Rede von
Dr.
Gerhard
Schröder
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren, ich wiederhole den Satz, bei dem ich unterbrochen wurde: Gewaltig aber ist auch die Zahl derer, die drüben still und mit zusammengebissenen Zähnen ausharren und mit heißem Herzen den Tag der Wiedervereinigung in Freiheit herbeisehnen, jene Stunde, da in unserem Vaterland die Grenzen fallen und wir uns alle wieder als ein einig Volk von Brüdern zusammenfinden.
1 An diesem Tage, meine sehr verehrten Damen und Herren, wird uns ein Fall John nur noch wie ein böser Spuk vorkommen, der uns eine kurze Spanne Zeit zu verwirren drohte, der aber unsere Kräfte nicht erlahmen ließ, um für das ganze Deutschland jenen Tag der Freiheit herbeizuführen, der heute im Munde eines verächtlichen Überläufers schändlich mißbraucht wird.
Nachdem ich dies vorausgeschickt habe, meine Damen und Herren, habe ich die Ehre, namens der Bundesregierung die Große Anfrage wie folgt zu beantworten. Ich wiederhole der Verständlichkeit halber die gestellten Fragen:
1. Was hat die Bundesregierung unternommen, um ihre Verpflichtung zur Dienstaufsicht über das Bundesamt für Verfassungsschutz, dessen Arbeiten und die Tätigkeit des bisherigen Leiters, Dr. John, zu erfüllen?
Die Dienstaufsicht über das Bundesamt für Verfassungsschutz ist mit Rücksicht auf die schwierigen Aufgaben des Amtes besonders sorgfältig gehandhabt worden. Einstellungen erfolgten nur nach genauer Überprüfung auf Grund aller inländischen Auskunftsquellen, insbesondere von Referenzen zuverlässiger Persönlichkeiten
und auf Grund getrennter Nachforschungen aller drei Sicherheitsdienste der Alliierten. Während das Bundesministerium des Innern im Jahre 1953 die Ausübung des Rechts zur Ernennung vom Oberinspektor abwärts grundsätzlich auf die ihm unterstellten Bundesoberbehörden übertrug, wurde das Bundesamt für Verfassungsschutz von dieser Regelung bewußt ausgenommen. Ernennungen und Beförderungen von Beamten des Bundesamts für Verfassungsschutz sind nach wie vor nur mit Zustimmung des Bundesministeriums des Innern möglich.
Auch die laufende und enge Verbindung, in der das Bundesamt mit dem Bundesministerium des Innern gestanden hat, hat Anlaß gegeben, die Arbeiten des Bundesamts und die Tätigkeit des bisherigen Leiters ständig zu überwachen. In dem Dienstgebäude des Amtes haben wöchentliche Routinebesprechungen zwischen Vertretern des Ministeriums und den leitenden Beamten des Bundesamts für Verfassungsschutz stattgefunden.
Ich komme zur Frage
1 a) Stimmt es, daß bereits seit langem Bedenken gegenüber dem bisherigen Leiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Dr. John, bestanden?
Was hat die Bundesregierung getan, um fest-
zustellen, ob diese Bedenken berechtigt sind?
Die Antwort lautet wie folgt: John ist im Jahre 1952 eines Ostkontaktes, nämlich der Beziehungen zu einer Ost-West-Handelsgesellschaft, und der Unterhaltung eines Bankkontos in der Schweiz verdächtigt worden. Der zuständige Abteilungsleiter des Bundesministeriums des Innern hat sofort Untersuchungen eingeleitet und John überwachen lassen. Diese umfassenden Ermittlungen haben keine Anhaltspunkte für den Verdacht erbracht.
Für die in der Presse nach dem Übertritt Johns wiederholt aufgetauchte Behauptung einer homosexuellen Betätigung Johns haben sich keine Verdachtsgründe ergeben.
Im übrigen haben sich auch sonst während der Amtsführung Johns keine Tatbestände ergeben, die ein disziplinäres Einschreiten erforderlich gemacht hätten.
Ich komme zu
1 b) Waren ihr insbesondere die Beziehungen Dr. Johns zu Dr. Wohlgemuth und von Putlitz bekannt?
Die Antwort lautet: Nein.
lc) Trifft es zu, daß Dr. John Mitglied des „Demokratischen Kulturbundes" war?
Die Antwort lautet: Hiervon ist nichts bekannt.
1d) Stimmt es, daß gegen Dr. John vor dem Amtsgericht in Köln ein Strafverfahren wegen Trunkenheit am Steuer schwebt? Wann ist die Tat begangen worden? Was hat der Bundesminister des Innern veranlaßt, als er von dem Strafverfahren erfuhr?
Die Antwort lautet: Es hat kein Strafverfahren wegen Trunkenheit stattgefunden. Es erging lediglich ein Strafbefehl des Amtsgerichts Köln vom 2. Dezember 1953 über 50 DM wegen Körperverletzung und Verkehrsgefährdung, begangen am 28. April 1953. John wurde beschuldigt, aus dem von einem Fahrer seines Amtes gesteuerten Pkw während eines Halts auf offener Straße ausgestiegen zu sein und durch das Öffnen der Wagentür einen rechts vorbeifahrenden Radfahrer fahrlässig verletzt zu haben. John hatte Einspruch eingelegt. Die Sache fällt unter die Amnestie. Das Zivilverfahren ist noch anhängig. Es bestand niemals der Verdacht der Trunkenheit.
Die Antwort lautet: Der Bundesregierung ist weder früher noch jetzt solches Material von irgendwelchen inländischen oder ausländischen Stellen zugegangen.
2. In welchem Umfange sind in der letzten Zeit Verhaftungen in der sowjetisch besetzten Zone wegen des Verdachtes sogenannter Agententätigkeit erfolgt?
Stehen diese Verhaftungen in einem Zusammenhang mit dem Fall John?
Die Antwort lautet: Nach den Feststellungen des Bundesamts für Verfassungsschutz sind Verhaftungen im Zusammenhang mit dem Fall John nicht erfolgt.
Die Frage 3 wird dahin beantwortet: Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat solches Material weder gesammelt noch ausgewertet noch auswerten lassen.
4. Wie viele Organisationen gibt es zur Zeit in Deutschland, die sich mit einer vertraulichen Beschaffung von politischem Material befassen?
Die Antwort lautet: Ich verweise auf meine Ausführungen in der Verfassungsschutzdebatte des Deutschen Bundestages am 8. Juli 1954.
5. Bestehen geheime Abkommen zwischen den Vertragsmächten des Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft und
— hier steht: des Generalvertrages —
des Deutschland-Vertrages
über eine Zusammenarbeit von politischen Nachrichtendiensten?
Antwort: Geheime Abkommen der genannten Art zum Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft bestehen nicht. Auch zum Bonner Vertrag bestehen keine derartigen Abkommen.
— Hören Sie doch bitte zu!
Es hat lediglich ein mündlicher und schriftlicher Gedankenaustausch über eine später abzuschließende Vereinbarung zur Durchführung des Truppenvertrages auf dem Gebiete des Nachrichtendienstes stattgefunden.
6a) Welche Folgerungen denkt die Bundesregierung aus dem Fall John zu ziehen?
Zur Beantwortung darf ich auf die Ausführungen verweisen, die ich eingangs gemacht habe.
6b) Ist die Bundesregierung bereit, eine ständige Kontrolle des Bundesamtes für Verfassungsschutz durch den Bundestag zu gewährleisten?
Die Antwort lautet: Die Bundesregierung ist hierzu im Rahmen der Zuständigkeit des Bundestagsausschusses zum Schutze der Verfassung bereit.
Das sind, meine sehr verehrten Damen und Herren, die formulierten Antworten auf die Große Anfrage. Von den Kollegen Mellies und D r. Menzel sind eine Reihe von Punkten vorgetragen worden, insbesondere über das Verhältnis des Bundesministers des Innern zum Bundestagsausschuß zum Schutze der Verfassung, auf die ich im Laufe der Debatte weiter eingehen werde. Mir liegt nur daran, einige wesentliche Punkte hier vorweg klarzustellen, damit kein falscher Eindruck entsteht.
Die stenographischen Protokolle über die Aussprachen, die ich in dieser Sache mit dem Bundestagsausschuß zum Schutze der Verfassung gehabt habe, umfassen etwa 400 Seiten. Ich bedaure, daß dieser Ausschuß, obwohl seine Vertraulichkeit, wie auch diese Debatte bereits ergeben hat, in keiner Weise gewahrt wird, ein vertraulicher Ausschuß ist. Ich wäre sonst gern bereit, alles, was ich dort gesagt habe, der Öffentlichkeit mit dem Ziele zur Verfügung zu stellen, jeden falschen Eindruck, der vielleicht sonst bei einer ungeordneten Durchbrechung der Vertraulichkeit entstehen könnte, klarzustellen. Mit Rücksicht auf den vertraulichen Charakter des Ausschusses werde ich mich hier weiter zurückhalten.
— Herr Kollege Meitmann, wenn Sie das gleich hier hören wollen, dann darf ich dem Hohen Hause folgendes mitteilen, was ich sonst mit Rücksicht auf andere Dinge nicht getan hätte. Meine Damen und Herren, die erste Sitzung des Ausschusses zum Schutze der Verfassung, in der ich über diese Sache berichtet habe, umfaßt ein stenographisches Protokoll von rund 200 Seiten. Noch während ich sprach
— in einem Kreis, der sich durch Vertreter aus allen möglichen Stellen auf etwa 70 Personen, ich wiederhole: etwa 70 Personen, ergänzt hatte —, wurde draußen Meldungen über den Inhalt dessen, was ich sagte, durchtelefoniert.
Dieses Vorkommnis ist nach der ersten Sitzung im Ausschuß selbst lebhaft getadelt worden, u. a. auch, wie das Protokoll ergeben wird, von zwei Vertretern der Opposition, die hier anwesend sind.
Meine Damen und Herren, ich — —
— Meine Damen und Herren, ich berichte hier Tatsachen.
— Ich berichte hier Tatsachen! Welche Schlüsse Sie aus diesen Tatsachen ziehen wollen, das ist Ihre eigene Sache.
— Ja, meine Damen und Herren, das, was ich hier sage, ist, wie das Protokoll der zweiten Ausschußsitzung ergeben wird, eingehend in dem Ausschuß besprochen worden.
Ich gehe noch ein Stück weiter. Ich habe bei der anschließenden Konferenz der Innenminister der deutschen Länder in der Hand eines der Beteiligten ein langes offenes Fernschreiben über das gesehen, was ich im Ausschuß gesagt habe. Meine Damen und Herren, wenn Sie glauben, daß die Bundesregierung unter solchen Arbeitsbedingungen in der Lage sei, Staatsgeheimnisse vor 70 Leuten zu behandeln, dann muß ich Ihnen erklären, daß ich eine andere Auffassung von Staatssicherheit habe.
— Jedes Wort, was ich hier gesagt habe, steht protokollarisch fest und läßt sich beweisen.
Ich komme zum Schluß.
— Ich bin nicht bereit, mich in diesem Augenblick unterbrechen zu lassen.