Rede von
Franz
Neumann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Kollege Kiesinger, ich sage Ihnen dazu, daß es sicherlich auf allen Seiten Fehler gibt;
aber ich möchte Ihnen sagen: ich glaube, die Toleranz sollte wohl auch irgendwie in Verbindung zum Christentum stehen, und darum sollten in stärkerem Maße als bisher ven Ihnen hier die Wechselbeziehungen gepflegt werden.
Meine Damen und Herren, ich möchte hier das eine wiederholen, was mein Kollege Arndt gesagt hat. Es sollte darauf ankommen, daß Sie nicht nur gute Theorien entwickeln; Sie als der stellvertretende Vorsitzende der Fraktion sollten auch den Versuch machen, auf den Vorsitzenden der CDU einzuwirken,
daß von seiner Seite Vorbildliches getan wird.
Das, meine Damen und Herren, Herr Kollege Kiesinger, was wir gestern im Anschluß an die Rede Reinhold Maiers erlebten, war leider nichts Vorbildliches.
Ich bin gestern abend kurz nach dem Kollegen Maier hier aus dem Hause gegangen und habe mit ihm gemeinsam den Weg zur Koblenzer Straße benutzen müssen. Ich mußte durch den Sumpf stapfen. Herr Bundestagspräsident, vielleicht darf ich es bei dieser Gelegenheit einmal für alle Fußgänger des Bundestags sagen: Im sechsten Jahr müssen wir jetzt bei schlechtem Wetter gleich beim Verlassen des Bundestages am Tor I durch einen Dreck waten, der am Haus Nordrhein-Westfalen beginnt und bis zum Bundeskanzlerpalais andauert.
Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler hat an seinem Haus eine wunderbare Einfahrt asphaltieren lassen, und die Autos parken auf einer asphaltierten Fläche. Die Bundestagsabgeordneten aber und alle Besucher des Bundestages müssen bei schlechtem Wetter durch den Dreck stapfen am Haus des Herrn Bundeskanzlers vorbei.
Vielleicht könnten Sie einmal beim Herrn Bundeskanzler erreichen, daß an seinem Grundstück das getan wird, was zwingende Verpflichtung für alle Hausbesitzer in Bonn ist:
den Bürgersteig noch vor Eintritt des Winters asphaltieren zu lassen!
— Aber Sie haben doch selbst den Nutzen davon, Sie Autofahrer sollten doch nicht die Zwischenrufe machen!
Nun, meine Damen und Herren, noch eins. Herr Maier stapfte also vor mir her, und als er sich von seinen Freunden verabschiedete, sagte er: „Wir wollen doch zum Schluß noch das Thomas-Dehler-
Lied singen". Ich war gespannt, und dann hörte man es summen:
Ich hatt' einen Kameraden, einen besseren findst du nicht.
Die Trommel schlug in Bonn zum Streite, Thomas Dehler ging an meiner Seite,
als wär' er ein Stück von mir.
Wahrhaftig, für Herrn Reinhold Maier hat der
gestrige Tag dann einen würdigen Abschluß mit
dem Singen des Thomas-Dehler-Liedes gefunden.
Aber ich komme zum Sumpf und zu Ihrem Zwischenruf. Was hat es hier denn überhaupt zu tun, daß er in dieser Debatte noch einmal den Fall Schroth/Scharley bringt? Meine Damen und Herren, wenn jemand im bürgerlichen Leben, überhaupt im Leben, ein kriminelles Verbrechen begeht, dann wird er nach den Bestimmungen des Gesetzes bestraft. Wenn jemand politische Nachrichten fälscht, um Geld zu bekommen, um große Teile des deutschen Volkes diskriminieren zu können, dann ist er ein ganz gewöhnlicher krimineller Verbrecher, der bestraft werden muß. Herr Bundesinnenminister, ich habe in den letzten Mona-
ten, zuletzt in einer Rundfunkansprache vor vier bis fünf Wochen, wiederholt die Frage aufgeworfen: Was haben Sie gegen den Nachrichtenverkäufer, der sicherlich auch der Hersteller ist, unternommen? Was haben Sie getan, um ähnliche Vorfälle zu verhüten, was haben Sie getan, daß wir für die Zukunft gegen derartige gemeine Menschen gefeit sind? Das sind die Fragen, die ich Ihnen stellen will, und ich glaube, das sind sehr wichtige Fragen, die heute von Ihnen beantwortet werden sollten. Leider ist es so, daß bis zum heutigen Tage gegen diesen Mann nichts unternommen worden ist.
Meine Damen und Herren, hier sollte sich doch der Deutsche Bundestag in seiner Gesamtheit einig sein, daß gegen derartige Brunnenvergifter mit aller Schärfe des Gesetzes vorgegangen werden sollte. Herr Kiesinger, wir wollen nicht besser als irgendein anderer in Deutschland behandelt werden, wir wollen aber nicht so behandelt werden, wie das im Falle Schroth/Scharley wiederum Wirklichkeit geworden ist. Wir wollen nicht, daß das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Landesämter für Verfassungsschutz irgendeiner Partei nutzbar sind, sie haben vielmehr bestimmte Aufgaben für die Sicherheit des deutschen Volkes zu erfüllen. Wenn wir uns darin einig sind, wird manche Schwierigkeit aus dem Wege geräumt werden können.
— Ich freue mich, daß wir übereinstimmen, Herr Kiesinger.
Aber es ist doch leider so, daß die Machtmittel des Staates einseitig gegen die Sozialdemokratie benutzt werden. Mein Freund Willy Brandt kommt gerade in den Bundestag, Herr Kollege Kiesinger, und erzählt mir folgendes, was sich am gestrigen Tage ereignet hat. Es handelt sich um den Herrn Senator a. D. Dr. Günther Klein, der Ihnen als ein Mann bekannt ist, der sich als Senator für Bundesangelegenheiten große Verdienste um Berlin erworben hat, der mit allen Kräften dieses Hauses alles Mögliche versucht hat, um Berlin zu helfen, ein Mann, der seiner politischen Anschauung wegen zwölf Jahre aus staatlichen Diensten entfernt war. Wissen Sie, was gestern hier in Bonn und in Berlin passiert ist? Hier in Bonn — er war nicht anwesend — ist seine Wohnung aufgebrochen worden von der Polizei
nach Gestapo-Manier, die Türfüllung ist eingeschlagen worden, weil er eben nicht da war. In Berlin ist sein Haus durchsucht worden, und wir hören,
daß Akten beschlagnahmt worden sind, daß private Dinge beschlagnahmt worden sind. Wir hören, daß persönliche Korrespondenz mit mir, mit dem Kollegen Brandt, mit Herrn Ollenhauer und anderen beschlagnahmt worden ist
auf Anweisung von Kräften, die in den zwölf Jahren auf der anderen Seite führend waren.
Sehen Sie, das ist eben das Traurige, was wir feststellen müssen. In dem letzten Jahr der Regierung des Herrn Dr. Schreiber hat man versucht, das nachzuholen, was in Berlin jahrelang nicht möglich war. Die rechte Hand des Herrn Regierenden Bürgermeisters ist ein Mann, der seit dem 1. Mai 1933 in dieser Organisation tätig war und auf Grund seines Verhaltens in dieser Organisation dann, ich glaube, sieben Jahre von den Sowjets in Waldheim festgehalten wurde. Die linke Hand ist ein Mann, der zwar erst 1937 der NSDAP beigetreten ist, der aber außerdem noch in sechs anderen nazistischen Organisationen aktives Mitglied war. Der Herr Regierende Bürgermeister ist nicht in Berlin, sondern in Wien bei der Tagung Ihrer Partei. Diese Leute benutzen nun die staatliche Macht, die sie in der Hand haben, um gegen einen Menschen vorzugehen, der sich zeit seines Lebens nur die größten Verdienste um den demokratischen Staat erworben hat.
Das ist es, was wir so bedauern. Das ist es, was uns immer wieder von Ihnen trennt. Hier sollte die Praxis der politischen Betätigung der Koalitionsparteien führend sein, um zu verhindern, daß derartige Dinge in der Bundesrepublik weiterhin möglich sind. Sie lassen immer wieder die Gefahr entstehen, daß das Ausland sagt: In dieser Bundesrepublik werden ja die Kräfte von gestern aktiv, haben sie die Möglichkeit, mit den Machtmitteln des Staates gegen die vorzugehen, die gestern noch die Verfolgten waren! Sie sollten überlegen, ob das nicht eine Lehre aus dem Fall John ist, und Sie, Herr Innenminister, sollten uns sagen, ob es nicht nur notwendig, sondern auch möglich ist, daß man gegen die Brunnenvergifter vorgeht. Im Berliner Bundeshaus haben wir ja leider keinen Kopf, wir haben einen Magen, Herr Minister, und einen Vockel. Falls die Herren vergessen haben sollten, wer der Mann war, ich bin gern bereit, Ihnen den Namen des Nachrichtenverkäufers zu nennen, damit Sie das erfüllen können, was Ihre Pflicht gegen derartige Elemente in Deutschland ist.