Zur Begründung des Gesetzentwurfs Drucksache 820 unter Punkt 7 c hat das Wort der Abgeordnete Stingl.
Stingl , Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktionen der Koalitionsparteien legen dem Hause den Entwurf eines Gesetzes zur Gewährung von Mehrbeträgen an alte Rentner in den gesetzlichen Rentenversicherungen und zur Neufestsetzung des Beitrages in der Rentenversicherung der Arbeiter, der Rentenversicherung der Angestellten und der Arbeitslosenversicherung vor. Herr Professor Schellenberg hat schon erwähnt, daß von der Regierung der gleiche Entwurf sogar in demselben Wortlaut. wie er Ihnen hier vorliegt, dem Bundesrat zugeleitet worden ist. Daraus, daß sich die Fraktionen der Koalitionsparteien entschlossen haben, den Entwurf, obwohl er dem Bundesrat schon vorliegt, auch als Initiativgesetzentwurf im Bundestag einzubringen, wollen Sie erkennen, daß wir der Meinung sind, daß es höchst dringlich und eilig ist, unseren Altrentnern eine Besserung ihrer Lebensverhältnisse zu gewähren.
Meine Damen und Herren, ich darf mir die Bemerkung gestatten, daß Herr Professor Schellenberg darauf hingewiesen hat, das Bundesarbeitsministerium habe seit fast einem Jahr an diesem Entwurf gearbeitet. Sie können versichert sein, daß auch wir — ich kann das insoweit natürlich nur für meine Fraktion sagen — mit Ungeduld auf den Entwurf gewartet haben, jedoch davon überzeugt sind, daß die in diesem Jahr geleistete Vorarbeit an dem Entwurf die Gewähr dafür gibt, daß hiermit eine Regelung gefunden wird, die wir den Rentnern gegenüber verantworten können. Ich darf den Vorwurf zurückweisen, daß uns überhaupt erst die Initiative der SPD veranlaßt habe, uns in den Fraktionen mit dem Problem zu beschäftigen und seine Dringlichkeit zu erkennen.
— Ich kann Ihnen zur Kenntnis geben, daß, bevor Ihr Antrag kam, in unserer Fraktion immer wieder darauf gedrängt wurde, daß dieser Antrag fertiggestellt würde.
Ich darf bemerken, daß der Umstand, daß wir den gleichen Entwurf einreichen, den die Bundesregierung dem Bundesrat zugeleitet hat, natürlich einschließt, daß die Fraktion der CDU/CSU und gewiß auch andere Fraktionen der Regierungskoalition in den Ausschußberatungen noch gewisse Dinge besprechen und vielleicht in einigen Punkten Änderungen vorschlagen werden.
— Ich bin nicht ganz Ihrer Meinung; aber das ist nun ihre Auffassung.
Bei diesem Gesetz geht es darum, die echte Not der alten Rentner zu beheben und ihnen die Möglichkeit zu geben, nunmehr aus ihrer Bedrängnis und der Sorge um den täglichen Lebensunterhalt herauszukommen, die Sie ja aus den Briefen alle genau so gut kennen wie ich.
Ich darf im übrigen daran erinnern, daß dieser Entwurf nicht die erste Maßnahme seit dem Zusammenbruch ist, womit versucht wird, die Lage der Rentner an die veränderte Kaufkraft und das veränderte Preis- und Lohngefüge anzupassen. Sie wissen alle selbst, daß das Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz schematisch eine Erhöhung um 15 DM und eine Festsetzung der Mindestrente auf 50 DM in der Invalidenversicherung brachte. Sie wissen auch, daß das Rentenzulagengesetz von 1951 insoweit eine schematische Aufbesserung der Renten brachte, als 25 % zur Gesamtrente zugeschlagen wurden, also sowohl zum individuellen Teil wie zum generellen Teil, zur Grundrente und zum Steigerungsbetrag. Die Erhöhung des Grundbetrags der Rente im Jahre 1953 wiederum brachte ebenfalls einen generellen Zuschlag, der sich nicht auf die Beitragsleistungen der Rentenempfänger bezog. Diese Regelungen — ich darf es noch einmal betonen — waren also alle schematisch. Im übrigen beinhaltet der SPD-Antrag auch eine schematische Erhöhung.
Von diesem Prinzip der schematischen Erhöhung aller Renten geht unser Entwurf nun ab. Der Grundgedanke dabei ist, daß wir zunächst die Altrentner herausnehmen wollen, weil wir der Meinung sind, daß sie nicht in der Lage sind, noch zu warten, bis eine Gesamtreform der Sozialversicherung, die ja erarbeitet wird, durchgeführt werden kann. Wir sind also der Meinung, daß die bisherigen Regelungen nicht ausreichten, und wollen deshalb die Altrenter besserstellen.
Woher ergeben sich nun die Gründe für die Besserstellung derjenigen, die vor diesen beiden großen Eingriffen — 1939 Ausprägung der Rüstungswirtschaft und 31. Dezember 1923 Ende der Inflation — günstiger dagestanden haben? Wir wissen, daß wir es bei der Beitragszahlung in der Rentenversicherung — und das ist der erste Grund — mit einem unterschiedlichen Wert der geleisteten Beiträge zu tun haben. Der weitere Grund ergibt sich daraus, daß die in der Rentenversicherung Beiträge zahlenden Arbeitnehmer früher unterversichert waren, unterversichert nicht nur deshalb, weil sie im Vergleich zum heutigen Lohngefüge einen geringeren Lohn bezogen, sondern unterversichert auch deshalb, weil die Beitragsgrenze, also das zur Sozialversicherung herangezogene Einkommen, wesentlich niedriger lag, als wir es heute gewohnt sind. Diese Unterversicherung wirkt sich natürlich bei der Berechnung der Steigerungsbeträge aus. Gerade die alten Rentner, die schon sehr lange
Beiträge gezahlt haben, erhalten nicht die ihren damaligen Einkommensverhältnissen entsprechenden Rentenleistungen. Dabei muß erwähnt werden, daß die Rentenversicherung zur Zeit ihrer Gründung und in den ersten Anfängen schließlich nicht als alleinige Alterssicherung für die Rentenbezieher gedacht war, sondern daß man der Meinung war, jeder Rentner werde in seinem Alter von dem, was er sich auch sonst erspart habe, noch leben können. Die beiden Inflationen und die Kriege überhaupt mit ihren Folgen haben diese Vorsorge des einzelnen, des Privaten, weithin zunichte gemacht. Infolgedessen sind wir gezwungen, heute auf gesetzgeberischem Wege demjenigen, der in einem langen, arbeitsreichen Leben Beiträge zur Rentenversicherung geleistet und eine Pflichttreue und Treue zur Rentenversicherung bewiesen hat, das auch zu vergelten. Wir meinen dabei, daß sich diese Anhebung der Renten der Alten irgendwie auf den Entgelt beziehen muß, den sie zur Zeit ihrer Beitragsleistungen bezogen haben. Das ist ein wesentlicher Grundgedanke dieses Gesetzes. Insofern unterscheidet sich die von uns vorgeschlagene Regelung von einer schematischen Anhebung. Wer in seiner Versicherungszeit annähernd gleichen Entgelt bezogen hat, soll für sich auch die annähernd gleiche Erhöhung der Renten in Anspruch nehmen können; eine völlige Gleichstellung wird sich nicht erreichen lassen. Wir wollen damit erreichen, daß sowohl individuell die Beitragsleistungen des Versicherten berücksichtigt werden als auch zugleich auf das Gesamteinkommen abgehoben wird, das er zu der Zeit hatte, als er in die Versicherung einzahlte.
Im einzelnen darf ich zu dem Entwurf des Gesetzes bemerken, daß, ausgehend von diesem Gedanken, der § 1 die Regelung auf diejenigen Versicherten, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, und auf diejenigen Witwen und Witwer, die das 60. Lebensjahr vollendet haben, begrenzt, im Moment also auf solche, die bereits im Genuß der Rente sind.
— Weil wir der Meinung sind, daß die Regelung für die Bezieher von Invalidenrente oder einer sonstigen Rente, die unter 65 bzw. 60 Jahre alt sind, eine Angelegenheit ist, die im Zuge der gesamten Regelung der Sozialversicherung erledigt werden muß.
Nach dem § 2 — das ist ja wohl selbstverständlich — soll diesen Mehrbetrag nur derjenige erhalten, der im Geltungsbereich dieses Gesetzes wohnt.
Die praktische Durchführung des Gesetzes für den Kreis der Rentenberechtigten ergibt sich aus dem § 3 bzw. den §§ 4 und 5. Der § 3 des Gesetzentwurfs beschäftigt sich damit, wie die Errechnung des Mehrbetrages durchzuführen ist, wenn eine Rente neu festgestellt wird, also für diejenigen Rentenberechtigten, die nach dem Erlaß dieses Gesetzes in die Rente hineinwachsen und 65 Jahre als Versicherte, 60 Jahre als Witwer und Witwen alt werden. Sicherlich ist Ihnen hier beim Lesen des Gesetzentwurfs aufgefallen, daß in Abs. 2 Buchstabe a und in Abs. 2 Buchstabe b die Vomhundertsätze, mit denen die Beitragsleistungen der Versicherten multipliziert werden sollen, in den einzelnen Versicherungsarten verschieden sind. In der Rentenversicherung für Arbeiter sollen sie für
die Zeit bis zum 31. Dezember 1923 80 v. H. betragen, in der Rentenversicherung der Angestellten 120 v. H. und in der knappschaftlichen Rentenversicherung 40 v. H. In der Zeit nach dem 1. Januar 1924 bis zum 31. Dezember 1938 sollen die Vomhundertzahlen jeweils die Hälfte der eben angegebenen betragen. Die unterschiedliche Bewertung in den verschiedenen Rentenversicherungsarten ergibt sich daraus, daß die Berechnung der Steigerungsbeträge in den einzelnen Rentenversicherungsarten verschieden ist.
— Wir wollen die Grundbeträge so lassen, wie sie sind, und wollen bei dem Mehrbetragsgesetz auf die Steigerungsbeträge abheben — ich sagte es vorhin schon — unter Bezugnahme sowohl auf die geleisteten Beiträge wie unter Bezugnahme auf das Entgelt, das derjenige bezogen hat, der die Versicherungsbeiträge geleistet hat.
Ich sagte, die Verhältniszahlen, die Sie hier finden, erklären sich daraus, daß die Steigerungsbeträge in der Rentenversicherung der Arbeiter, also in der Invalidenversicherung, mit 1,2 %, in der Rentenversicherung der Angestellten mit 0,7 und in der knappschaftlichen Rentenversicherung mit 2,4 % berechnet werden.
In Abs. 3 legen wir fest, daß für die Ersatzzeiten ebenfalls diese Zulagen, soweit Steigerungsbeträge zu gewähren sind, berechnet werden sollen. Für diejenigen Rentner, die beim Inkrafttreten dieses Gesetzes bereits ihre Rente bekommen, deren Rente also schon festgestellt ist und die über 65 bzw. 60 Jahre alt sind, mußte naturgemäß ein anderes Verfahren gefunden werden. Hierin ist der Grund zu suchen, weshalb umfangreiche und sehr langwierige Vorarbeiten bis zur Einbringung dieses Gesetzes notwendig waren. Hier mußte ja — ich darf es noch einmal erwähnen — davon ausgegangen werden, daß man ungefähr feststellt oder einen Anhaltspunkt dafür findet, wie lange und in welcher Höhe der Versicherte Beiträge geleistet hat. Dafür ist natürlich zunächst der Steigerungsbetrag ein Maßstab, aber nicht für sich allein. Er muß selbstverständlich zum Beginn der Beitragsleistung in der Rentenversicherung in Beziehung gesetzt werden. Da bei den meisten Rentenversicherungsträgern Unterlagen nicht nur durch den Krieg verlorengingen, sondern auch deshalb nicht mehr vorhanden sind, weil sie nach Feststellung der Rente nach einer gewissen Zeit vernichtet werden, mußte man von der Wahrscheinlichkeit eines normal verlaufenen Arbeitslebens ausgehen. Das hat dazu geführt, daß man als Anhaltspunkt neben dem Steigerungsbetrag das Geburtsjahr des Versicherten berücksichtigt und dann im allgemeinen einen Normalbeginn des Arbeitslebens festlegt. Auch diese Relation allein genügt jedoch nicht. Man muß auch noch berücksichtigen, zu welcher Zeit dem Rentenempfänger seine Rente festgestellt wurde. Erst dann wird sich ja zeigen, welche Beitragsanteile er in den von uns zu erfassenden Zeiten mit anderem Lohn- und Preisgefüge, also vor 1923 bzw. 1938, geleistet hat. Diese Berechnung ist naturgemäß für die Einzelrente äußerst schwierig. Es kam uns aber darauf an — und das Arbeitsministerium ist diesem Wunsch gefolgt —, die Errechnung des Mehrbetrages zwar individuell, aber so schnell wie möglich durchzuführen. Deshalb ist für die Rentenversicherung der Angestellten und für die der Arbeiter eine Tabelle erstellt
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1 worden, die nach den von mir eben genannten Grundsätzen errechnet ist und die — das darf ich mit allem Nachdruck sagen — es ermöglicht, die Arbeit zur Erhöhung der Renten auch von Hilfskräften durchführen zu lassen.
Wie mir gesagt wurde, haben einige Rentenversicherungsträger, einige Landesversicherungsanstalten, erklärt, die Durchführung sei in dieser Form mit einem Lochkartensystem sehr einfach. Im übrigen können wir uns, wenn wir im Ausschuß der Meinung sein sollten, auch diese Art ergebe eine allzu lange Verzögerung, über eine Vorschußzahlung durchaus unterhalten.
In der knappschaftlichen Rentenversicherung liegen die Dinge, da die Unterlagen vorhanden sind, einfacher. Hier können wir auch bei den schon festgestellten Renten darauf zurückgreifen, was wir bei den noch festzustellenden gesagt haben und was in § 3 festgelegt ist.
§ 6 unseres Gesetzentwurfes besagt, daß dieser Mehrbetrag ein Bestandteil der Rente ist. Ich habe im Anfang angemerkt, die Einreichung der gleichlautenden Anträge hier und im Bundesrat werde dazu führen, daß im Ausschuß auch von uns unter gewissen Bedingungen Änderungen dieser oder jener Art vorgeschlagen würden. Ich darf für die CDU/CSU bemerken, daß wir uns gewiß über eine Unter- und Obergrenze dieses Mehrbetrages im Ausschuß eingehend unterhalten werden. Wir werden hier sicherlich zu einer allseits befriedigenden Lösung kommen.
Der Mehrbetrag dieser Rentenerhöhung wird gezahlt mit Beginn des Monats, in dem das maßgebende Lebensjahr vollendet wird; das weicht also von der sonstigen Handhabung, bei der die Rente erst im nächsten Monat beginnt, etwas ab.
Die Leistungen sollen unbeschadet des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes von dem Träger der Rentenversicherung der Arbeiter oder dem Träger der Rentenversicherung der Angestellten aufgebacht werden, je nach dem, von wem sie festgestellt sind.
Nun zu § 9 dieses Gesetzenwurfes! Herr Professor Schellenberg hat vorhin bemerkt, dieser § 9 sei offenbar nicht die glänzendste Lösung, die man sich denken könne. In § 9, meine Damen und Herren, mußte ja für die Deckung eine Möglichkeit gefunden werden. Herr Professor Schellenberg hat den Betrag von 684 Millionen DM genannt. Das ist der Mehrbetrag, der ohne diese Begrenzung in Höhe von 30 DM entsteht. Insoweit gebe ich Ihnen recht, Herr Professor.
Ich darf aber bemerken, daß dieser jährliche Aufwand von 684 Millionen DM mit der Zeit abnehmen wird, nämlich insofern, als ja immer weniger Rentenempfänger in die Rentenversicherung hineinwachsen, die vor den beiden Stichtagen Beiträge an die Rentenversicherung geleistet haben. Allerdings ist das etwas, was in weiter Ferne liegt.
Nun, diese Mehrleistung, die wir hier erbringen wollen, muß getragen werden. Wir schlagen Ihnen deshalb vor, einen Ausgleich zu suchen in den Beiträgen, die den Versicherten abgezogen und vom Arbeitgeber getragen werden, und zwar nach dem Gesetzentwurf in der Form, daß bei der Rentenversicherung zusätzlich 1 % Beiträge eingeführt werden, aber bei der Arbeitslosenversicherung 1 % weniger. Der Zeitpunkt des Beginns dieser Neuregelung der Beiträge, der auf den 1. April 1955 festgelegt ist, sagt Ihnen schon, daß wir die Vorhaben der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung in diesem Jahr keineswegs gefährden wollen. Er besagt aber zugleich, daß wir uns auch über diesen Punkt im Ausschuß unterhalten müssen. Ich darf hier anmerken, daß ich nachher den Antrag stellen werde, zur Mitberatung auch den Ausschuß für Arbeit zuzuziehen, und zwar gerade wegen dieser Angelegenheit in § 10.
Daß das Gesetz auch in Berlin gelten soll, braucht, glaube ich, nicht besonders erwähnt zu werden, sondern versteht sich von selbst.
Meine Damen und Herren, durch dieses Gesetz werden 2 195 300 Rentenempfänger, die selbst versichert waren, einen Mehrbetrag bekommen. Ich glaube, daß das schon eine Leistung ist, mit der wir — in diesem Ansatz — unseren Alten entgegenkommen. Die beste Lösung, die wir uns denken konnten, war die, die möglichst schnell und möglichst umfassend denen hilft, die in einem langen und arbeitsreichen Leben Versicherungstreue bewiesen haben, die außerdem in dieser Sozialversicherung von Gesetzes wegen versichert waren und somit einen Anspruch darauf haben, daß ihnen ihr Lebensabend durch den Gesetzgeber gesichert wird, der sie ja in diese Versicherung hineingebracht hat. Wir sind der Meinung, daß in dieser Form eine wirksame Hilfe für die Alten gebracht wird, denen wir nicht zumuten wollen, auf die Gesamtreform der Sozialversicherung zu warten.
Ich darf Sie bitten, den Gesetzentwurf federführend dem Ausschuß für Sozialpolitik und zur Mitberatung dem Ausschuß für Arbeit zu überweisen.