ihre Verwirklichung bringe uns die langersehnte Freiheit, so bedeutet das nicht mehr und nicht weniger, als daß dieser Verteidigungsbeitrag versprochen und zugesagt wird von einem Staat, der noch nicht in Freiheit lebt.
Das hätte man eigentlich erst tun dürfen, nachdem die Besatzungsmächte klargestellt haben, daß sie es mit einem freien- Staat und nicht mehr mit einem von ihnen besetzten zu tun haben.
Der Bundeskanzler leugnet das weitere Vorhandensein eines Junktims zwischen Verteidigungsbeitrag und größeren Freiheiten für Regierung und Parlament der Bundesrepublik. Aber ich darf an die Akte selbst erinnern: Die vereinbarten Abmachungen können entweder vor den Abmachungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag oder gleichzeitig damit in Kraft gesetzt werden. Ich frage die Regierung, ob die Vereinbarungen über die Freiheiten für die Bundesrepublik vor den Vereinbarungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag in Kraft gesetzt werden oder nicht. Das ist entscheidend für die Beurteilung der Frage, ob man wieder einmal mit dem Ersuchen an uns herangetreten ist, für die Freiheit zunächst den Beitrag zur Verteidigung zu bezahlen, oder ob man es in das Ermessen eines freien Staates stellt, selbst zu entscheiden, wie er es mit der Verteidigung halten will.