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ID0204702500

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    6. Kiesinger.: 1
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    2. Deutscher Bundestag — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Oktober 1954 2235 47. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 7. Oktober 1954. Geschäftliche Mitteilungen . . . . 2235, 2320 A Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung vom 5. Oktober 1954 (Londoner Konferenz) (Anträge Drucksachen 863, 864): 2235 C Ollenhauer (SPD) 2235 A, 2306 C, 2308 B, 2309 A, 2314 B Dr. von Brentano (CDU/CSU): zur Sache .. 2242 B, 2248 B, 2305 A, B zur Geschäftsordnung .. . . . 2286 C Erler (SPD) . . 2248 B, 2287 A, D, 2290 D, 2291 C, 2292 A, B, 2294 A, 2317 D, 2318 C Dr. Dehler (FDP) 2249 D Haasler (GB/BHE) 2249D Dr. von Merkatz (DP): zur Sache 2257 D zur Geschäftsordnung. . . . 2286 A, D Dr. Baron von Manteuffel-Szoege (CDU/CSU) 2264 D Stegner (Fraktionslos 2267 B Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . 2269 B, 2277 D, 2316 C Kiesinger (CDU/CSU) . . . 2274 A, 2290 C, 2291 C, 2293 D Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . 2282 A, 2287 D, 2305 C, 2311 D, 2315 C, 2317D, 2318 C, D Mellies (SPD) (zur Geschäftsordnung) 2286 B Euler (FDP) : zur Geschäftsordnung 2286 C zur Sache . . . . . . . . 2319 C D. Dr. Gerstenmaier (CDU/CSU) . 2292 A, C, 2294 D, 2304 B, 2308 A, 2309 A, C, 2319 B D. Dr. Ehlers (CDU/CSU) . . 2299 C, 2300 C, 2310 B, 2311 B Dr. Arndt (SPD) 2300 C, 2303 A, 2304 C, 2305 B, C Wehner (SPD) 2309 D Heiland (SPD) 2311 A Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) . . . 2312 C Dr. Kather (GB/BHE) 2319 A Überweisung des Antrags Drucksache 863 an den Auswärtigen Ausschuß . . . . 2320 C Annahme des Antrags Drucksache 864 2320 C Nächste Sitzung 2320 C Die Sitzung wird um 9 Uhr 5 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Dr. Carlo Schmid


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


    (Zustimmung bei der SPD.)

    Wir sollten uns von der militärpolitischen Seite unserer politischen Situation nicht hypnotisieren lassen. Natürlich besteht dieser militärpolitische Aspekt durchaus; das läßt sich nicht leugnen. Aber das Allgemeinpolitische steht doch nach wie vor über dem Militärpolitischen, und es ist es doch, was unser Verhalten regieren soll und regieren muß.
    Deswegen, meine Damen und Herren, können wir Ihrer Resolution, so wie sie jetzt ist, nicht zustimmen. Sie wird den Notwendigkeiten, die ich hier zu entwickeln versucht habe, nicht gerecht. Wenn ich die Resolution richtig deute und verstehe, machen Sie auch die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands davon abhängig, daß Europa, wie Sie sich das vorstellen, vorher geschaffen wird. — Sie schütteln den Kopf, Herr Kiesinger. Aber so steht es für den unbefangenen Leser im Text.
    Das scheint uns nicht der richtige Weg zu sein. Ich glaube, wir müssen den umgekehrten Weg gehen. Wir müßten, wie es in unserem Resolutionsentwurf gesagt ist, zunächst versuchen, unsererseits alles zu tun, was die Verhandlungssituation für die


    (Dr. Schmid [Frankfurt])

    Beendigung des Kalten Krieges verbessern kann. Man hat in der Londoner Schlußakte Kommissionen für alle möglichen Dinge vorgesehen. Nur für eine Aufgabe, die sich die Paktmächte gesetzt haben, die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands, hat man keine Kommission vorgesehen, um gemeinsame Richtlinien auszuarbeiten. Mir scheint aber gerade das eine sehr vordringliche Notwendigkeit zu sein; denn ohne ein Gremium, das versucht, die Politik der Paktmächte zu koordinieren, wird es doch kaum je möglich sein, einen gemeinsamen Generalnenner für die vertraglich vorgesehene Wiedervereinigungspolitik zu finden. Ich glaube, daß unsere Resolution den besseren Weg geht, und ich fordere Sie darum auf, diesen Weg mit uns zu gehen.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Abgeordnete Kiesinger.

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    Rede von Dr. Kurt Georg Kiesinger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin dem Herrn Kollegen Professor Carlo Schmid dankbar für eine Reihe sehr konkreter Fragestellungen, auf die ich antworten kann. Ich kann schon vorweg sagen, daß eine ganze Reihe seiner Besorgnisse von mir widerlegt werden können. Ich habe nicht die Absicht, jetzt etwa in die Vergangenheit zurückzusteigen und jene Rechnung aufzumachen, die heute schon zu verschiedenen Malen vorgelegt worden ist, wer sich in der Vergangenheit getäuscht und wer recht behalten habe. Aber, verehrter Herr Kollege Ollenhauer, Sie müssen mir schon gestatten, wenigstens zwei Sätze dazu zu sagen.

    (Abg. Mellies: Also doch!)

    Wir haben ja eine ganze Menge der Aussprüche, der Reden und der Verlautbarungen der Sozialdemokratischen Partei auch in unserem Archiv, und es wäre sehr leicht, nun hier eine Blütenlese dieser Verlautbarungen dem Hohen Hause darzubieten,

    (Abg. Schoettle: Da müßten wir noch eine Sondersitzung machen!)

    um zu beweisen, daß die Sozialdemokratie wahrlich nicht recht behalten hat.
    Ich kann es sehr einfach machen. Es ist richtig, verehrter Herr Kollege Schmid: Wir haben ein Ziel, ein Zwischenziel unserer bisherigen Politik nicht erreicht, nämlich die Europäische Verteidigungsgemeinschaft. Niemand von uns wird sich dagegen wehren, wenn Sie das auch sonst in der Öffentlichkeit so formulieren. Aber es ist ja ganz anders formuliert worden. Man hat gesagt: die Politik des Bundeskanzlers sei gescheitert.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt]: Aber Herr Kiesinger, Sie haben doch dieses sogenannte Zwischenziel als das Kardinalziel schlechthin bezeichnet! — Weiterer Zuruf von der SPD: Ohne jede andere Alternative!)

    — Nein, verehrter Herr Kollege Schmid, das hat niemand von uns jemals getan.

    (Oh-Rufe und Widerspruch bei der SPD. — Zuruf von der SPD: Wären Sie nur sonst so bescheiden gewesen!)

    Lassen Sie mich ausführen, was wir gesagt haben.

    (Zuruf von der SPD: Das können wir nachschlagen!)

    Ich habe schon bei meinen letzten Ausführungen hier in diesem Hohen Hause, meine verehrten Kollegen von der Opposition, gesagt, daß wir uns vielleicht doch angewöhnen sollten, genau zuzuhören.

    (Erneute Zurufe von der SPD.)

    Was haben wir also als unser Ziel bezeichnet und betrachtet? Meine Damen und Herren, von dem Augenblick an, als es wieder die Möglichkeit gab, für Deutschland zu handeln, war das Ziel klar. Es hieß: erstens: das deutsche Volk aus seiner Isolierung herauszuführen zurück in die Gemeinschaft der Völker, zweitens: das deutsche Volk wieder freizumachen, d. h. das Besatzungsregime zu beenden. Und es hieß ferner, diese Ziele für das ganze deutsche Volk zu erreichen. Das war, das ist und das bleibt unser Ziel.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der DP.)

    Allerdings kam sehr bald eine andere Einsicht hinzu. Hätten wir noch in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg gelebt, so wäre es wahrscheinlich mit dieser Zielsetzung genug gewesen. Wir sahen aber, daß sich inzwischen eine Weltlage entwickelt hatte, in der die Zielsetzung der Erlangung einer nationalen Souveränität einfach zuwenig war. Wer sich damit begnügt hätte, hätte schlechte Politik gemacht. Wir erkannten, daß angesichts der Bildung gewaltiger Machtblöcke, insbesondere des östlichen Machtblocks, ein nationales souveränes Deutschland viel zu schwach sein würde, um der großen Bedrohung von dorther zu widerstehen. Daher konnten wir auch nur eine gute nationale Politik treiben, indem wir eine gute europäische Politik trieben; denn Europa war mit uns in der gleichen Lage.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Daraus entwickelten sich nun die Bemühungen der vergangenen Jahre. Dabei tauchte eine große Reihe von Schwierigkeiten auf. Ich sagte schon: dieses Europa war hineingestellt zwischen die beiden großen Machtsysteme, zwischen den Sowjetblock, zu dem später China hinzutrat, und den Block der, ich will einmal sagen: maritimen Mächte mit den Vereinigten Staaten als Mittelpunkt. Dabei war dieser maritime Block schon wieder problematisch genug, da natürlich zwischen den Vereinigten Staaten von Nordamerika und dem britischen Weltreich zwar keine vitalen Gegensätze bestanden, aber immerhin gewisse Differenzierungen der Meinungen und der politischen Tendenzen in der Welt.
    Ich will einmal absehen von den großen Völkern des Ostens, etwa dem großen indischen Volk, auch dem chinesischen Volk, von dem ich sehr hoffe, daß es nicht ein Satellit Moskaus werden oder bleiben wird. Ich will auch absehen von dem sich vielleicht bildenden großen Block der islamischen Welt und auch von Südamerika. Wir sollten auch diese Dinge in unsere Betrachtungen mehr einbeziehen, als wir es im allgemeinen bei den Debatten in diesem Hause tun. Davon will ich aber jetzt„ wie gesagt, absehen.
    Es bildete sich für uns Europäer ein eigentümliches Problem heraus. Wenn wir Kontinentaleuropäer von Europa sprechen, dann gebrauchen wir ein Wort, das wir in der Schule gelernt haben. Es ist noch immer das alte Europa von der Pyrenäenhalbinsel bis zum Ural.

    (Abg. Dr. Greve: Mit dem Ural würde ich ein bißchen vorsichtig sein! Da ist Herr Hallstein zuständig!)



    (Kiesinger)

    — Lieber Herr Dr. Greve, das ist immer noch der geographische Europabegriff.
    Wenn wir vom freien Europa sprechen, dann haben wir ganz selbstverständlich Großbritannien mit einbezogen; ich meine nun wirklich nur Großbritannien, nicht einmal das britische Weltreich. Bei einem kurzen Besuch in England, meine sehr verehrten Herren Kollegen, können Sie sich aber davon überzeugen, daß unsere britischen Nachbarn ganz anderer Auffassung sind. Sie fragen Sie nämlich freundlich einen Tag vor Ihrer Abreise: ,,Wann gedenken Sie nach Europa zurückzufahren?" Und britische Post, die für den Kontinent bestimmt ist, trägt den offiziellen Aufdruck: "To Europe". Nun will ich nicht behaupten, daß sich die Engländer zu Asien oder zu Amerika oder zu Australien rechneten. Aber sie haben ihren eigenen Standort in dieser Welt; wir wissen es alle. Sie liegen zwar an der Küste Europas, blicken aber über die sieben Meere auf ihr großes Weltreich, das ihnen immer noch sehr viel bedeutet, und sie haben im Laufe der letzten 400 Jahre alles getan, um uns Kontinentalen deutlich zu machen, daß sie sich dieses Reservat, nur bedingt zu Europa zu gehören, nicht wegnehmen lassen werden.
    Vielleicht haben manche das verkannt. Ich gebe Ihnen und auch Herrn von Merkatz zu, daß man möglicherweise Großbritannien bei den europäischen Planungen mehr zugemutet hat, als es leisten kann. Ich darf persönlich für mich in Anspruch nehmen, daß ich in dieser Frage immer etwas skeptischer dachte als mancher meiner Freunde. Aber das besagt nicht, daß der Versuch nicht unternommen werden sollte. Es ist außerordentlich schwer, in einer Zeit wie der unseren, nach einem Weltkrieg, der alles auf den Kopf gestellt hat, festzustellen, ob die alten geographischen, politischen und geopolitischen Gesetzmäßigkeiten noch ihre Gültigkeit behalten haben oder ob die Möglichkeit besteht, einen wirklich neuen Abschnitt politischen Handelns zu beginnen.
    Für England — ich schicke das vorweg — muß man sagen, daß die Entscheidungen nicht erst der Londoner Konferenz, aber erst recht der Londoner Konferenz, bedeuten, daß England eine Epoche seines politischen Verhaltens gegenüber Kontinentaleuropa beendet und eine neue begonnen hat. Das heißt allerdings nicht, daß England bereit sein könnte, einen so engen Zusammenschluß mit anderen europäischen Staaten einzugehen, wie es eine Reihe von europäischen Staaten gewollt haben und ferner wollen.
    Hieraus ergab sich jene eigentümliche Problematik, die uns seit Jahren bekannt ist. Wir haben im Europarat diese Kämpfe zwischen den Föderalisten und den Funktionalisten bis zum Überdruß durchgestanden.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt]: Es wird wieder beginnen müssen, fürchte ich!)

    — Wahrscheinlich wird dieser Kampf überhaupt nicht aufhören, solange nicht der Kanal zwischen dem Kontinent und Großbritannien durch irgendein Wunder der Schöpfung zu Festland geworden ist, Herr Kollege Schmid,

    (Zuruf des Abg. D. Dr. Gerstenmaier.)

    — Lieber Freund Gerstenmaier, ich gestehe Ihnen gern einen etwas größeren Optimismus zu; aber ich persönlich bin Formulierungen wie der, die englische Grenze liege heute an der Elbe usw.,
    immer nur mit einem leichten skeptischen Lächeln begegnet. Es hat noch etwas für sich, ein gutes Stück Meer zwischen sich und den Bolschewiken zu haben. Doch das bedeutet ja nun nicht, daß im Laufe der kommenden Jahre die Entwicklung der englischen Politik nicht über den bisher erreichten Punkt hinausgehen könnte.
    Ich habe diese Ausführungen deswegen gemacht, meine Damen und Herren, weil ich einmal ganz klar das eigentlich kontinentaleuropäische Anliegen herausstellen wollte. Man hat es in einem guten Teil Europas und vor allen Dingen in Großbritannien für genügend erachtet, den Schutz Europas dadurch sicherzustellen, daß man die atlantische Verteidigungsgemeinschaft gründete und immer enger ausgestaltete. Wir waren von vornherein der Auffassung, daß das allein für den endgültigen Schutz, für die Stabilisierung der Sicherheit Kontinentaleuropas nicht ausreichen würde, d. h. wir waren der Meinung, daß sich die kontinentaleuropäischen Staaten in einer engeren Form zusammenschließen müßten. Das ist eine sehr einfache Überlegung. Dieses Europa und gerade auch dieses Kontinentaleuropa, einst der führende Kontinent, von dem die ganze Prägung unseres Planeten ausgegangen ist, ist nun nach zwei Weltkriegen in kleine, armselige Nationalstaaten aufgelöst und zersplittert, auf einem so engen Raum zusammengepfercht, daß diese Staaten für sich allein nicht hoffen können, jemals wieder eine Politik zu machen, die man als souverän bezeichnen könnte. Auch im Rahmen eines atlantischen Sicherheitssystems wäre dieses Kontinentaleuropa sicherlich der schwächste Teil, wenn es auf unabsehbare Zeit in seine kleinen nationalen Staaten aufgesplittert bliebe. Daher muß der Prozeß der kontinentaleuropäischen Integration auch nach dem Ergebnis der Londoner Konferenz weitergehen. Wir haben zu verschiedenen Malen betont, daß das Londoner Abkommen Ansätze dieser Art enthält. Aber, meine Damen und Herren, mehr als diese vertraglichen Ansätze sind für mich die Millionen von auf diesem europäischen Kontinent lebenden Menschen Garantie dieser Weiterentwicklung. Es sind Menschen, die wissen, daß die Entscheidung über das Schicksal Europas und gerade Kontinentaleuropas darin beschlossen liegt, ob dieses Kontinentaleuropa wirklich den Willen zu diesem Zusammenschluß findet.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Dieses Ziel, meine Damen und Herren, war und ist wahrhaftig des Schweißes der Edlen wert.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien.) Wir haben es nicht — noch nicht — erreicht. Sie, verehrter Herr Kollege Schmid, haben uns darauf aufmerksam gemacht — und Herr Kollege Ollenhauer hat es auch getan —, wir hätten früher einsehen müssen, daß dieses Ziel nicht erreicht werden könnte. Sie haben von dem pays réel gesprochen. Aber die Frage nach dem pays réel ist es gewesen und ist es heute noch, die nicht ohne weiteres in ihrem Sinne beantwortet werden kann. Was war denn die Meinung der französischen Öffentlichkeit zum EVG-Vertrag? Immer wieder haben uns Franzosen gesagt: Das französische Volk, das pays réel, denkt über den europäischen Zusammenschluß sehr viel positiver als das Parlament.


    (Zustimmung in der Mitte und rechts.)

    Erinnern Sie sich?
    Wir wissen, was Gallup-Umfragen, Meinungsbefragungen auf sich haben; aber in der Erfahrung


    (Kiesinger)

    der letzten Jahre haben wir ja gewisse Bestätigungen gefunden.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt]: Sogar der letzten Wochen!)

    — Gut, gut, sogar der letzten Wochen! bloß müssen Sie richtig interpretieren, verehrter Herr Kollege Schmid!

    (Heiterkeit. — Zuruf von der SPD: Das ist nicht gesagt, daß Sie es tun!)

    Eine Umfrage hat damals, Ende 1953, im französischen Volk folgendes Ergebnis gehabt: Von den Befragten stimmten 46 % für die EVG, 22 % dagegen; der Rest war unentschieden und ohne eigene Meinung. Ich will das mit allem Vorbehalt gegenüber solchen Umfragen anführen, um Sie darauf hinzuweisen, daß das pays réel in Frankreich auch heute noch wesentlich anders denken kann — und nach meiner Überzeugung sogar wesentlich anders denkt — als das zur Zeit bestehende französische Parlament. Die Nachwahlen der letzten Zeit in Frankreich haben uns jedenfalls in dieser Überzeugung gestärkt, weil sich bei ihnen stets überzeugte Anhänger der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft durchgesetzt haben.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Herr Kiesinger, es gibt im Leben der Nationen Dinge, die viel tiefer liegen, als man es durch Meinungsumfragen erfassen kann!)

    — Sicherlich, aber man muß doch wohl auf irgendeine Weise, da Sie nun einmal das Thema angeschnitten und uns vorgeworfen haben, wir hätten nicht das richtige Fingerspitzengefühl für dieses pays réel gehabt, nachweisen, daß es damit so schlimm nicht bestellt war.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt]: Sie haben es mit falschen Methoden versucht!)

    Wir haben dieses Ziel nicht erreicht. Aber es war nach meiner Meinung richtig, den Weg bis zu Ende zu gehen und bis zum letzten Augenblick zu versuchen, das Bessere statt des Schlechteren zu bekommen.

    (Beifall in der Mitte und rechts.)

    Wir haben dieses nach unserer Meinung Bessere nicht bekommen, d. h. wir sind in unseren Bemühungen zunächst um eine Strecke zurückgeworfen worden. Aber zu keinem Zeitpunkt sind wir aus unserer Bahn geworfen worden, und zu keinem Zeitpunkt haben wir das uns gesteckte Ziel aus den Augen verloren.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Nun, ich will nicht mehr mit der Vergangenheit rechten. Ich hätte Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, sagen können, daß Ihre Argumente gar nicht lange deshalb gegen die EVG gingen, weil nur durch einen bündnisfreien Status Deutschlands die deutsche Wiedervereinigung ermöglicht würde. Sie haben sich sehr früh mit einer Zulassung Deutschlands zur nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft an Stelle der EVG-Lösung einverstanden erklärt

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt]: Na, na!)

    -- jedenfalls eine ganze Reihe von Ihnen —, und was damals recht war, kann heute nicht falsch sein. Sie haben uns damals in sehr vielen Äußerungen vorgeworfen — ich erinnere an jede Debatte vom Petersberger Abkommen an, wo ich für die Koalition zu sprechen die Ehre hatte —, daß wir durch unsere Politik uns einer Hegemonie Frankreichs auslieferten. Das war beim Eintritt in den Europarat, bei der Montan-Union der Fall, das war bei allen diesen Schritten Ihre Warnung.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt]: Ja!)

    Paradoxerweise ist es nun gerade die französische äußerste Rechte, paradoxerweise war es der General Aumerand, der den bekannten Antrag jüngst in der französischen Kammer gestellt hat, der schon bei der Debatte über den Schuman-Plan ausgerufen hat: „Unsere Toten sind nicht dafür gefallen, daß wir uns der wirtschaftlichen Vorherrschaft Deutschlands ausliefern." Monsieur Pleven hat ihm damals die passende Antwort gegeben: „Unsere Toten sind nicht dafür gefallen, daß alles von neuem anfange".
    Das ist doch ein höchst eigentümliches Zusammentreffen der Argumente. Irgend etwas kann doch nicht stimmen, wenn man uns hier vorgeworfen hat, wir lieferten uns einer Hegemonie Frankreichs aus, und wenn die Rechtsradikalen Frankreichs ihren Europäern vorgeworfen haben, sie lieferten Frankreich einer Vorherrschaft Deutschlands aus.
    Aber schließen wir diese Rechnung ab und fragen wir uns: was bleibt nunmehr zu tun? Dabei konzentrieren sich ja unsere Sorgen auf folgende Punkte. Erstens auf die Bewahrung unserer Freiheit. Herr Kollege Ollenhauer, Sie haben es beklagt, daß die europäischen Einigungsbestrebungen damit belastet seien, daß man mit dem Militärischen beginnen müsse. Das ist wahr, das ist schlimm. Aber so ist es in der Geschichte der Menschheit immer gewesen. Die große Blüte der griechischen Polis, die Ordnung des Friedens und des Rechtes in Rom, die Freiheit eines germanischen Stammesstaates und das Blühen der jeweiligen volklichen Kulturen, sie waren immer davon abhängig, daß sie abgeschirmt und geschützt waren durch eine starke Wehr. Das ist, solange Menschen Menschen bleiben, so. Herr Kollege von Merkatz hat ein paar anthropologischphilosophische Bemerkungen zu dem falschen Weltbild eines gewissen Liberalismus gemacht. Natürlich war der Fehler dieses Liberalismus der, daß er den Menschen in seiner Wirklichkeit nicht mehr sah, daß der Mensch als autark gutes Wesen betrachtet wurde. Dieser Irrtum ist natürlich überwunden. Ich werfe das keinem unserer heutigen liberalen Freunde vor.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Es war wenigstens ein generöser Irrtum!)

    — Es war ein generöser Irrtum, das gebe ich zu. Verehrter Herr Kollege Schmid, auch der Irrtum Karl Marx, daß es eines Tages eine Gesellschaft freier, unabhängiger Menschen auf dieser Welt gäbe ohne den Zwangsapparat des Staates, wie er meinte, war ein generöser Irrtum, ich sage sogar: war der Irrtum eines großen Herzens. Aber mit solchen Irrtümern baut man nicht ,Geschichte, mit solchen Irrtümern verteidigt man nicht Kulturen, sondern mit solchen Irrtümern — Karl Marx hat es bewiesen — schafft man die schauerlichen Wirklichkeiten, wie sie sich uns heute um Moskau darstellen.

    (Beifall in der Mitte. — Lachen und Unruhe bei der SPD.)

    — Meine Damen und Herren, Sie glauben das ins Lächerliche ziehen zu können. Haben Sie noch nie darüber nachgedacht, daß es vielfach die großen Utopisten waren, die es gut meinten und die doch


    (Kiesinger)

    über die Menschen die schlimmsten Übel gebracht haben?

    (Abg. Dr. Schmid[Frankfurt]: Es gab auch große Realisten, die Böses über die Menschen gebracht haben! — Abg. Dr. Greve: Vor Moskau waren Petersburg und Zarismus, Herr Kiesinger! Das dürfen Sie dabei auch nicht vergessen!)

    Wir betrachten uns nicht als Realpolitiker in einem Sinne, wie es einmal in Deutschland gemeint war. Was wir unter realer Politik verstehen, ja, meine Damen und Herren, das haben Sie ja in den letzten Jahren gesehen. Und Sie werfen uns ja gar nicht Realpolitik vor, im Gegenteil: die nehmen Sie für sich in Anspruch, uns werfen Sie Utopismus vor.

    (Zuruf von der SPD: Nein, . nein! — Abg. Dr. Greve: Das ist verdammt real, was Sie machen! Ihnen wirft keiner Utopismus vor!)

    — Was Sie vorhin aus dem Munde von Herrn Carlo Schmid hörten, war der Vorwurf einer unrealistischen Politik, verehrter Herr Kollege Greve. Und wenn das richtig ist, was ich von Ihnen gehört habe, daß Sie gegen jede deutsche Wiederbewaffnung sind, dann, verehrter Herr Kollege Greve, muß ich Ihnen lallerdings sagen, daß das eine höchst unreale Politik wäre.

    (Abg. Dr. Greve: Warum „wäre"?)

    Die Sicherung der Freiheit bedarf einer starken westlichen militärischen Gewalt so lange, wie in Sowjetrußland eine noch stärkere militärische Gewalt steht. Das ist doch eine Binsenwahrheit, meine Damen und Herren.

    (Beifall in der Mitte.)

    Deswegen lasse ich mich nicht mehr auf Streitereien um Worte ein. Ich lasse mich nicht mehr in eine Diskussion darüber ein, was „rangmäßig" das Erste und Wichtigste sei. Alle drei Ziele haben den gleichen Rang und müssen gemeinsam verfolgt werden. Es mag zeitlich, etappenmäßig, methodisch Unterschiede geben. Man kann darüber streiten. Aber wir sollten in diesen Dingen in unser ohnehin schon arg verquältes Volk nicht noch mehr Unsicherheit tragen.
    Was die Freiheit bedeutet und wie sie bedroht ist, das ist mir wieder klargeworden, als ich jetzt die neueste Rede Molotows zum fünfjährigen Bestehen der Deutschen Demokratischen Republik gelesen habe. Ich weiß nicht, wie viele meiner Kollegen die Rede bereits aufmerksam studiert haben. Wir alle kennen ja das sowjetische Wörterbuch, das demokratische, freiheits- und friedliebende Völker nirgendwo anders sehen kann als im Machtbereich Moskaus selbst. „Freiheits- und friedliebende demokratische Völker" sind in diesem Wörterbuch eben die Satelliten Moskaus. Das ist zu beachten. Es ist ja eine eigentümliche Schwäche totalitärer Systeme, daß sie im Grunde genommen das, was sie wollen, gar nicht verbergen können, selbst wenn sie es wollten. Verehrter Herr Kollege Dehler, insofern möchte ich eine kleine Berichtigung anbringen. So wie Adolf Hitler ziemlich brutal, sehr früh hinausgebrüllt hat, was er wollte, so wird es auch aus all diesen Äußerungen immer wieder klar, wie man sich die Entwicklung der Dinge, wie man sich z. B. die deutsche Wiedervereinigung denkt. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten nur ein paar Sätze verlesen.
    Die sogenannte Deutsche Demokratische Republik wird von Molotow sehr gelobt, und dann heißt es:
    Diese Erfolge werden die Anziehungskraft der Deutschen Demokratischen Republik als des Trägers der berechtigten Bestrebungen des deutschen Volkes, die Möglichkeit der Entwicklung auf friedlicher und demokratischer Grundlage zu sichern, noch mehr verstärken. N u r a u f dies e m Wege wird das deutsche Volk die Möglichkeit erlangen, seine großen schöpferischen Kräfte vollkommen wirksam zu machen und zu entfalten. . . . Die Deutsche Demokratische Republik ist das feste Bollwerk der friedliebenden demokratischen Kräfte ganz Deutschlands.

    (Hört! Hört! in der Mitte.)

    So geht es in einem Zuge weiter, und im nächsten Satz wird davon gesprochen, daß eine Wiedervereinigung Deutschlands nur gestützt auf diese „friedliebenden demokratischen deutschen Kräfte" erfolgen könne. Meine Damen und Herren, was bedeutet das?

    (Zuruf von der SPD.)

    Man sagt uns durch den Mund des Herrn Molotow klipp und klar, daß Moskau eine deutsche Wiedervereinigung nicht anders sehen kann als so, daß Gesamtdeutschland zu einem sowjetischen Satelliten wird.

    (Zuruf von der Mitte: Unerhört!)

    Ich behaupte nicht, daß das in alle Ewigkeit so sein müßte. Ich greife das Argument auf, das Sie, verehrter Herr Kollege Schmid, vorhin gebraucht haben, den Vorwurf, daß wir glaubten, es gebe niemals die Möglichkeit eines kollektiven Sicherheitssystems mit Rußland. Wir waren nie dieses Glaubens.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Das habe ich nicht gesagt!)

    — Gut, wenn Sie es nicht so gemeint haben.