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ID0203514300

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    2. Deutscher Bundestag — 35. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Juni 1954 1631 35. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 24. Juni 1954. Geschäftliche Mitteilungen . . . . 1633 C, 1648 D Glückwünsche zu Geburtstagen der Abg Frau Wolff (Berlin) und Holla 1633 C Fragestunde (Drucksache 599): 1. Frage der Gleichberechtigung vom Malteserorden ausgestellter Ausweispapiere mit staatlichen Pässen: Zurückgestellt 1633 D 2. betr. Nachricht des „Daily Express" über Benutzung einer Denkschrift des Oberregierungsrats Dr. Sonnenhol als Grundlage für eine Diskussion im Außenpolitischen Ausschuß der FDP: Zurückgestellt 1633 D 3. betr. Vorhaltungen der Oberpostdirektion Bremen an einen Beschwerdeführer über Unterrichtung zweier Bundestagsabgeordneter und der Presse vor Abschluß der postalischen Ermittlungen: Hübner (FDP) 1633 D, 1634 B Dr. Balke, Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen . . . 1633 D, 1634 B, C 4. betr. Herausgabe örtlicher Fernsprechverzeichnisse: Hübner (FDP) 1634 C, D Dr. Balke, Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen . . 1634 C, D 5. betr. Äußerung des Bundesbahnrats Heinrich Schmücker in einer Beamtenversammlung in Alfeld über die Richter des Karlsruher Urteils: Dr. Greve (SPD) 1635 A, B, C Dr. Seebohm, Bundesminister für Verkehr 1635 A, C 6. betr. Planung und Bau von Bundesautobahnen: Dr. Leiske (CDU/CSU) 1635 C Dr. Seebohn, Bundesminister für Verkehr 1635 D 7. betr. Antrag der bundeseigenen Kurhessischen Bergbausiedlungsgenossenschaft in Sontra auf rückwirkende Mieterhöhung: Dr. Freidhof (SPD) . . . . 1636 A, 1637 A, B Schäffer, Bundesminister der Finanzen 1637 B 8. betr. Status der Bevölkerung der von schweizerischem Staatsgebiet umschlossenen Gemeinde Büsingen: Maier (Freiburg) (SPD) 1636 A, C Dr. Hallstein, Staatssekretär des Auswärtigen Amts 1636 B, D 9. betr. Auslegung der Erklärung des Bundesministers der Finanzen in der 32. Sitzung über die Beteiligung von Organisationen an der Ausarbeitung der Rechtsverordnungen zum Bundesentschädigungsgesetz: Dr. Greve (SPD) 1636 D, 1637 C Schäffer, Bundesminister der Finanzen 1637 C 10. betr. Zulassung nicht ausgelasteter Besatzungszüge für deutsche Reisende: Kühlthau (CDU/CSU) 1636 D Dr. Seebohm, Bundesminister für Verkehr 1637 A 11. betr. Pressemeldungen über Anerkennung madjarischer Emigranten als deutsche Heimatvertriebene, Lastenausgleichsberechtigte bzw. Angehörige des unter Art. 131 fallenden Personenkreises: Dr. Rinke (CDU/CSU) . . . 1638 A, 1639 A Dr. Dr. Oberländer, Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte . . . . 1638 B, 1639 A 12. betr. Verschandelung des deutschen Landschaftsbildes durch Errichtung von Funk- und Fernsehtürmen und -gerüsten: Dr. Friedensburg (CDU/CSU) . 1639 B, C, D Dr. Schrader, Bundesminister des Innern 1639 B, C, D 13. betr. Wiederaufbau der Hindenburgbrücke zwischen Bingen und Rüdesheim: Josten (CDU/CSU) . . . . 1639 D, 1640 B Dr. Seebohm, Bundesminister für Verkehr 1640 A, B 14. betr. Anerkennung des Personalausweises für Mitglieder der Beratenden Versammlung des Europarates als Paß: Dr. Mommer (SPD) 1640 C Dr. Hallstein, Staatssekretär des Auswärtigen Amts 1640 C 15. betr. Verkehrsschwierigkeiten durch Ausfüllung von Zählkarten an Grenzübergangsstellen: Dr. Mommer (SPD) 1640 C Dr. Schröder, Bundesminister des Innern 1640 D 16. betr. Gutachten des Bundesfinanzhofes über die Nichtberechtigung der pharmazeutischen Industrie zum Bezug steuerbegünstigten Alkohols und Frage der Herabsetzung der Steuer auf Weingeist für medizinische Zwecke: Frau Meyer (Dortmund) (SPD) . . 1640 D Schäffer, Bundesminister der Finanzen 1641 A 17. betr. Zoll für Rohstoffe zur Herstellung von Rheumamedikamenten: Frau Meyer (Dortmund) (SPD) . . 1641 B Schäffer, Bundesminister der Finanzen 1641 B 18. betr. Wiederzulassung der Gewichtsbezeichnung „Pfund": Griem (CDU/CSU) 1641 D Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundes- minister für Wirtschaft 1642 A 19. betr. Gliedertriebzug der Deutschen Bundesbahn: Brück (CDU/CSU) 1642 D 20. betr. Ablehnung des Versorgungsantrags eines früher in der russisch besetzten Zone Inhaftierten durch das Versorgungsamt Düsseldorf: Dr. Menzel (SPD). 1643 A Storch, Bundesminister für Arbeit 1643 A 21. betr. Überbringung von Grüßen der Bundesregierung an den Dritten Deutschen Studententag: Schmidt (Hamburg) (SPD) . . . . 1643 B, D Strauß, Bundesminister für besondere Aufgaben . 1643 B, 1644 A 22. betr. Überbringung von Grüßen der Bundesregierung in einem überwiegend mit den Farben Schwarz-Weiß-Rot drapierten Saal: Schmidt (Hamburg) (SPD) 1644 C Strauß, Bundesminister für besondere Aufgaben 1644 C 23. bis 27.: Wegen Fristablaufs der Fragestunde abgesetzt 1644 C Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP betr. Wahl der deutschen Mitglieder der Gemeinsamen Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Drucksache 634) 1644 C Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betr. „Vulkan"-Fall (Drucksache 315) 1645 A Dr. Greve (SPD), Anfragender 1645 A, 1653 A Dr. Schröder, Bundesminister des Innern 1648 D, 1656 C, 1663 D, 1666 B Präsident D. Dr. Ehlers 1653 A Dr. Friedensburg (CDU/CSU) . . . 1657 D Euler (FDP) 1659 B Dr. Mocker (GB/BHE) 1660 A Dr. Arndt (SPD) 1661 A Neumayer, Bundesminister der Justiz 1665 C Dr. Maier (Stuttgart) (FDP) 1665 D Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Volksernährung und zur Verbesserung der Produktivität in der Landwirtschaft (Drucksache 405) in Verbindung mit der Ersten Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Volksernährung und zur Erhaltung einer leistungsfähigen Landwirtschaft (Drucksache 448) 1666 D Mauk (FDP), Antragsteller 1667 A Lücker (München) (CDU/CSU), Antragsteller 1670 C Dr. h. c. Lübke, Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 1674 B Kriedemann (SPD) 1676 B Kunz (Schwalbach) (GB/BHE) . . . 1681 B Fassbender (FDP) 1682 D Struve (CDU/CSU) 1684 C Dannemann (FDP) 1686 D Weiterberatung vertagt 1688 D Nächste Sitzung 1689 C Berichtigungen zum Stenographischen Be- richt der 28. Sitzung 1689 Die Sitzung wird um 9 Uhr 3 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Ehlers eröffnet.
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    Berichtigungen zum Stenographischen Bericht der 28. Sitzung In der Zusammenstellung der namentlichen Abstimmungen ist zu lesen: Seite 1308 A Zeile 8 von unten: Dr. Leverkuehn Seite 1308 C Zeile 15: Schmidt-Wittmack: Abstimmung 1. I 2. entschuld. entschuld. Nein Nein
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    Rede von Dr. Hermann Ehlers


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Das liegt nicht an mir. — Meine Damen und Herren, es pflegt sich ja manchmal so zu entwickeln, daß sich vorgesehene Zeiträume einschränken.
    Dr. Greve (SPD), Anfragender: Meine Damen und Herren!
    Der staatliche Hochmut, den Bonn bei der Affäre „Vulkan" gezeigt hat, ist in der Bundesrepublik keineswegs eine Ausnahme.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Die totalitärer Gesinnung entsprechende Ansicht, daß der Staat allmächtig sei und seine Interessen denen der Bürger vorzugehen haben,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Siehe Niedersachsen!)

    ist so verbreitet, daß es kaum noch Abgeordnete und Staatsanwälte gibt, die ihr zu widersprechen wagen.

    (Sehr gut! bei der SPD. — Unruhe in der Mitte.)

    — Ja, meine Damen und Herren, Sie können murren, soviel Sie wollen. Das stammt nicht von mir, sondern ist ein Zitat von Herrn Richard Tüngel, dem Chefredakteur der Zeitschrift „Die Zeit", die von dem in Ihren Kreisen sehr geachteten und von uns des öfteren beachteten Kollegen Dr. Bucerius als Verleger herausgegeben wird.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

    Ich nehme an, daß Sie diesen doch immerhin beachtenswerten Ausführungen von Herrn Richard Tüngel die Aufmerksamkeit zollen, die ihnen ohne Zweifel zukommt.
    Um die von meiner Fraktion gestellte Große Anfrage zu begründen und Ihnen die Vorgänge mit der notwendigen Klarheit ins Gedächtnis zurückzurufen, ist es unerläßlich, auf 'die nunmehr schon historisch gewordenen Dinge etwas näher einzugehen.
    Am 9. April 1953 sollte, nicht etwa nach dem Willen der Götter, sondern nach dem Willen von bundesministeriellen Menschen, ein Vulkan ausbrechen, und zwar mit elementarer Gewalt, wie es unseligen Angedenkens auch mit dem Wort „schlagartig" gesagt worden ist. Ein Vulkan ganz anderer, nämlich politischer Art sollte ausbrechen und mit seiner Lava alle diejenigen vernichten, die sich zu einem Spionagering als der größten sowjetischen Geheimorganisation seit dem Kriege zusammengeschlossen hätten, wie es wörtlich gesagt worden ist. Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, kein Mensch in der Bundesrepublik hätte irgend etwas dagegen gehabt, wenn nach Grundgesetz und Gesetzen, die in der Bundesrepublik Deutschland gelten, gegen hier in der Bundesrepublik befindliche Menschen vorgegangen worden wäre, wenn sie sich tatsächlich in einer Art und Weise verhalten hätten, daß hinreichender Verdacht vorlag, sie des Landesverrates oder ähnlicher Delikte überführen zu können. Am 9. April und in der Nacht vom 9. zum 10. April 1953 erfolgten an allen möglichen Orten in der Bundesrepublik Verhaftungen, Verhaftungen, die nun am 10. April, also am folgenden Tage, nicht etwa von dem für Verhaftungen ganz allgemein diesem Hause verantwortlichen Bundesminister der Justiz bekanntgegeben wurden, da die Haftbefehle auf Antrag des Oberbundesanwalts in Karlsruhe von einem als Ermittlungsrichter bestellten Richter des Bundesgerichtshofes erlassen worden waren; nein, am 10. April 1953 nannte der Stellvertreter des Bundeskanzlers — in Abwesenheit des sich in den Vereinigten Staaten befindenden Herrn Bundeskanzlers Dr. Adenauer —, Herr Bundesminister Blücher, in Anwesenheit nicht etwa eines zuständigen Beamten aus dem Bundesjustizministerium, sondern des Herrn Ministerialdirektors Egidi aus dem Bundesministerium des Innern auf einer auf Veranlassung des Bundesamtes für Verfassungsschutz nach Köln einberufenen Pressekonferenz die Namen von etwa 40 verhafteten Staatsbürgern und kennzeichnete diese als Landesverräter und Wirtschaftsspione, ohne daß auch nur gegen einen einzigen von ihnen in einem Untersuchungsverfahren die gegen sie erhobenen Verdächtigungen bestätigt worden waren.

    (Abg. Wehner: Das macht doch der Herr Bundeskanzler auch fast jeden Tag!)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist ein so ungewöhnlicher Vorgang in einem Staate, der sich Rechtsstaat nicht nur nennt, sondern nach unserer Auffassung ein Rechtsstaat auch sein soll,

    (Zurufe von der Mitte: Ist!)

    daß wir uns gegen derartige Methoden in den Anfängen mit aller Schärfe zur Wehr setzen müssen.

    (Sehr gut! bed der SPD.)

    Was heißt es, daß nicht etwa der Herr Bundesminister der Justiz, sondern der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers in Anwesenheit eines Ministerialdirektors aus dem Bundesministerium des Innern diese Dinge auf einer Pressekonferenz bekanntgab? Das heißt doch nicht mehr und nicht weniger, als daß die Bundesregierung diese Angelegenheit nicht als einen juristischen, sondern als einen politischen Vorgang betrachtete.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Ich glaube, wir erinnern uns nur allzugut der Dinge, die mit dem Jahre 1945 bei uns in Deutschland ein Ende gefunden haben sollten und immer als politische Maßnahmen bezeichnet wurden, in Wirklichkeit aber Vorgänge waren, denen man nur juristisch hätte begegnen sollen. Denn wenn die Bundesregierung diese Angelegenheit — Landesverrat, Wirtschaftsspionage — als eine juristische Angelegenheit betrachtet hätte, wozu sie bei Vor-


    (Dr. Greve)

    liegen entsprechender Anhaltspunkte zweifelsohne verpflichtet gewesen wäre, dann war der Herr Bundesminister der Justiz und waren nicht etwa der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers und das Bundesministerium des Innern für diese Angelegenheit zuständig.
    Seitdem ist selbstverständlich diese Affäre weder in der Presse noch sonst in der öffentlichen Diskussion zur Ruhe gekommen. Die Presse, die sich ursprünglich zu einem Teil etwas reserviert verhielt, hat schon nach ganz kurzer Zeit ihre eindeutig ablehnende Haltung bekanntgegeben. Es fragt sich jetzt: wer sind eigentlich die Auguren dieser „Vulkan"-Affäre? Es sind in erster Linie das Bundesamt für Verfassungsschutz, das Bundesministerium des Innern, der Oberbundesanwalt und das Bundeskriminalamt.
    Nun darf aber niemand etwa annehmen, meine sehr verehrten Damen und Herren, „Vulkan" sei eine Maßnahme gewesen, für die die Bundesregierung nicht die Verantwortung trage. Nein, im Gegenteil! In der Presse — und ich darf mich hier wiederum auf die Zeitschrift „Die Zeit" beziehen — ist deutlich geworden, daß man sich ursprünglich im Kabinett keineswegs darüber im klaren war, wie in dieser Angelegenheit verfahren werden solle. Herr Richard Tüngel schreibt in der „Zeit" vom 16. April 1953:
    Nachdem das Kabinett in einer mehrstündigen Sitzung beschlossen hatte, die Öffentlichkeit auf eine hochoffizielle Weise, die in einem demokratischen Staat ganz außergewöhnlich ist, von den Vorfällen zu benachrichtigen, konnte man sich zunächst nicht einigen, ob es in Form eines Kommuniqués oder ob dies in Form einer Pressekonferenz geschehen sollte. Anfänglich war man für eine Pressekonferenz, dann für ein Kommuniqué — dieses Kommuniqué ist sogar entworfen gewesen —, und schließlich entschied man sich wieder für eine Pressekonferenz.
    Aus dieser Erörterung in der Zeitschrift „Die Zeit" hat sich eine Diskussion zwischen dem Leiter des Bundesamts für Verfassungsschutz, dem Präsidenten Otto John, und Herrn Richard Tüngel ergeben. In einem Brief als Antwort auf die Ausführungen von Herrn Richard Tüngel schreibt der Präsident Otto John als derjenige, der es am besten wissen mußte:
    Richtig ist vielmehr, daß das Kabinett auf Grund und unter dem Eindruck des Sachvortrags
    — wer diesen Sachvortrag gehalten hat, ist hier nicht gesagt; anzunehmen ist, daß Herr John das selbst getan hat —
    unverzüglich und einstimmig beschlossen hat, die von Vizekanzler Blücher später verlesene Mitteilung an die Presse herauszugeben.
    Die Bundesregierung hat also einstimmig beschlossen, so zu verfahren, wie Herr Bundesminister Blücher es dann am 10. April 1953 getan hat, nämlich, ohne daß vorher in einem entsprechenden Untersuchungsverfahren hinreichender Tatverdacht festgestellt worden war, die Namen von 40 in der Bundesrepublik vorhandenen Menschen, zum großen Teil Staatsbürgern dieser Bundesrepublik, bekanntzugeben, so daß keiner etwa annehmen könnte, daß die Bundesregierung für das Verhalten des Herrn Bundesministers Blücher nicht die volle Verantwortung trägt. Ich weiß nicht, welchen Einfluß Herr Bundesminister Blücher selber auf die Angelegenheit genommen hat. Ich kann mir vorstellen, daß er ohne großen Widerspruch sich hier einem Beschluß der Bundesregierung gebeugt hat. Aber wenn man Minister ist und sogar als Stellvertreter des abwesenden Herrn Bundeskanzlers amtiert, dann muß man eben andere Prüfungen vornehmen, als es hier offenbar geschehen ist.
    Wie es dann bei der Durchführung der Verhaftungen ausgesehen hat, meine verehrten Anwesenden, das haben wir aus den Zeitungen entnommen. Da sind die gleichen Dinge passiert, die seit dem 30. Januar 1933 des öfteren vorgekommen sind — auch am 30. Juni 1934, als man nicht die Richtigen, sondern die Falschen erschossen hat. Zum Erschießen ist es hier Gott sei Dank nicht gekommen, aber zum Verhaften, und das genügt schon nach unserer Auffassung.

    (Beifall bei der SPD.)

    So ist nämlich statt des richtigen ein falscher Karl Becker im Zusammenhang mit dem von den Sicherheitsbehörden des Bundes aufgedeckten sowjetischen Agenten- und Spionagering verhaftet worden, den man dann wieder entlassen mußte, nachdem man den richtigen Karl Becker gefunden und der zuerst Verhaftete sich als der falsche herausgestellt hatte.

    (Zuruf von der SPD: Ein Skandal!)

    In diesem Zusammenhang ist es nicht uninteressant, daß bei der Erörterung dieser Dinge mit den zuständigen Bundesdienststellen darauf hingewiesen wurde — ich zitiere auch hier wieder Herrn Tüngel —, daß auf der bei der Aktion „Vulkan" verteilten Liste von Verhafteten deren Namen zum Teil in falscher Schreibart angegeben waren und daß man im Zuge der Erörterungen aller dieser Maßnahmen in Bonn erklärte, es sei unvermeidlich, daß bei einem solchen Schlag mehr Leute verhaftet würden, als eigentlich schuldig seien.

    (Lebhafte Hört! Hört!und Pfui-Rufe von der SPD.)

    Meine Damen und Herren, das in der rechtsstaatlichen Bundesrepublik Deutschland!
    Die Dinge nehmen ihren Lauf. Es zeigte sich, daß die Angelegenheit von den zuständigen Bundesdienststellen völlig mangelhaft vorbereitet war und daß mit einer Leichtfertigkeit sondergleichen vorgegangen worden ist.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Der Herr Oberbundesanwalt Dr. Wiechmann erklärte in einem späteren Zeitpunkt, als wieder einmal diese Angelegenheit mit der Presse erörtert wurde, nach der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 7. Mai 1953, daß der Komplex der Bundesanwaltschaft erst kurz vor dem 8. und 9. April bekanntgegeben worden sei. Die Bundesanwaltschaft, die die Haftbefehle beantragt hat, hatte also bei diesem doch nicht einfachen, sondern sehr schwierigen Komplex, für den man nach den eigenen Angaben der zuständigen Dienststellen schon Jahre gebraucht hatte, um herauszufinden, was eigentlich daran sei, nur wenige Tage Zeit, sich Klarheit darüber zu verschaffen, ob es angebracht sei, so zu verfahren, wie verfahren worden ist.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Es gab sofort Entlassungen, und bei diesen Entlassungen gab es sich völlig widersprechende Aussagen der Bundesbehörden über die Gründe der


    (Dr. Greve)

    Entlassungen. Während z. B. der Oberbundesanwalt noch am 6. Mai vor der Presse in Karlsruhe erklärte, daß es sich bei dem Fall „Vulkan" weder um illegalen noch um legalen Ost-West-Handel handle, sondern ausschließlich um ein Nachrichtensystem, wird am 7. Mai, also am folgenden Tage, der Bonner Chemiekaufmann Friedrich Brannenkamper aus der Haft entlassen und die Freilassung vom Ermittlungsrichter damit begründet, daß der Verdacht, der Verhaftete habe illegale Ost-West-Geschäfte getätigt, durch die Vorlage der Geschäftsakten widerlegt sei.

    (Erneute Hört! Hört!-Rufe von der SPD.)

    Demgegenüber hatte Herr Egidi in der Eröffnungspressekonferenz erklärt, daß die Spionage — Spionage! — sich sowohl auf wirtschaftliche als auch auf militärische und politische Gebiete erstrecke.
    Ja, meine Damen und Herren, was ist denn nun eigentlich gewesen? Der Herr Oberbundesanwalt erzählt, daß es sich weder um illegale noch um legale Ost-West-Handelsgeschäfte handle, sondern ausschließlich um Nachrichtenfragen, der Haftrichter entläßt einen Verhafteten mit dem Begründen, daß der Verdacht, Ost-West-Handelsgeschäfte betrieben zu haben, nicht vorliege, und der Herr Ministerialdirektor Egidi hatte erklärt, die Angelegenheit erstrecke sich auch auf militärische und politische Vorgänge in der Bundesrepublik.
    Daß bei dieser Art, etwa vierzig Bürger zu verhaften, kein großer Erfolg auf die Dauer beschieden sein konnte, das, glaube ich, wird die Bundesregierung inzwischen selbst eingesehen haben.
    Es folgten Entlassungen auf Entlassungen. Ich will Ihnen nur einige kurze Daten geben. Von den am 9. und 10. April 1953, ich glaube, 39 oder 38 Verhafteten waren am 11. Mai 1953 noch 26 in Untersuchungshaft, am 13. Mai noch 24. Zunächst scheute man sich auch nicht, offen zuzugeben, daß kein hinreichender Tatverdacht vorliege und die Entlassungen aus diesem Grunde erfolgt seien. Als aber die Zahl derer, die entlassen werden mußten, zu groß wurde, schien einigen die Scham doch etwas mehr ins Gesicht zu steigen — es wäre angebracht gewesen, daß das früher geschehen wäre —,

    (Sehr gut! bei der SPD)

    und man gab überhaupt nicht mehr bekannt, aus welchen Gründen die Entlassungen erfolgten. Auf Anfragen der Presse weigerte man sich sogar, die Gründe bekanntzugeben, aus denen die Haftentlassungen erfolgten, und man weigerte sich auch anzugeben, wie viele der ursprünglich Verhafteten sich noch in Untersuchungshaft befänden. Als ob es sich dabei um ein Staatsgeheimnis handelte! Die Presse war mit Recht aufgebracht, und wir sind es heute noch.
    Schließlich entschlossen sich einige Anwälte, die Haftentlassung der von ihnen vertretenen Mandanten bekanntzugeben.
    Einige Monate später, am 21. Oktober 1953, waren noch ganze vier der ursprünglich Verhafteten in Haft, am 8. Dezember 1953 waren es noch drei, am 14. Juni 1954 noch zwei, und heute morgen war in der Zeitung zu lesen, daß wiederum einer der ursprünglich Verhafteten entlassen worden ist, so daß also außer anderem ein ganzer Untersuchungshäftling für die Behandlung der mit so großem Aplomb eingeleiteten Affäre „Vulkan" noch übrigbleibt. Inzwischen sind allerdings, wie bemerkt
    werden muß, um der richtigen Berichterstattung in diesem Falle zu genügen, zwei der ursprünglich Verhafteten zu Gefängnisstrafen von 1 Jahr 9 Monaten und 2 Jahren verurteilt worden.
    Die Bundesanwaltschaft und die für diese Angelegenheit politisch zuständigen Ministerien der Bundesrepublik haben aber bis heute noch nicht bekanntgegeben, was nun eigentlich mit den zu Unrecht Verhafteten hinsichtlich der Schadensersatzansprüche, die gestellt worden sind, zu geschehen hat, was im einzelnen vorgelegen hat, aus welchen Gründen diese und jene verhaftet worden sind und welche Gründe dafür maßgebend gewesen sind, eine Reihe der ursprünglich Verhafteten zu entlassen. Es ist nur ein Streit darüber geführt worden, ob eine Reihe der Verhafteten entlassen worden sind, weil ihnen gegenüber der Nachweis, daß sie sich einer strafbaren Handlung schuldig gemacht haben, nicht geführt werden konnte, oder ob es sich sogar darum handelt, daß die Betreffenden unschuldig in Untersuchungshaft genommen worden sind; und diese Diskussion in einer politisch aufgezogenen Angelegenheit wird deswegen geführt, weil es sich um die Frage der materiellen Regelung handelt, die man doch in irgendeiner Art und Weise für die zu Unrecht Verhafteten finden muß.
    Meine Damen und Herren! Welche Konsequenzen eine solche Maßnahme der Bundesregierung hat, das, glaube ich, brauchen wir hier im einzelnen zur Begründung unserer Großen Anfrage nicht auszuführen.
    Wenn wir die Affäre „Vulkan" noch einmal vor dem Parlament zur Sprache bringen, dann sind wir uns dessen gewiß, daß es sich dabei nicht um einen Eingriff in schwebende Verfahren handelt; denn die Öffentlichkeit hat, nachdem sie offiziell durch den Herrn Stellvertreter des Bundeskanzlers aus politischen Motiven, wie ich sagte, unterrichtet worden ist, ein Interesse daran, zu erfahren, was aus einer solchen politisch gestarteten Aktion nach mehr als einem Jahre übriggeblieben ist. Wenn einer in ein schwebendes Verfahren eingegriffen hat, dann der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers, Bundesminister Blücher, am 10. April 1953, als er auf der von mir bereits erwähnten Bundespressekonferenz in Köln Namen von Verhafteten bekanntgegeben hat, was nach der in einem Rechtsverfahren üblichen Praxis ausschließlich Angelegenheit der zuständigen Pressestelle bei den Gerichten bzw. Staatsanwaltschaften ist. Was ist also heute von diesem ganzen „Vulkan" übriggeblieben? Meines Erachtens nichts weiter als ein Haufen stinkenden Unrats!

    (Oho-Rufe in der Mitte.)

    — Ja, genau so ist es. Man soll die Dinge einmal beim Namen nennen, oder glauben Sie etwa nicht, daß das eine Angelegenheit ist, die die Öffentlichkeit auch dann noch beschäftigen wird, wenn die Bundesregierung weiterhin schweigt?
    Wir haben zwar aus der Presse vernehmen können, daß der Herr Bundesminister des Innern zu der Angelegenheit „Vulkan" heute vor dem Bundestag Stellung nehmen will, und wir sind begierig darauf zu hören, was der Herr Bundesminister des Innern zur Rechtfertigung der Maßnahmen, die im Zuge der Aktion „Vulkan" getroffen worden sind, zu sagen hat. Ich zitiere wiederum Herrn Tüngel, und das mag Ihnen den Beweis dafür liefern, daß


    (Dr. Greve)

    wir uns bemühen, auch aus den Blättern, die uns nicht gerade nahestehen, wertvolles Material zu sammeln. Herr Tüngel fragt:
    Welche Konsequenzen will man in Bonn aus dieser Situation ziehen? Urheber der Affäre ist das Bundesverfassungsschutzamt in Köln, das sein ungeprüftes Agentenmaterial als Tatsachenmaterial ausgegeben hat.
    Und eine unseren Kreisen wirklich nicht nahestehende Zeitung wie die „Hannoversche Allgemeine Zeitung" führt aus, daß es sich bei den Verhafteten zu einem großen Teil um wirklich unschuldige Opfer der Anschwärzerei einer düsteren Existenz, eines übergelaufenen Agenten, handle und daß das nur zu bedauern sei. Dann heißt es in diesem Blatt:
    Trotzdem wird eine Regierung, die jederzeit den größten Wert auf Rechtsstaatlichkeit und Schutz der Einzelpersönlichkeit legen sollte, sich schwer von dem Argwohn reinigen können, in diesem Falle mit dem Ruf und dem Ansehen von drei Dutzend Bürgern und einer Anzahl von Unternehmen recht leichtfertig umgesprungen zu sein.
    Meine Damen und Herren! Wir wollen unsererseits — ich sagte es schon — nicht in ein schwebendes Verfahren eingreifen, und wir sind uns auch dessen bewußt, daß wir es nicht tun, weil die Angelegenheit von der Bundesregierung politisch aufgezogen worden ist. Aber wir wünschen, daß der Herr Oberbundesanwalt sich von Vorstellungen frei macht, die wie in diesem Falle keine Möglichkeit nüchterner Betrachtung von delikaten Delikten bieten. Es ist durchaus unsere Auffassung, daß keine Landesverräter, wenn es wirklich welche sind, geschont werden sollten. Noch mehr legen wir allerdings Wert darauf, daß man nicht Methoden anwendet, wie sie in diesem Falle angewendet worden sind, Methoden, die nichts anderes bedeuten als ein Aufleben derjenigen Verhältnisse, die uns bis zum Jahre 1945 zum großen Teil unserer Freiheit beraubt haben. Voreiligkeit, wie sie sich zu allen möglichen Zeiten der Durchführung der Aktion „Vulkan" gezeigt hat, ist weiß Gott kein Zeichen von Stärke, sondern ein Zeichen von ausgesprochener Schwäche.
    Wie sieht es nun mit den Betroffenen selbst aus? Ich glaube, daß unsere Anfrage durchaus berechtigt ist, wenn man weiß, daß in den letzten Wochen zumindest einer der Betroffenen eine Klage gegen die Bundesregierung auf Schadenersatz von 500 000 DM beim Landgericht Bonn erhoben hat, und zwar weil hier tatsächlich ohne Not deutsche Staatsbürger schwerer Verbrechen verdächtigt worden sind. Ihr Ruf wurde geschädigt, ebenso der ihrer Familie und ihres Geschäfts. Ihre Gesundheit hat zum Teil schwer gelitten. In einem Fall endete das Leben eines Menschen durch Selbstmord. Er würde heute noch unter uns weilen, wenn nicht so verfahren worden wäre, wie verfahren worden ist; denn es hätte keine Möglichkeit gegeben, den Mann mit dem Tode zu bestrafen, selbst wenn er das schwerste Delikt nach unserem Strafgesetzbuch begangen hätte. Das sind Folgen, für die jene aufzukommen haben, die die Aktion „Vulkan" verantworten müssen.
    Und das alles, meine verehrten Anwesenden, ist geschehen nach der Konvention zum Schutz der Menschenrechte, die von der Bundesregierung selbst ratifiziert worden ist und nach deren § 6 Abs. 2
    vermutet wird, daß bis zum Nachweis seiner Schuld der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Wer diese Konvention zum Schutz der Menschenrechte unterschrieb, der durfte nicht so handeln, wie es im Falle der Aktion „Vulkan" geschehen ist, und durfte auch nicht veranlassen, so zu verfahren wie im Falle der Aktion „Vulkan".

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Ich glaube, meine Damen und Herren, allein diese Ausführungen, die ich zur Begründung der Großen Anfrage meiner Fraktion gemacht habe, sind ausreichend, um Ihnen zum Bewußtsein zu bringen, daß die Öffentlichkeit ein Recht darauf hat, endgültig zu erfahren, welche Stellung die Bundesregierung zu den Fragen der Großen Anfrage meiner Fraktion, die in der Drucksache 315 aufgeführt sind, nimmt. Ich wünsche nur, daß die Rechtsstaatlichkeit unseres Lebens und daß das rechtsstaatliche Denken der Bürger dieser Bundesrepublik Deutschland durch die Aktion „Vulkan" keinen größeren Schaden genommen hat als den, der bisher eingetreten ist. Dieser Schaden ist schon groß genug; und der Herr Bundesminister des Innern mag uns auch sagen, wie er nicht nur materiell die Opfer zu entschädigen gedenkt, sondern wie er den Glauben an die Rechtsstaatlichkeit und Verfassungsmäßigkeit, die insbesondere in der Freiheit jedes einzelnen deutschen Bürgers ihren Ausdruck finden, wiederherstellen will.

    (Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Hermann Ehlers
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Bevor ich dem Herrn Bundesminister des Innern das Wort erteile, gebe ich auf Wunsch des Herrn Vorsitzenden des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten bekannt, daß die für 11 Uhr angesetzte Sitzung erst um 11 Uhr 30 beginnt. Ich bitte freundlichst, davon Kenntnis zu nehmen.
Zur Beantwortung der Großen Anfrage der Herr Bundesminister des Innern!

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Gerhard Schröder


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir an sich leid, daß es sich so lange herausgezögert hat, bis diese Frage hier zur Behandlung gestellt worden ist. Ich hatte mich längst vorher dazu bereit erklärt, diese Große Anfrage zu beantworten. Wir haben aber in der letzten Zeit häufiger aus rein geschäftsordnungsmäßigen Gründen Verzögerungen erlebt, die der Sache nicht immer dienlich gewesen sind. Ich darf dem Hohen Hause sagen, daß ich in künftigen Fällen, in denen die Dringlichkeit besonders groß sein wird, von dem Recht Gebrauch machen werde, eine Regierungserklärung abzugeben, weil es gewisse Dinge von so großer Bedeutung gibt, daß wir sie nicht der geschäftsordnungsmäßigen Behandlung und ihren Risiken wochenlanger Verzögerung aussetzen können.
    Zur Beantwortung dieser Großen Anfrage bin ich vielleicht deshalb am besten in der Lage, weil die Dinge weit über ein Jahr zurückliegen und nicht in meine Amtszeit fallen. Ich glaube, daß ich deswegen am ehesten dazu berufen bin, eine unbefangene Meinung zu vertreten.
    Die Angelegenheit „Vulkan" ist, wie Herr Kollege Greve bei Begründung der Großen Anfrage ausgeführt hat, ein Komplex von Strafverfahren


    (Bundesminister Dr. Schröder)

    gegen einen größeren Personenkreis, der der Mitwirkung in einem sowjetisch gesteuerten Spionagering beschuldigt wurde. Sie hat dadurch besonderes Aufsehen erregt, daß kurz nach Ostern 1953 38 Personen aus den verschiedensten Gesellschaftsschichten verhaftet und die Namen der Verhafteten auf einer amtlichen Pressekonferenz der Öffentlichkeit mitgeteilt wurden.
    Dieses Vorgehen, meine sehr verehrten Damen und Herren, mag ungewöhnlich erscheinen, aber die Umstände, die es ausgelöst hatten, waren ebenfalls ungewöhnlich. Im März 1953 erfuhr das Bundesamt für Verfassungsschutz, daß sich der Abteilungsleiter Krauss des sogenannten Instituts für wirtschaftswissenschaftliche Forschung in Ost-Berlin in das Bundesgebiet absetzen würde. Dieses Institut stand schon seit längerer Zeit in dem Verdacht, im Bundesgebiet Tarnfirmen gegründet zu haben und darüber hinaus auch mit bestehenden Firmen laufend Beziehungen zu unterhalten, um geheimzuhaltende wirtschaftliche und politische Vorgänge in der Bundesrepublik zu erkunden.
    Am 6. April 1953, dem zweiten Osterfeiertag, traf Krauss im Bundesgebiet ein. Er wurde durch das Bundesamt für Verfassungsschutz sofort dem Oberbundesanwalt, dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs und Beamten des Bundeskriminalamts zugeführt. Die sofortige erste Auswertung des umfangreichen, von Krauss mitgebrachten Materials ergab den Eindruck, daß man einem weitgespannten gefährlichen Spionageunternehmen gegenüberstand. Die Leitung des bereits im Jahre 1951 errichteten Instituts bestand danach aus bewährten Mitarbeitern des Zentralkomitees der SED, unter denen die Namen Ackermann und Heidenreich hervorstechen. Auch im übrigen sind im Institut nur besonders bewährte, politisch und nachrichtendienstlich geschulte Kräfte verwendet worden.
    Die Aufgaben des Instituts sind in dem von Krauss mitgebrachten Programm dahin festgelegt — ich zitiere wörtlich —,
    aus dem Nervenzentrum des Gegners politische, wirtschaftliche, technische, wissenschaftliche und militärische Nachrichten zu beschaffen, um der Führung der Partei der Arbeiterklasse und der Staatsführung Kenntnisse über die Lage im gegnerischen Lager, seine Pläne und Absichten sowie über die in seinem Lager herrschenden Gegensätze zu verschaffen.
    Das Institut gliedert sich nach dem gleichfalls vorgelegten Organisationsplan in vier Hauptabteilungen, nämlich je eine für politische und militärische Spionage, für Wirtschaftsspionage, für zentrale Auswertung aller Nachrichten und für allgemeine Verwaltung. Daneben bestehen zwei selbständige sogenannte „Operative Abteilungen" für Spionageabwehr und für Spionage auf dem Gebiet der Wissenschaft und Technik, ferner eine Kaderabteilung zur Werbung der hauptamtlichen Mitarbeiter sowie für Beobachtung und Beschattung. Nach den überbrachten Unterlagen unterhielt das Institut in der Bundesrepublik Agenten, Residenten und sonstige Informanten.
    Das Institut führte Personalakten über alle Personen, die für nachrichtendienstliche Aufgaben angeworben wurden, und Objektsakten über alle den Nachrichtendienst interessierenden Behörden, Industriewerke, militärische Bauten und ähnliches. Die durch einen Agenten geleistete Arbeit wurde
    in Arbeitsakten zusammengefaßt. Sperrkarten sollten sicherstellen, daß der darin Vermerkte nicht gleichzeitig durch verschiedene Abteilungen des Instituts oder andere östliche Nachrichtendienste zum Einsatz gelangte. Die Anlegung einer Sperrkarte zeigte, daß der Betreffende nach Abklärung zur Mitarbeit bereits ausgewählt war. Dies begründete und begründet auch heute noch den Verdacht, daß er sich schriftlich oder mündlich zur Mitarbeit bereit erklärt hatte und dem Institut hierfür geeignet erschien.
    Als Quellen wurden nach den gleichen Unterlagen bevorzugt Personen benutzt, die auf Grund ihrer wirtschaftlichen Beziehungen zum Osten als besonders ansprechbar oder abhängig betrachtet wurden. Als Deckmantel für die Spionagetätigkeit wurden hauptsächlich Firmen benutzt, die im Rahmen des legalen oder illegalen Interzonenhandels tätig sind. Standen solche Firmen nicht zur Verfügung, so wurden sie durch Beauftragte des Instituts, zum Teil unter Einsatz ganz erheblicher Mittel, als Tarnfirmen besonders aufgebaut.
    Die aus der sofortigen Durcharbeitung dieser Unterlagen gewonnenen Eindrücke bildeten eine Bestätigung von Erkenntnissen, die das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Strafverfolgungsbehörden der Bundesrepublik in der Spionageabwehr aus anderen Fällen bereits gewonnen hatten. Ende 1950 hatte das Bundesamt Hinweise dafür erhalten, daß besonders unter dem Deckmantel des Handels zwischen dem Bundesgebiet, der Sowjetzone und den östlichen Satellitenstaaten Nachrichtenverbindungen aufgebaut wurden, um Spionage in der Bundesrepublik zu betreiben. Die Ergebnisse der Schritt für Schritt sich vortastenden Abwehrarbeit hatten am 15. April 1952 zur Verhaftung der früheren Schauspielerin Maria Knuth, der Hauptperson eines in der Bundesrepublik tätigen Spionageringes, geführt. Frau Knuth ist am 31. Januar 1953 wegen versuchten Landesverrats und anderer Delikte zu 4 Jahren Zuchthaus, ihr Mitarbeiter Westbeld wegen landesverräterischer Beziehungen zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Am 22. August 1952 war der Leiter des sowjetzonalen Büros für innerdeutschen Handel in Frankfurt am Main, Ludwig Weis, verhaftet worden. Er hatte seine Stellung dazu benutzt, um selber geheime Nachrichten über die wirtschaftliche, politische und militärische Situation im Bundesgebiet zu sammeln und um weitere Quellen, die sich bewußt oder gutgläubig ihm zur Verfügung stellten, für eine Spionagetätigkeit zu gewinnen. Weis ist inzwischen durch Urteil des Bundesgerichtshofs vom 4. März 1954 wegen versuchter Ausspähung von Staatsgeheimnissen zu 4 Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Zwischen dem 24. und 26. Februar 1953 war eine im Bundesgebiet für den tschechischen Spionagedienst arbeitende Gruppe, die unter der Führung eines gewissen Woyde stand, verhaftet worden. Woyde und seine fünf Mitarbeiter sind inzwischen durch Urteil des Kammergerichts in Berlin vom 11. März 1954 wegen landesverräterischer Beziehungen zu Gefängnisstrafen verurteilt worden.
    In dem von Krauss überbrachten Material fanden sich zahlreiche Namen von Inhabern und Angestellten westdeutscher Firmen sowie von anderen Personen, die zu Mitarbeitern des sogenannten Instituts für wirtschaftswissenschaftliche Forschung in der Bundesrepublik oder in der Sowjetzone Beziehungen unterhielten. Für einen


    (Bundesminister Dr. Schröder)

    großen Teil dieser Personen wurden nach Aussagen des Krauss beim Institut Personal- und Arbeitsakten, zum Teil auch Sperrkarten geführt.
    Dies war die Gesamtlage, vor die sich der Oberbundesanwalt und der Ermittlungsrichter nach der einige Tage erfordernden ersten Überprüfung des gesamten überbrachten Materials gestellt sahen. Schnellstes Handeln war erforderlich, weil mit dem Ablauf der Osterfeiertage die Entfernung des Angestellten im Ost-Berliner Institut bekannt und mit einer Warnung der im Bundesgebiet für das Institut tätigen Personen gerechnet werden mußte. Der Oberbundesanwalt entschloß sich daher, gegen 44 Personen, die er für dringend tatverdächtig hielt und bei denen er Fluchtverdacht oder Verdunkelungsgefahr annahm, Antrag auf Haft- und Durchsuchungsbefehl zu stellen. Der Ermittlungsrichter, der an der Vernehmung des Krauss und der Durchsicht des Materials beteiligt war, entsprach diesem Antrag.
    Ich glaube, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß unter den gegebenen Umständen weder gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz, das das aus der Sowjetzone gebrachte Material sofort für die Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung stellte, noch gegen den Oberbundesanwalt und den Ermittlungsrichter, die nach pflichtgemäßer Prüfung die Folgerungen aus dem Beweisstoff zogen, ein begründeter Vorwurf erhoben werden kann. Ich möchte bereits hier feststellen, daß in der Begründung zu den schon vorliegenden Urteilen des Bundesgerichtshofs der Zeuge Krauss als glaubwürdig und zuverlässig bezeichnet wird und daß er kein agent provocateur war. Pressenotizen, die ihn als einen Agenten oder sogar als einen agent provocateur des Bundesamtes für Verfassungschutz hingestellt haben, treffen nicht zu.
    Mit dem Vollzug der Haftbefehle wurde im ganzen Bundesgebiet am 9. April 1953 begonnen. 38 Beschuldigte wurden in Haft genommen. Am 10. April wurde in dem damaligen Kabinett über die Aktion berichtet. Das Kabinett beschloß, die Öffentlichkeit über die . eingeleiteten Maßnahmen zu unterrichten. Um aufbauschenden Gerüchten entgegenzutreten,

    (Zuruf von der SPD: Die haben Sie selber aufgebauscht!)

    entschloß es sich, der Öffentlichkeit auch Einzelheiten über die durchgeführte Aktion, darunter
    auch die Namen der Verhafteten bekanntzugeben.

    (Abg. Erler: Das paßte zum AmerikaBesuch des Bundeskanzlers!)

    Die von den Strafverfolgungsbehörden im weiteren Verfahren gründlich und mit Umsicht durchgeführten Erhebungen ergaben, daß eine Reihe von Firmen ausschließlich für nachrichtendienstliche Zwecke gegründet war. In zahlreichen bereits bestehenden Firmen waren zumindest einzelne Personen für das Institut für wirtschaftswissenschaftliche Forschung nachrichtendienstlich tätig.

    (Hört! Hört! in der Mitte.)

    Die Durchführung der Strafverfahren in den 38 Haftfällen hat bisher folgende Ergebnisse gezeitigt. Rechtskräftig verurteilt sind zwei Beschuldigte wegen landesverräterischer Beziehungen zu einem Jahr neun Monaten und einem Jahr sechs Monaten Gefängnis. Zu dem verhältnismäßig geringen Strafmaß ist zu bemerken, daß trotz voller Erfüllung des Tatbestandes in der Person der Ver-
    urteilten besondere Milderungsgründe, und zwar bei dem einen jugendliches Alter und besonders bedrängte familiäre und wirtschaftliche Verhältnisse, bei dem anderen langjährige Kz-Haft, gegeben waren. In dem ersten der beiden Urteile stellt der Bundesgerichtshof fest, daß das sogenannte Institut für wirtschaftswissenschaftliche Forschung die von dem Zeugen Krauss bekundete, von mir oben geschilderte Aufgabenstellung und Organisation hat. Das Gericht erklärt ausdrücklich, daß der Schwerpunkt der Arbeit des Instituts auf der Erkennung von Staatsgeheimnissen in der Bundesrepublik liegt. Das Institut ist also erwiesenermaßen eine östliche Spionagezentrale. In drei weiteren Fällen hat der Bundesgerichtshof auf die Anklage des Oberbundesanwalts das Hauptverfahren eröffnet. Weitere fünf Personen werden voraussichtlich demnächst unter Anklage gestellt werden. 14 weitere Beschuldigte waren so belastet, daß die Voruntersuchung gegen sie durchgeführt wurde. Gegen 3 von ihnen sind die Ermittlungen noch im Gange, 11 sind inzwischen außer Verfolgung gesetzt worden.
    Welches Maß von Verdacht auf ihnen gelastet hat, sei an mehreren Beispielen gezeigt. Ich verwerte dabei ausschließlich Gesichtspunkte, die der Oberbundesanwalt in seinem Antrag auf Außerverfolgungsetzung zur Darlegung des immer noch bestehenden, wenn auch zum Hauptverfahren nicht ausreichenden Tatverdachts vorgebracht hat.
    Im Falle 1 war der Angeschuldigte, der sich zur kommunistischen Ideologie bekennt,

    (Abg. Pelster: Hört! Hört!)

    in zwei sowjetzonalen Tarnfirmen im Bundesgebiet als Scheingesellschafter eingebaut.

    (Abg. Pelster: Hört! Hört!)

    Er unterhielt nachgewiesenermaßen Beziehungen zu Mitarbeitern des Spionageinstituts.
    In den Fällen 2 und 3 erstatteten die Angeschuldigten fortlaufend Berichte an Angehörige eines sowjetzonalen Ministeriums, die an das Spionageinstitut weitergeleitet wurden. Sie beschafften ihnen nicht näher bekannten Personen der sowjetischen Besatzungszone, die Mitarbeiter des Instituts waren, Aufenthaltsgenehmigungen im Bundesgebiet. Für sie waren im Institut sämtliche Personalunterlagen vorhanden, die bei einer Zusammenarbeit angelegt wurden.
    Im Falle 4 hat der Angeschuldigte, Mitglied der KPD seit 1932, Mitglied der VVN und Ehemann einer höheren KPD-Funktionärin,

    (Hört! Hört! in der Mitte)

    wichtigen Mitarbeitern des Instituts für wirtschaftswissenschaftliche Forschung Laufend wertvolles wirtschaftsstatistisches Material aus .einem bedeutenden Betrieb geliefert. Die Mitarbeiter hat er auch in Ost-Berlinaufgesucht.
    In allen diesen Fällen, meine sehr verehrten Damen Fund Herren, ist in gewissenhafter Anwendung rechtsstaatlicher Prinzipien Antrag auf Außerverfolgungsetzung gestellt worden, weil der subjektive Tatbestand trotz des erheblichen Verdachts nicht mit ausreichender Sicherheit nachgewiesen werden kann.
    In 14 Haftfällen ist das Verfahren vom Oberbundesanwalt bereits ohne Antrag auf Einleitung der Voruntersuchung eingestellt worden. Aber auch hier lagen erhebliche Verdachtsmomente vor. Ich greife folgende Beispiele heraus.


    (Bundesminister Dr. Schrader)

    Fall 1: Der Beschuldigte wird in Agentenberichten des Instituts für wirtschaftswissenschaftliche Forschung ,als sehr guter und zuverlässiger Mann geführt. Er war wiederholt in Ost-Berlin und in den Arbeitsplan des Spionageinstituts eingebaut, also zur Mitarbeit vorgesehen.
    Fall 2: Der Beschuldigte gibt enge Beziehungen zu dem Büroleiter Weis zu. Er wird in den Akten des Spionageinstituts als für die DDR eingestellt bezeichnet, und zwar mit dem Hinweis darauf, daß sein Haus ein guter Stützpunkt sei.
    Fall 3: Der Beschuldigte ist nach den Akten des Instituts von dem Büroleiter Weis als eine mögliche Verbindung für das Institut abgeklärt worden. Er hat seine Bereitschaft erklärt, für den Osten zu arbeiten und eine politische Umwälzung in der Bundesrepublik zu unterstützen.
    Fall 4: Der Beschuldigte ist Inhaber einer Firma, die auf der westdeutschen Tarnfirmenliste des Spionageinstituts aufgeführt ist. Er ist zu mehreren in Ost-Berlin wohnhaften Exponenten des Instituts laufend in Verbindung getreten.
    Fall 5: Berichte des Beschuldigten, der während der Untersuchungshaft bedauerlicherweise seinem Leben ein Ende gesetzt hat, befanden sich nach der Aussage des Zeugen Knauss in dem Nachrichtenmaterial des Spionageinstituts. Die Berichte bezogen sich zum Teil auch auf militärische Bauten.

    (Abg. Albers und Abg. Pelster: Hört! Hört!)

    Der Oberbundesanwalt hat in gewissenhafter Abwägung aller Umstände das Verfahren in 12 Fällen eingestellt, weil trotzerheblicher Verdachtsgründe sich ,ein zur Verurteilung ausreichender Beweis aus den Ermittlungen nicht ergeben hatte. Er hat es z. B. in verschiedenen Fällen nicht für hinreichend erwiesen angesehen, daß sich die Beschuldigten bei ihren festgestellten Beziehungen zu dem Institut für wirtschaftswissenschaftliche Forschung ides Charakters dieser Einrichtung als eines Spionageinstituts bewußt waren. In den zwei restlichen Fällen erfolgte Einstellung wegen Ablebens oder Flucht des Beschuldigten. Nur bei drei der 38 Verhafteten ist das Verfahren eingestellt worden, ich wiederhole: nur bei drei der 38 Verhafteten ist das Verfahren eingestellt worden, weil bei ihnen der ursprünglich gegebene Tatverdacht im Laufe der Ermittlungen entkräftet wurde. Die Fälle lagen folgendermaßen:
    Fall 1. Der Zeuge Krauss hatte glaubwürdig angegeben, daß er auf dem Tisch eines Hauptabteilungsleiters des Spionageinstituts die Photokopien eines von dem Beschuldigten verfaßten Berichts mit einem Anschreiben gesehen habe. Krauss hielt den Bericht deshalb für wichtig, weil dieser unverzüglich an die Auswertungsabteilung des Instituts weitergeleitet worden ist. Der Oberbundesanwalt hatte bei dem, Beschuldigten als glaubhaft angenommen, daß es sich bei diesem Bericht um einen gedruckten, keine Staatsgeheimnisse enthaltenden Geschäftsbericht gehandelt habe, der ohne Zutun des Beschuldigten in den Besitz des Spionageinstituts gelangt sein konnte.
    Fall 2. Der Beschuldigte war durch die Aussage eines anderen Zeugen dahin belastet worden, daß er einem Hauptagenten des Spionageinstituts Photokopien wichtiger Konstruktionspläne geliefert habe. Der Beschuldigte war mindestens bis 1951 Mitglied der KPD

    (Hört! Hört! in der Mitte)

    und hatte diese Partei, wie er selbst zugab, bereits früher mit Photokopien dienstlichen Materials beliefert.

    (Hört! Hört! in der Mitte.)

    Der Oberbundesanwalt hat in diesem Fall lediglich deshalb eingestellt, weil auf jeden Fall nach Inkrafttreten des Strafrechtsänderungsgesetzes eine nach diesem Gesetz strafbare Tätigkeit nicht festzustellen war.
    Fall 3. Der Beschuldigte war durch die im Fall 2 erwähnte Zeugenaussage dahin belastet, daß er für den dort genannten Hauptagenten des Spionageinstituts Pläne bereitgehalten habe, die photokopiert und sofort wieder an ihren Aufbewahrungsort zurückgebracht werden sollten. Der Oberbundesanwalt hat in ,diesem letztgenannten Fall die Möglichkeit einer Personenverwechslung seitens des Belastungszeugen nicht ausschließen können.
    Eine zusammenfassende Würdigung des in den „Vulkan"-Fall verstrickten Personenkreises ergibt, daß folgende Gruppen zu unterscheiden sind:
    1. Eine Gruppe von Personen, ,die bereits verurteilt sind oder der Durchführung der Hauptverhandlung entgegensehen.
    2. Eine Gruppe von Personen, die unter dem begründeten Verdacht stand, landesverräterische Beziehungen gepflogen zu haben, bei der aber der Tatbestand trotz des erheblichen Verdachts nicht mit ausreichender Sicherheit nachgewiesen werden konnte.
    3. Eine kleine Gruppe von drei Personen, bei der der Tatverdacht zunächst gleichfalls gegeben erschien, sich jedoch im Fortgang des Verfahrens als nicht begründet erwiesen hat.
    In der Öffentlichkeit sind bei der Erörterung der „Vulkan"-Angelegenheit zum Teil Vorwürfe gegen die mit der Behandlung des Falles befaßten Dienststellen erhoben worden, weil ein erheblicher Teil der Verhafteten aus der Untersuchungshaft wieder entlassen werden mußte und die Verfahren geigen sie eingestellt wurden. Bei dieser Kritik, meine verehrten Damen und Herren, wird übersehen, daß das ganze Spionageunternehmen bei dem durch die Flucht des Abteilungsleiters Krauss ausgelösten Zugriff der Bundesbehörden noch im Aufbau begriffen war und verschiedene Fälle noch nicht zur vollen Entfaltung gekommen waren. Dies hat sich natürlich auf ,das prozessuale Ergebnis ausgewirkt. Andererseits ist der wichtige Erfolg erzielt worden, daß ein gefährlicher Spionagering bereits im Entstehen zerschlagen worden ist.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Ich muß aber noch auf einen anderen, und zwar grundsätzlichen Gesichtspunkt mit allem Nachdruck hinweisen. Bei der Aufdeckung eines von einem fremden Nachrichtendienst organisierten landesverräterischen Unternehmens begründet jede irgendwie geartete Verbindung zu ,diesem Nachrichtendienst und seinen Organen zunächst den Anschein der Beteiligung an diesem Unternehmen und damit den untersuchungsbedürftigen Verdacht einer strafbaren Handlung. Der endgültige Nachweis des objektiven und subjektiven Tatbestands einer strafbaren Handlung bleibt selbstverständlich der Entscheidung des Gerichts vorbehalten, und hier gilt ebenso selbstverständlich der Grundsatz: „In dubio pro reo". Im Vorverfahren aber muß es jeder, der den Anschein der Beteiligung durch einen Kontakt mit Organen des fremden Nachrich-


    (Bundesminister Dr. Schröder)

    tendienstes hervorgerufen hat, hinnehmen, daß, wenn dies zur Aufklärung des landesverräterischen Unternehmens nötig ist, mit den in der Strafprozeßordnung vorgesehenen Maßnahmen gegen ihn vorgegangen wird.

    (Abg. Dr. Greve: Aber nicht mit anderen, Herr Bundesminister! Und das ist geschehen!)

    Wenn es sich um einen größeren Täterkreis handelt und schnelles Zugreifen erforderlich ist, kann es auch bei Anwendung größtmöglicher Sorgfalt in einzelnen Fällen vorkommen, daß sich der ursprünglich erweckte Anschein nachträglich als unbegründet erweist

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien)

    und der Verdacht wieder entfällt. Auch Namensverwechslungen sind hierbei, wie die Erfahrungen der Polizeien in allen Staaten beweisen, nicht ganz ausgeschlossen.

    (Zurufe von der SPD.)

    Solche Fälle müssen zu gegebener Zeit durch eine Ehrenerklärung und allenfalls durch eine Schadensersatzleistung bereinigt werden.
    Bei der zusammenfassenden objektiven Würdigung des gesamten „Vulkan"-Komplexes erscheinen mir folgende Punkte als wesentlich.
    Erstens. Ein wohlorganisierter sowjetzonaler Nachrichtendienst hat unter Anwendung raffinierter Methoden das Bundesgebiet in seiner ganzen Ausdehnung mit einem Netz von Tarnfirmen und Agenten überzogen, um Staatsgeheimnisse auszuspähen.

    (Hört! Hört! bei den Regierungsparteien.)

    Zweitens. — Und ich bitte Sie, meine verehrten Herren von der Opposition, die Sie diese Große Anfrage gestellt haben, doch einmal besonders hinzuhören.

    (Abg. Dr. Greve: Das kennen wir!)

    — Nein, Herr Greve, diese Tatsachen, die ich jetzt vortrage, kennen Sie nicht, und deswegen wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie meinen Ausführungen zuhören würden.

    (Erneuter Zuruf des Abg. Dr. Greve.),

    — Die Tatsachen, die ich jetzt vortrage, kennen Sie nicht. Nun hören Sie doch, bis sie kommen!
    Zweitens. Unter den 38 verhafteten Personen sind nicht weniger als 21 Mitglieder der KPD oder ihrer Jugendorganisationen,

    (Hört! Hört! bei den Regierungsparteien)

    haben KPD-Mitglieder als engste Verwandte, waren früher auf Antifa-Schulen gewesen oder erwiesen sich als Gesinnungsmitläufer des östlichen Systems.

    (Unruhe bei der SPD.)

    Drittens. Die Abwehr eines so gefährlichen Angriffs konnte nicht zurückgestellt werden, bis in jedem einzelnen Fall völlige Klarheit erzielt war. Bei dem Umfang eines solchen Verfahrens ist es leider nicht immer zu vermeiden, daß einzelne Personen wegen eines Tatverdachts, der sich im Lauf der Nachprüfung als unbegründet erweist, in Mitleidenschaft gezogen werden.

    (Zuruf von der SPD: „Mitleidenschaft"!)

    Viertens. Allein ausschlaggebend ist, daß die Grundsätze rechtsstaatlichen Denkens auch bei der Abwehr eines so schweren staatsgefährdenden Angriffs in vollem Umfang gewahrt worden sind.

    (Abg. Dr. Greve: Nein, nein, das ist nicht der Fall!)

    Diese Forderung ist dadurch erfüllt worden, daß Verhaftungen ausschließlich auf Grund richterlichen Befehls durchgeführt wurden.

    (Abg. Altmaier: „Namensverwechslungen!")

    Jedem Verhafteten standen die Rechtsbehelfe des Haftprüfungsverfahrens zur Verfügung. 18 Haftbefehle sind bereits nach kurzer Zeit aufgehoben worden. Der Oberbundesanwalt und der erkennende Senat haben in strenger Objektivität das Verfahren gegen zahlreiche Beschuldigte durch Einstellung oder Außerverfolgungsetzung abgeschlossen.
    Unter Hinweis auf alle diese Gesichtspunkte beantworte ich namens der Bundesregierung die Große Anfrage der Fraktion der SPD zum „Vulkan"-Fall wie folgt.

    (Unruhe.)

    — Ich denke, meine Damen und Herren, Sie werden daran interessiert sein, nun wenigstens in Ruhe die Antwort im einzelnen zu hören.
    Zu Ziffer 1. Wie die derzeitige Bundesregierung bereits durch die Presseverlautbarung vom 29. Januar 1954 zum Ausdruck gebracht hat, hat der Stellvertreter des Herrn Bundeskanzlers in der Pressekonferenz am 10. April 1953 durch seine Erklärungen einen Auftrag des damaligen Kabinetts ausgeführt, um die Öffentlichkeit über die von den amtlichen Stellen eingeleiteten Maßnahmen zu unterrichten und aufbauschenden Gerüchten entgegenzutreten.
    Zu Ziffer 2. Die Verlautbarung in der Pressekonferenz vom 10. April 1953 enthielt den ausdrücklichen Hinweis, daß nur von dem Verdacht einer strafbaren Handlung, nicht aber von einer Schuldfeststellung gesprochen werde. Die Verlautbarung enthielt daher weder einen Eingriff in ein schwebendes Verfahren, noch wurde, wie sich erwiesen hat, einer Schuldfeststellung der unabhängigen Gerichte vorgeriffen. Im übrigen kann nach Auffassung der Bundesregierung eine weitgehende Unterrichtung der Öffentlichkeit erforderlich sein, wenn überwiegende Staatsinteressen auf dem Spiele stehen.
    Zu Ziffer 3. Die Bundesregierung wird eine Ehrenerklärung zugunsten der Beteiligten, deren Schuldlosigkeit sich herausgestellt hat, abgeben. Die Ehrenerklärung kann jedoch erst ,dann erwartet werden, wenn der gesamte Komplex der Verfahren „Vulkan" abgeschlossen ist, da erst dann wegen des Zusammenhangs der einzelnen Fälle eine restlose Klärung der Frage der Schuldlosigkeit möglich ist.
    Zu Ziffer 4. Die Bundesregierung wird nach Abschluß aller Strafverfahren in der Angelegenheit „Vulkan" die Frage des Schadensersatzes prüfen und gegebenenfalls entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen Ersatz des Schadens leisten. Eine Prüfung einzelner Schadensersatzansprüche ist bereits eingeleitet worden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)