Rede von
Karl
Wittrock
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf namens der sozialdemokratischen Fraktion versichern, daß die Opposition ebenso wie die Regierung der Auffassung ist, daß eine gesetzliche Regelung der Rechtsstellung des Rechtspflegers und des Umfanges seiner Befugnisse als notwendig anzuerkennen ist. Aus dieser Erwägung kann ich mir Ausführungen zur Rechtfertigung des vorliegenden Gesetzentwurfs ersparen und möchte mich — ohne allerdings in der ersten Lesung auf Einzelheiten eingehen zu wollen — auf einige Worte der Kritik beschränken.
Dieser Entwurf ist uns als eines der Justizreformgesetze vorgestellt worden. Wenn man sich aber den Entwurf und die Einzelbestimmungen des Entwurfs betrachtet, muß man sagen: es fehlt die Kühnheit und der große Wurf, die wir von einem Justizreformgesetz erwartet hätten und wünschen. Wir sind zwar der Meinung, daß der Ausgangspunkt, den dieses Gesetz wählt, logisch richtig ist. Die Grundlage für eine Verteilung der Geschäfte und damit eine Zuweisung von Geschäften an den Rechtspfleger ist Art. 92 des Grundgesetzes. Insoweit stimme ich dem Herrn Bundesminister der Justiz zu. Die Frage ist, ob die Konsequenzen aus Art. 92 des Grundgesetzes richtig gezogen worden sind. Nach der in Art. 92 festgelegten Richtlinie hat der Richter die Aufgabe, Streit zu entscheiden. Demgemäß verbleibt für den Rechtspfleger die ordnende Tätigkeit, also vornehmlich das Tätigkeitsgebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Ich darf darauf hinweisen, daß die freiwillige Gerichtsbarkeit im materiellen Sinne weithin verwaltende Tätigkeit ist. Aus dieser Ausgangsüberlegung mußte sich die Konsequenz ergeben, daß generell eine Vermutung der Zuständigkeit des Rechtspflegers für das Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit und umgekehrt eine Vermutung der Zuständigkeit des Richters für das Gebiet der streitigen Gerichtsbarkeit gegeben ist.
Diese klare Linie ist nach Auffassung der sozialdemokratischen Fraktion in dem Gesetzentwurf nicht zum Ausdruck gebracht worden. Aus dieser Linie sollte sich ergeben, daß aus dem gesamten Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit allenfalls im Wege von Einzelvorbehalten dem Richter bestimmte Aufgabengebiete überlassen bleiben. Ich verweise hier als negatives Beispiel — ich möchte auf Einzelheiten nicht eingehen — auf die Regelungen, die der Gesetzentwurf zu den Urkundssachen vorsieht. An diesem Punkt wird von der klaren Trennungslinie, die sich aus Art. 92 zwangsläufig ergibt, abgegangen. Bei den Urkundssachen ist für Einzelvorbehalte für den Richter kein Raum, sondern sollten, wie der Bundesrat es vorsieht, dem Richter allenfalls im Wege von Einzelvorbehalten bestimmte Aufgabenbereiche überlassen bleiben. Es sollte nicht, wie der Entwurf es vorsieht, eine Einzelübertragung von bestimmten Aufgabengebieten in diesem Bereich an den Rechtspfleger erfolgen.
Die Begründung des Regierungsentwurfs stützt sich bei dem Verlassen der klaren Linie, die sich aus Art. 92 des Grundgesetzes ergibt, darauf, daß bestimmte Aufgabenbereiche erhebliche Schwierigkeiten mit sich bringen. Es ist davon die Rede, daß für bestimmte Bereiche auch auf dem Gebiete der freiwilligen Gerichtsbarkeit besondere Rechtskenntnisse erforderlich sind. Wir haben den Eindruck, daß hier die Existenz des § 5 Abs. 1 Ziffer 2 völlig übersehen wird. Diese Vorschrift eröffnet die Möglichkeit, bei besonderer Schwierigkeit der Rechtslage den Richter in Anspruch zu nehmen. Diese Regelung gibt Raum dafür, hier eine elastische, eine großzügige Lösung zu schaffen und auf dem Gebiete der freiwilligen Gerichtsbarkeit eine generelle Übertragung von bestimmten Bereichen auf den Rechtspfleger vorzusehen. Nur auf diese Weise erfolgt eine echte Entlastung des Richters, wird ein Anfangsschritt zu einer echten Justizreform getan und wird auch der Richter, indem er eben von verwaltender Tätigkeit im materiellen Sinne dieses Begriffs weitgehend freigestellt wird, in seiner Position gehoben. Nur auf diese Weise besteht die Möglichkeit, daß er zu der Persönlichkeit emporwächst, die ein Richter etwa in den angelsächsischen Staaten darstellt. Ich will nicht sagen, daß wir in absehbarer Zeit und auf Jahrzehnte hinaus diese Richterpersönlichkeiten entwickeln werden. Dazu ist die historische Entwicklung bei uns in ganz anderen Bahnen verlaufen. Aber diese Stärkung der Persönlichkeit des Richters sollte doch für uns dann, wenn wir uns über Justizreformgesetze unterhalten, ein Ziel, ein Markstein sein.
Deshalb kann nicht das Gefühl der Ängstlichkeit maßgebend sein, wenn wir uns über die Stellung des Rechtspflegers in der künftigen Gerichtsverfassung unterhalten. Diese Ängstlichkeit tritt aber nach unserer Auffassung in dem uns vorliegenden Entwurf in einem zu starken Maße zutage.
Wie dem auch sei, wir betrachten immerhin den vorliegenden Entwurf als eine brauchbare Grundlage für die Erörterungen im Ausschuß und werden deshalb durchaus der Überweisung in den Ausschuß zustimmen. Wir werden uns dann im Ausschuß schon bemühen, aus diesem Entwurf ein echtes Justizreformgesetz zu machen.