Allein die Zahl der bisher schon vernommenen Zeugen beträgt insgesamt über 800. Diese so gründliche Untersuchung war angezeigt und erforderlich, um nicht nur den tatsächlichen äußeren Ablauf des Übergangs in die Sowjetzone feststellen, sondern darüber hinaus die gesamte Vorgeschichte, die Hintergründe und die Verbindungen dieses Falles aufdecken zu können.
Die nachdrückliche Verfolgung aller sachdienlichen Hinweise gibt uns die Wahrscheinlichkeit, daß alle Stellen, die mit John in Verbindung gestanden haben oder etwa stehen könnten, auf ihre Verläßlichkeit eingehend und sorgfältig geprüft werden.
4. Die eingeleiteten Untersuchungen werden mit dem Ziel geführt, endgültige und vollständige Klarheit zu schaffen. Die Bundesregierung wird sich dabei weder von irgendwelchen Wünschen
noch gar von vorgefaßten Meinungen leiten lassen. Ihr liegt nur daran, die Wahrheit zu ermitteln und alle Zusammenhänge aufzudecken.
Um diese Untersuchung zu unterstützen, ist für die restlose Aufklärung eine Belohnung von 500 000 DM ausgesetzt worden.
Die Höhe der Summe erscheint gewiß ungewöhnlich
und ist von mancher Seite zunächst nicht verstanden worden. Die Aufklärung im Kalten Krieg verlangt aber ungewöhnliche Mittel.
Zur restlosen Aufklärung gehört die Feststellung, ob John, wie von manchen Seiten behauptet wird, seit Jahr und Tag ein ungewöhnlich geschickter kommunistischer oder sowjetischer Agent war oder ob er in der Nacht vom 20. zum 21. Juli in plötzlichem Entschluß seiner Regierung die Treue brach und den kommunistischen Machthabern erlag. Darüber hinaus gilt es, das östliche Agentennetz aufzudecken, das möglicherweise in seinem Falle tätig war, und die Zusammenhänge mit früheren Organisationen, die wie die „Rote Kapelle" von kommunistischer Seite gesteuert waren und heute vielleicht noch Kontakte zu ihren einstigen Auftraggebern haben.
5. Die restlose Aufklärung dieses Falles ist, wie das Hohe Haus ohne weiteres zugestehen wird, von großer Bedeutung. Aus ihr ergeben sich wichtige Folgerungen für das von John früher geleitete Amt. War John ein langjähriger Verräter im sowjetischen Auftrag, so wird dadurch sein Mitarbeiter-, sein Bekannten- und Freundeskreis in ganz anderen Weise betroffen, als wenn John plötzlich in das gegnerische Lager übergegangen ist. Darüber werden wir den letzten Aufschluß vielleicht nur von Menschen oder Stellen erhalten, die durch die ungewöhnliche Höhe der Belohnung angezogen werden können und sollen. Wenn der Fall John in der Tat den größten politischen Skandal der Bundesrepublik darstellt, dann müssen dessen restlose Aufklärung und die Aufdeckung und Unschädlichmachung der Helfershelfer sicher eine halbe Million Mark wert sein.
6. John wird von der Gegenseite als ein Mittel der Propaganda und der politischen Zersetzung benutzt. Bei aller Bedeutung, die dem Fall zukommt, wäre es falsch, sich über den sachlichen Schaden, den John durch Verrat von Geheimnissen anrichten kann, übertriebene Vorstellungen zu machen. Die Frage: „Was hat er und was konnte er verraten?", beschäftigt die Öffentlichkeit mit Recht. Die Hauptgegenstände, auf die sich die Ausspähung und der Verrat im Kalten Krieg in der ganzen Welt richten, sind infolge der Lage, in der sich die Bundesrepublik befindet, hier nicht vorhanden. Die Bundesrepublik hat kein Militär, sie hat keinen Generalstab, sie hat keine Aufmarschpläne, die dem Gegner in die Hand gespielt werden könnten; sie besitzt keine geheime Rüstungsindustrie und keine verborgenen Waffenarsenale, deren Produktionsziffer oder deren Lage auszuspionieren wären; es gibt in der Bundesrepublik auch keine Forschungsstellen im Dienst der Rüstung, aus denen etwa die Formel für die Herstellung neuer Waffen
verraten werden könnte. John war Leiter einer Behörde, deren Aufgabe es ist, rechts- oder linksradikale Bewegungen, die auf den Umsturz der im Grundgesetz gegebenen staatlichen Ordnung ausgehen, zu beobachten und darüber zu berichten. Sein Amt hatte Nachrichten zu sammeln. Es ist abwegig, ihn, wie das in der Öffentlichkeit häufig geschehen ist, als einen Abwehrchef zu bezeichnen. Der Vergleich mit Canaris ist nicht nur zu hoch gegriffen, sondern falsch.
Zur Frage, ob John Agenten verraten konnte oder verraten hat, wiederholt die Bundesregierung hier die bereits abgegebene Erklärung, daß nach den Feststellungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz Verhaftungen im Zusammenhang mit dem Fall John nicht erfolgt sind. Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist im übrigen ebenso wie andere Nachrichtendienste so aufgebaut, daß, wie alle Fachleute wissen, der Leiter nicht selbst über Agentenlisten verfügt. Diese Feststellungen sollen nicht dazu dienen, den Fall in irgendeiner Weise zu verkleinern; sie haben nur den Zweck, die Vorstellungen über diesen Fall auf das richtige Maß zurückzuführen. Die Bundesregierung spricht mit aller Offenheit. Sie hat und hatte niemals die Absicht, in dieser Affäre irgend etwas zu verschweigen oder gar zu vertuschen.
7. Die Öffentlichkeit ist besonders an einer näheren Aufklärung darüber interessiert, wie John in sein Amt gekommen ist. Die Tatsachen seiner Einstellung sind folgende: Als das Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes vom 27. September 1950 in Kraft trat, hatten bereits viele Monate umfassende Verhandlungen mit den alliierten Sicherheitsdirektoren über die Berufung der leitenden Persönlichkeiten des künftigen Bundesamtes für Verfassungsschutz stattgefunden. Die Alliierten hatten sich ein Einspruchsrecht für das Personal dieses Amtes ausdrücklich vorbehalten. Der erste, bereits am 16. März 1950 vorgeschlagene Leiter des künftigen Amtes fand ebensowenig Zustimmung wie drei weitere, später präsentierte Kandidaten. Vier andere in Aussicht genommene Persönlichkeiten lehnten die Übernahme des Amtes ab. Trotz einer Intervention des Herrn Bundeskanzlers selbst am 11. Juli 1950 bei dem britischen Hochkommissar gelang es bis zur Verkündung des Verfassungsschutzgesetzes nicht, die Einsprüche der Alliierten gegen die deutschen Kandidaten zu beseitigen.
— Meine Damen und Herren, ich erlaube mir, den Herrn Zwischenrufer daran zu erinnern, daß wir einstweilen noch unter der Herrschaft des Besatzungsstatuts leben und daß unser intensivstes Bemühen dem Tage gilt, an dem wir diese Fessel beseitigt haben werden.
In dieser schwierigen Lage tauchte der Name von Dr. John auf, einer Persönlichkeit, deren antinationalsozialistische Einstellung nicht bestritten werden konnte und die von namhafter politischer Seite bereits mehrfach empfohlen war. Die Berufung Johns wurde im November 1950 mit der Alliierten Hohen Kommission erörtert. Sie erklärte
wenige Wochen darauf, gegen diese Kandidatur I keinen Einspruch einzulegen. Die Opposition wurde von diesem Vorschlag unterrichtet und erhob ebenfalls keine Bedenken.
Daraufhin wurde Dr. John Anfang Dezember 1950 mit der kommissarischen Leitung des Bundesamtes für Verfassungsschutz betraut.
8. Dr. John ist dann fast ein Jahr lang nur kommissarisch verwendet worden. Dies erklärt sich daraus, daß gegen ihn Bedenken wegen seiner Tätigkeit bei der Überprüfung kriegsgefangener Offiziere in England, wegen seines Auftretens vor dem amerikanischen Militärgerichtshof in Nürnberg im Jahre 1948 und wegen seiner Tätigkeit im Manstein-Prozeß in Hamburg im Jahre 1949 erhoben wurden. Diese Bedenken, die unter anderen der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion erhoben hatte, wurden überprüft. Unter den gegebenen Verhältnissen erschienen sie nicht durchschlagend. Das Kabinett hat dann in seiner Sitzung vom 26. Oktober 1951 die Ernennung von Dr. John bei einer Stimmenthaltung beschlossen.
Was die Eignung Johns für den öffentlichen Dienst angeht, so hat sich die Bundesregierung damals in Übereinstimmung mit dem Hohen Hause befunden. Ich verweise auf die Verhandlungen vor dem Untersuchungsausschuß des 1. Bundestages, dem die Prüfung der Personalpolitik im Auswärtigen Amt oblag und dessen Einsetzung von derselben Seite beantragt worden war wie jetzt die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses im Fall John. Jener Ausschuß hat in seinem Schriftlichen Bericht vom 18. Juni 1952 auch die Behandlung einer Bewerbung Johns für den Auswärtigen Dienst geprüft. Er hat in diesem Bericht festgestellt, daß über John von mehreren Seiten beste Auskünfte vorlagen.
Schließlich hat der Ausschuß, nachdem seitens des Auswärtigen Amts eine positive Entscheidung über die Einstellung Dr. Johns nicht erfolgt war, im Zusammenhang damit dem mit der Sache betrauten Beamten der Personalabteilung des Auswärtigen Amts „einen außerordentlich eingeengten Horizont" und „eine bestimmte Beschränktheit der Aspekte" vorgeworfen.
9. Ich für meine Person, meine sehr verehrten Damen und Herren, stehe nicht an, zu erklären, daß die Berufung von John objektiv ein Fehler gewesen ist.
Dieser Fehler lag nach meiner Meinung darin, daß die Tätigkeit Johns außerhalb Deutschlands Angriffs- und Gefahrenquellen barg, die bei dem Leiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz nicht gegeben sein durften.
Eine andere Besetzung seiner Stelle war daher bereits seit einiger Zeit vorgesehen. Zwingende Gründe aus der Amtsführung des Dr. John, die seine sofortige Enthebung unabweisbar gemacht hätten, lagen nicht vor und haben sich auch aus der bisherigen Untersuchung nicht ergeben.
10. Bei der Erörterung des Falles ist des öfteren
auch das Thema der Widerstandskämpfer des
20. Juli 1944 und die Frage der Emigranten behandelt worden. Dazu hat der Herr Bundeskanzler in
seiner Rundfunkerklärung vom 6. August 1954 bereits Stellung genommen. Ich darf hier an seine
Worte erinnern. Der Herr Bundeskanzler erklärte: Wir dürfen unter keinen Umständen in einen Kampf aller gegen alle verfallen und eine politische Schnüffelei treiben, die das gegenseitige Vertrauen zerstört. Es waren zur Zeit des Nationalsozialismus und insbesondere, als Deutschland in Blut und Feuer unterzugehen drohte, besondere Verhältnisse, die mit besonderen Maßstäben gemessen werden mußten. Wer aus Liebe zum deutschen Volk es unternahm, die Tyrannei zu brechen, wie das die Opfer des 20. Juli getan haben, ist der Hochschätzung und Verehrung aller würdig. Wer damals in die Emigration gegangen ist, verdient keinen Tadel. Er hat in der Emigration, wenn er ein ehrlicher Deutscher war, ebenfalls schwer gelitten.
11. Die vordringliche Sorge der Bundesregierung nach Bekanntwerden von Johns Übertritt war — abgesehen von der sofortigen Einleitung einer umfassenden Untersuchung — die Wiederbesetzung seiner Stelle durch eine in jeder Beziehung geeignete Persönlichkeit. Kaum 24 Stunden nach Bekanntwerden seines Verschwindens wurde durch den Bundesminister des Innern die Leitung des Bundesamtes für Verfassungsschutz dem Präsidenten des Bundeskriminalamtes, zunächst kommissarisch, übertragen. Die sofort angeordnete Überprüfung des Bundesamtes für Verfassungsschutz ist im Gange. Ein Bericht darüber wird später erstattet werden.
12. Der Fall John als solcher ist zu trennen von den Fragen, die mit der Organisation und den Arbeitsmethoden des Verfassungsschutzes zusammenhängen. Das große organisatorische Problem einer Reform des Verfassungsschutzes ist von der Bundesregierung in ihrer Erklärung vom 8. Juli vor diesem Hause bereits behandelt worden. Als wesentliche Gesichtspunkte aus der damaligen Erklärung der Bundesregierung darf ich die folgenden ins Gedächtnis zurückrufen: Gesetzestreue und demokratische Zuverlässigkeit des im Verfassungsschutz tätigen Personals, Wahrung nicht nur der Erfordernisse der Staatssicherheit, sondern auch aller berechtigten Interessen der betroffenen Staatsbürger, Vertiefung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern auf diesem für die Sicherheit unseres Volkes so wichtigen Gebiet.
13. Der Fall John, meine Damen und Herren, ist eingangs als eine Schlappe der Bundesrepublik im Kalten Krieg bezeichnet worden. Die Sowjets, deren Helfershelfer in Pankow John jetzt als eine Beutefigur herausstellen, haben selbst im Kalten Krieg viele ihrer Leute verloren, angefangen mit Gouzenko, dem Leiter der Code-Abteilung der sowjetischen Botschaft in Kanada, bis zu Petrow und Rastworow, der eine Spionageleiter in Australien, der andere Leiter der sowjetischen Spionage in Japan. Die Sowjets glaubten sogar vor einigen Monaten Berija, den obersten Chef dieser Art ihrer Kriegführung, liquidieren zu müssen, da er, wie sie sagten, Verrat plante. Die Erfahrungen dieser Jahre lehren, daß weder der totalitäre, noch der demokratische Staat hier gegen Verluste gesichert sind. Großbritannien mußte das Verschwinden hoher Beamter des Auswärtigen Amtes, McLean
und Burgess, hinnehmen. Die Vereinigten Staaten mußten sich damit abfinden, daß Alger Hiss, der Berater des Präsidenten der USA, als Spion entlarvt wurde.
14. Die Lage Deutschlands in dem weltweiten Kalten Krieg wird dadurch verschärft, daß ein Eiserner Vorhang unser Vaterland zerrissen und zerteilt hat. Wenn die Pankower Propagandisten glauben, John als jemanden vorstellen zu können, der bei ihnen Freiheit und Sicherheit gefunden hätte, dann werden sie durch den ununterbrochenen Flüchtlingsstrom vom Osten in den Westen Lügen gestraft.
In ,diesem Flüchtlingsstrom befinden sich bekannte Namen und ungezählte Namenlose. Wir könnten hier die 61 führenden Politiker und Funktionäre aufzählen, die seit 1951 aus der Sowjetzone nach West-Berlin oder in die Bundesrepublik geflüchtet sind. Fünf von ihnen waren Mitglieder der Pankower Regierung, 13 gehörten den Länderregierungen der Sowjetzone an, 28 waren maßgebende Vertreter sowjetzonaler Ministerien. In dem Flüchtlingsstrom befinden sich auch die 14 500 Offiziere und Mannschaften der Volkspolizei, die seit 1952 nach Westen übergetreten sind.
Nahezu jeder zehnte Bewohner der Sowjetzone hat seit 1949 den Weg aus der Unfreiheit in die Freiheit genommen.
Fast zwei Millionen sind es, die in der Bundesrepublik Schutz vor den Nachstellungen und Bedrükkungen des östlichen Systems suchten. Gewaltig aber ist auch die Zahl derer, die drüben still und mit zusammengebissenen Zähnen ausharren und mit heißem Herzen den Tag der Wiedervereinigung in Freiheit herbeisehnen,
jene Stunde, da in unserem Vaterland die Grenzen fallen und wir uns alle wieder als ein einig Volk von Brüdern zusammenfinden.