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ID0204204000

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    2. Deutscher Bundestag — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. September 1954 1941 42. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 16. September 1954. Geschäftliche Mitteilungen 1941 D Nachruf für den verstorbenen Abg. Ten- hagen 1942 A Anteilnahme des Bundestages am Tode des Staatsoberhauptes der Republik Brasilien Dr. Vargas 1942 B Gedenkworte des Präsidenten für die Opfer der Erdbebenkatastrophe in Algerien . 1942 B Mandatsverzicht des Abg. Dr. Middelhauve 1942 B Eintritt der Abg. Held (Lemgo) und Mißmahl in den Bundestag 1942 B Übertritt des Abg. Meyer-Ronnenberg von der Fraktion des GB/BHE zur Fraktion der CDU/CSU 1942 B Glückwünsche zu Geburtstagen der Abg. Dr. Dr. Müller (Bonn), Neumayer, Jahn (Frankfurt), Frau Welter (Aachen), Brockmann (Rinkerode), Bock, Dr. Königswarter, Ruhnke, Frau Dr. Steinbiß, Dr. Leverkuehn, Dr. Zimmermann, Reitzner, Platner 1942 C Beschlußfassung des Bundesrats zu Gesetzesbeschlüssen des Bundestags 1942 D Mitteilung über Beantwortung der Kleinen Anfragen 44, 79, 81, 83, 85, 87, 90, 91, 92, 95, 96, 97, 99 und 103 (Drucksachen 388, 770; 620, 747; 631, 786; 636, 764; 639, 761; 641, 748; 670, 756; 671, 777; 672, 766; 704, 776; 726, 778; 706, 808; 737, 773; 779, 797) 1943 A Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betr. Fall John (Drucksache 767) in Verbindung mit der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Einsetzung eines Untersuchungsausschusses im Falle John (Drucksache 768) sowie mit der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Mißbilligung des Verhaltens des Bundesministers des Innern (Drucksache 769) 1943 C Präsident D. Dr. Ehlers . . 1943 C, 1945 C, 1953 D, 1959 A Mellies (SPD), Anfragender . . . 1943 D, 1944 B, 1945 D Dr. Adenauer, Bundeskanzler 1944 B, 1974 A Dr. Menzel (SPD), Anfragender und Antragsteller . . . 1947 C, 1959 A Dr. Schröder, Bundesminister des Innern . . . 1953 B, 1954 A, 1959 A, 1991 A, 1998 D Kiesinger (CDU/CSU) . . 1959 D 1965 C, D, 1988 C, 1989 C, D Schoettle (SPD) 1965 B, D Dr. Maier (Stuttgart) (FDP) . . . . 1966 A Dr. von Brentano (CDU/CSU): zur Geschäftsordnung 1974 B zur Sache 1993 B Unterbrechung der Sitzung . 1974 B Dr. Dehler (FDP) 1974 B Dr. Gille (GB/BHE) . . . 1977 A, 1978 C, 1979 A, 1981 D Erler (SPD) 1978 B, C Dr. Lütkens (SPD) . . . . 1978 D, 1979 A Welke (SPD) 1981 C Dr. von Merkatz (DP) 1982 B Rehs (SPD) 1987 C, 1988 D, 1989 C, D, 1991 B Kaiser, Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen 1991 D Bauer (Würzburg) (SPD) . 1996 A, 1998 D Hoogen (CDU/CSU) . . . . 2001 C, 2002 B Dr. Arndt (SPD) 2002 A Weiterberatung vertagt 2005 A Nächste Sitzung 2005 C Die Sitzung wird um 9 Uhr 4 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Dr. Thomas Dehler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Sitzung ist mit harten Tönen zu Ende gegangen. Wir können verstehen, daß der Herr Bundeskanzler, dessen Sinn erfüllt ist von den Sorgen dieser Tage, der den Blick nach außen wendet und das Schicksal unseres Volkes vor allem in seinen Beziehungen nach außen sieht, scharf reagiert hat. Wir wollen keine Kritik daran üben. Unsere Sache in diesem Raum ist es, andere Dinge zu erwägen, uns über Fragen, die unseren Staat tief berühren, zu unterhalten.
    Nun ist heute manches aufgeklungen, was hier Mißfallen erweckt hat. Als ich meinen Freund Reinhold Maier sprechen hörte, da ist mir der ganze Reichtum des schwäbischen Stammes wieder bewußt geworden, vom Schiller bis zum Hegel, von dem liebenswerten Kiesinger bis zum Carlo Schmid und so manchem andern.
    Wir sind ja eine betont individuelle Partei. Wir lieben die Eigenart der Menschen und lieben in unserer Gemeinschaft, daß sich die Vielfalt der Art unseres Volkes niederschlägt. Aber nicht alle Töne hat unser Freund Reinhold Maier ganz richtig getroffen.

    (Abg. Mellies: Hört! Hört!)

    Er hat das wunderschöne Wort geprägt: Man lebt von seinen Fehlern, jeder lebt von seinen Fehlern! — Ich bin ja Anwalt wie er, und wenn man den Prozeß des Lebens als Anwalt betrachtet und bewertet, dann weiß man, wie fruchtbar Fehler sein können. Er ist durchaus geneigt, diesen seinen philosophischen Erfahrungssatz auch auf sich zu erstrecken.
    Er sieht die Dinge des Staates sehr unter dem Gesichtspunkt seiner politischen Tätigkeit. Wir, die wir hier in Bonn, in diesem Hause nun immerhin seit dem Mai 1948 oder noch eher uns bemühen, das Notdach für unseren Staat zu errichten, die wir die ersten schmerzlichen vier Jahre der neuen Staatswerdung miterlebt, diese Staatswerdung mit unterstützt haben, wissen, daß unser Bemühen häufig draußen eine Bewertung erfahren hat, die wir nicht verstanden haben; und unser Freund Reinhold Maier hat manches Wort gesagt, das unter diesem Blickwinkel gesehen war. Ich will gar nicht mit ihm rechten, ob er immer das Richtige gesehen hat. W i r sehen auf jeden Fall manches anders, wir kleinen Werkleute an diesem Staate. Es soll nicht nach außen ein falscher Eindruck entstehen, es soll aus diesem vermaledeiten Fall John nicht ein Fall des deutschen Staates werden. Wir wollen uns hier wahrlich nicht auseinanderreden. Herr Kiesinger hat viel Richtiges darüber gesagt, was Lehre dieser Auseinandersetzung sein soll: uns zusammenzufinden. Niemand wird doch auf den törichten Gedanken kommen, aus einem solchen Notstand unseres Staates heraus Geschäfte, politische Geschäfte, parteitaktische Geschäfte machen zu wollen;

    (Beifall rechts)

    ich glaube, niemand, auch nicht die Sozialdemokratische Partei. Ich habe einen solchen Gedanken aus den Worten besonders des Herrn Kollegen Mellies nicht herausgehört, sondern die ehrliche Sorge um diesen Staat, Und nur so können wir doch den Fall John begreifen und behandeln: als ein Menetekel, als ein böses Zeichen dafür, daß Dinge nicht in Ordnung sind, daß sie sich nicht richtig entwikkelt haben. Das möchte ich für meine Freunde, auch für meinen Freund Reinhold Maier, sagen. Bestimmt, er trägt manchen Groll, auch manchen berechtigten Groll, in sich, und er ist zum Ausdruck gekommen. Darüber wollen wir bei anderer Gelegenheit einmal reden, aber nicht in diesem Zusammenhange. Was ihn bewegt — das wissen wir aus unseren Auseinandersetzungen mit ihm —, ist die gleiche Sorge um diesen Staat.

    (Beifall bei der FDP.)

    In dieser Frage, meine Damen und Herren, sollen wir uns, glaube ich, alle finden. Es wäre ja erschütternd, wenn der Eindruck entstände, dieser Fall John sei für die Gesundheit unseres Staates charakteristisch, das, was sich an Üblem, an Widerlichem, an Krankhaftem im Falle John manifestiert habe, sei ein Zeichen für den Zustand unse-


    (Dr. Dehler)

    res Staates. Das will unser Freund Reinhold Maier nicht sagen. Das hat er auch, wenn man seine Worte richtig wägt, nicht gesagt. Das wäre ja eine Kritik an uns selbst, an den Menschen, die sich jetzt — ich wiederhole es — bemühen, aus dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus, aus dieser deutschen Katastrophe wieder einen Staat aufzubauen.
    Wir empfinden doch alle die eigentliche Sorge, die Kiesinger richtig angeschnitten hat, daß das Staatsgefühl bei uns nicht fundiert ist. Das ist doch das Wesentliche der Vorgänge, der Flucht Johns und der Flucht eines Abgeordneten, daß Menschen mit höchster Verantwortung in unserem Staate, ein Mann in einem prominenten Amte, das dem Schutze dieses Staates dient, ein anderer, der als Mandatar des Vertrauens des Volkes wirken soll. sich an den Staat nicht gebunden fühlen, fliehen, den Staat verraten und zu den Todfeinden dieses Staates übergehen. Das ist die Frage, die uns gestellt ist, die Frage, die jede Partei in ihrem Schoße ernstlich wägen soll: Ist es uns gelungen, die deutschen Menschen an den Staat heranzuführen, wenn selbst an diesen Stellen Übles geschieht? Welches Verhältnis haben die Menschen zu unserem Staate? Wollen sie ihn? Bejahen sie ihn? Lieben sie ihn? Welches ist der richtige Weg, die Menschen zu dem Staat zu führen? Ist unsere Parteistruktur richtig? Haben wir das geistige Rüstzeug, um den Menschen an den Staat zu binden? Wenn ich meiner Partei eine Aufgabe gebe, dann ist das die höchste: über Interessen hinweg, über die religiöse Spaltung unseres Volkes hinweg Staatsbürger zu erziehen, Menschen, die eine echte Verpflichtung zu diesem Staate haben. Das ist die eigentliche Krisis, daß wir erkennen: Wir sind nicht so weit, es fehlt so viel; neben dem tragischen Schicksal unseres zerrissenen Vaterlandes kommt die weitgehende Apathie in unserem Volke. Fühlt sich der einzelne nicht zutiefst von dem Staate angesprochen? Wir haben durch eine gute Wirtschaftspolitik doch eine Art Wohlleben — ich weiß die sozialen Nöte —, aber ein weitreichendes Wohlleben geschaffen. Danken es die Menschen dem Staate? Haben wir nicht das bittere Empfinden, im Gegenteil, die Armut würde sie vielleicht stärker verpflichten, würde sie mehr an den Staat heranziehen? Wenn man durchs Land zieht in Wahlversammlungen — es ist ganz heilvoll, mit den Menschen zu sprechen —, erkennt man: ein großer Teil denkt nur an sich, an seinen Stand, an seine Interessen und hat nicht die Verpflichtung für das Ganze vor sich, sieht das Wesen der Politik nicht darin, zu fragen: Was nützt es dem ganzen Volke?, sondern nur darin, zu fragen: Welchen Vorteil kann ich für mich herausschlagen? Das sind die eigentlichen staatsbewegenden Probleme, die hinter diesen ephemeren Fällen John und Schmidt-Wittmack stehen.
    Ich erkenne nicht an -- ich will das deutlich unterstreichen —, daß dieser Staat nicht sauber sei — ich wiederhole es noch einmal; man könnte aus den Worten meines Freundes Reinhold Maier den Vorwurf heraushören; das wäre wirklich ein Mißverständnis —,

    (Zuruf von der SPD: Das war frisch genug!)

    daß nicht in diesem Staate, in seinen Parlamenten, in seinen Regierungen, nun, in den Büros anständige, saubere, pflichteifrige Menschen am Werke seien, daß es uns nicht gelungen sei, so wie in den Ländern auch im Bunde eine vorzügliche Beamtenschaft zu schaffen. Das nehme ich auch für mich
    als einen der Männer, die mit versucht haben aufzubauen, in Anspruch. Das war doch die Tragik des Falles John, daß wir damals genötigt waren, einen Mann auf einen Posten zu stellen, der nicht als Beamter gewachsen war, der uns nicht klar war als Persönlichkeit, den wir nicht durchschauen konnten, sondern der ein Hasardeur war, ein labiler Mann;

    (Zuruf: Ein Lump!)

    ein Fall, der sich gar nicht mehr wiederholen kann, meine Damen und Herren, und das ist ein Erfolg der aufbauenden Tätigkeit der letzten Jahre.
    Aber wir wollen etwas nicht verkennen, und ich will das auch nicht verkleinern — insoweit folge ich meinem Freunde Reinhold Maier —: die Erkenntnis der tiefen Erschütterung, der an sich labilen Haltung unseres Volkes. Das ist lebendig vorhanden. Das habe ich erst in den letzten Tagen wieder gefühlt, als ich in den Gremien meiner Partei — nicht nur der Fraktion, sondern auch der Partei — mit Menschen aus dem Lande sprach, wie die Menschen zutiefst aufgewühlt sind. Da setzt doch die Kritik an dem ein, was geschah.
    Ich habe es für richtig gehalten, nach dem 20. Juli mich sehr hart zu äußern. Herr Innenminister Schröder hatte berechtigten Anlaß, gekränkt zu sein über mich und über meine Äußerungen, und war es auch. Ich halte trotzdem die Korrekturen, die ich angebracht habe, für richtig. Ich halte es für richtig, daß ich nach wenigen Tagen erklärt habe: John ist ein Verräter. Es hat mich keinen Augenblick interessiert, wie die Vorgänge in Wirklichkeit waren. Daß der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz bei den Todfeinden dieser Verfassung und dieses Staates war, das war Verrat, mag geschehen sein, was wollte. Auf jeden Fall wollte unser Volk — das war meine Überzeugung — eine klare Distanzierung von diesem Mann und von seinem Verhalten haben.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Ich habe in der Folgezeit, glaube ich, auch das Empfinden der Öffentlichkeit zum Ausdruck gebracht, wenn ich gesagt habe: diese Auslobung in Verbindung mit der Anregung an die Alliierten, die Auslieferung von John zu fordern, das hat auf jeden Fall in der Öffentlichkeit hilflos gewirkt. Man hat das Empfinden gehabt, die Bundesregierung hat nicht sensibel reagiert, die Bundesregierung hatte ihr Ohr nicht am Volke, am Herzen des Volkes.

    (Zuruf von der SPD: Am Dulles!)

    Die Bundesregierung hat — ich habe mit Herrn Bundesinnenminister Schröder ein eingehendes Gespräch über die Zusammenhänge gehabt — sicherlich von Fall zu Fall richtig, nach bestem Wissen entschieden. Es ist nur falsch angekommen und hat die Krisis nicht abklingen lassen, sondern hat sie verschärft und hat die Mißstimmung, die Erregung, die über den Fall John herrschte, auf die Regierung übertragen. So war die Entwicklung der Dinge. Deswegen sage ich Ihnen ganz freimütig die Meinung meiner Freunde: hier muß man die Verantwortlichkeiten deutlich erkennen lassen. Unser Volk muß fühlen, daß Verantwortungen getragen werden. Es kommt nicht auf das Verschulden an.

    (Zurufe von der SPD.)

    Es kommt nicht darauf an, wie die Franzosen
    sagen, ob jemand coupable, schuldig ist, sondern


    (Dr. Dehler)

    darauf, daß er responsable, daß er verantwortlich ist, daß er die Verantwortung trägt. Das war das Empfinden unseres Volkes: hier werden keine Verantwortungen getragen, hier werden — und da gebe ich Reinhold Maier recht — die innerstaatlichen Dinge nicht klar genug gesehen, hier hat man nicht die Hand am Puls unseres Volkes, hier denkt man nur weitgehend an die Wirkungen nach außen und übergeht eine Möglichkeit, aus einer Erkrankung unseres innerpolitischen Lebens einen beschleunigten Gesundungsprozeß zu machen. Das war unser deutliches Empfinden.
    Deswegen können wir uns auch nicht entschließen, in klarer Weise ein Vertrauen auszusprechen. Das richtet sich nicht gegen den Herrn Bundesinnenminister Schröder, einen Mann mit vielen Fahigkeiten. Viele seiner Handlungen und Äußerungen sind doch in ein ganz schiefes Licht gekommen. Er kann mit Recht, wenn er die Situation, aus der eine Äußerung oder eine Handlung geschah, schildert, uns überzeugend nachweisen, daß er richtig gehandelt hat. Aber wir sind der Meinung, es ist jetzt schon zu viel Zeit verflossen, um solche äußersten Konsequenzen zu ziehen. Das wird auch unser Volk nicht mehr verstehen. Hier hat man in jeder Hinsicht nicht rasch, nicht entschlossen, nicht mit sicherem Gefühl gehandelt. Das kann man nicht nachträglich korrigieren.
    Vielleicht, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, hat da auch das Gespräch zwischen uns gefehlt. Ihre Anträge standen ein kleines bißchen leer im Raum. Man hat nun das Empfinden: hier wird eine Gelegenheit genützt, um zu schlagen. Besonders angesichts des Katalogs Ihrer Fragen hatte ich das Gefühl: hier werden die Dinge doch ein kleines bißchen taktisch gesehen

    (Zurufe von der SPD)

    mit dem Ziel, weh zu tun, nicht mit dem Ziel, zu ordnen, zu regulieren, über diese Erschütterung unseres Staates hinwegzukommen. Meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, den Gef allen werden wir Ihnen nicht tun, daß die Koalition, die sich unter höheren Gesichtspunkten zusammengefügt hat als unter denen der Politik des Tages, über diesen Fall zerbricht. Wir fühlen mit dem Bundeskanzler, dem unser Vertrauen gehört —

    (Lebhafter Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU. — Lachen bei der SPD. — Rufe von der FDP: Jawohl!)

    — ich gebe Herrn Kiesinger durchaus recht —, in dessen Person, das darf ich vielleicht sagen, neben der Person unseres verehrten Herrn Bundespräsidenten sich die Verkörperung des Staates, die Vertiefung des Staatsgefühls, soweit überhaupt diese Entwicklung möglich war, dargestellt hat und darstellen wird.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren (zur SPD), wir würden ja kläglich politisch versagen, wenn wir über den Tagesstreit diese Grundlage unserer Außenpolitik und unserer entscheidenden innerstaatlichen Politik opfern würden.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)

    Das geschieht nicht, und das ist auch nicht der Wille meines Freundes Reinhold Maier.

    (Zuruf von der SPD: Armer Maier!)

    Wir sind mit großen geschichtlichen Aufgaben belastet. Wir werden uns dieser Last nicht entziehen. Wir hoffen nur — Herr Mellies, jetzt dürfen Sie nicht lächeln —,

    (Lachen bei der SPD)

    daß sich diese Gemeinschaft ausweitet. Gerade die Krisis der letzten Wochen könnte vielleicht ein Anlaß sein, daß das Verhältnis der Mehrheit des Bundestags zur Opposition sich wesentlich bessert. Ich habe das schon einmal an diesem Platze gesagt, Herr Ollenhauer, und ich wiederhole es und ich glaube es auch.

    (Zurufe von der SPD.)

    Wir beschuldigen Sie nicht, meine Damen und Herren. Darüber kommen wir hoffentlich auch hinweg. Die Dinge sind zu tragisch, als daß sie mit dem Wollen oder dem Tun einer Partei in Zusammenhang stünden. Es sind höhere Gesetze, die am Werke sind. Aber wir können die Dinge nur besser leiten, wenn in diesem Hause ein grundsätzlich anderer Geist einzieht.

    (Beifall bei der FDP. — Sehr wahr! und Händeklatschen bei der SPD.)

    Ich habe mit der Opposition bedauert, daß in dieser Woche die außenpolitische Aussprache nicht möglich war. Sie war überfällig, und sie war notwendig, gerade um uns zusammenzufinden. Und ich erkläre hiermit der Sozialdemokratie, daß es unser Wille, der Wille der Freien Demokraten ist, zu bekunden, daß uns diese Art der einseitigen, von der Opposition nicht unterstützten Außenpolitik nicht mehr tragbar erscheint.

    (Bravo! bei der SPD. — Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP.)

    Wir meinen, daß die Bundesregierung, daß der Herr Bundeskanzler die Verantwortung trägt und tragen wird und daß sie niemand ihm abnehmen kann; daß die Regierungskoalition ihn dabei tragen muß, ist selbstverständlich. Aber das Schauspiel wollen wir unserem Volke und der Welt nicht mehr bieten, daß wir in den großen Zielen nicht eins seien, als ob eine Gruppe die Wiedervereinigung mit heißerem Herzen anstrebe als die andere. Hier müssen wir erreichen, eine Sprache zu sprechen. So wie die Krisis unsere Außenpolitik bereinigen muß, so hoffe ich auch, daß die inner-politische Erschütterung nicht die Atmosphäre innerhalb der Koalition, aber auch nicht in diesem Hause verdirbt, sondern daß wir uns — Herr Kiesinger hat es in ergreifender Weise gesagt — zusammenfinden. Es war schlimm, als Reinhold Maier hier heraufging und, lieber Herr Kiesinger, einer Ihrer Freunde von der bayrischen „Abart"

    (Heiterkeit)

    sagte: „O weh!" — vielleicht hat er manches vorausgeahnt —,

    (erneute Heiterkeit)

    aber das war gerade nicht das Echo auf Ihre Mahnung: Hören wir uns an, schließen wir die Ohren auf!
    Ich möchte meinen, wir sollten aus der Diskussion des Tages und aus der Erschütterung der Dinge, die dieser Aussprache zugrunde liegt, einen Entschluß fassen: mit besserem Willen als bisher uns anzuhören und uns zusammenzufinden am Dienste dessen, dem doch unser Wirken gelten muß, am Dienst für die deutsche Demokratie, die das Schicksal unseres deutschen Vaterlandes in sich schließt.

    (Beifall bei der FDP.)




Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gille.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Alfred Gille


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (GB/BHE)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GB/BHE)

    Meine Damen und Herren! Der Verlauf der heutigen Debatte zeigt einige Eigenarten. Ich meine damit nicht so sehr das dramatische Zwischenspiel, dessen versöhnlichen Ausklang wir eben in den Worten von Herrn Dehler miterlebt haben. Der Ablauf der Debatte hat auch noch manche anderen Eigenarten.

    (Unruhe.)

    — Vielleicht, meine Damen und Herren, sind Sie bereit, mir zu folgen. — Ich habe den Eindruck, daß fast jeder Redner zu einem anderen Thema gesprochen hat. Wenn einige von den heute verlesenen Manuskripten als Schulaufsätze hätten zensiert werden müssen, ich fürchte, es hätte darunter gestanden: „Thema verfehlt".

    (Abg. Dr. Schmid [Tübingen] : Aber Sie hätte man nicht zum Prüfer gemacht! — Weiterer Zuruf von der SPD: Sie können doch keine Zensuren erteilen, Herr Gille!)

    — Ich mache ja jetzt auch einen Aufsatz.

    (Abg. Dr. Schmid [Tübingen]:: Dann müssen Sie sich den Zwischenruf gefallen lassen!)

    Den können S i e ja korrigieren; das paßt besser in Ihren Beruf hinein, Herr Professor!

    (Zurufe von der SPD.)

    — Meine Damen und Herren von der Opposition, warum sind Sie so nervös?!

    (Lachen bei der SPD.)

    Ich gebe zu, daß ich mich in einer etwas glücklicheren Lage befinde, und nicht nur ich, sondern auch meine politischen Freunde befinden sich in einer glücklicheren Lage, denn an den Vorgängen, die heute Thema dieser Aussprache sein sollen, sind wir weiß Gott nicht beteiligt.

    (Abg. Dr. Schmid [Tübingen]:: Sie sind an anderen Dingen vorher beteiligt! — Weiterer Zuruf von der SPD: Sind Sie nicht in der Regierung?!)

    — Sie bekommen auf alles eine Antwort; nur nicht so hastig!
    Das Verfehlen des Themas liegt bereits in der merkwürdigen Formulierung, die Herr Dr. Menzel über seine Ausführungen stellte, als er von der Flucht des Dr. John sprach, und unsere durchaus freundschaftlich gemeinten Fragen, vor wem denn eigentlich Herr John geflohen sei, haben ihn bis zum Schluß nicht dahin bringen können, von dieser Vorstellung abzugehen. Als ob wir uns damit befassen könnten, aus welchen Gründen Herr John geflohen ist!

    (Abg. Dr. Menzel: Ich bin doch nicht Herr John; fragen Sie den!)

    Das richtige Stichwort zu dem eigentlichen Thema ist heute eigentlich nur in einer Äußerung des Herrn Bundesinnenministers gefallen. Er war meines Wissens der einzige, der die Formulierung „Kalter Krieg", „Auseinandersetzung im Kalten Krieg" hier in die Erörterung hereingebracht hat.

    (Abg. Kiesinger: Herr Gille, ich habe sehr deutlich darauf hingewiesen!)

    — Verzeihung! Es kann sein, daß ich es überhört habe. Ich halte jedenfalls dieses Stichwort für das
    entscheidende, und an diesem Stichwort haben viele der heute zu Worte gekommenen Redner glatt vorbeigesprochen.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Es ist weiter gesagt worden, es sei ein nationales Unglück, mit dem wir uns nun auseinanderzusetzen und aus dem wir die Folgerungen zu ziehen hätten. Meine Damen und Herren, ist es zuviel gesagt, darüber noch einen Schritt hinauszugehen und zu erklären: es ist nicht nur ein nationales Unglück des deutschen Volkes, sonders es ist eigentlich ein Unglück aller Völker der freien Welt in ihrer harten Auseinandersetzung mit dem Bolschewismus passiert!?

    (Vereinzelter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wenn dies richtig ist, dann sind daraus Folgerungen zu ziehen, auf die ich noch zu sprechen kommen werde.
    Meine Damen und Herren, über dieser Debatte haben von vornherein zwei Gefahren gestanden: einmal, daß man geneigt sein würde, zu versuchen, die Vorfälle zu bagatellisieren und zu verniedlichen, und zum andern — und das halte ich für eine noch größere Gefahr —, daß man den Versuch machen würde, von den entscheidenden Fragen abzulenken, um die es heute geht.

    (Zuruf von der SPD: Da haben Sie wieder einmal recht!)

    — Es freut mich, daß ich gerade von Ihnen Zustimmung bekomme; denn Sie habe ich nämlich damit gemeint.

    (Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren! Die ersten Sätze, die Herr Mellies aussprach, berechtigten eigentlich zu einer gewissen Hoffnung. Er sagte nämlich, er sei gewillt, heute bei der Erörterung des Themas den Gesamtinhalt des Problems auszuschöpfen. Bei dieser hoffnungsvollen Ankündigung ist es dann aber leider verblieben. Ich habe nur den Eindruck, daß er in der Suppe etwas herumgerührt hat, so daß es vielleicht richtiger ist, zu sagen, er sei geradezu um den heißen Brei herumgegangen. Die entscheidende Frage scheint doch zu sein, eine Prüfung der Vorgänge von der Einstellung bis zum Überlaufen Johns zu erreichen, um festzustellen, ob sich die Beurteilungs- und Bewertungsmaßstäbe, die bei der Einstellung dieses Mannes seinerzeit angewendet und die lange aufrechterhalten wurden, im Interesse nicht nur Deutschlands, sondern auch im Interesse der Auseinandersetzung der freien Welt mit dem Bolschewismus überhaupt noch rechtfertigen lassen. Bei der Einstellung — ich habe es auch heute noch nicht recht klar erfahren — war doch offenbar bekannt —ich bitte den Herrn Bundesinnenminister, mir zu widersprechen, wenn ich das falsch aufgefaßt habe —, in welchen Wirkungskreisen Herr Dr. John vom Jahre 1944 bis zum Amtsantritt als Präsident des Verfassungsschutzamtes tätig gewesen ist. Nach meiner Auffassung wartet das deutsche Volk jetzt darauf, daß wir die Frage beantworten, ob man heute noch gewillt ist, einem Mann eine Chance in entscheidenden öffentlichen Schlüsselpositionen zu geben, der eine derartige Vergangenheit aufzuweisen hat, wie das bei Herrn Dr. John der Fall ist. Hierauf, meine Damen und Herren, sollte man eigentlich mit einem klaren Ja oder Nein antworten, und nach meiner Auffassung hat eigentlich


    (Dr. Gille)

    nur der ein Recht, die Entschließung der Bundesregierung — —

    (Abg. Frau Wolff [Berlin] : Die SS-Obersturmführer hat man auch wieder genommen!)

    — Ich komme auch darauf! Haben Sie keine Furcht; ich komme auch darauf! — Aber vielleicht ist es besser, — —

    (Zuruf von der SPD: Wir haben uns ein wenig darum gekümmert, wo Sie 1944 waren!)

    — Das ist ja nett! Das ist ja ausgezeichnet! Hoffentlich sind Sie keinem Schwindel aufgesessen.

    (Zuruf von der SPD: Mir reicht es!)

    — Mir reicht es!

    (Glocke des Präsidenten.)