Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aufgabe des Verfassungsschutzes ist in der Situation und unter den Umständen, in denen wir hier leben, von besonderer Schwierigkeit. Das sollte am Beginn unserer Überlegungen stehen und von niemandem vergessen werden. Ich meine, daß die Situation deshalb besonders schwierig ist, weil staatsfeindliche Umtriebe in der Bundesrepublik weitgehend von Kraftzentren außerhalb unseres Landes — sprich deutlich Moskau — gesteuert werden. Ich bitte Sie, diesen Tatbestand nicht zu übersehen, um zu einem gerechten Urteil in der Frage der Arbeitsbegrenzung und des Aufgabenkreises des Verfassungsschutzamtes zu gelangen.
Wir sind 'deshalb der Auffassung, daß 'das Verfassungsschutzamt hinsichtlich der Materialbeschaffung und -sammlung jede nur denkbare Möglichkeit haben sollte. Nach meiner Meinung wird auch niemand in seinen Interessen und in seinen Rechten oder gar Grundrechten beeinträchtigt, wenn er eines Tages infolge irgendeiner Meldung in der Kartothek des Verfassungsschutzamtes erscheint. Das müssen wir doch einmal ganz deutlich erkennen. Wenn wir der Arbeit des Verfassungsschutzamtes insoweit Schranken setzen, ist dieses Amt angesichts der unerhörten Schwierigkeiten und vielfältigen Möglichkeiten der Tarnung der Staatsfeinde heute einfach nicht in der Lage, mit Erfolg zu arbeiten. Ich glaube aus den Äußerungen des Sprechers der Opposition entnehmen zu können, daß insoweit dort keine unterschiedliche Meinung besteht.
Das Problem beginnt mit der Frage: Wer wertet das Material aus, und was geschieht bei dem Auswertungsvorgang, um die Rechte des einzelnen
nach rechtsstaatlicher Auffassung ausreichend zu sichern? Ich will mich bemühen, der Mahnung des Herrn Bundesinnenministers nachzukommen, und das, was wir zum Grundsätzlichen zu sagen haben, in der Weise vortragen, daß nicht der Eindruck in der Öffentlichkeit entsteht, es bestünden Meinungsschiedenheiten über die Notwendigkeit eines ausreichenden Verfassungsschutzes. In diesem Sinne möchte ich folgendes sagen.
Die heutige Debatte hat gezeigt — und das entspricht auch meiner Erfahrung —, daß an einer bestimmten Stelle der bisherigen Übung sehr nachdrücklich eingesetzt werden sollte: Das Verfassungsschutzamt darf nie und nimmer eine Auskunftsstelle für irgendwelche interessierten Behörden oder gar für Private sein.
Der Herr Innenminister hat angedeutet, daß er bereit ist, an diesem Punkt starke Sicherungen einzubauen. Wenn wir nicht dafür ,sorgen, daß die von solchen Auskünften betroffenen Personen die Möglichkeit haben, sich zu wehren, ist allerdings auf einem beachtlichen Lebensgebiet eine echte rechtsstaatliche Lücke vorhanden. Es muß entscheidend berücksichtigt werden, daß die von den Auskünften Betroffenen nur in den seltensten Fällen etwas davon erfahren. Es muß schon ein glücklicher Zufall sein, daß einem Mann, der sich um eine Anstellung bemüht und eine Ablehnung erhält, gesagt wird: „Wir lehnen ab, weil das Verfassungsschutzamt dieses und jenes dagegen vorzubringen hat." Der Hinweis auf Art. 19 unseres Grundgesetzes, Herr Bundesinnenminister, wonach jeder Staatsbürger die Möglichkeit hat, die Gerichte anzurufen und ihre Entscheidung zu erbitten, bleibt doch Theorie, solange der von solchen nachteiligen Äußerungen Betroffene keine Kenntnis davon erhält. Ich möchte meinen, es sollte wirklich einer ernsten Nachprüfung wert sein, ob man nicht in einer sehr großen Zahl von Fällen, ohne die Aufgabe des Verfassungsschutzamtes zu beeinträchtigen, die Möglichkeit geben sollte, den Betroffenen anzuhören. Ich bin davon überzeugt, daß bei den vielen ja kaum kontrollierbaren Nachrichten, die auch aus Quellen zugehen, die das Verfassungsschutzamt in seiner Bedeutung gar nicht recht erkennen kann, häufig eine kurze Erklärung des Betroffenen oder die Beibringung eines schnell beschaffbaren Beweismaterials völlig genügen würde, um den Mann auch in der Kartothek des Verfassungsschutzamtes wieder reinzuwaschen. Ich glaube, hier sollten ernste Erwägungen angestellt werden, ob nicht weitgehende Möglichkeiten vorhanden Sind, die Menschen anzuhören.
Ich glaube wirklich, daß die Aufgabe des Verfassungsschutzamtes in keiner Weise dadurch berührt wird.
In zweierlei Hinsicht bin ich nicht der Auffassung von Herrn Kollegen Menzel. Auch das möchte ich zur Klarstellung unserer Meinung einmal deutlich aussprechen. Sobald Aktionen in Gang gesetzt werden, d. h. doch Aktionen der Strafverfolgungsbehörden, brauchen wir nach meiner Meinung nicht kleinlich zu sein. Noch niemand wird dadurch beschwert, daß er unter voller Wahrung des Rechtsschutzes und all der Rechtsmittel und Möglichkeiten von den ordentlichen Strafverfolgungsbehörden in den Kreis irgendeines Verdachts hineingezogen wird.
— Doch, Herr Professor, der Meinung bin ich. Ich bin der Meinung, daß insoweit — insoweit! — lieber etwas zuviel als zuwenig getan werden sollte. Was passiert denn schon, wenn der ordentliche Richter durch Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden eines Tages, meinetwegen nach Wochen nervöser Spannung und nach Wochen von viel Ärger und Mühe und Kosten, zu der Feststellung kommt: Der betreffende Staatsbürger_ ist unschuldig!
— Sie wissen ja: wenn die Unschuld festgestellt ist, gibt es auch entsprechende Möglichkeiten der Ersatzleistung.
— Herr Professor, ich bitte nicht zu vergessen, daß wir, wenn wir versuchen, den Verfassungsschutzinstanzen in dieser Beziehung Zügel und Hemmungen anzulegen, leicht Gefahr laufen, in einem Falle nicht zuzuschlagen, in dem es sich später •als sehr notwendig erweist.
Zum Fall Heinemann, den Sie auch angesprochen haben! Ich möchte meinen, Herr Kollege Menzel, daß das Verfassungsschutzamt im Rahmen seiner gesetzlichen Befugnisse bleibt, wenn es sich bemüht, alle die Reiselustigen, die nach Moskau fahren, daraufhin zu überprüfen, was sie dort getan, gesagt und gemacht haben. Darüber darf sich auch Herr Heinemann nicht wundern und beschwert fühlen.
— Selbstverständlich. Auch da hätte ich keine Bedenken.
— Verzeihen Sie, Herr Menzel, wenn Sie das bestreiten wollen, dann übersehen Sie die Tatsache, daß die staatsfeindlichen Umtriebe in unserem Lande weitgehend von Moskau gesteuert werden.
Wenn ich eines Tages nach Moskau führe, würde ich mich nicht beschweren, wenn das Verfassungsschutzamt sich sehr dafür interessierte, was ich dort getan, geredet und gemacht hätte. Darüber braucht sich niemand beschwert zu fühlen, der diese Reisen unternimmt. Insoweit möchte ich also mit Ihnen nicht einer Auffassung sein.
Meine Damen und Herren, nun noch ein Zweites. Es gibt noch eine zweite Grenze, die sehr genau beachtet werden muß, wenn die ganze Einrichtung im Rahmen des Gesetzes und im Rahmen rechtsstaatlicher Erwägungen bleiben soll. Das ist die Frage, in welcher Weise das Material, das das Verfassungsschutzamt zusammengetragen hat, außerhalb der Strafverfolgungsbehörden noch Verwendung finden kann. Da bin ich der Meinung, daß es eigentlich nur einen Grundsatz gibt: Dieses Material sollte von allen Amtsstellen, die davon Kenntnis erhalten, mit besonderer Diskretion behandelt werden. Ich glaube nicht, daß sich dieses Material, das ja noch nicht richterlich überprüft ist, sondern sich häufig nur auf Vermutungen oder auf völlig ungeprüfte Aussagen Dritter stützt, in irgendeiner Weise dazu eignet, über den klein zu ziehenden Kreis der Amtspersonen, die durch ihr
Amt etwas davon wissen müssen, hinausgetragen zu werden.
— Ich würde den Kreis so eng ziehen, daß ich es nicht einmal für erforderlich hielte, sämtliche Kabinettsmitglieder darüber zu orientieren. Der erste Verantwortliche ist der Innenminister, der zweite, der für die Gesamtheit der Politik die Verantwortung trägt, ist der Herr Bundeskanzler. Ich würde diese Nachrichten nicht etwa schematisch noch an andere Ministerien weitergeben, es sei denn, daß der Herr Bundesinnenminister sich in einem besonderen Fall dazu entschließt. Ich bitte also, den Kreis derjenigen, die außer den Strafverfolgungsbehörden etwas von diesem Material erfahren, so eng wie möglich zu fassen und die Diskretion in der Behandlung dieses Materials zu gewährleisten.
Meine Damen und Herren, noch ein Letztes. Der Herr Bundesinnenminister hat zum Ausdruck gebracht, daß das Funktionieren des Verfassungsschutzes weitgehend von den Personen abhängig sein wird, die man dort verwendet. Dem stimmen wir zu. Wir stimmen ihm weiter darin zu, daß Verfassungstreue und menschlicher Anstand die beiden Voraussetzungen sind, die für eine Beschäftigung im Verfassungsschutzamt unbedingt notwendig sind. Hier möchte und muß ich nun aber etwas vorbringen, was in den letzten Monaten vorgefallen ist und was ich im Zusammenhang mit dieser Erörterung nicht unterdrücken möchte.
In der Zeitschrift des Bundesgrenzschutzes „Die Parole" hat der Präsident des Verfassungsschutzamtes im Januar oder Februar Ausführungen über die Aufgaben seines Amtes gemacht. In diesem Artikel beschäftigt er sich mit den besonderen Schwierigkeiten, die die vielen Illegalen, die in der Bundesrepublik wohnen, bereiteten und die seine Arbeit so schwer machten. Dann zählt er die Personenkreise auf, ,die ihm als besonders suspekt erscheinen. Nach dieser Aufzählung gehören, wie darin geschmackvollerweise gesagt wird, zu dem besonders suspekten Personenkreis „Heimatvertriebene, Gestrandete des Lebens und Kriminelle"!
Meine Damen und Herren, Sie werden wohl Verständnis dafür haben, daß nicht nur ich, sondern
auch meine Schicksalsgefährten eine solche Äußerung von dem Präsidenten des Verfassungsschutzamtes nicht unwidersprochen hinnehmen können.
Das ist auch nicht geschehen. Ich hoffe, daß ich im Parlament Verständnis dafür finde, wenn ich als Heimatvertriebener etwas dazu sage. Wir haben auch nicht geschwiegen. Der Verband der Landsmannschaften hat sich in dieser Angelegenheit mit einem Schreiben an den Herrn Bundeskanzler gewandt. Die Antwort ist von Herrn Staatssekretär Globke gekommen und befriedigt uns in keiner Weise. Meine Damen und Herren, wenn der Herr Präsident Dr. John sich damit ausredet. daß er sagt, er habe ja nur von illegal in der Bundesrepublik Wohnenden gesprochen,
dann war die Hereinnahme der Heimatvertriebenen
in diese Aufzählung völlig sinnwidrig. Denn soviel
müßte ihm doch bekannt sein, daß nichts dafür
spricht, daß Heimatvertriebene in größerer Zahl
als andere illegal in der Bundesrepublik wohnen.
Im Zusammenhang mit diesen Äußerungen habe ich den Eindruck gewonnen, daß die Vertriebenen tatsächlich in der Beurteilung des Verfassungsschutzamtes von vornherein mit einem Fragezeichen versehen sind. Mir ist in den letzten Tagen folgender Fall zu Ohren gekommen. Ein heimatvertriebener Sudetendeutscher, der auch mehrere Jahre in der Sowjetzone war, bemüht sich um eine durchaus nicht bedeutungsvolle Stelle in irgendeinem Ministerium. Er unterhält sich mit dem Personalchef, und alles scheint in Ordnung zu sein, weil er die gewünschten Fachkenntnisse mitbringt. Eines Tages kommt die Ablehnung, — aber nicht mit der Begründung, das Verfassungsschutzamt habe Bedenken, sondern mit den schlichten Ausflüchten, die ein Personalchef in einer solchen Situation zu machen pflegt. Nur durch einen glücklichen Zufall erfuhr der Mann dann Monate später, daß das Verfassungsschutzamt tatsächlich Bedenken geäußert hatte. Diese Bedenken bestanden in folgendem. Der Bewerber hat in der Sowjetzone in einem Betrieb gearbeitet, und zwar zunächst als Arbeiter, und ist dann nach einiger Zeit Angestellter geworden. Diese Tatsache veranlaßte das Verfassungsschutzamt zu dem Urteil, der Mann wäre in der Sowjetzone ja niemals Angestellter geworden, wenn er nicht sehr enge Beziehungen zur SED unterhalten hätte. Dieses Urteil wäre mit wenigen Bemerkungen zu beseitigen gewesen. Der Mann wäre in der Lage gewesen, viele Vertrauenspersonen zu benennen, die ihn nicht erst seit gestern und heute, sondern schon seit langem kannten, wenn ihm dazu nur Gelegenheit gegeben worden wäre. Das ist aber nicht der Fall gewesen. Er erfuhr nur durch Zufall davon. Hier ist die rechtsstaatliche Lücke deutlich erkennbar. Dieses Beispiel möchte ich den Beispielen hinzufügen, die Herr Menzel genannt hat.
— Verzeihen Sie, ich habe mich mit aller Entschiedenheit gegen eine Auskunftserteilung gewehrt. Ich habe keine Bedenken, Herr Professor Schmid, wenn Meldungen oder Nachrichten dieser Art irgendwo niedergelegt werden. Bis zu dem. Augenblick, in dem sie verwertet werden, habe ich keine Bedenken. Ich habe mich aber mit aller Entschiedenheit dagegen gewehrt, daß auf Grund dieser Unterlagen Auskünfte gegeben werden. Ich glaube, damit befinde ich mich nicht in Widerspruch zu meinen früheren Ausführungen.
Das war ein Einzelfall. Aber gerade die Menschen, die aus der Sowjetzone zu uns herüberkommen und dort jahrelang unter den besonderen Verhältnissen leben und arbeiten mußten, sind in besonderem Maße daran interessiert, daß die Tätigkeit des Verfassungsschutzamtes hinsichtlich der Auskünfte auf das äußerste Maß beschränkt wird. Ich möchte .noch sagen, was ich als das äußerste Maß ansehe. Zweifellos gibt es in unserem Staatsorganismus gewisse Funktionen, zu denen man nur Personen heranziehen kann, die man bis in die letzten Falten ihrer Seele überprüft hat. Ob das immer mit Erfolg geschieht, ist eine ganz andere Frage; aber die Berechtigung zu einer solchen Überprüfung sollte man einer Staatsführung nicht verwehren. Den Kreis der in Frage kommenden Funktionsträger sollte der Herr Bundesinnenminister einmal genau und ohne daß da ein Mißverständnis möglich ist, abgrenzen. Dann sind die Dinge erträglich.
Noch einmal zurück zur Person des Herrn Präsidenten Dr. John! Wir haben die Auffassung, daß die Einstellung des Verfassungsschutzamtes gegenüber den Heimatvertriebenen — aus diesen Äußerungen des Herrn Präsidenten zu schließen — irgendwie aus einem besonderen Verdacht entspringt. Wir wenden uns mit aller Entschiedenheit und Empörung gegen solch ein Kollektivurteil einer Persönlichkeit, die an der Spitze unseres Verfassungsschutzamts steht. Wir haben die herzliche Bitte an den Herrn Innenminister und auch an den Herrn Bundeskanzler, noch einmal zu überprüfen, ob die Erledigung dieses Falles durch den Brief des Herrn Staatssekretärs Dr. Globke das letzte Wort sein soll. Wir sind mit dem Herrn Bundesinnenminister der Meinung, daß gerade die Personen, die im Verfassungsschutzamt tätig sind — es handelt sich in besonderem Maße natürlich um den Präsidenten —, die Regeln des menschlichen Anstands unter allen Umständen zu wahren haben. Diese Kollektivdiffamierung der Heimatvertriebenen ist für uns unerträglich. Wir bitten, daraus die Konsequenzen zu ziehen.