Rede von
Josef
Scheuren
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ausschuß für Sozialpolitik hat am 30. Mai 1952 mit Drucksache Nr. 3444 beantragt, daß seitens der Bundesregierung beschleunigt ein Gesetzentwurf über die endgültige Regelung der Verhältnisse der Pensionskasse Deutscher Eisenbahnen und Straßenbahnen, Körperschaft des öffentlichen Rechts, vorgelegt wird. Am 18. Juni 1952 hat der Bundestag diesem Antrag entsprochen und hat die Regierung in gleichem Sinne beauftragt, einen Gesetzentwurf über diese Angelegenheit vorzulegen. Seither sind mehr als zwei Jahre vergangen. Mein Freund Baur hat ausweislich der Drucksache 186 am 21. Januar 1954 in der Fragestunde um Auskunft gebeten, wann die Regierung gedenkt, den vom Bundestag bereits am 18. Juni 1952 geforderten Gesetzentwurf über die Neuregelung der Kassenverhältnisse vorzulegen.
In der Zwischenzeit haben sowohl die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr als auch die Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands immer wieder mit Nachdruck in Wort und Schrift auf die Notwendigkeit dieser gesetzlichen Neuregelung und insbesondere auf die Not hingewiesen, in der sich die Pensionäre befinden, solange eine gesetzliche Neuregelung ausbleibt. Ebenso haben das die berufenen Kassenorgane immer wieder mit Nachdruck sowohl bei den Fraktionen dieses Hauses als auch bei den Regierungsstellen betrieben. Trotzdem ist bis jetzt noch nicht zu erkennen, wann die Bundesregierung gedenkt, der Aufforderung des Bundestages nachzukommen. Diese Lage, die in zahlreichen Notschreiben der betroffenen Rentner charakterisiert ist und von der ich annehme, daß sie zahlreichen Mitgliedern dieses Hauses bekannt ist, da sie ähnliche Schreiben erhalten haben, zwang die Fraktion der SPD, den in der Drucksache 815 enthaltenen Antrag zu stellen, die Pensionskasse zur sofortigen Zahlung von Teuerungszulagen an ihre Rentner zu ermächtigen.
Wir hatten und haben die Absicht — das möchte ich hier noch einmal betonen —, in allen Fragen, die die Vorlage des Gesetzentwurfs und die gesetzliche Neuregelung der Kassenverhältnisse betreffen, mit allen Fraktionen dieses Hauses gemeinsam zu arbeiten, wie wir es in der Vergangenheit bereits getan haben. Ich bitte Sie daher, nicht anzunehmen, daß in der Initiative, über die ich gleich sprechen werde, eine Abweichung von dieser Absicht, wie sie der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei vorschwebt, zum Ausdruck kommt. Diese Angelegenheit, die ein gemeinsames Anliegen dieses Hauses darstellt, verträgt jedoch keinen weiteren Aufschub mehr, da die Not der Pensionäre der Pensionskasse Deutscher Eisenbahnen und Straßenbahnen von Tag zu Tag größer wird. Ich betone das mit Nachdruck und ohne jede Übertreibung. Im Gegensatz zu den Rentnern der Sozialversicherung, deren Rente seit dem Währungsstichtag bereits dreimal erhöht worden ist und bezüglich deren hier im Bundestag bereits über die vierte Erhöhung gesprochen wird, handelt es sich hier um Rentner, die bisher nicht einmal ihre normalen Leistungen nach der Satzung bekommen, geschweige denn Teuerungszulagen.
Daher haben wir den Antrag eingebracht, der Ihnen in der Drucksache 815 vorliegt:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird beauftragt,
die Pensionskasse Deutscher Eisenbahnen und Straßenbahnen, Körperschaft des öffentlichen Rechts, Köln, zu ermächtigen, ihren Rentnern ab sofort in Höhe von 25 v. H. der laufenden
Monatsrenten Teuerungszulage zu zahlen. Diese Regelung
— das haben wir vorsorglich eingebaut —
gilt bis zum Inkrafttreten des vom 1. Bundestag in seiner Sitzung am 18. Juni 1952 geforderten Gesetzes über die endgültige Regelung der Verhältnisse dieser Anstalt.
Die Mittel für diese Teuerungszulage sind im Prinzip vorhanden, und zwar im Haushaltsplan 1954 unter Einzelplan 60 Kap. 6004 Tit. 541. Das heißt, ohne daß jetzt zusätzlich Mittel zur Verfügung gestellt werden, könnte die Kasse, wenn sie die Ermächtigung der Bundesregierung bekommt, ihren Rentnern sofort helfen. Allerdings würden damit nach den Schätzungen der Kasse im Haushaltsjahr 1955 etwa 2 Millionen DM Mehrbetrag erforderlich werden. Da jedoch in dem Betrag von 6 Millionen DM, der für 1954 zur Verfügung gestellt ist, noch eine beachtliche Zahl von Rentennachleistungen enthalten war, brauchte der Gesamtbetrag nicht erhöht zu werden. Wie man nach den Untersuchungen und Schätzungen der Kasse annehmen darf, kann also mit dem jetzigen Ansatz in Höhe von 6 Millionen DM, der ja bereits festgelegt ist, auch diesen bedauernswerten Menschen geholfen werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch kurz etwas über die Pensionskasse Deutscher Eisenbahnen und Straßenbahnen sagen. Sowohl die Organe als auch die Gewerkschaften haben sich in der Vergangenheit sehr viel Mühe gemacht, über die eigenartige Struktur dieser Kasse in der Öffentlichkeit und vor allem in den gesetzgebenden Körperschaften zu berichten.
Die Pensionskasse besteht seit dem Jahre 1888. Sie hat eine ganz besondere Entwicklung gehabt. Damals, zur Zeit ihrer Gründung, liefen auch die Verkehrsmittel der nicht bundeseigenen Bahnen an. Der Gesetzgeber machte diesen Bahnen in den Konzessionsurkunden die Auflage, für ihre Bediensteten beamtenähnliche Versorgung zu gewährleisten. Das ist der Sinn und Zweck des Entstehens dieser Kasse. Der Gesetzgeber hat, da sie in Ordnung war, da sie mit ihrem Deckungsstock gesunde Verhältnisse hatte, keinen Anlaß gefunden, sie etwa bei Begründung der Invalidenversicherung oder später bei Aufhebung der Ersatzkassen zur Angestelltenversicherung aufzuheben; er hat sie bestehen lassen. Die Kasse ist nur unschuldig, völlig ohne daß sie es zu verantworten hätte, durch die politischen Ereignisse zweimal sehr schwer angeschlagen worden, einmal nach dem ersten verlorenen Weltkrieg und neuerdings durch die Währungsreform bzw. durch den Zusammenbruch im Jahre 1945. Die noch vorhandenen Mittel der Kasse, die früher ihren Sitz in Berlin hatte, wurden damals durch Maßnahmen der Sowjetischen Militär-
Administration blockiert, sind niemals mehr zum Tragen gekommen. Die Kasse hat dann ihren Sitz nach dem Westen verlegt, und zwar nach Köln.
In ihrer Art nimmt sie eine eigenartige, eine einmalige Sonderstellung ein, auf die sich keine andere Versorgungskasse mehr berufen kann. Sie versichert einen Kreis von Personen, der an sich entweder in der Invalidenversicherung oder in der Angestelltenversicherung sozialversicherungspflichtig wäre. Ich erwähnte schon, daß der Gesetzgeber diesen Bahnen die Auflage einer beamtenähnlichen Versorgung ihrer Bediensteten gemacht hat, an die ebenso wie an die Bediensteten der Bundesbahn hohe Anforderungen in zerissenem Tages- und Nachtdienst gestellt werden müssen.
Hier warten also jene Menschen, die dreißig, vierzig und mehr Jahre lang in diesen Betrieben auf Treu und Glauben gearbeitet haben und die in dem Glauben lebten und bis heute leben, daß sie nicht so ohne weiteres beiseitegedrückt werden können, da sie ja wohlerworbene Rechte haben. Sie hätten beamtenähnliche Versorgungsleistungen zu beanspruchen. Im Gegensatz zu den Beamten zahlen sie aber ihre Beiträge zu der Pensionskasse selbst, und zwar zu einem Satz von 19 %.
Der Kreis der Versicherten dieser Kasse ist auf Grund von Bundesratsbeschlüssen aus dem Jahre 1913 und aus dem Jahre 1915 von der Versicherungspflicht in der Invaliden- und Angestelltenversicherung befreit. Die Organe der Kasse haben aber von sich aus, in weiser Überlegung, damit eine dritte Katastrophe diesen Versichertenkreis nicht mehr treffen kann, von jetzt ab alle Versicherten auf Grund freiwilliger Vereinbarungen in der gesetzlichen Rentenversicherung rückversichert. Sie können jedoch von den Gesetzen, die seit der Währungsreform für die Rentenversicherten ergangen sind, nämlich vom Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz, vom Rentenzulagengesetz und vom Gesetz über die Erhöhung der Grundrenten, noch keinen Gebrauch machen. Wir sind der Überzeugung, daß eine fünfundzwanzigprozentige Teuerungszulage gerechtfertigt ist. So wie die Teuerungszulagen der Sozialversicherung vom Bund finanziert werden, so muß diese Mehrbelastung, die auf rund 2 Millionen DM pro anno geschätzt wird, vom Bund getragen werden, und zwar in Konsequenz des Urteils des Bundesgerichtshofes vom 15. Dezember 1951, in dem ausdrücklich festgestellt wird, daß die Kasse ihre Leistungen so wie die Sozialversicherung im Verhältnis 1 : 1 umzustellen hat und daß der Bund für diese Umstellung die Mittel zur Verfügung zu stellen hat.
Meine Damen und Herren, vielleicht wird von Ihrer Seite noch ein Versuch gemacht, diese Ermächtigung für die Bundesregierung nicht auszusprechen bzw. sie zu beauftragen, daß sie die Kassenorgane ermächtigt, Rententeuerungszulagen zu zahlen. Vielleicht haben Sie auch den Wunsch, den Antrag an einen Ausschuß zu verweisen. Ich bitte Sie im Namen der wirklich in Not befindlichen Rentner, die Beschlußfassung über den Antrag in keiner Weise zu verzögern und entsprechend unserm Antrag zu beschließen, damit endlich die in bedauernswerter Lage lebenden Rentner zu ihrem Recht kommen.