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    2. Deutscher Bundestag — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Oktober 1954 2235 47. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 7. Oktober 1954. Geschäftliche Mitteilungen . . . . 2235, 2320 A Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung vom 5. Oktober 1954 (Londoner Konferenz) (Anträge Drucksachen 863, 864): 2235 C Ollenhauer (SPD) 2235 A, 2306 C, 2308 B, 2309 A, 2314 B Dr. von Brentano (CDU/CSU): zur Sache .. 2242 B, 2248 B, 2305 A, B zur Geschäftsordnung .. . . . 2286 C Erler (SPD) . . 2248 B, 2287 A, D, 2290 D, 2291 C, 2292 A, B, 2294 A, 2317 D, 2318 C Dr. Dehler (FDP) 2249 D Haasler (GB/BHE) 2249D Dr. von Merkatz (DP): zur Sache 2257 D zur Geschäftsordnung. . . . 2286 A, D Dr. Baron von Manteuffel-Szoege (CDU/CSU) 2264 D Stegner (Fraktionslos 2267 B Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . 2269 B, 2277 D, 2316 C Kiesinger (CDU/CSU) . . . 2274 A, 2290 C, 2291 C, 2293 D Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . 2282 A, 2287 D, 2305 C, 2311 D, 2315 C, 2317D, 2318 C, D Mellies (SPD) (zur Geschäftsordnung) 2286 B Euler (FDP) : zur Geschäftsordnung 2286 C zur Sache . . . . . . . . 2319 C D. Dr. Gerstenmaier (CDU/CSU) . 2292 A, C, 2294 D, 2304 B, 2308 A, 2309 A, C, 2319 B D. Dr. Ehlers (CDU/CSU) . . 2299 C, 2300 C, 2310 B, 2311 B Dr. Arndt (SPD) 2300 C, 2303 A, 2304 C, 2305 B, C Wehner (SPD) 2309 D Heiland (SPD) 2311 A Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) . . . 2312 C Dr. Kather (GB/BHE) 2319 A Überweisung des Antrags Drucksache 863 an den Auswärtigen Ausschuß . . . . 2320 C Annahme des Antrags Drucksache 864 2320 C Nächste Sitzung 2320 C Die Sitzung wird um 9 Uhr 5 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Dr. Baron Georg Manteuffel-Szoege


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach Wochen der Sorge und der Unruhe, die uns nach dem Scheitern der Brüsseler Konferenz und der Ablehnung der EVG durch die französische Nationalversammlung erfaßten, liegt nun das Ergebnis der NeunMächte-Konferenz von London vor. Dieses Ergebnis stellt einen neuen Meilenstein im Bestreben der freien Völker, sich zu verständigen und zu einigen, dar. Darüber hinaus hat die Konferenz Gott sei Dank das Prinzip nicht preisgegeben, für das die Bundesregierung, getragen von der überwiegenden Mehrheit des deutschen Volkes, mit unermüdlicher Zähigkeit gekämpft hatte.
    Allen Zweiflern und Spöttern zum Trotz spricht die Schlußakte von London von den wichtigsten Problemen der westlichen Welt, nämlich von der Sicherheit und von der europäischen Integration. Die Erläuterungen, die vorgestern der Herr Bundeskanzler dazu gegeben hat, beweisen uns, daß


    (Dr. Baron Manteuffel-Szoege)

    die Bundesregierung auch heute noch an diesem Ziele festhält, um unter veränderten Umständen auf anderem Wege das gleiche Ziel zu erreichen. Das außenpolitische Ziel der Bundesregierung hat immer darin bestanden, den von französischen Staatsmännern eingeleiteten Plan der Integrierung Westeuropas zu verwirklichen.
    Das Ergebnis von London begrüßen wir auf alle Fälle. Der Besatzungszustand wird definitiv beendet. Dieses Ergebnis beweist, daß sich die Bundesrepublik Deutschland das Vertrauen der freien Welt weitgehend erworben hat. Es ist auf dem Wege, aus einem besetzten Land ein verbündetes Land zu werden. Mögen sich nun neue Wege ergeben oder mögen diese Wege in die alten einmünden, fest steht doch wohl folgendes: wir sollen unsere Souveränität, d. h. unsere nationale Unabhängigkeit wieder erhalten. Daß dieses möglich geworden ist, muß als Zeichen eines uns gewährten Vertrauens gewertet werden.
    Vertrauen ist im Leben der Völker und der Staaten genau so wie im Leben der einzelnen Menschen eine zarte Pflanze. Sie gedeiht nicht, sondern verkümmert, wenn sie nicht fortlaufend gepflegt wird. Schon in Brüssel zeigte es sich, daß die Bundesrepublik Deutschland nicht allein stand. Zwar vermochten die Beneluxstaaten und Italien die Widerstände nicht zu überwinden, die sich damals auf französischer Seite entgegenstellten. So negativ auch zunächst das Ergebnis von Brüssel erschien, so wurde doch bereits damals eine der Grundlagen für London gelegt. Wenn dann die beiden angelsächsischen Großmächte nach gründlicher Vorbereitung alles taten, um die Londoner Konferenz zu einem positiven Ergebnis zu führen, so ist das auch ein Beweis des uns geschenkten Vertrauens. Trotz 1 allen Belastungen aus der Vergangenheit und trotz allen Mißverständnissen in jüngster Zeit sollten wir nicht vergessen, daß es auch in Frankreich weite Kreise gibt, die uns vertrauen.
    Wenn das in London erreichte Ergebnis nicht wieder gefährdet werden soll, haben wir die wahrlich nicht leichte Aufgabe, uns diese Vertrauensbasis zu erhalten und darüber hinaus weiteres Vertrauen zu gewinnen. Ich möchte mit aller Deutlichkeit feststellen, daß dieses Vertrauen nicht in diesem Ausmaß vorhanden gewesen wäre und nicht so reiche Früchte getragen hätte, wenn nicht die Linientreue der deutschen Bundesregierung uns den Ruf der Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit in der internationalen Politik wieder eingebracht hätte.
    Nunmehr sind anscheinend die Voraussetzungen für eine ruhige und stetige Außenpolitik gegeben. Wir denken auch nicht daran, die uns durch das Ende des Besatzungszustandes wiedergewonnene Bewegungsfreiheit für etwas anderes zu gebrauchen als für die Fortsetzung einer ruhigen und stetigen Außenpolitik.

    (Abg. Dr. von Brentano: Sehr gut!)

    Jemand, der sich plötzlich nach langen Bemühungen frei bewegen kann, sollte nicht sofort mit einem Dauerlauf beginnen.

    (Beifall in der Mitte.)

    Daher würde ich es begrüßen, wenn unsere Regierung nicht unter den ersten Schritten, sondern erst nach sorglicher Erwägung des Für und Wider diplomatische Vertretungen errichtete, wo solche noch nicht bestehen. Die Bedeutung einer solchen Vertretung auch bei einer Weltmacht hängt nicht von der Schnelligkeit ihrer Errichtung ab, sondern sie
    hängt ab von der Wahl der geeigneten Person oder
    der geeigneten Persönlichkeiten und sie hängt
    weiterhin von dem richtig gewählten Zeitpunkt ab.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Zwar haben die verhinderten deutschen MoskauPilger in letzter Zeit prominenten Zuzug erhalten, aber diese gut gemeinten Reisepläne werden auf unseren außenpolitischen Kurs nicht den geringsten Einfluß ausüben.
    Mit dem Ergebnis von London ist der Zeitpunkt nähergerückt, in dem deutsche Streitkräfte errichtet werden sollen. Das Recht der Verteidigung ist ein Bestandteil der Souveränität eines freien Volkes. Die Aufstellung unserer Streitkräfte ist für uns nicht nur die freiwillige Ausübung eines uns wiedergewährten Rechtes, sondern wird von uns in erster Linie als eine schwere und harte, ja sogar vielleicht drückende Pflicht empfunden,

    (Abg. Dr. von Brentano: Sehr gut!)

    die wir als Bestandteil der freien Welt auf uns nehmen müssen.
    Wir sollten uns darüber im klaren sein, daß wir in den ersten Jahren nach der Errichtung deutscher Streitkräfte im Scheinwerferlicht der Weltöffentlichkeit argwöhnischer und nicht immer wohlwollender Kritik ausgesetzt sein werden. Daher sollten wir in Wort und Schrift alle Äußerungen vermeiden, die, so harmlos sie auch gemeint sein mögen, trotzdem als ein Rückfall in eine unglückselige Vergangenheit empfunden werden könnten.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir wissen jetzt, daß England entgegen den Traditionen, j a fast entgegen den Grundsätzen seiner eigenen Geschichte sich bereit erklärt hat, Truppen auf dem Kontinent zu belassen, und diese nur mit Zustimmung der Mehrheit seiner Vertragspartner — zu denen j a auch wir gehören — zurückziehen wird. Wenn unsere Gegner uns vorhalten, daß wir durch unseren Beitrag zur Verteidigung der freien Welt eine Pflicht oder eine Vorleistung auf uns nehmen, dann sollten wir ehrlich genug sein, zuzugeben, daß die von uns geforderten Leistungen nicht größer sind als die, die die übrigen Vertragspartner auf sich genommen haben, insonderheit Großbritannien.
    In der Herstellung von Waffen mußte die Bundesrepublik Beschränkungen hinnehmen, denen die übrigen Mächte nicht unterworfen sind. Man soll diese Beschränkungen nicht als Diskriminierung bezeichnen, auch wenn die übrigen Großmächte ihnen nicht unterworfen sind. Wir sind aus eigener Kraft nicht in der Lage, die sogenannten A-, B- und C-Waffen herzustellen. Wir befinden uns ohne Zweifel in der Zone der strategischen Gefährdung. So entschlossen unsere Bereitschaft ist, einen Beitrag zur Verteidigung der freien Welt zu leisten, so sehr sollten wir es im Grunde begrüßen, daß Deutschland an der Herstellung dieser apokalyptischen Massenvernichtungsmittel nicht beteiligt ist.
    Der Brüsseler Vertrag richtete sich ursprünglich gegen Deutschland. In der neuen Fassung werden Deutschland und Italien in den Vertrag einbezogen. Er richtet sich grundsätzlich gegen niemanden und damit gegen jeden, der eine Aggression gegen eine Vertragsmacht unternimmt. Er hat gegenüber der NATO zwei erhebliche Vorzüge für uns. Erstens: er setzt nicht ein Minimum der Rüstungen fest wie die NATO, sondern er bestimmt das Höchstmaß der Rüstung. Er ist damit geeignet, der Sowjetunion


    (Dr. Baron Manteuffel-Szoege)

    den Vorwand zu nehmen, ein neuer deutscher Militarismus mit Angriffsabsichten gegen den Osten sei im Entstehen begriffen. Die Brüsseler Organisation ist damit gleichzeitig ein Instrument der Rüstungskontrolle und damit der internationalen Sicherheit. Zweitens: im Gegensatz zur NATO geht aber der Brüsseler Pakt in dem Ausmaß der Hilfeleistung gegen einen Angriff weiter; denn die Hilfeleistung sämtlicher anderer Vertragspartner zugunsten des angegriffenen Staates setzt dann automatisch ein.
    Man kann die Lage Deutschlands nach dem ersten Weltkrieg infolge der völlig veränderten Umstände nicht mit der heutigen vergleichen. Der Zusammenbruch nach dem ersten Weltkrieg war nicht annähernd so groß wie der nach 1945. Vor allem aber blieb die Einheit unseres Reiches erhalten. Gerade deshalb wage ich, das kühne Wort zu sagen: Hätte sich Stresemann nicht glücklich gepriesen, wenn er nach fünfjährigen Bemühungen das erreicht hätte, was, wie wir hoffen, nun Wirklichkeit zu werden scheint?

    (Beifall in der Mitte.)

    Ich glaube, auch bei kühler und abwartender Betrachtung der Sachlage ist diese Überlegung nicht unberechtigt.
    Wenn in der Schlußakte der Londoner Konferenz die Regierungen der Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs und Frankreichs erklären, daß sie die Regierung der Bundesrepublik Deutschland als die einzige deutsche Regierung betrachten, die frei und rechtmäßig gebildet wurde und daher berechtigt ist, für Deutschland als Vertreterin des deutschen Volkes in internationalen Angelegenheiten zu sprechen, so ist damit, glaube ich, eine Festlegung erfolgt, die bei den künftigen Verhandlungere über die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit ein unschätzbares politisches Kapital darstellt.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Ob man damit einverstanden ist oder nicht, ob man es bedauert oder nicht, auf unserer irdischen Welt muß ein Staat auch über konkrete politische Macht verfügen, um seine ethisch berechtigten Aufgaben verwirklichen zu können. Das heißt auf unsere Verhältnisse übertragen: die Bundesrepublik Deutschland braucht politische Macht und zuverlässige Partner, wenn sie mit der Sowjetunion in ein echtes Gespräch kommen will. Nur eine politisch handlungsfähige und von starken Partnern unterstützte Bundesrepublik Deutschland hat eine konkrete Chance, mit der Sowjetunion in ein reales Gespräch über die Wiedervereinigung Deutschlands im richtigen Zeitpunkt zu gelangen.
    Alle Hoffnungen auf die Wiedervereinigung Deutschlands und alle Bemühungen um dieses Ziel entheben uns nicht der Aufgabe, die Bundesrepublik Deutschland nach innen und nach außen so widerstandsfähig wie nur immer möglich zu machen. Dafür genügen nicht allein militärische Machtmittel — ich möchte das nachdrücklich unterstreichen —; dafür bedarf es ebenso sehr der geistigen Klarheit wie der sozialen Stabilität. Es bedarf außerdem einer ausgewogenen Gesellschaftsordnung und einer über den materiellen Bereich hinausgehenden Wertordnung der Güter dieses Lebens, wenn wir mit der Ratifizierung der Verträge von London eine feste außenpolitische Basis erhalten haben.
    Unser außenpolitischer Wert und unsere Bedeutung für unsere Vertrags- und Verhandlungspartner hängen nicht zuletzt davon ab, daß wir aus dem Zustand der innenpolitischen Improvisation herauskommen und zu stabilen Dauerlösungen gelangen. Das Wort vom Primat der Außenpolitik findet seine Bestätigung nur auf dem Hintergrunde einer geordneten Innenpolitik.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Gestatten Sie mir, noch ein weiteres, vielleicht sehr persönliches Wort vorzubringen. In der Christlich-Sozialen Union sind die Vertriebenen durch Abgeordnete verhältnismäßig zahlreich vertreten. Ich selbst gehöre zu ihnen. Bei uns ist die Enttäuschung darüber, daß der EVG-Vertrag gescheitert und die Europäische Politische Gemeinschaft zunächst in den Hintergrund getreten ist, besonders groß.

    (Abg. Dr. von Brentano: Sehr gut!)

    Haben doch viele von uns gehofft, daß die Zugkraft eines vereinigten Europa besonders gute Lösungsmöglichkeiten für die zahlreichen Ostprobleme gebracht hätte, nicht nur für die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes in Frieden und Freiheit, sondern auch für eine gewaltlose Rückkehr in die unvergessene Heimat.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das Wort des ersten Vertriebenenministers, Lukaschek, steht vor meinen Augen: „Wir wollen nicht
    an frischen Gräbern vorüber die Heimat betreten".
    Es ist ganz selbstverständlich, daß die Vertriebenen den Gedanken der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes immer wieder ganz besonders stark herausstellen. In der Disziplin, die sie in der erdrückenden Mehrheit auszeichnet, sind sie auch nach allem, was sie getroffen hat, bereit, die wirtschaftlichen und persönlichen Lasten der militärischen Verteidigungsbereitschaft auf sich zu nehmen. Sie bleiben dabei den Grundsätzen der Charta der Vertriebenen treu, die jeden Gedanken an Rache und Gewalt von vornherein grundsätzlich ausschließen.
    Zum Schluß noch eines. Ein leiser Neid erfaßte einen, wenn man beobachten konnte, in wie geringem Ausmaße sich die außenpolitischen Auffassungen bei Regierung und Opposition in England voneinander unterscheiden. In der Vergangenheit drehte sich der Kampf der Regierungsmehrheit mit der Opposition bei uns um die Frage der europäischen Integration. Der Gedanke der Integration, der im Montanvertrag seinen ersten und konkreten Ausgang gefunden hatte, kann zunächst nicht weitergeführt werden. Damit entsteht für die Opposition ein Ausgangspunkt, zu einer gemeinsamen Außenpolitik mit der Regierung zu gelangen.

    (Abg. Mellies: Das müßte wohl umgekehrt heißen!)

    Sie kann dabei allerdings nicht an ihrer Forderung festhalten, daß unter den gegenwärtigen Umständen sofort eine Vierer-Konferenz über die Wiedervereinigung Deutschlands stattfinden soll.

    (Abg. Mellies: Sie sind ja gar nicht bereit, ernsthaft mit uns darüber zu reden!)

    Und zudem soll die Opposition endlich in der Frage der Verteidigungsgemeinschaft klar Farbe bekennen,

    (Lachen bei der SPD. — Abg. Heiland: das müssen Sie sagen!)



    (Dr. Baron Manteuffel-Szoege)

    damit wir und die Welt wissen, woran wir sind. Denn ein Volk in unserer Lage ist um so stärker, je einiger es nach außen hin auftritt.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Mellies: So ähnlich hat es Hitler auch gesagt!)

    In schwersten Stunden hat das deutsche Volk außerordentliche Widerstandskraft bewiesen. Es wird daher jetzt die Nerven haben, einer Politik zu folgen, die schrittweise und unpathetisch vorgeht. Manchmal hat man das Empfinden, als ob die schwergeprüften Brüder und Schwestern jenseits des Eisernen Vorhangs dieses unser Handeln am tiefsten begreifen, jedenfalls besser als manche Satten und Kurzsichtigen diesseits des Eisernen Vorhangs.

    (Abg. Kahn: Sehr gut!)

    Jede Politik besteht in der Kunst, das Mögliche zu erreichen. Wir sollten uns daher bei der Kritik am Londoner Ergebnis davor hüten, Unmögliches zu verlangen. Jeder Billigdenkende wird der Regierung und vornehmlich dem Manne, der ihre Außenpolitik führt, die Anerkennung nicht versagen können, daß mit großer Hingabe, mit großer Anspannung aller physischen und geistigen Kräfte in London alles getan wurde, was überhaupt nach menschlichem Ermessen geschehen konnte, und daß erreicht wurde, was unter den gegebenen Umständen überhaupt zu erreichen war; und dafür sollten wir alle, ohne Rücksicht auf parteipolitische Unterschiede, ihm aufrichtig danken.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Abgeordnete Stegner.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Artur Stegner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (Fraktionslos)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine 1 Damen und Herren! Die Ausführungen, die Herr Kollege von Merk a t z gemacht hat, veranlassen mich eigentlich, all das nicht zu sagen, was ich von Hause aus sagen wollte, und veranlassen mich, einiges zu fragen, was ich ursprünglich gar nicht fragen wollte. Diese Fragen richten sich an die Bundesregierung, die, wie ich sehe, gerade beim Mittagessen ist. Meine Bitte geht deshalb an den Herrn Staatssekretär des Auswärtigen, meine Fragen der Bundesregierung zu übermitteln.
    Herr Dr. von Merkatz — ich sehe, auch er ist zum Mittagessen; ich darf also allgemein sagen:

    (Abg. Hilbert: Sie waren ja bisher auch dort!)

    Glaubt denn Herr Dr. von Merkatz, daß Definitionen und aphoristische Ausführungen, die hier in diesem Hause ad usum Delphini formuliert werden oder, wenn sie schon einmal in früheren Zeiten formuliert waren, hier noch einmal postuliert werden, den Gang des Völkerrechts oder der Außenpolitik auch nur in irgendeiner Weise beeinflussen können? Ich glaube das nicht. Ich greife ein einziges Beispiel aus seinen Ausführungen heraus. Er hat den Begriff der Wiedervereinigung definiert. Diese Definition des Herrn Kollegen von Merkatz steht in keiner Weise in Übereinstimmung mit der Formulierung des Begriffs, wie er in der Erklärung der Drei Mächte, der USA, Frankreichs und Großbritanniens, in der Londoner Schlußakte festgelegt ist. Dort spricht man in keiner Weise von dem Fortbestand des deutschen Staates, sondern der Punkt 4 der Erklärung formuliert eindeutig:
    Die Schaffung eines völlig freien und vereinig-
    ten Deutschlands durch friedliche Mittel bleibt
    ein grundsätzliches Ziel ihrer Politik. Also: Herr Dr. von Merkatz — wenn Sie hier wären! —: „Die Schaffung eines geeinten Deutschlands", das ist die Formulierung, die darinsteht, und diese Formulierung ist allein zukunftsträchtig.
    Meine Damen und Herren, ich möchte mich, wie gesagt, aus der Debatte heraushalten, möchte aber nun einige Fragen stellen, die mir sowohl in der Regierungserklärung wie auch in dem überreichten Material bisher noch nicht klargeworden sind.
    Für mich steht im Angelpunkt der Londoner Akte die Erklärung der Drei Mächte, die ich schon angezogen habe. Denn es ist in der Außenpolitik aller Völker, glaube ich, etwas Einmaliges, daß drei Nationen, die Weltbedeutung haben, ihre zukünftige Außenpolitik so langfristig festlegen, wie es in dieser Erklärung geschieht. Das ist eine Erklärung, die sich nicht nur mit Deutschland befaßt. Immerhin endet diese Erklärung mit der Feststellung, daß nunmehr ein Westeuropa im Entstehen ist, das auf der Grundlage der sich vertiefenden Freundschaft zwischen den Teilnehmerstaaten die Atlantische Gemeinschaft festigen wird. Meine Damen und Herren Kollegen dieses Hohen Hauses, es ist nun merkwürdig, daß zwar Deutschland als gleichberechtigter Teilnehmerstaat hier angesprochen wird, daß aber trotzdem die Drei Mächte den Abschluß eines Friedensvertrages mit einer gesamtdeutschen Regierung für eine absolute Voraussetzung halten. Denn die Erklärung sagt ja:
    Eine zwischen Deutschland und seinen früheren Gegnern frei vereinbarte friedensvertragliche Regelung für Gesamtdeutschland . . .
    ein wesentliches Ziel ihrer Politik . . .
    Das bedeutet doch: ein Friedensvertrag mit allen Gegnern, also auch mit der Sowjetunion; das bedeutet doch nach den Erfahrungen, die wir ja nun seit acht oder neun Jahren machen, daß ein solcher Friedensvertrag noch sehr lange auf sich warten lassen kann.
    Nun, meine Damen und Herren, wir brauchen die Dinge an sich nicht so tragisch zu nehmen. Aber es steht in der gleichen Schlußakte:
    Die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands muß bis zum Abschluß einer solchen Regelung zurückgestellt werden.
    Das heißt doch: ein Friedensvertrag kann erst geschlossen werden, wenn sich die vier HauptGegnerstaaten, also auch die Sowjetunion, über den Status eines kommenden Gesamtdeutschland klar und einig sind. Eher kann also gar kein Friedensvertrag geschlossen werden. Nun, dauert das sehr lange, wird die Frage der Grenzen für uns natürlich nicht unwichtig. Ich erwähne diese Frage deswegen, weil die Grenzfrage im Hinblick auf einen Beitritt zur NATO schon einmal eine interessante Präzedenzrolle gespielt hat. Sie wissen, daß sich seinerzeit der irische Freistaat geweigert hat, der NATO beizutreten, weil man im irischen Freistaat die Meinung vertrat, daß ein Beitritt zur NATO den staatlichen Bestand in den Grenzen während der Zeit der Unterschrift stabilisiert. Wenn nun die Bundesrepublik der NATO beitritt, wie verhält es sich — und das ist meine erste Frage an die Bundesregierung — hier mit der Stabilisierung der deutschen Grenzen? Zwar ist die Wiedervereinigung als die Politik des Brüsseler Paktes und der NATO in London postuliert; aber wer garantiert uns denn, wann diese Wiedervereinigung kommt, und was geschieht bis dahin? Ich stelle diese Frage im Hinblick auf den irischen Präzedenzfall. Dieser


    (Stegner)

    bezieht sich bekanntlich auf Nordirland, das heute noch zur englischen Krone gehört, ein Zustand, der vom irischen Freistaat nicht anerkannt wird oder moniert wird.
    Wie liegen denn die Dinge in Deutschland hinsichtlich der Wiedervereinigung und des Saarproblems unter Berücksichtigung dieses Abs. 1 in der Drei-Mächte-Erklärung, insbesondere mit Rücksicht darauf, daß eine friedensvertragliche Regelung nach der Wiedervereinigung noch sehr lange auf sich warten lassen kann? Das ist ja immerhin eine Frage, die für die Behandlung des Saarproblems und für das gesamte deutsche Volk von ausschlaggebender Bedeutung ist. Dies ist die erste Frage, die ich zu stellen habe.
    Die zweite Frage basiert auf Punkt 1 dieser Erklärung. Dieser Punkt 1 sagt:
    Die Regierung der Bundesrepublik wird als einzige deutsche Regierung betrachtet, die berechtigt ist, für Deutschland als Vertreter des deutschen Volkes in internationalen Angelegenheiten zu sprechen.
    Dieses Problem ist hier schon in der Diskussion angeschnitten worden. Ich darf mir trotzdem die ganz konkrete Frage erlauben: Bestehen irgendwelche Sicherungen oder ist geplant, irgendwelche Sicherungen einzubauen, daß eine gesamtdeutsche Regierung, die also z. B. den Friedensvertrag schließen muß, das Recht hat, die Bindung an Verträge, die die Bundesrepublik als Provisorium geschlossen hat, zu erweitern oder aber abzulehnen? Das kann sich ja z. B. aus dem Friedensvertrag heraus ergeben und braucht gar keine Änderung in Richtung Ost oder West zu sein. Aber es ist doch eine grundsätzliche Frage: Kann die Bundesrepublik als Provisorium eine kommende gesamtdeutsche Regierung an Vertragswerke binden bzw. zu deren Ausdehnung oder Verminderung oder Abschaffung verpflichten?

    (Zurufe von der CDU/CSU: Nein!)

    Zu dieser Frage möchte ich konkret erklärt haben,
    wie die Stimmung in London darüber gewesen ist.
    Ich bin ja immer einer derjenigen gewesen, die in diesem Hause die Wiedervereinigung als einen sehr wesentlichen Faktor nicht nur der deutschen, sondern der europäischen Politik überhaupt betrachtet haben; denn diese offene Wunde im Herzen Europas ist nicht nur eine Frage Deutschlands. Diese offene Wunde, die geschlossen werden muß, ist vielmehr eine Wunder die den Frieden Europas und der Welt am allerstärksten gefährdet. Infolgedessen freue ich mich, daß man der Beseitigung dieser Frage in der Londoner Akte einen breiten Raum widmet.
    Punkt 4 der Drei-Mächte-Erklärung sagt:
    Die Schaffung eines völlig freien und vereinigten Deutschlands durch friedliche Mittel ist ein grundsätzliches Ziel ihrer Politik.
    Sehr gut! Da aber der Friedensvertrag und alle kommenden Regelungen sehr einschneidend von dieser Politik betroffen werden, einer Politik, für die wir den Westmächten nur danken können, geht meine Frage dahin: Sind in London während der Besprechungen schon irgendwelche Wege aufgezeigt worden, die dieses Ziel ansteuern, das ja eines der wesentlichsten Ziele ist? Aus den Unterlagen geht darüber nichts hervor. Es wäre jedoch interessant, zu wissen, auf welchen Wegen man dieses
    Ziel zu erreichen bestrebt ist. So weit meine Fragen zu der Erklärung der Drei Mächte.
    Ich komme nun noch zu einem andern Fragenkomplex. Es ist hier in der Diskussion sehr deutlich angeklungen, daß man sich um die deutsche Sicherheit bemüht, und das ist ja zweifellos auch der Sinn der Londoner Verhandlungen gewesen. Nun hat General Gruenther, der Oberkommandierende der NATO, vor kurzer Zeit Äußerungen getan, die immerhin zu Bedenken Anlaß geben. Diese Äußerungen sind in der Basler „NationalZeitung" ausführlich abgedruckt und von der deutschen Presse übernommen worden. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten vier Zeilen aus der „Welt" verlesen, die sich damit befassen; es ist „Die Welt" vom 27. September dieses Jahres. Da heißt es:
    Andererseits machte Gruenther klar, daß die Verteidigung Europas nach dem Konzept der NATO nur in beschränktem Rahmen durchzuführen sei, indem so etwas wie ein Schutzschild von Minimalstärke errichtet werden könne, und dazu brauche man die deutschen Kontingente.
    Man kann diese Äußerungen Gruenthers nach den verschiedensten Seiten kommentieren. Sie können den Inhalt und den Zweck haben, dem Ostblock zu zeigen, daß das Brüsseler Abkommen und die NATO lediglich defensiven Charakter haben und mit ganz geringen Kräften versuchen, hier ein minimales Schutzbedürfnis zu befriedigen, und das nach Einschluß der deutschen Kräfte. Man kann aber die Erklärung natürlich auch als den Notschrei des Oberkommandierenden betrachten, der die Tatsache des minimalen Schutzbedürfnisses hier in den Vordergrund stellt. Ja, meine Damen und Herren, wenn wir die Verantwortung für die deutsche Beteiligung an einer koalierten größeren Wehrmacht in Kauf nehmen, dann muß doch auch in etwa die militärische Sicherheit des deutschen Volkes garantiert sein.
    Da ich selber die NATO nicht kenne — ich lese auch nur aus der Zeitung von ihr —, möchte ich eine weitere Frage an die Bundesregierung richten. Kürzlich haben im Raume Paderborn NATO-Manöver stattgefunden, die möglicherweise ein Bild von der Schutzbedürftigkeit bzw. von der militärischen Sicherheit geben. Ich möchte deswegen die Bundesregierung fragen, ob ihr die strategischen und militärpolitischen Erkenntnisse, die sich aus den NATO-Manövern im Raum Paderborn ergeben haben, bekannt sind. Im Falle des Bejahens möchte ich die Bundesregierung fragen, ob sie hinsichtlich dieser ihr bekanntgewordenen Erkenntnisse für die Sicherheit des deutschen Volkes befriedigt ist.
    Ich habe einen dritten Fragenkomplex, den ich nur kurz anfassen möchte; das ist das Saargebiet. Wir haben alle heute mit Interesse gelesen, daß der französische Ministerpräsident mit dem Herrn Bundeskanzler noch im Laufe dieses Monats zusammentreffen wird, um über die Saarfrage zu sprechen. Ich habe volles Verständnis, wenn von der Bundesregierung bisher noch nicht viel über Möglichkeiten einer Saarregelung gesagt ist; denn kein Mensch dekuvriert gerne, bevor er in Verhandlungen geht, seine Verhandlungsposition. Das würde ich auch nicht tun. Aber in diesem Hause ist die Behandlung des Saarproblems ja nicht gerade neu. Es ist mehrfach Gegenstand der Diskussionen gewesen. Nachdem Herr Kollege von Merkatz van Naters zitiert und auch zugegeben hat, daß die


    (Stegner)

    Möglichkeit einer Europäisierung des Saargebiets nun in weite Ferne gerückt ist, und weil wir wohl alle in diesem Hause der Auffassung des Herrn Bundeskanzlers zuneigen, daß nur ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen den Völkern die europäische Zukunft sicherstellt — der Angelpunkt des europäischen Verhältnisses ist eben das deutschfranzösische Verhältnis, und ein wesentlicher Drehpunkt in diesem Verhältnis ist nun einmal die Saarfrage —, ist es von flagranter Wichtigkeit, einmal zu hören, welche Pläne, die publizierbar sind — etwas anderes möchte ich der Bundesregierung nicht zumuten —, oder welche Konzeption im Grundsatz die Bundesregierung für die kommenden Verhandlungen mit Frankreich hat. Ich möchte also auch hier die Bundesregierung um Auskunft bitten, in welcher Weise die Verhandlungen geführt werden sollen, sofern die Bundesregierung dazu Stellung nehmen will.
    Ich wollte nur einmal diese wenigen Fragen ganz konkret stellen, weil ich nicht zuletzt aus den Erfahrungen in diesem Hause — ich meine in erster Linie den 1. Deutschen Bundestag — gelernt habe, daß es gar nicht so sehr darauf ankommt, Proklamationen und große Worte zur außenpolitischen Lage zu machen — diese beeinflussen sie am allerwenigsten —; aber ein genaues Studium der nüchternen Grundlagen ist ein ganz entscheidender Faktor, und ich wollte mit meinen Fragen die Diskussion in diese Richtung lenken: die Aufmerksamkeit auf die konkreten Unterlagen zu richten, die eben das Schicksal der Londoner Abmachungen in der Zukunft beeinflussen werden.
    Meine Bitte an den Herrn Bundeskanzler geht — ohne daß ich den Streit des Primats wieder hervorrufen will — dahin, bei den künftigen Verhandlungen der Frage der deutschen Wiedervereinigung — ich behalte trotz der Ausführungen des Kollegen von Merkatz dieses Wort als Terminus technicus bei — die große Beachtung in den Verhandlungen zu schenken und auch den übrigen Nationen gegenüber immer wieder klar zum Ausdruck zu bringen, daß die Frage einer deutschen Wiedervereinigung nicht nur das Schicksal der 18 Millionen Deutschen in der Ostzone sehr stark beeinflußt, sondern daß die Beseitigung der Zerreißung Deutschlands eine der wesentlichen Stützen einer Friedenspolitik in der gesamten Welt werden muß.