Rede von
Dr.
Wilhelm
Gülich
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Dem Tenor nach kam das so heraus,
zumal es ja von Ihnen mit Leidenschaft vorgetragen wurde. — Ich habe Ihnen einen Teil der Zahlen
bereits genannt, und die niedersächsische Landesregierung kann Ihnen ja weiteres Material geben.
Wenn Sie es nicht bekommen sollten, dann sagen Sie es mir; ich besorge es Ihnen.
— Verzeihen Sie, meine Damen und Herren, es handelt sich doch um veröffentlichte Materialien der Finanzstatistik. Wenn Frau Kollegin Brökelschen nicht weiß, woher sie es bekommen soll — das war ganz offen und ehrlich von mir gemeint —, dann besorge ich ihr das Material; ich habe es nämlich.
Ich empfehle auch, bei den Mitteln, die gegeben werden, von der Zentrale her keine allzu starke Zweckbindung vorzunehmen, sondern die Verteilung der Mittel zusammen mit den örtlichen Stellen vorzunehmen.
Noch ein letztes Wort! Mit Geld allein kann man die Sache nicht machen. Es kann sich nicht nur darum handeln, daß neue Bundesmittel zur Verfügung gestellt werden, sondern auch darum, daß die verfügbaren Mittel richtig und zeitgerecht ausgenutzt werden. Da möchte ich an alle Adressen, die es angeht, folgendes sagen: Es muß schneller gearbeitet werden. Worunter leiden denn die einzelnen Unternehmungen so sehr? Ich habe beispielsweise gerade einen Brief einer großen Firma bekommen, die monatlich mehrere Millionen Mark an Steuern abführt und die lastenausgleichsberechtigt ist. Seit dem Januar 1953 führt sie einen verzweifelten Kampf um einen Betriebsmittelkredit. Ich kenne solche Finanzierungsfragen genau; ich muß mich häufig mit den Dingen befassen, weil ich um Rat gefragt werde. Es ist einfach unerträglich, daß die Erledigung dieser Anträge so schrecklich lange dauert, mag es sich nun um Investitionskredite oder um Betriebsmittelkredite handeln.
Und dann noch ein Weiteres.
Wir haben wiederholt von den Steuerkraftunterschieden unter den Ländern und der dadurch bedingten Attraktionskraft der wohlhabenden Länder gegenüber den armen Ländern gesprochen. Da ist es so, daß alle Kreise der Wirtschaft sich bemühen müßten, den Industrien in den notleidenden
Ländern zu helfen. Ich habe mir in Schleswig-Holstein Mühe gegeben, große Firmen zu veranlassen, ihren Bedarf beispielsweise an Norm- und Gewindeteilen bei einer hervorragenden Firma in Geesthacht zu decken. Die Firmen sind dazu kaum bereit, weil sie auf ihre alten Verbindungen in Nordrhein-Westfalen eingespielt sind. Haben wir schon diese Länder mit den enormen Steuerkraftunterschieden, dann muß auch jedes Land und jeder Industrielle in jedem Lande zur Hebung der Steuerkraft seines eigenen Landes beitragen. Es ist ja nicht so, daß wir etwa fordern, man soll unbesehen Aufträge vergeben. Es genügt uns vom Bunde aus vollkommen, wenn man bei der Vergebung öffentlicher Aufträge Angebote bei den Firmen in den Zonenrandgebieten einholt.
Ich habe am 2. Juli 1953 im Bundestag gesagt: „Die Beschlüsse, die wir heute fassen werden, sind gut. Es kommt aber alles auf die Ausführung an." Ich habe gesagt, daß alle Beschlüsse, die wir fassen werden, völlig in der Luft hängen werden, daß sie irrealistisch sein werden, wenn nicht Menschen mit Verstand und Herz und Verantwortungsgefühl in den Amtsstuben sitzen. Daran hapert es so sehr. Wie viele Korinthenkacker sitzen da und kujonieren die Wirtschaft, lassen sie nicht sich entwickeln, gewähren wegen tausend überflüssiger Nachfragen keine Kredite! Wir sollten mehr Menschen haben, die ihre Aufgaben in eigener Verantwortung erfüllen könnten.
Es sind also nicht nur Fragen der Organisation, um die es hier geht, sondern es ist nötig, daß alle, die in großen Industriegebieten und damit in einer satteren Welt leben, ihre Gesinnung ändern. Das Bewußtsein von der Einheit unseres Volkes in unserem Staat sollte in uns lebendig gemacht werden. Ohne das wird keine gesetzgeberische und keine organisatorische Maßnahme durchgreifend die Struktur unserer Wirtschaft ändern können und das verhängnisvolle West-Ost-Gefälle beseitigen. Es muß das große Ziel der Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik sein, durch wirtschaftspolitische Maßnahmen dieses West-Ost-Gefälle zu mindern. Was dann noch fehlt, müssen wir durch eine neue Staatsgesinnung hinzufügen.