Rede von
Dr.
Theodor
Oberländer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Im Frühjahr dieses Jahres erschien ein von dem Journalisten Günter Kaufmann verfaßter, in einer Reihe von Zeitungen des In- und Auslandes abgedruckter Artikel unter der Überschrift „Deutscher werden ein Geschäft", in dem behauptet wurde, daß Tausende magyarische Beamte und Offiziere mit deutschen Flüchtlingspässen versehen worden und auf diese Weise in den Genuß von Leistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz und dem Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes gelangt seien, die Vertriebenen deutscher Staatsangehörigkeit oder deutscher Volkszugehörigkeit vorbehalten sind. Namen von Personen, die unberechtigterweise in den Genuß solcher Leistungen gelangt sind, wurden in diesem Artikel nicht genannt.
Ein gewisser Eugen Seh aus München verschickte im Mai 1954 an zahlreiche Behörden und Abgeordnete des Bundestags und der Länderparlamente einen Aufsatz unter der Überschrift „Flüchtlingspan als Geschäft", in dem er unter anderem behauptete, daß Personen, die sich an der Unterdrükkung des Deutschtums in Ungarn beteiligt hätten, insbesondere Offiziere der ungarischen Wehrmacht, der Gendarmerie, der Polizei und sonstige Beamte, es verstanden hätten, sich in den Besitz des Flüchtlingsausweises zu setzen. Mehrere hundert derartiger magyarischer Emigranten hätten sich unberechtigt Leistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz
und dem Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes verschafft. Namentlich führte er fünf Fälle an. Ihre Überprüfung ist durch die zuständigen Dienststellen eingeleitet. Bemerkenswert ist, daß der Verfasser diesen Aufsatz zwar im Rahmen der „Nachrichten der Deutschen aus Ungarn" herausgegeben hat, jedoch hierfür keine Legitimation seitens der ungarndeutschen Landsmannschaft besitzt. Bisher konnte auch nicht geklärt werden, aus welchen Mitteln diese Nachrichten finanziert werden.
Was die rechtlichen Möglichkeiten für eine Überprüfung von eventuellen Fehlentscheidungen anbelangt, so darf auf folgendes hingewiesen werden. Die Ausstellung von Vertriebenen- oder Flüchtlingsausweisen ist Sache der Länderflüchtlingsbehörden, d. h. im allgemeinen der Kreisflüchtlingsämter. Bis zum Inkrafttreten des Bundesvertriebenengesetzes erfolgte ihre Erteilung auf Grund der Länderflüchtlingsgesetze. In diesen Vorschriften war der Begriff der deutschen Volkszugehörigkeit unterschiedlich und zum Teil unzureichend definiert. Es ist daher durchaus möglich, daß sich eine Reihe von Personen magyarischen Volkstums in den Besitz eines nur deutschen Volkszugehörigen vorbehaltenen Länderflüchtlingsausweises setzen konnten. Im Zuge der Neuausstellung der Ausweise nach dem am 5. Juni vorigen Jahres in Kraft getretenen Bundesvertriebenengesetz, das in § 6 den Begriff der deutschen Volkszugehörigkeit besonders definiert, werden die auf Grund der landesrechtlichen Bestimmungen erfolgten Anerkennungen zur Zeit überprüft. Diese Überprüfung erstreckt sich insbesondere auch auf die Fälle, in denen die deutsche Volkszugehörigkeit zu Unrecht behauptet wurde.
Was die Gewährung von Leistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz betrifft, so sind hierfür die Lastenausgleichsämter zuständig, die sich zwar im allgemeinen bezüglich der Flüchtlings- oder Vertriebeneneigenschaft an die Entscheidungen der Flüchtlingsbehörden halten, jedoch rechtlich hieran nicht gebunden sind. Das gleiche gilt im wesentlichen für die Gewährung von Leistungen nach dem Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes. Hier sind es die obersten Dienstbehörden, die im Zusammenwirken mit den Flüchtlingsbehörden prüfen, ob die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 d des Gesetzes erfüllt sind. Die Bundesregierung oder der Bundesvertriebenenminister kann im Einzelfalle weder Ermittlungen anstellen noch auf Grund von Ermittlungen Entscheidungen treffen. Sie werden aber wie bisher in den Fällen, die namentlich an sie herangetragen sind, eine Überprüfung durch die zuständige Landes- bzw. oberste Dienstbehörde veranlassen.
Es sollte aber nicht verkannt werden, daß die Feststellung und Entscheidung über die Volkszugehörigkeit im Einzelfalle gerade bei Antragstellern, die aus Ungarn vertrieben worden sind, außerordentlich schwierig ist. Infolge der von der früheren ungarischen Regierung betriebenen Magyarisierungspolitik ist die Anzahl der Grenzfälle bei dieser Volksgruppe erheblich größer als z. B. bei den volkstumsmäßig viel schärfer profilierten Rumäniendeutschen. Eine auch einer verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung standhaltende Entziehung des Vertriebenenausweises wird daher nur dort möglich sein, wo seine Erteilung durch eindeutig falsche Angaben erschlichen worden ist. Dies ist in § 18 des Bundesvertriebenengesetzes ausdrücklich vorgesehen. Entsprechend gilt für das
I Lastenausgleichsgesetz und das Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes. Aber auch für diese Entscheidung ist nicht die Bundesregierung zuständig, sondern entweder das Flüchtlingsamt, das den Ausweis erteilt hat, oder das Ausgleichsamt bzw. die Dienstbehörde, die Leistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz oder nach dem Gesetz zu Art. 131 gewährt haben.
Ohne dem Ergebnis einer Überprüfung vorzugreifen, kann bereits jetzt festgestellt werden, daß sich die mißbräuchliche Inanspruchnahme der Vertriebeneneigenschaft durch Personen magyarischer Volkszugehörigkeit auf einen Bruchteil der in den zitierten Artikeln behaupteten Größenordnung beschränkt.