Rede von
Dr.
Adolf
Arndt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Ho o g en hat gestern einen Zusatzantrag zum Thema Untersuchungsausschuß gestellt. Wir halten den Antrag für zulässig und werden ihm zustimmen.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die von Herrn Geheimrat L a f o r et in seinem Rechtsgutachten gegen Zusatzanträge erhobenen Bedenken sonst begründet sind. In Übereinstimmung mit dem Rechtsstandpunkt, den meine Partei in Niedersachsen eingenommen hat, halten wir es — vorbehaltlich der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts — für statthaft, solche Ergänzungen der Aufgaben zu beschließen, die das Anliegen der antragstellenden Minderheit nicht beeinträchtigen, also das Beweisthema weder verändern noch verfälschen. Unserer Meinung nach hätte es allerdings der Zusatzfrage nicht bedurft; denn die Frage 1 nach der Aufsicht über das Amt und die Frage 5 nach den Umständen des Verrats umschließen es ohnehin, daß man die Wahrheit über John feststellt, um das Kontrollrecht des Bundestags gegenüber der Bundesregierung wahrzunehmen.
Daß unser Antrag die Verantwortlichkeit des Bundeskanzlers für Johns Ernennung nicht ausdrücklich ansprach, hat einen klaren Grund. Uns lag und liegt es fern, die Bundesregierung oder eine der Regierungsparteien sozusagen — meine Damen und Herren, entschuldigen Sie bitte — noch in Tuchfühlung mit dem zum Verräter gewordenen John zu bringen. Ist es denn wirklich nötig, solche Selbstverständlichkeiten auszusprechen? Zu den gestern hier so beredt beschworenen Gemeinsamkeiten dürfte es doch als das Erste, als der einfachste Anfang einer Grundlage gehören, uns in einer Überzeugung einig zu sein: in dem Augenblick, als John die Grenze zum Berliner Ostsektor überschritt, als er die Unfreiheit wählte und die Demokratie verriet, wurde zwischen ihm und uns allen ein solcher Trennungsstrich gezogen, daß es für jeden Demokraten und für jede demokratische Partei eine Beleidigung ist, mit diesem John noch in einem Atemzug genannt zu werden.
Wer jetzt von uns dem anderen anhängen wollte: „Seht, dieser da ist euer John!", der handelt unanständig
und muß sich gefallen lassen, daß man ihn auch so benennt.
Meine Damen und Herren, um Johns willen bedürfte es keines Untersuchungsausschusses, weil unser aller Urteil über ihn gesprochen ist. Was es im gemeinsamen Interesse zu ermitteln gilt, sind die Fehlerquellen. Man muß sie kennen, wenn man für die Zukunft ein gleiches Unheil vermeiden will.
Das Thema eines Untersuchungsausschusses ist stets einzig und allein die Verantwortlichkeit der Regierung, weil die Befugnis, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen, nur dazu gewährt ist, dem Parlament eine Ausübung seines Kontrollrechts der Regierung gegenüber zu ermöglichen. In der Staatsrechtslehre hat man deshalb den Untersuchungsausschuß, der die Ursache des 1. Weltkrieges feststellen sollte, zutreffend als verfassungswidrig kritisiert. Ebenso wäre es unzulässig — ich sage das mit aller Offenheit —, den Fall Schmidt-Wittmack als solchen zum Gegenstand einer parlamentarischen Untersuchung zu machen, weil dabei keine Verantwortlichkeit der Regierung in Frage steht.
Ihr Zusatzantrag, Herr Kollege Hoogen — ich fürchte, er ist im Augenblick nicht anwesend —
— so? —, kann daher nur den Sinn haben, ausdrücklich mit zu prüfen, ob von seiten der Bundesregierung, als sie John ernannte, etwas versäumt oder sonst fehlerhaft von ihr gehandelt wurde.
Wenn ich sagte, ein Untersuchungsausschuß könne sich immer nur mit der Suche nach Fehlern der Regierung und mit nichts sonst befassen, so wünschte ich doch, daß wir uns hierbei über einen Gesichtspunkt verständigten, der von entscheidender Bedeutung ist. In einer Demokratie sind die Rollen zwischen der Mehrheit und der Minderheit nicht so verteilt, daß jeder Fehler der Regierung ein Sieg der Opposition oder jedes Versäumnis der Regierung nur eine Schlappe für ihre Mehrheit wäre. Es gibt auch Fehler, die wir allesamt zu büßen haben, und daher auch Fehlerquellen, die aufzudecken und zu verstopfen eine gemeinsame Aufgabe und ein Gewinn für das Ganze sind. Ich kann deshalb für meine Fraktion vieles von dem gutheißen, was gestern hier Herr von Brentano und Herr von Merkatz geäußert haben, wenn es dabei auch Zwischentöne und Untertöne gab, die mir nicht gefallen haben, und Bemerkungen, die durchaus auf unsere entschiedene Ablehnung stoßen müssen. Ich will das Haus nicht damit aufhalten, mich damit nun im einzelnen auseinanderzusetzen. Jedenfalls sehe ich einen guten Anfang in dem Anerkenntnis, daß es um unser politisches Klima leider nicht zum besten bestellt ist. Man schafft aber kein neues Klima schon nur mit der wortstarken Aufforderung zum Zusammenrücken. Voraussetzung des Zusammenrückens ist zuweilen ein Abrücken. Es wäre an der Zeit, daß Sie endlich einmal abrückten von dem auch auf die Sozialdemokratie gemünzten Plakat der CDU: „Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau",
abrückten von der Verdächtigung, daß unsere politische Haltung die antideutschen Kräfte im Ausland ermuntere,
abrückten von der Rundfunkrede eines Bundesministers ohne besondere Aufgaben, der sich selbst
als Persönlichkeit in der Mitte Europas bezeichnete.
Es dient auch nicht unserem Gespräch, wenn der Herr Bundesminister des Innern jedesmal, in
der „Vulkan"-Debatte gegenüber dem Herrn Kollegen Greve und gestern gegenüber Herrn Kollegen Menzel, seine Kritiker eines Bruches der Vertraulichkeit bezichtigt und damit nur in kleiner Weise nachahmt, was ihm der Herr Bundeskanzler von dieser Stelle aus gegenüber meinem Freunde Carlo Schmid zu Unrecht vorexerziert hat.
In diesem Zusammenhang auch zu dem, was soeben der Herr Kollege Heye ausgeführt hat: Was uns von den sogenannten Volkskammern unterscheidet, ist die Freiheit unserer Rede und die gemeinsame Überzeugung, daß man den Demokraten, der eine andere Meinung hat oder Kritik übt, nicht als Staatsfeind abtun darf.
Wir sollten uns diesen Unterschied eines freien Parlaments zu den Volkskammern nicht verkümmern lassen.
Ich bedauere es deshalb, daß der Herr Kollege Heye hier soeben gesagt hat, wir hätten gestern nur dem Gegner Material geliefert.
Wir haben uns frei ausgesprochen. Und wenn es ein Material ist, dann können die Volkskammern daran lernen, wie es in einer Demokratie zugeht, und könnten sich danach sehnen, so frei zu sein wie wir. Man soll doch nicht immer die Freiheit als einen Schaden darstellen, weil dann letzten Endes das aufgegeben wird, was einer Verteidigung erst ihren Wert gibt.
Es ist Ihnen unbenommen, der Rede des Herrn Kollegen Reinhold Maier entgegenzutreten oder seine Ansichten, wenn Sie es können, zu widerlegen. Der Untersuchungsausschuß wird ja manche Gelegenheit nach der Richtung hin bieten. Aber keiner von uns sollte ohne zwingende Beweise die redliche Absicht einer Kritik in Zweifel ziehen und den Gegner mundtot machen wollen durch den Vorwurf, daß er mit seiner Rede Deutschland in den Rücken falle.
Warum konnte denn das Überlaufen von ein, zwei Verrätern ein politisches Erdbeben auslösen und zum nationalen Unglück werden? Weil die Mißgriffe des Herrn Bundesministers des Innern den bedauerlichen Eindruck der Vertuschung und der Verharmlosung machten,
weil das nicht oder nicht rechtzeitig in Erscheinung trat, was man gestern hier so wohlklingend das gemeinsame Handeln in gemeinsamer Sache nannte, weil das schlechte Klima unserer Innenpolitik die Menschen draußen daran zweifeln läßt, ob wir gemeinsame Maßstäbe haben und gewillt sind, den Bundestag zum Wächter der Freiheit zu machen!
Die Mehrheit sollte nach der Gemeinsamkeit nicht nur dann rufen, wenn sie in Schwierigkeiten zu geraten droht und die Minderheit an Verlusten zu beteiligen wünscht.
Nach unserer Meinung bleibt es dabei, daß wir bedauern, daß der Herr Bundesminister des Innern nicht bereit ist, die Verantwortung dafür zu übernehmen, daß in einem ihm nachgeordneten Amt nicht alles zum besten gestanden hat. Auch Sie können die ja von Ihren eigenen Rednern gestern vielfach ausgesprochene Mißbilligung nicht dadurch wieder auszulöschen suchen, daß Sie nachher formell bei der Abstimmung unserem Mißbilligungsantrag mit allerlei Beschönigungen die Stimme versagen.
Herr Kollege Hoogen, mein Freund Mellies hat sehr deutlich gesagt, welche Mißgriffe des Herrn Bundesministers des Innern mißbilligt werden sollen: Das ist das Preisausschreiben mit den 500 000 Mark, das ist diese Geschichte da, daß John entführt ist, all das — —
— Nun, daß er sich jedenfalls unfreiwillig drüben im Ostsektor aufhält, Herr Minister, alles das — ich will es nicht wiederholen — ist sehr klar gesagt worden. Wir sollten nicht in einer solchen Weise diskutieren, daß man einfach tut, als hätte man die Ausführungen des Vorredners — in diesem Falle meines Freundes Mellies — überhaupt nicht gehört.
Das Wachstum unseres Staatsbewußtseins krankt daran, daß man das Regierungsinteresse zu sehr mit dem Staatsganzen gleichsetzt
und aufbauwillige Kräfte in die Ecke gestellt hat, obgleich auch aus ihren Reihen unvergängliche Opfer an der äußeren und an der inneren Front der Freiheit gebracht wurden. Diese Front der Freiheit — und das muß ich gegenüber dem Herrn Kollegen Heye sagen — kennt in unserer Zeit keine nationalen Grenzen und kannte sie auch im letzten Weltkrieg nicht mehr. Ein Verrat am Volke konnte auch im Staatsinnern begangen werden, und das deutsche Volk hat niemals einen ärgeren Feind gehabt als den Nationalsozialismus.
Ein Wirken für seine Freiheit und seine Gesundung war in den dunklen Tagen der Gewaltherrschaft auch von den Ländern her möglich, denen die Freiheit wie uns teuer ist und um deren Freundschaft wir jetzt werben. Die Ideale der Freiheit und der Menschlichkeit galten bereits 1944 und zuvor.
Aus dem Fall John gilt es eine dreifache Lehre zu ziehen, und Sie alle werden bei der Abstimmung, aber auch bei der Zusammenarbeit im Untersuchungsausschuß Gelegenheit haben — jeder von uns wird sich bemühen müssen —, diese Lehre zu beherzigen: Klarheit in der Verantwortung der Regierung, Wahrheit für das Volk als Grundlage seines Vertrauens, und Achtung vor den Rechten des Bundestages als des Wächters der Freiheit.