Rede von
Franz
Seidl
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat durch einen Beschluß vom Dezember 1948 eine Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes angenommen. Die Konvention ist am 12. Januar 1951 in Kraft getreten. Sie ist von 43 Staaten ratifiziert worden, oder sie sind ihr beigetreten. Die Bundesrepublik wurde auf Grund eines Beschlusses der Generalversammlung zum Beitritt aufgefordert.
Diese Konvention bedeutet einen weiteren Fortschritt in der Fortentwicklung des Völkerrechts, die sich insbesondere auf Grund der traurigen Ereignisse während und nach den letzten beiden Kriegen ergeben hat. Mit dieser Konvention verpflichten sich die Staaten, den Völkermord zu verhüten und zu bestrafen. Die Tatbestände des Völkermordes sind in Art. II der Konvention aufgeführt. Die Aburteilung soll nach dieser Konvention durch nationale Gerichte des Tatortes geschehen. Vorgesehen ist aber auch eine internationale Gerichtsbarkeit, die jedoch noch nicht in Gang gesetzt ist. Um auf alle Fälle eine Bestrafung sicherzustellen, sind diese Verbrechen nicht als politische Verbrechen zu betrachten; die Auslieferung ist daher möglich. Im übrigen darf ich wegen der Einzelheiten des Inhalts der Konvention auf diese selbst und auf die Denkschrift zur Konvention, die der Begründung in Drucksache 162 beigegeben ist, verweisen.
Der wesentliche Inhalt und vor allem der Fortschritt der Konvention liegen darin, daß sie im Frieden und im Krieg Anwendung finden soll und ihre Anwendung daher nicht von der Macht des Siegers abhängig ist. Insoweit unterscheidet sie sich wesentlich von der Rechtsprechung der Nürnberger Gerichte, die ja diese Verbrechen nur im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg bestraft wissen wollten. Das ist ein außerordentlicher Fortschritt, der nur zu begrüßen ist.
Über die Bedeutung der Konvention auch gerade für uns ist in der ersten Lesung in diesem Hause von allen Fraktionen gesprochen worden. Es ist die einmütige Auffassung des mitberatenden Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten und des federführenden Rechtsausschusses, dem Hohen
Hause den Beitritt Deutschlands zu dieser Konvention zu empfehlen, wozu gemäß Art. 59 Abs. 2 des Grundgesetzes die Zustimmung des Bundestages erforderlich ist. Es liegt daher der Entwurf dieses Zustimmungsgesetzes vor. Im Zusammenhang mit diesem Zustimmungsgesetz war es erforderlich, gemäß der in Art. V der Konvention übernommenen Verpflichtung wirksame Strafbestimmungen in unser Strafgesetzbuch aufzunehmen.
Das Zustimmungsgesetz in der Fassung der Drucksache 526 weicht in einigen Punkten von der ursprünglichen Fassung des Zustimmungsgesetzes Drucksache 162 ab. Zum Teil ergeben sich diese Abweichungen daraus, daß die Übersetzung der Konvention nicht in allen Punkten genau zutreffend war. Ich darf hierzu bemerken, daß die Bundesregierung in der Zwischenzeit auf Anregung des Rechtsausschusses eine neue, überarbeitete Übersetzung vorgelegt hat. Diese neue Übersetzung liegt Ihnen vor. Ein Versehen ist meines Erachtens in dieser Übersetzung noch enthalten. Es heißt in Art. II der Konvention „körperliche Vernichtung", wo es „körperliche Zerstörung" heißen sollte.
Außer diesen Bedenken hinsichtlich der Übersetzung wurden in der Öffentlichkeit weitere Bedenken vorgebracht, insbesondere von dem Schöpfer der internationalen Konvention, Herrn Professor Lemkin in New York. Es darf von hier aus eindeutig festgestellt werden, daß weder in den Ausschüssen noch seitens der Bundesregierung je die Absicht bestand, der Nürnberger Rechtsprechung irgendwie Vorschub zu leisten. Der wesentliche Unterschied liegt, wie bereits ausgeführt, darin, daß diese Konvention auch im Frieden Anwendung finden soll. Es ist niemals davon die Rede gewesen, daß dieser Konvention von seiten der Bundesregierung oder von seiten der Ausschüsse eine derartige Auslegung gegeben werden sollte. Es darf aber hier wohl auch im Namen des ganzen Hohen Hauses Herrn Professor Lemkin für seine selbstlose Arbeit bei der Schaffung der Konvention in dem jetzigen Geiste und auch für die Anregungen, die er uns bei unserer Arbeit gegeben hat, Dank und Anerkennung ausgesprochen werden.
Ich werde nun im einzelnen auf die durch den Ausschuß vorgenommenen Änderungen und die Gründe hierfür eingehen. Im übrigen darf ich mich auf die Begründung zum Zustimmungsgesetz beziehen.
Der Ausschuß war darüber einig, daß es zweckmäßig ist, den Einbau der Strafbestimmungen durch Einfügung nur eines Paragraphen, nämlich des § 220 a StGB vorzunehmen und nicht etwa die in unserem Strafgesetzbuch bereits vorhandenen verstreuten Bestimmungen entsprechend abzuändern. Es herrschte Einigkeit darüber, daß man diese Tatbestände auch als Völkermord bezeichnen könne, obwohl dagegen sprachliche Bedenken vorgetragen wurden. Deshalb wurden am Ende des § 220 a Abs. 1 die Worte „wegen Völkermordes" und entsprechend in § 134 Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes gemäß Art. III des Zustimmungsgesetzes das Wort „Völkermord" eingefügt.
Bei Abs. 1 des § 220 a StGB war im Ausschuß die Meinung geteilt, ob man die substantivische oder die adjektivische Fassung wählen sollte. Trotz der vielleicht größeren Klarheit und sprachlichen Einfachheit der substantivischen Fassung —
also etwa „Glaube", „Abstammung" an Stelle von „religiös" und „rassisch" — war die Mehrheit für die adjektivische Fassung und damit für die möglichst wortgetreue Übernahme der dortigen Begriffe, insbesondere um eine Verschiedenheit im internationalen Recht und auch Auslegungsschwierigkeiten zu vermeiden. Lediglich das Wort „ethnical" wurde mit „durch Volkstum bestimmt" übersetzt, weil man der Ansicht war, daß das Strafgesetzbuch, in das diese Bestimmungen ja eingebaut werden sollen, auch für den einfachen Mann lesbar sein solle und der Begriff „ethnisch" doch noch nicht so in die Sprache eingedrungen sei, daß man ihn dem einfachen Manne vorsetzen könne.
Die Begriffe „ausrotten" und „Ausrottung", gegen die sich ja vor allen Dingen Bedenken geltend gemacht hatten, wurden mit Rücksicht darauf geändert, daß sie in der Terminologie der Nürnberger Gerichte eine gewisse Rolle gespielt haben und vor allem das Wort „zerstören" in Abs. 1 ein umfassenderer Ausdruck ist, der die Gruppe als einen soziologischen Begriff einschließen soll. Aus dem gleichen Grunde wurden auch die Worte „als solche", „comme tel", wieder eingefügt, deren Weglassung wohl nur auf einer nicht zutreffenden Übersetzung beruhte.
Gegen die Neufassung der Ziffer 2 des § 220 a Abs. 1 bestanden zunächst wegen der Systematik unseres Strafgesetzbuchs Bedenken, weil damit neben der bereits bestehenden schweren Körperverletzung des § 224 StGB ein neuer Tatbestand der schweren Körperverletzung geschaffen werde. Der Ausschuß glaubte aber auf die Fassung und vor allem auf die besondere Aufführung der schweren seelischen Schäden nicht verzichten zu können, das um so leichter, als für die Auslegung der Bundesgerichtshof in erster und letzter Instanz zuständig ist.
In Ziffer 3 des § 220 a Abs. 1 wurde entsprechend der Begründung die objektive Fassung des Tatbestands gewählt; deshalb die Worte „geeignet ...". Um die Worte „physical destruction" im englischen Text, die jetzt mit „Vernichtung" übersetzt sind, ist nochmals eine Diskussion entstanden. Ich möchte hierzu — weil ja wohl alle Damen und Herren des Hauses hierzu eine Zuschrift bekommen haben — einige Ausführungen machen. Die Worte sind nunmehr — dieser Umdruck liegt Ihnen inzwischen wohl vor — nochmals geändert worden, und zwar wiederum in „körperliche Zerstörung" an Stelle des Wortes „Vernichtung". Ich darf vielleicht der Einfachheit halber, um Wiederholungen zu vermeiden, diesen Antrag, den ich veranlaßt habe und der von sämtlichen Fraktionen unterschrieben ist, ausnahmsweise gleich als Berichterstatter mitbehandeln, weil er hier am besten in das System paßt.
Es fällt zunächst auf, daß im ersten Absatz des Art. II der Konvention das Wort „destroy" oder „détruire" im Französischen ohne jeden Zusatz gebraucht ist, während unter Buchstabe c bei „destruction" „physique" bzw. „physical" hinzugesetzt ist. Mit diesem Zusatz ist der etwas umfassendere Begriff in der Einleitung des Art. II eingeengt. Diese Zusätze sind nach den zugänglichen Berichten der UNO-Kommission aufgenommen worden, um deutlich zu machen, daß hier in der Konvention nur die biologische Zerstörung von Gruppen, also genocide, nicht aber die kulturelle Zerstörung erfaßt sein soll. Auch die kulturelle Zerstörung von Gruppen in die Konvention aufzunehmen, ist dort seinerzeit abgelehnt worden. Der Ausschuß glaubte
daher zunächst, „physical destruction" vor allem aus sprachlichen Gründen mit „Vernichtung" übersetzen zu können, insbesondere wenn man dazu noch die Erklärung abgäbe, daß damit die fremdsprachlichen Begriffe mit allen dazu erarbeiteten Auslegungen der internationalen Konventionen getroffen sein sollten. Um aber nun alle Bedenken derjenigen auszuräumen, die dann trotzdem noch in dem Wort „Vernichtung" eine Einengung erblicken zu müssen glaubten, an der uns auf keinen Fall gelegen sein kann, und um auch denen Rechnung zu tragen, die bei internationalen Abkommen eine möglichst weitgehende Anlehnung an die fremdsprachlichen Grundtexte wünschen, glaube ich, dem Hohen Hause trotz der sprachlichen Bedenken — sprachlich schön ist „körperliche Zerstörung", noch dazu im Zusammenhang mit einer und bezogen auf eine Gruppe, wirklich nicht — die Annahme in der Fassung des Umdrucks 142 empfehlen zu müssen.
Im übrigen wurden lediglich noch in Ziffer 5 des § 220 a Abs. 1 die Worte „durch Gewalt" in „gewaltsam" geändert, was eine sprachliche Verbesserung bedeutet.
Mit dieser neuen Fassung des § 220 a, wie sie nunmehr vorliegt, sind alle Bedenken, die gegen die ursprüngliche Fassung vorgetragen wurden, ausgeräumt. Geblieben ist lediglich die Übersetzung des Wortes „ethnisch" durch „durch ihr Volkstum bestimmt". Der so geschaffene § 220 a verhindert auf alle Fälle auch die geringste Möglichkeit, einer Auslegung sei es in Richtung auf die Terminologie oder auf die Rechtsprechung der Nürnberger Gerichte irgendwie Vorschub zu leisten.
Schließlich war es auch die Auffassung des Ausschusses, daß die nach deutschem Recht bestehenden Teilnahmeformen, wie sie in der Begründung aufgeführt sind, ausreichen und es nicht der Einführung des unserem Recht völlig fremden Begriffs der „conspiracy" bedarf.
Dagegen war bei der Beratung im Rechtsausschuß angeregt worden, in den Schutz des § 220 a StGB auch Gruppen aufzunehmen, die durch ihre gemeinsame politische Überzeugung bestimmt sind. Dieser Anregung wurde im Ausschuß grundsätzlich zugestimmt. Aus rechtssystematischen und vor allem völkerrechtlichen Gründen — es wurde betont, Völkermord, genocide, sei im internationalen Recht schon ein feststehender Begriff geworden und man entferne sich sonst etwas zu weit davon — hielt der Ausschuß eine analoge Regelung im Strafgesetzbuch jedoch für angemessener. Aus diesem Grunde wurde die Ihnen vorliegende Entschließung ausgearbeitet. Ich glaube nicht, daß man in dieser Entschließung irgendwie eine Veränderung der Konvention oder ein Abweichen von ihrer international angenommenen Fassung erblicken kann. Denn es kann und muß uns selbstverständlich vorbehalten bleiben, bei der künftigen Änderung des Strafgesetzbuches auch eine analoge Regelung für den Geltungsbereich unseres Strafgesetzbuches — selbstverständlich nur in diesem Sinne — zu treffen.
Namens des Ausschusses darf ich Sie daher bitten, dieser Entschließung Ihre Zustimmung zu geben, und Ihnen nochmals den Beitritt zur Konvention und die Annahme des Zustimmungsgesetzes empfehlen.