Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Verfassungsschutzämter machen in der letzten Zeit sehr viel — nach unserer Meinung viel zuviel — von sich reden, und das ist nicht gut. Ich glaube, daß das auch nicht durch die heutige Rede des Herrn Bundesinnenministers besser geworden ist. Das, was uns der Herr Bundesinnenminister heute über das Verfassungsschutzamt des Bundes, über die Beschaffung und vor allem über
die Auswertung des Materials erklärt hat, war wenig überzeugend.
Der Innenminister ist aber an dem entscheidenden Problem dieser Debatte vorbeigegangen, nämlich an dem Problem, ob man das von Spitzeln beschaffte Material ohne weiteres, ohne sorgfältige Nachprüfung zur Grundlage politischer Aktionen machen darf.
Das ist geschehen. Daher ist es etwas verblüffend, daß der Herr Bundesinnenminister dann seinerseits — wenn dieses Verhalten jetzt in der Öffentlichkeit, und zwar mit Recht, kritisiert wird — von sich aus um Zurückhaltung bei der Kritik bittet. Nun, Herr Bundesinnenminister, w i r sind doch nicht daran schuld, daß es zu dieser Erörterung in der Öffentlichkeit gekommen ist.
Wir sind doch nicht an den Fehlern schuld, die hier offenbar sowohl im Verfassungsschutzamt als auch bei der Auswertung von politischer Seite begangen worden sind. Es wäre besser, Sie hätten diesen Appell an das eigene Amt und vor allem an die eigenen Kabinettsmitglieder gerichtet.
Zwei Fragen sollte man in dieser Debatte von Anfang an klar voneinander trennen. Das ist erstens das Verhalten des Bundesamts für Verfassungsschutz, und das ist zweitens die mißbräuchliche Benutzung des Materials.
Wie ist die Rechtslage, und wie sind die Tatsachen wirklich? Das Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in den Angelegenheiten des Verfassungsschutzes vom September 1950 besagt ganz einwandfrei, daß die Aufgabe des Bundesamtes für Verfassungsschutz lediglich die Sammlung und Auswertung von Auskünften, Nachrichten über Bestrebungen ist, die eine Aufhebung, Anderung oder Störung der verfassungsmäßigen Ordnung oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung verfassungsmäßiger Organe zum Ziele haben. Das Gesetz sagt ausdrücklich, daß dem Verfassungsschutzamt sonstige Kontrollbefugnisse und vor allem polizeiliche Befugnisse nicht zustehen. Das sind doch, möchte ich meinen, ganz klare Grenzziehungen. Wenn auch vielleicht ein moderner Staat nicht ganz ohne bestimmte Einrichtungen zum Schutze seiner Sicherheit auszukommen vermag, so muß aber doch beanstandet werden, daß sieh das Verfassungsschutzamt an diese ihm vom Bundestag durch das Bundesgesetz gezogenen Grenzen offensichtlich nicht gehalten hat.
Wie wäre es denn sonst möglich — diesen Fragen sind Sie leider ausgewichen, Herr Bundesinnenminister —, daß man Erkundigungen über Personen eingezogen hat, die doch über allen Verdacht erhaben sind — über den Verdacht, die verfassungsmäßige Ordnung des Bundes stören zu wollen —, daß man über solche Männer Verdächtigungen ausstreut, daß man über sie Material sammelt, um dieses Material einer politischen Instanz zu geben, die es dann zu rein parteipolitischen Zwecken mißbrauchen kann und auch mißbraucht hat?
Sie sagen — und hier stimmen wir Ihnen zu —, daß die Arbeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz sich lediglich gegen offensichtliche Staatsfeinde zu richten hat. Aber, Herr Bundesinnenminster, bei all dem, was in den letzten Wochen an Fehlgriffen in der Öffentlichkeit zur Sprache gekommen ist, handelt es sich doch nicht um Material gegen Männer, bei denen offensichtlich solche verfassungswidrige Bestrebungen vorlagen. Das waren doch weiß Gott keine Staatsfeinde!
Oder ist es schon so weit, daß in den eigenen Reihen der Regierungsparteien prominente Männer, wenn sie eine andere Meinung als der Kanzler haben, als Staatsfeinde angesehen werden?
Wir sollten uns, meine Damen und Herren, ob Regierungsparteien oder Opposition, alle einig sein, daß wir solchen Anfängen nicht rechtzeitig und früh genug wehren können.
Wie sieht es nun draußen in der Praxis aus? Lassen Sie mich aus der Fülle des Materials, das uns zugegangen ist, einige eklatante Fälle vortragen. Da gibt es — um mit weniger Prominenten zu beginnen — z. B. einen Rechtsanwalt, der vor ein bis anderthalb Jahren aus der russisch besetzten Zone weggehen mußte. Vergeblich kämpft er seit jener Zeit um die Zulassung zur Anwaltschaft in der Bundesrepublik, weil das Verfassungsschutzamt der zulassenden Stelle erklärt hat, dieser Mann könne sich ruhig irgendwo in der Wirtschaft betätigen, aber als Anwalt sei er auf Grund seiner politischen Betätigung in der russisch besetzten Zone unmöglich.
Nun, ich kenne den Mann nicht; ich weiß auch nicht, was er drüben getan hat. Aber die Frage, ob gegen jemand ein Grund vorliegt, ihm die Zulassung zur Anwaltschaft zu versagen, darf und kann doch nur in einem rechtsstaatlich vorgeschriebenen Verfahren geprüft werden.
Alle Versuche dieses ehemaligen Rechtsanwalts, zu erfahren, was ihm eigentlich im einzelnen vorgeworfen wird, werden mit Stillschweigen, Achselzucken und Kopfschütteln übergangen.
So sieht das aus, Herr Bundesinnenminister! Sie haben die Frage, ob man solchen Betroffenen das Recht der Anhörung geben müßte, völlig unbefriedigend beantwortet. Obwohl dem Betroffenen in dem in der Anwaltsordnung vorgesehenen Verfahren ein Rechtsmittel zur Verfügung steht, kommt er praktisch nicht weiter, weil jede Stelle sich weigert, die Gründe anzugeben. Somit ist er gar nicht in der Lage, Gegengründe anzuführen oder vielleicht — wie wir es in anderen Fällen schon erleben mußten — den Nachweis zu führen, daß es sich um gefälschtes Material von DreiGroschen-Jungens handelt. Das Verfassungsschutzamt hat kein Vetorecht. Und seit wann bedarf es denn in dieser Bundesrepublik für den Beruf des Anwalts wieder einer politischen Erlaubnis?
Ehe ich diesen Fall hier zur Sprache brachte, habe ich ihn dem Herrn Bundesinnenminister vor mehr als zwei Monaten, wobei ich Roß und
Reiter genannt habe, mitgeteilt. Unter dem 4. Mai 1954 wurde mir erwidert, daß man mir das Material zur Verfügung stellen würde. Wir schreiben heute den 8. Juli. Ich habe nichts mehr davon gehört.
Oder nehmen wir jenen Ministerialrat im Bundeswirtschaftsministerium, der anscheinend bei seinen Entscheidungen nicht alle Wünsche bestimmter industrieller Kreise erfüllt hatte, vielleicht auch nicht erfüllen konnte; ich weiß das nicht. Als er diesen Wünschen nicht nachkam, wurden gegen ihn, wie es in einem Schreiben des Herr Bundeswirtschaftsministers heißt, „Bedenken" geltend gemacht, und diese Bedenken, heißt es, seien auch dem Bundesamt für Verfassungsschutz zur Kenntnis gekommen. Ergebnis: dieser Mann mußte sein Referat aufgeben,
obwohl der Herr Bundeswirtschaftsminister sich sachlich hinter diesen Beamten stellte — das soll hier ausdrücklich anerkannt werden —, dann diesem selben Mann jedes formelle Verfahren zur Rechtfertigung angesichts der gegen ihn anonym erhobenen Beschuldigung verweigerte. Dieser Beamte hat bis heute sein früheres Referat nicht zurückbekommen und läuft also als ein Gestempelter im Bundeswirtschaftsministerium und gegenüber den Petenten herum.
Oder nehmen Sie noch einen anderen Fall! Da muß ein älterer Angestellter aus der russisch besetzten Zone, weil er Schwierigkeiten mit bestimmten Parteistellen bekommt — wir alle kennen ja dieses System aus der Zeit von 1933 bis 1945 —, nach der Bundesrepublik fliehen. Er bekommt auch alsbald eine Stelle, aber er darf sie gar nicht erst antreten. Die Firma teilt ihm, nachdem sie zunächst zustimmend geantwortet hat, mit, es täte ihr sehr leid, sie sei durch höhere Weisung daran gehindert, ihn einzustellen; sie sei aber gleichzeitig bereit, ihm für einen Monat das Gehalt zu zahlen. Der Mann läßt nicht locker, und nach vielem Drängen erfährt er, daß das Verfassungsschutzamt der Firma irgend etwas über ihn mitgeteilt und sie aufgefordert habe, ihn nicht einzustellen. Bis heute ist es nicht möglich gewesen, daß dieser Mann rehabilitiert wurde. Bis heute ist es nicht einmal möglich gewesen, zu erfahren, was man ihm überhaupt vorwirft.
Jetzt wandert er von Stelle zu Stelle, und immer, wenn er eine Woche oder zwei Wochen tätig ist, verfolgt man ihn, und er wird wieder gekündigt.
Meine Damen und Herren, es gibt aber noch prominentere Fälle. Wir alle . sind in den letzten Jahren in der Öffentlichkeit sehr häufig auf den Streit zwischen dem Staatssekretär Sonnemann und dem Kaufmann Hertslet angesprochen worden. Ich kenne die Einzelheiten dieses Rechtsstreits nicht, sie interessieren mich nicht, und sie interessieren auch diese Debatte nicht. Aber was an dieser Stelle zu sagen ist, ist folgendes. In dem Strafverfahren, das Herr Hertslet gegen Herrn Sonnemann eingeleitet hat und dem er sich als Nebenkläger angeschlossen hat, spielt ein Vermerk eine Rolle — von wem der Vermerk in die Akten gesetzt worden ist, weiß man nicht —, in dem auf ein Dossier, auf Material hin-
gewiesen wird, das beim Bundesverfassungsschutzamt gegen Herrn Hertslet vorliege. Alle Versuche des Herrn Hertslet, alle Schreiben an das Ministerium, alle Verhandlungen im Ministerium und in Köln, man möge ihm doch einmal sagen, was das für Material sei, werden mit Achselzucken beantwortet. Auch hier wird also — ohne daß ich auf die Qualitäten der einen oder anderen Prozeßpartei einzugehen brauche — einem Staatsbürger das Recht der Anhörung und der Rechtfertigung verweigert.
Wenn die Zeitungsnachrichten von heute früh stimmen
— ich weiß, man braucht nicht immer alles als wahr zu unterstellen, was in den Zeitungen steht —, dann ist nun, wie es hier in der Überschrift heißt, auch Herr Heinemann an der Reihe.
Herr Heinemann, der vor einigen Tagen in Moskau war, hat begreiflicherweise das politische Interesse auch der Mitglieder der Bundesregierung veranlaßt. Es soll auch nicht das Recht der Bundesregierung und des Herrn Kanzlers bestritten werden, wenn sie gern dahinterkommen möchten, was dort gesprochen worden ist und wo all die Fäden zusammenlaufen. Aber, meine Damen und Herren, daß man mit solchen Ermittlungen das Verfassungsschutzamt beauftragt, ist das, was wir zu beanstanden haben.
Denn damit wird wieder gegen die ausdrücklichen Bestimmungen des Gesetzes verstoßen. Schließlich sind doch der sonstige Nachrichtenapparat des Herrn Bundeskanzlers und auch sein Presseamt so groß, daß es möglich sein müßte, damit die erforderlichen politischen Erkundigungen einzuziehen.
Was diese ganze Debatte überhaupt notwendig machte, war ja der Fall Reinhold Maier, der — das ist eigentlich das Betrübliche an der Sache — auf Grund unbestätigten, unkontrollierbaren anonymen Materials bei dem Vorsitzenden seiner Partei und sogar beim Herrn Bundespräsidenten verpetzt wurde. Es ist gut, daß beide Männer diesen ganzen Spuk sofort dadurch beendeten, indem sie Herrn Maier mitteilten, wie gegen ihn geschossen und was gegen ihn lanciert werden sollte. Hier war ein Mann, der den Mut hatte und der es sich auf Grund seiner politischen Stellung in Deutschland und als ehemaliger Ministerpräsident des Südweststaates leisten konnte, sich in der Öffentlichkeit zu wehren und zu sagen, was geschehen war. Aber denken Sie doch bitte — und das ist unser aller Aufgabe! — an die vielen anderen, die, noch verstört und verängstigt aus den Erfahrungen vor 1945, auch jetzt schon wieder Angst haben müssen und Angst haben, sich gegen Eingriffe in ihre Grundrechte zu wehren.
Es ist nicht immer leicht für einen Staatsbürger, genug Zivilcourage gegenüber Entscheidungen und Anordnungen der Behörden aufzubringen. Durch diese Methoden bringen Sie die innere Freiheit in Deutschland in Gefahr; damit wird jede Chance für eine freie Aussprache, für eine freie politische Meinungsbildung von vornherein untergraben. Wie häufig hat sich der Herr Bundeskanzler gegenüber seinen Kritikern beklagt, sie hätten keine eigenen
positiven Gegenvorschläge. Aber wer immer dann seine Kritik mit anderen Vorschlägen verband, der wurde doch sofort verdächtigt und in die Nähe des bolschewistischen Moskau gestellt, und schnell fand sich dann auch immer angeblich richtiges Material, das diese Verdächtigungen gegenüber den Kritikern zu unterstützen schien.
Das sind hier nur einige Fälle; sie ließen sich leider Gottes erheblich vermehren, und keiner von uns, meine Damen und Herren, weiß, ob er nicht morgen selbst das Interesse eines solchen DreiGroschen-Jungen erweckt, nur damit der seine drei Groschen verdienen kann.
Diese Fälle beleuchten schlagartig die Gefahr, die dem Staatsbürger droht, der bisher glaubte, in einem freien Deutschland zu leben, sintemal er selbst immer aufgerufen wird mit Recht aufgerufen wird —, gegen Terror und Unfreiheit des Ostens zu Felde zu ziehen. Die Beunruhigung über diese Methoden geht viel weiter, als der Bundesinnenminister heute wohl selber zugeben wollte. Selbst auf einer der letzten Ministerpräsidentenkonferenzen fand man seitens der Länderchefs sehr harte Worte, und sogar auf dieser Konferenz wurden Stimmen laut, die fragten, ob die Verfassungsschutzämter überhaupt oder in dieser Form bleiben könnten.
Wenn schon der moderne Staat — und Sie wissen alle, daß wir die entsprechenden Bestimmungen im Grundgesetz haben und daß wir das Gesetz über die Verfassungsschutzämter mit verabschiedet haben — ohne derartige Ämter nicht glaubt auskommen zu können, dann sollte er ängstlich bemüht sein, deren Tätigkeit so sorgfältig zu überwachen und so weitgehend einzuschränken, wie das nur irgend möglich ist. Aber, Herr Bundesinnenminister, wenn Sie in Ihren Ausführungen weiter sagen, daß das Bundesverfassungsschutzamt bei Bewerbungen von Beamten nicht ausgeschaltet werden dürfe, dann ist das ein glatter Mißbrauch dieses Amtes. Es ist unmöglich, Personalpolitik mit Hilfe anonymer Nachforschung der Agenten des Bundesverfassungsschutzamtes zu machen.
Hier ist es also in erster Linie Ihre Aufgabe, für klare Weisungen, für klare Richtlinien und für die strikte Einhaltung der Befugnisse des Amtes zu sorgen.
Entscheidend aber, und hierauf — ich sagte es schon zur Einleitung — ist der Herr Bundesinnenminister leider gar nicht eingegangen, ist das viel wichtigere Problem des Mißbrauchs der Verwertung unkontrollierbarer Agentennachrichten. Wir hätten gewünscht, daß der Herr Bundesinnenminister hierzu zum mindesten etwas mehr und etwas Deutlicheres gesagt hätte. Sie haben uns, Herr Bundesinnenminister, sehr viel über die Ämter und ihre Arbeitsmethode erzählt; aber den eigentlich Schuldigen, um dessentwillen diese Aussprache und Ihre Regierungserklärung nötig wurden, haben Sie nicht genannt. Er sitzt nämlich auf der Regierungsbank selbst.
Wir fragen daher den Bundesinnenminister: Wird
das vom Verfassungsschutzamt gesammelte Material ohne jede Sichtung nach Zuverlässigkeit und nach seiner Bedeutung an alle interessierten Ressorts weitergeleitet? Und: Darf solches Material nur über den verantwortlichen Ressortchef weitergegeben werden? Schließlich müssen ja Parlament und Öffentlichkeit wissen, wer Koch und wer Kellner ist,
wer verantwortlich ist, wenn etwas passiert, und es ist ja schließlich genug passiert. Reichlich vermessen — entschuldigen Sie das Wort, Herr Bundeskanzler! — stellten Sie sich — in der Öffentlichkeit zur Verantwortung gezogen — auf den Standpunkt, Sie hätten das Recht, solches Material gegen jedermann zu gebrauchen.
Hier irrt der Herr Bundeskanzler. Ich will von der moralischen Seite eines solchen Verfahrens einmal ganz absehen.
Aber wir empfehlen dem Herrn Bundeskanzler, erst einmal den von ihm selbst und seiner Regierung eingebrachten Gesetzentwurf — —