Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Anliegen der sozialdemokratischen Fraktion in der Frage der Wiedergutmachung ist, auf einer möglichst breiten Basis, möglichst mit allen Fraktionen und Mitgliedern dieses Hauses gemeinsam zu einer Regelung dieser Aufgabe zu kommen, da wir diese Regelung seit jeher als eine Ehrenschuld des deutschen Volkes angesehen haben und noch ansehen.
Wir sind daher bis zum äußersten bemüht, aus dieser uns so am Herzen liegenden Frage möglichst jede Polemik zu verbannen. Ich werde mich deshalb auch jetzt in der Antwort auf die Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers einer größtmöglichen Zurückhaltung befleißigen, obgleich uns Anlaß zu einer gewissen Bitterkeit durchaus schon vorzuliegen scheint.
Immerhin hat dieser Tage eine erste interfraktionelle Besprechung über eine Verbesserung und grundlegende Neufassung des Bundesentschädigungsgesetzes stattgefunden. Ich freue mich, sagen zu können, daß alle Fraktionen beteiligt waren und alle Fraktionen dieses Hauses den gleichen Wunsch nach einer solchen Verbesserung des Gesetzes zum Ausdruck gebracht haben. Es ist von uns auch besprochen worden, daß der Herr Bundesminister der Finanzen von dieser Einhelligkeit interfraktioneller Art verständigt werden sollte. Ich wundere mich deshalb darüber, daß der Herr Bun-
desminister der Finanzen darüber bisher noch nicht unterrichtet zu sein scheint.
Nun, meine Damen und Herren, in der Sache selbst ist die Antwort und die Auskunft, die der Herr Bundesminister der Finanzen uns gegeben hat, nicht befriedigend, und ich bitte jetzt insbesondere Herrn Ministerialrat Dr. Kuschnitzky, doch nicht dem Herrn Bundesfinanzminister ins Ohr zu flüstern, während das Ohr des Herrn Bundesfinanzministers für dieses Haus erbeten wird.
Herr Bundesminister, Sie haben gesagt, daß die Arbeiten sofort aufgenommen worden seien, um die erforderlichen Rechtsverordnungen auszuarbeiten. Wir alle wissen ja, daß das Gesetz sehr große Lücken enthält, die durch Rechtsverordnungen mit Zustimmung des Bundesrats ausgefüllt werden sollen. Aber die Erklärung, die Sie für das monatelange Ausbleiben dieser Rechtsverordnungen gegeben haben, ist doch wohl kaum befriedigend. Sie haben gesagt, jetzt erst sei die Rechtsgrundlage für die Verordnungen klar, nachdem der Bundesrat durch einen Beschluß seine Absicht, das Gesetz von Grund auf zu novellieren, zurückgezogen habe. Das kann doch nicht sein. Das Bundesentschädigungsgesetz, das von Ihrem Hause ausgearbeitet ist, trat am 1. Oktober 1953 in Kraft und i s t in Kraft, und ohne Rücksicht darauf, welche Pläne der Bundesrat verfolgte oder noch verfolgt, und welche Pläne im Bundestag bestehen, war und ist es Ihre Pflicht gewesen, sofort auf Grund des geltenden Gesetzes die zu seiner Ausführung erforderlichen Verordnungen zu erlassen.
Man kann doch nicht ein Gesetz als nicht existent behandeln, weil man weiß, daß Pläne bestehen, es zu novellieren. Und Sie haben leider auch nicht gesagt, warum denn der Bundesrat die Arbeiten seines Sonderausschusses abgebrochen hat. Doch deshalb, weil die Beamten Ihres Ministeriums im Bundesrat erschienen sind und dort gesagt haben, Sie selber würden diese Novelle in die Hand nehmen,
und Sie selber würden zum Zwecke dieser Novelle einen beratenden Ausschuß einberufen, der aus drei Vertretern des Bundesrates und aus je einem Vertreter der Fraktionen des Bundestags bestehen sollte.
Das war bereits im März, und seit März ist dieser
Ausschuß noch nicht einmal einberufen worden.
Unsere Fraktion hat schon im März beschlossen, daß mein Parteifreund Greve in diese Kommission gehen sollte; auch die anderen Fraktionen haben ihre Vertreter, soweit ich weiß, bestimmt. Uns haben noch nicht einmal die Briefe aus dem Bundesfinanzministerium erreicht, durch die die Fraktionen aufgefordert sind, sich an dieser Kommission zu beteiligen.
Das ist eine Art der Ausführung, die der großen Aufgabe des Bundesentschädigungsgesetzes nicht angemessen sein dürfte.
Im übrigen ist der Entschluß, dieses Gesetz einer gründlichen Novellierung zu unterziehen, keineswegs fallengelassen, insbesondere nicht in diesem Hause fallengelassen.
Ich erinnere daran, daß von dieser Stelle aus für die Fraktion der CDU/CSU, die gegenwärtig sogar allein die absolute Mehrheit des Bundestages darstellt, der Herr Kollege Gerstenmaier mit großem Nachdruck erklärt hat, daß die Zustimmung zum Gesetz an einem der letzten Tage der Legislaturperiode des 1. Bundestages nur ein Provisorium bedeuten könne und der 2. Bundestag von Anfang an an eine strukturverändernde und grundlegende Verbesserung des Bundesentschädigungsgesetzes herangehen müsse. Das ist auch in der interfraktionellen Besprechung, die vor einigen Tagen stattgefunden hat, erneut zum Ausdruck gekommen. Ich hoffe, daß gerade auch von der Regierungskoalition diese meine Ausführungen bestätigt werden.
Infolgedessen wissen Sie, Herr Bundesminister der Finanzen, daß die politisch verantwortlichen gesetzgebenden Körperschaften nach wie vor die Absicht dieser strukturverändernden und grundlegenden Novellierung hegen. Das aber befreit Sie doch nicht davon, ein geltendes Gesetz auszuführen, solange es gilt, und man kann nicht sagen, es sei „untunlich", das Erforderliche nach dem Gesetz zu tun, solange solche gesetzgeberischen Absichten noch im Schwange sind. Denn bedenken Sie doch bitte: es handelt sich bei den Verfolgten und Geschädigten einerseits um einen Kreis von Personen, die schon ein hohes Lebensalter erreicht haben. Wir sind jetzt im zehnten Jahre nach Schluß der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, und wenn wir nicht endlich etwas tun, um den vielfach siebzigjährigen, ja teilweise achtzigjährigen Menschen etwas zuzuführen - und gerade dazu fehlen auch die Rechtsverordnungen —, dann wird ein beträchtlicher Teil der Verfolgten diese Wiedergutmachung überhaupt nicht mehr erleben.
Andererseits handelt es sich um die damaligen Jugendlichen, die ebenfalls von der Verfolgung besonders betroffen und an der Berufsausbildung gehindert wurden oder deren Berufsausbildung unterbrochen wurde. Diese Menschen haben erst einmal acht, zehn, teilweise zwölf Jahre ihres beruflichen Lebens durch Unterdrückungsmaßnahmen verloren. Inzwischen sind weitere neun Jahre in das Land gegangen. Sie haben ein Lebensalter erreicht, in dem ihnen das Nachholen der Berufsausbildung oder das Ersetzen der Schäden immer schwieriger wird. Auch da ist also größte Eile geboten. Daher bedauern wir, daß diese Verordnungen nicht alsbald erlassen worden sind. Ich glaube, mich recht zu erinnern, daß Sie damals bei der Beratung des Gesetzes gesagt haben, an diesen Ausführungsverordnungen werde bereits gearbeitet.
Aber, Herr Bundesfinanzminister, ich weiß auch, daß gerade die Sachkenner und Sachbearbeiter sowohl in Ihrem Hause als auch im Bundesministerium der Justiz in der Zeit zwischen dem 1. und 2. Bundestag an andere Arbeitsplätze versetzt worden sind.
Darunter leidet natürlich die Arbeit. Auch ist der
Mitarbeiterstab, den Sie für diesen Zweck haben,
außerordentlich klein. Ich darf einmal auf folgendes Paradoxon hinweisen. Wir kennen kein Bun-
desministerium und keine Bundesbehörde, aus deren Haus nicht immer Wünsche um Vermehrung des Personals an uns herangetragen werden. Das geht manchmal so weit, daß gleich tausend zusätzliche Angestellte gefordert werden, um dieses oder jenes durchzuführen.
Aber noch nie haben wir gehört, daß ein Bundesministerium oder etwa Ihr Haus, Herr Bundesfinanzminister, den Wunsch geäußert hätte, zusätzliche Kräfte einzustellen, um die Wiedergutmachung u id die Bundesentschädigung mit der Beschleunigung durchzuführen, die sachlich geboten ist.
Wir bemerken auch einen merkwürdigen Unterschied in der Großzügigkeit und in der Rang- und Reihenfolge. Man hat nicht gezögert, z. B. auszusprechen, daß die ehemaligen Mitglieder der Legion Condor die Zeit, in der sie Bomben auf Guernica geworfen haben, sogar doppelt angerechnet bekommen,
weil das öffentlicher Dienst für Deutschland gewesen sei.
Aber die gleichartige Großzügigkeit oder Eile vermissen wir bei den Entschädigungen vollauf. Ja, da stellt sich das Bundesinnenministerium z. B. auf den Standpunkt, daß Hochschullehrer, die unbesoldet, also auf sogenannte Kolleggelder und ähnliche Gebühren und Beträge angewiesen waren, d. h. ordentliche Honorarprofessoren, Privatdozenten und sogenannte nichtbeamtete Professoren, zu ihrer Zeit in keinem öffentlichen Dienst gestanden hätten. Das widerspricht nicht nur der gesamten preußischen und deutschen Tradition, sondern ich mache darauf aufmerksam, daß unter diesen Hochschullehrern Männer von europäischem Ruf und von Weltruf sind, denen man als öffentlichen Dienst ihre Hochschultätigkeit vor 1933 abspricht im gleichen Augenblick, in dem man sagt, daß die Kriegsabenteuer in der Legion Condor öffentlicher Dienst für Deutschland gewesen seien.
Wir bitten Sie also herzlich, unsere Große Anfrage doch als einen sehr freundlichen Wink aufzufassen, daß ohne Rücksicht auf die auch in diesem Hause bestehenden und von uns weiterverfolgten Pläne zu einer grundlegenden Änderung und Verbesserung des Gesetzes das Gesetz zunächst jedenfalls so ausgeführt wird, wie es da ist. Denn das Gesetz sollte eine Wohltat und eine rechtliche Befriedigung der Rechtsansprüche der Verfolgten bringen. Es hat sich aber bisher durch das Ausbleiben der Ausführungsverordnungen als ein Nachteil und in einem Nachlassen der Entschädigungszahlungen ausgewirkt.
Ich darf Sie zuletzt auch auf einen Zusammenhang hinweisen, der mir von entscheidender Bedeutung zu sein scheint. Die Wiedergutmachung ist eine Rechtsangelegenheit, weil es darum geht, Unrecht wieder so auszugleichen, daß in Deutschland Recht werde. Ich bedaure deshalb überhaupt, daß diese Fragen im Bundesfinanzministerium bearbeitet werden. Leider ist das auch in einer großen Anzahl von Ländern der Fall. Nach unserer Überzeugung gehörte diese Rechtsangelegenheit mehr in das Bundesministerium der Justiz. Aber gerade weil es eine Rechtsangelegenheit ist und weil der Sinn dieser Gesetzgebung und ihrer Ausführung darin besteht, wieder Recht werden zu lassen und dort, wo Enteignungen und Ausplünderungen vorgenommen worden sind, auf rechtliche Weise den Status herbeizuführen, der ohne dieses Unrecht bestanden hätte, sollten wir in Deutschland darauf achten, daß rechtliches Verhalten im eigenen Hause beginnt. Wir haben im Zusammenhang mit dieser Frage nämlich auch in den auswärtigen Beziehungen einiges in Ordnung zu bringen, worum wir alle in diesem Hause uns bemühen. Ich denke an die große Frage des rechtlos und unter Verstoß gegen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts im Auslande fortgenommenen deutschen Privateigentums. Unser aller Kampf geht darum, daß dieser Verstoß gegen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts wiedergutgemacht wird. Aber glauben Sie denn, daß wir die notwendige moralische Position dafür haben, solange bei uns zu Hause die Enteignungen und die Entrechtungen, die die nationalsozialistische Gewaltherrschaft vorgenommen hat, nicht mit dem Ernst, mit dem Eifer und auch mit der Beschleunigung, Herr Bundesminister, durchgeführt werden, daß wir sagen können: Wir haben das Unsere zur Wiederherstellung des Rechts getan?!