Nun, Herr Kiesinger, wir werden dieses „wir" bei der Rede in dem Protokoll in dem Sinne wiederfinden, und wir werden uns dann darüber unterhalten, ob dieser Rechtfertigungsversuch seinem Sinn nach wirklich standhalten wird.
Sie haben, Herr Kollege Kiesinger, wieder an die Einheit und das Zusammenstehen appelliert. Aber bitte, ich fordere Sie auf und appelliere an Sie: Schaffen Sie erst die Hindernisse weg, die durch
dieses fortgesetzte Verhalten von Ihrer Seite und von seiten Ihrer Freunde geschaffen worden sind! Nur auf diesem Wege werden wir aus der Vertrauenskrise herauskommen.
Es wäre ja auch auf der Seite Ihrer Freunde schon während der Ausführungen des Herrn Kollegen Maier zu beweisen gewesen, daß Sie bereit sind, diese vertrauensvolle Atmosphäre entstehen zu lassen. Nun, aus der Art, wie dieser Rede begegnet worden ist, haben sich, glaube ich, die hinreichenden Schlüsse auf diese Bereitwilligkeit ergeben. Erst dann, als am Schluß der Ausführungen des Herrn Kollegen Maier zu erkennen war, daß mit einer Mißbilligung des Innenministers gemäß unserem Antrage nicht gerechnet zu werden brauchte, stellte sich auch in Ihren Reihen die demokratische Toleranz und die Bereitschaft zum Zuhören ein.
Aber, meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zu der Darstellung machen, die der Herr Innenminister heute zu dem Fragenkomplex gegeben hat. Wer unter Regieren die Aufgabe versteht, das Parlament von dem fernzuhalten und abzulenken, was es angeht, der allerdings wird mit diesen Ausführungen zufrieden sein. Sie schließen sich folgerichtig, das können wir dem Herrn Innenminister bescheinigen — es ist aber auch das einzige Positive, das wir ihm in dieser Sache bescheinigen können —, an das Verhalten an, das das Parlament und die deutsche Öffentlichkeit in der Angelegenheit John von seiner Seite, von seiten des Herrn Bundeskanzlers und des tapfer mitschweigenden Kabinetts von Anbeginn an haben über sich ergehen lassen müssen.
Wahrheiten sind meistens bitter, auch für ein Parlament. Aber deshalb können wir nicht um die Feststellung herumkommen, daß die nach dem Willen der Mehrheit des Bundestages in der Behandlung dieser Staatsaffäre geübte Langmut ganz offensichtlich von dem Herrn Innenminister und dem Kabinett falsch verstanden worden ist. Wer bis zum heutigen Tage noch der Hoffnung sein konnte, daß sich hier doch noch ein Funke der Selbstbesinnung entzünden würde, der muß leider enttäuscht aus der heutigen Erörterung herausgehen. Weder die Forderungen und Mahnungen aus der Mitte des Parlaments, die dringlichen Appellationen im Ausschuß zum Schutze der Verfassung, der Unwille namhafter Kollegen aus den Reihen der eigenen Partei und Koalition, weder die heftigen Reaktionen in der Presse und der ganzen deutschen Öffentlichkeit noch das dann einsetzende erwartungsvolle Schweigen haben, wie die heutigen Erklärungen des Herrn Innenministers beweisen, die Einsicht zu erzeugen vermocht, daß bei der Behandlung dieses Geschehnisses eine Methode angewandt worden ist und offenbar, wenn es nach dem bisher bekundeten Willen der Koalition geht, weiter angewandt werden soll, die für denkende Staatsbürger einfach unzumutbar, für das Parlament unwürdig und mit dem Sinn der Demokratie unvereinbar ist.
Der Herr Innenminister hat seinerzeit am 8. Juli am Anfang seiner Ausführungen geäußert:
Das Gefühl für die Notwendigkeiten und die Erfordernisse der Staatssicherheit muß gerade in einem demokratischen Staat in allen Schichten des Volkes eine Realität, ein gegebener i Zustand sein und darf unter keinen Umständen einen öffentlichen Streitpunkt bilden.
Nun, meine Damen und Herren, was soll der Staatsbürger von solchen Erklärungen, den Erklärungen seiner Regierung, halten, wenn schon zwei, drei Wochen danach bei dem nächsten akuten Fall von demselben Minister dem Parlament und der Öffentlichkeit gegenüber ein Verhalten praktiziert wird, das in dem denkbar direktesten Widerspruch zu dieser Erklärung steht, wenn mit Hypothesen, Versionen und allen möglichen Theorien, die selbst bei dem einfachen Mann auf der Straße wegen der peinlichen Unglaubhaftigkeit nur ein Achselzucken auslösen, der Versuch unternommen wird, einem Tatbestand auszuweichen, der notwendigerweise mindestens das Gefühl und die ernste Sorge einer möglichen Gefahr für die Staatssicherheit erzeugen mußte; wenn von demselben Minister in dieser erregenden Situation von Anbeginn an ein Verhalten bekundet und allen Bemühungen zum Trotz fortgesetzt wird, das einen öffentlichen Streitpunkt geradezu zwangsläufig heraufbeschwören mußte!
Das ist die Antwort auch auf alle diese Versuche, hier die Gewichte zu verschieben, Herr Kollege Dehler und Herr Kollege Kiesinger. Die Regierung hatte es in der Hand, die heutige Diskussion überhaupt nicht entstehen zu lassen. Wenn die Regierung ihre Verpflichtung erfüllt hätte, in diesem Augenblick einer bestehenden akuten Staatsgefahr von sich aus an das Parlament heranzugehen, dann wäre die heutige Auseinandersetzung nicht nötig gewesen.
Meine Fraktionsfreunde Mellies und Menzel haben die fortgesetzte Kette von Mißgriffen, Unverständlichkeiten und Widersprüchen in dem Verhalten des Herrn Innenministers dargelegt. Ich will es mir versagen, hierauf noch einmal einzugehen, aber einige seiner Ausführungen dürfen nicht unwidersprochen bleiben.
Der Herr Innenminister hat offensichtlich doch zum Zwecke der Rechtfertigung eine Zahlenentwicklung gegeben, die die aus der sowjetisch besetzten Zone hierher gekommenen Staatsfunktionäre den beiden nach der Ostzone Gegangenen, John und Schmidt-Wittmack, gegenüberstellt. Hier wird ein Vergleich der Bundesrepublik mit dem System der sowjetisch besetzten Zone gezogen, der nach unserem Dafürhalten gerade in diesem Zusammenhang besser unterblieben wäre.
Was soll ein solcher Zahlenwettstreit für die Bundesrepublik und für unser Staatsbewußtsein? Was soll der deutsche Bürger von einem solchen Zahlenwettstreit halten?
Aber immer, wenn irgend etwas zu verdecken ist, immer, wenn irgend etwas schwierig ist, pflegen zwei Formen des Verfahrens in Erscheinung zu treten. Das ist einmal der Appell an die Opposition, doch nun zusammenzustehen, d. h. also, doch nun bloß nicht allzu viel Lärm über das Verpatzte zu machen, um nicht den Staatsbürger draußen noch weiter darauf hinzuweisen, und zum andern pflegt eine bestimmte Art der Appellation an das nationale Gefühl einzusetzen. Meine Damen und Herren, der Herr Innenminister hat in diesem Zusammenhang voll Pathos von der Wiedervereinigung gesprochen und bedauernd auf die dadurch entstehenden Folgen hingewiesen. Wir sind der Meinung, er hätte besser daran getan, eine
aktive und konstruktive Politik zu fordern, die
auch tatsächlich zu dieser Wiedervereinigung führt.
Aber lassen Sie mich zu den Rechtfertigungsversuchen des Herrn Innenministers noch etwas anderes sagen. Der Herr Innenminister hat auch heute wieder das Parlament und die deutsche Öffentlichkeit mit einer Erklärung abzuspeisen versucht, die sich ihrer Substanz und Art nach in nichts von dem unterscheidet, was wir bisher in dieser Hinsicht vernommen haben. Die wenigen tatsächlichen Nuancen, die da neu hineingekommen sind, ändern an dem Kern der Sache nichts. Zur Rechtfertigung dieser Methode hat er sich u. a. darauf berufen, daß diese Dinge nun einmal ihrer Natur nach zum Teil vertraulich seien, und er hat sich gegenüber dem Vorwurf, daß auch im Ausschuß zum Schutze der Verfassung nicht mehr von ihm darüber gesagt worden sei, auf die Geheimhaltungspflicht für die Mitglieder dieses Ausschusses gestützt. Er hat ihnen zwei Fälle vorgesetzt, die ihm angeblich das Recht geben, auch dem Ausschuß zum Schutze der Verfassung gegenüber in dieser zurückhaltenden Weise zu verfahren.
Meine Damen und Herren, dieser Zwielichtigkeit gegenüber, die in der Erklärung des Herrn Innenministers in diesem Punkte wieder in Erscheinung getreten ist, müssen wir mit aller Deutlichkeit feststellen: es sind hier Verdächtigungen in einer generellen Form ausgesprochen worden, die keiner in diesem Hause auf dem Parlament sitzen lassen sollte. Es ist von ihm wohlweislich die Formulierung gebraucht worden „aus dem Ausschuß", um sich eine Rückzugsbasis zu sichern.