Rede von
Dr.
Ewald
Bucher
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Freien Demokratischen Partei bedauert es auf das tiefste, daß diese Debatte in Abwesenheit von Herrn Dr. Reinhold Maier stattfindet, der mit einer Blinddarmerkrankung im Krankenhaus liegt und gehindert ist, hier zu erscheinen. Da Herr Dr. Maier erklärt hat, daß er die ihn betreffende Angelegenheit im Rahmen des Parlaments selber verfolgen werde, hatten wir die Absicht, diese Angelegenheit hier auszuklammern und nur über das allgemeine Problem des Verfassungsschutzes zu sprechen. Nach dem Verlauf der Debatte können wir diese Absicht nicht mehr ganz aufrechterhalten, vor allem nicht nach der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers. Wir bezweifeln zwar nicht die Richtigkeit dieser Erklärung, aber wir finden sie nicht vollständig. Durch diese Erklärung ist in zweierlei Beziehung ein falscher Eindruck entstanden. Einmal wurde
erklärt, die Meldung sei vom Herrn Bundeskanzler nur an Herrn Dr. Dehler gegeben worden. Die Meldung stand aber auch in der Presse. Zum zweiten entstand doch im Hause so leicht der Eindruck, daß Herr Dr. Maier eben doch mit Herrn Etzel etwas zu tun gehabt habe.
Was zunächst die Weitergabe der Meldung angeht, so halte ich persönlich es schon für falsch und unberechtigt, daß diese Meldung an den Partei- bzw. Fraktionsvorsitzenden des Betroffenen gegeben wurde.
(Vizepräsident Dr. Schneider übernimmt
den Vorsitz.)
Zwar kann man in diesem Fall davon ausgehen,
daß die beiden Männer, um die es sich handelt,
gute Freunde sind. Aber man kann das ja nicht
zu einem Grundsatz erklären. Weiter ist die Meldung eben auch in der Sitzung der CDU/CSUFraktion am 25. Mai 1954 bekanntgemacht worden.
Wie sollte sie sonst in die Presse gekommen sein?
Was zweitens das Verhältnis von Herrn Dr. Maier zu Herrn Etzel angeht, so ist, glaube ich, eigentlich jedes weitere Wort überflüssig. Reinhold Maier hat klar erklärt, daß er Herrn Etzel überhaupt nicht kannte. Er gehörte ja dem ersten Bundestag nicht an; er mußte erst nachschlagen, um festzustellen, wer das ist.
Was steht im übrigen in dieser Meldung drin? Einmal steht drin, Maier habe die Absicht gehabt, sich einer Reise nach Moskau anzuschließen. Nun, wenn er diese Absicht gehabt hätte, wäre sie jedenfalls für das Verfassungsschutzamt uninteressant.
Das andere, was in dieser Meldung angedeutet werden sollte, daß Maier Verbindung mit Staatsfeinden aufnimmt, ist — ich glaube, darüber sind wir uns doch einig — nach der Person von Reinhold Maier von vornherein als völlig unmöglich anzunehmen.
Es hat natürlich auch nicht zur Verbesserung der Atmosphäre beigetragen, daß der Brief von Herrn Dr. Maier an den Herrn Bundeskanzler vom 1. Juni erst am 24. Juni und auch erst nach einer Fristsetzung beantwortet wurde.
Da kann man es wohl verstehen, daß in dieser Atmosphäre Herr Dr. Maier, der sonst als Remstäler ein milder Mann ist, etwas stärkere Töne angeschlagen hat.
Ich möchte hier nur zu einem Stellung nehmen, was ihm besonders übelgenommen wurde, nämlich das Aristoteles-Zitat. Nun wissen wir ja alle — und der Herr Bundeskanzler als besonderer Kenner des klassischen Altertums bestimmt —,
daß das griechische „Tyrannos" eben mit „Alleinherrscher" zu übersetzen ist und nicht einen Dschingis-Khan oder einen Adolf Hitler bedeutet, allerdings auch keinen „großen Liberalen".
Der Herr Innenminister hat uns in einer ausgezeichneten Darlegung die Ziele und Aufgaben des Verfassungsschutzes aufgezeigt. Er hat u. a. gesagt, die personelle Zusammensetzung des Amtes müsse so sein, daß die demokratische Zuverlässigkeit der Mitarbeiter nicht bezweifelt werden könne; die Fragen der Staatssicherheit sollten in geeigneter Form und mit der gebotenen Zurückhaltung behandelt werden. Er hat erwähnt, daß die Handlungen, gegen die das Verfassungsschutzamt sich wenden müsse, Hochverrat, Landesverrat, Staatsgefährdung, Verbindung mit Staatsfeinden seien und daß es nicht bei zuverlässigen Staatsbürgern in Funktion trete.
Wenn wir nun die vorgekommenen Fälle — es wurden ja hier viele Beispiele genannt — unter diese Regel subsumieren, müssen wir doch feststellen, daß die Praxis oft in einem Widerspruch zu diesen Regeln steht und im Falle Reinhold Maier bestimmt in einem krassen Widerspruch. Ich möchte also eigentlich die Darlegungen des Herrn Bundesinnenministers, wenn auch er das bestimmt nicht möchte, als eine Kritik am bisherigen Verfahren der Verfassungsschutzämter auffassen.
Man gibt uns wohl den Trost, das Amt habe keine Exekutive, es habe nur zu sammeln. Aber — das ist hier, wenn ich richtig verstanden habe, auch vom Herrn Kollegen Kiesinger und vom Herrn Kollegen Schmid ausgedrückt worden — schon dieses Sammeln ist gefährlich. Der Mann, über den eine Nachricht vorliegt, stößt schon deswegen oft gegen eine Mauer, wenn er sich z. B. um eine Stelle bewirbt oder etwas ähnliches. Das zeigt uns aber auch die Problematik einer Kontrolle. Es ist freilich theoretisch richtig, zu sagen, das Amt dürfe nur das und das sammeln. Aber in der Praxis ist diese Grenzziehung natürlich sehr schwierig. Jedenfalls sollte man das Amt verpflichten, überhaupt keine unbestätigte Nachricht auch nur liegen zu lassen. Schon ,dieses Liegenlassen bedeutet, daß der Betreffende angeschwärzt ist. Es müßte dafür gesorgt werden, daß man so bald wie möglich eine Bestätigung dieser Nachricht erhält.
Nun zur Auswertung und Verwertung. Jetzt gehen also ohne Gehör des Betroffenen Meldungen an Personalstellen. Es werden, wie es so schön heißt, „unkontrollierte Meldungen aus zuverlässiger Quelle" in die Welt gesetzt. Wenn diese Meldungen falsch sind, dann ist der Betreffende eben einmal mit Schmutz beworfen, und es ist ein geringer Trost für ihn, daß er sich gemäß Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes von diesem Schmutz nun selbst reinigen muß. Es ist hierbei gleichgültig, ob es sich um Anhänger der Regierung wie Reinhold Maier
oder um Mitglieder der Opposition handelt; denn der Verfassungsschutz ist eine gemeinsame Angelegenheit, wie wir ja auch davon überzeugt sind, daß sowohl auf den Bänken der Regierungsparteien wie auf den Bänken der Opposition die vorhin genannten Kategorien der Hochverräter, Landesverräter, Staatsfeinde nicht zu finden sind.
Was kann nun in dieser Sache geschehen? Einmal greifen wir sehr gern die Anregung auf — wir greifen sie um so lieber auf, als sie von den Verfechtern des Föderalismus kommt daß eine bessere Koordination zwischen Bundes- und Landesverfassungsschutzämtern, am besten überhaupt die Schaffung eines einheitlichen Bundesverfassungsschutzamts anzustreben ist.
Zu einer Kontrolle durch das Parlament möchte ich mich etwas skeptisch äußern. Jedenfalls müssen wir diese Frage im Verfassungsausschuß eingehend prüfen. Vor allem müssen wir natürlich einen Appell an den politischen Takt der Beamten des Verfassungsschutzamts und der Regierung überhaupt richten, daß solche Dinge, wie sie bedauerlicherweise vorgekommen sind, sich nicht wiederholen.
Wir müssen, das scheint mir das Wesentlichste dieser Debatte zu sein, jedem dafür dankbar sein, der hier aus der Sorge um die Entwicklung unseres Staates warnend seine Stimme erhebt. Ich möchte voll und ganz das unterstreichen, was Herr Kollege Schmid über den Wert und die Berechtigung der Kritik in solchen Dingen gesagt hat. Freilich haben wir noch lange keine Gestapo; aber es heißt, hier ja auf die Anfänge zu achten. Der erste Schritt zu einer Gestapo wurde von Männern getan, teilweise von Männern guten Willens, die entsetzt gewesen wären, wenn sie gewußt hätten, zu was sie den ersten Schritt getan haben.
Freiheit und Staatssicherheit sind natürlich eng miteinander verbunden. Die persönliche Freiheit ist unser höchstes Gut; sie kann allerdings nur in einem sicheren Staat gedeihen. Wenn der Herr Bundeskanzler sagt: „Wäre die Staatssicherheit vor 1933 immer gebührend beachtet worden, dann hätten wir 1933 nicht erlebt", so ist es genau so richtig, zu sagen: Wäre die persönliche Freiheit vor 1933 immer hochgehalten worden, dann hätten wir auch weiterhin in einem sicheren Staat gelebt.
— Ich möchte damit, um nicht mißverstanden zu werden, nur sagen, daß eben auch damals Einzelfälle vorgekommen sind,
in denen man geneigt war, eine Überbetonung des Sicherheitsgedankens gegenüber der persönlichen Freiheit vorzunehmen. Ich möchte nicht etwa sagen, daß das ganze System vor 1933 nicht die persönliche Freiheit geschätzt habe. Das ist selbstverständlich.
Das Verfassungsschutzamt soll ein Instrument zum Schutz der Verfassung sein, nicht ein Instrument zum Schutz der Regierung.