Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es schien heute nachmittag manchmal so, als ob die Diskussion eine Angelegenheit der Abgeordneten aus den Zonenrandgebieten gewesen wäre.
Es ist sogar die Verdächtigung ausgesprochen worden, es handle sich um parteipolitische Anliegen; aber das auszusprechen, ist falsch und entspricht einfach nicht der politischen Wirklichkeit und der Bedeutung der Aufgabe, um die es geht.
Vor einer Woche ist die vorzügliche Denkschrift des Instituts für Raumforschung zur Frage regionaler Wirtschaftspolitik herausgekommen. Ich habe sie in der vorvorigen Woche bei meiner Rede zur Finanz- und Steuerreform bereits zitiert, und ich möchte Ihnen, nachdem ich dasselbe früher ja oft genug gesagt habe, mitteilen, welche Feststellung dieses Institut auf Grund sorgfältiger Untersuchungen trifft:
Es kann, wenn schon in der sowjetischen Besatzungszone ein breiter toter Streifen entlang der Zonengrenze geschaffen wird, nicht die Aufgabe einer Wirtschaftspolitik der Bundesregierung sein, diesseits des Eisernen Vorhangs gleichfalls einen Streifen wirtschaftlicher Verödung zuzulassen.
Der Ausgleich des Wirtschaftsgefälles von Westen nach Osten muß also einen wesentlichen Teil einer regionalen Wirtschaftspolitik bilden, die sich dabei keineswegs auf den östlichen Grenzstreifen der Bundesrepublik beschränken darf.
Ich empfehle auch Herrn Staatssekretär Westrick und seinem Ministerium die Lektüre dieser vorzüglichen Denkschrift; denn Herr Staatssekretär Westrick ist in den Fehler verfallen, heute wieder mit großen Zahlen zu operieren. Die statistische große Zahl sagt uns aber hier, wo es sich um regionale Differenzierungen handelt, gar nichts. Die Einheit des Landes oder gar die Einheit der Bundesrepublik bedeutet im statistischen Durchschnitt nichts, damit kann man keine wirklichkeitstreue Aussage machen. Wir haben bei unseren Betrachtungen von der regionalen Verschiedenartigkeit der Bundesrepublik auszugehen.
Nun ein Wort zu der Antwort der Bundesregierung. Die Bundesregierung gibt in Drucksache 534 sehr interessante Überblicke. Sie wird die Länder bitten, bei der Erhebung von Steuern und Abgaben im Zonenrandgebiet, bei Ermessensentscheidungen, Stundungen, Erlassen, Beitreibungsangelegenheiten und Auslegungsfragen, soweit möglich, großzügig zu sein. Das ist ein Appell an die armen Länder, die ohnehin nicht wissen, wie sie mit ihrer geringen Steuerkraft ihre Wirtschaft in Ordnung halten sollen. Die Bundesregierung wird die Länder bitten, in Abschreibungsfragen im Rahmen des § 131 der Abgabenordnung entgegenzukommen. Abschreiben kann nur jemand, der seine Abschreibungen verdient hat. Aus Denkschriften von Industrie- und Handelskammern, die auch dem Wirtschaftsministerium vorliegen, geht klar und deutlich hervor, daß diese Empfehlungen von vielen Industrie- und Handelsunternehmungen als, wie es in einem Bericht heißt, „tatsachenfremd" empfunden werden, weil sie nicht einmal das Maß, der bisher erlaubten Abschreibungen in Anspruch nehmen konnten. Wie kann also die Industrie dieser notleidenden Zonenrandgebiete aus dieser Empfehlung irgendwelchen Gewinn ziehen?
Den Zonenrandländern soll weiterhin nahegelegt werden, ihren Gemeinden in den Randgebieten im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs zu ermöglichen, bei der Festsetzung der GewerbesteuerHebesätze und sonstiger Abgaben den besonderen wirtschaftlichen Verhältnissen Rechnung zu tragen. Nun, es wird auch dem Bundeswirtschaftsministerium bekannt sein, daß durch die erfolgten Abschreibungen der Gewinn gemindert und infolgedessen auch das Gewerbesteueraufkommen redu-
ziert worden ist. Einzelne Gemeinden haben einen so erheblichen Gewerbesteuerausfall, daß ihnen eine solche Empfehlung wiederum gar nichts nützt. Ich habe vor mehr als einem Jahr vorgeschlagen, daß man den Gemeinden aus Bundesmitteln den Gewerbesteuerausfall garantieren solle. Damit sind sie in der Lage, ihre Hebesätze der tatsächlichen Wirtschaftskraft der Gemeinde und ihrer Unternehmungen anzupassen. Ich will die Antwort der Bundesregierung der fortgeschrittenen Zeit wegen nicht weiter kritisieren. Es ließe sich ja zu jedem einzelnen Punkt etwas sagen, was den Wert dieser Antwort, zu der viele Monate gebraucht worden sind — Herr Kollege Seiboth hat das schon ausgeführt —, eben doch sehr fragwürdig macht.
Nur auf einen Punkt möchte ich noch eingehen. Die Antwort sagt, und auch Herr Staatssekretär Westrick sagte es heute, daß nach dem Grundgesetz gar nicht der Bund zuständig sei und daß diese Auffassung auch von einigen Länderregierungen vertreten werde. Nun, wir wissen alle, welche Länderregierungen aus ihrem krassen Länderegoismus die Meinung vertreten, es handele sich nicht um Kriegsfolgen nach Art. 120 des Grundgesetzes. Als Argument für diese Auffassung wird weiter verwendet, auch im Ersten und Zweiten Überleitungsgesetz sei diese Not der Zonenrandgebiete überhaupt nicht als Kriegsfolgelast angesprochen worden. Nun, da liegt der Jammer! Das entscheidende Versäumnis der Bundesrepublik hat 1949 damit begonnen, daß sie sich damals nicht der Zonenrandgebiete angenommen hat.
Wir sind doch damals die Rufer im Streite, die Prediger in der Wüste gewesen. Aber wir sind nicht gehört worden — ja, Herr Pelster, Sie schütteln dauernd den Kopf —,
weil Sie so erfüllt waren .von dem „Wirtschaftswunder", daß Sie gar nicht bemerkt haben,
daß bei dieser Gelegenheit viele wichtige Gebiete
in der Bundesrepublik wirklich zugrunde gingen.
— Wenn Sie sagen: „Wir haben wesentlich unterstützt", dann sagen Sie dasselbe, was Herr Staatssekretär Westrick auch ausgeführt hat.
— Ich sage, wenn Sie sich einmal diese Grenzgebiete ansehen — —
— Ich lade Sie ein, mit mir einmal ein bißchen herumzufahren, Herr Pelster.
— Aus Ihrer Haltung diesen Fragen gegenüber sehe ich, daß es sehr notwendig ist, so notwendig,
daß man Ihnen sogar noch einen gewissen Elementarunterricht auf diesem Gebiete erteilen müßte.
— Aber ich wäre dazu fähig.
— Aber ich wäre dazu fähig und in der Lage, wenn Sie mir die Kompetenz dazu einräumten.
Im übrigen will ich diese Frage wahrhaftig nicht zum Gegenstand einer solchen Auseinandersetzung machen.
Vielmehr ist es tatsächlich so, daß das Verständnis für die Not der Zonenrandgebiete in weitesten Kreisen Westdeutschlands ganz einfach nicht vorhanden ist.
Herr Staatssekretär Westrick sagte eben unter Hinweis auf die großen Zahlen, die wirtschaftliche Entwicklung gehe aufwärts. Ich kann Ihnen nur sagen: Fahren Sie hin! Ich kann Ihnen zeigen, was dort im einzelnen geschehen ist. Daß einzelne Unternehmungen florieren, wird ja nicht bestritten. Deswegen ist auch die ganze globale Zuweisung von Mitteln etwas fragwürdig. Wir würden zweifellos viel weiter kommen, wenn man von konkreten Objekten ausginge. Das erfordert allerdings eine sehr intensive Beschäftigung mit diesen Dingen. Ich bin persönlich gar nicht unglücklich darüber, daß Herr Kraft jetzt diese Aufgabe bekommen hat. Er wird schon etwas aus dieser Aufgabe machen; denn er hat ja immerhin eine Vorstellung, und zwar eine gute Vorstellung zumindest von den Zonenrandgebieten in Schleswig-Holstein. Wenn uns da — allerdings nicht erst in vier Monaten — eine kurze, prägnante Denkschrift vorgelegt wird, so kann das der Sache nur dienlich sein.
Im übrigen will ich mit Herrn Staatssekretär West r i c k nicht mehr polemisieren; denn man soll politische Kritik am Minister nicht am Staatssekretär auslassen.
Aber das Herz und die Leidenschaft dürfen wir auch bei Herrn Westrick getrost unterstellen. Nur, was die Früchte betrifft, die aus dem Wirtschaftsministerium kommen sollen, da sehe ich vorläufig noch ein bißchen trübe in die Zukunft.
Wenige Worte zu Frau Brökelschen! Frau Brökelschen sagte, die SPD stünde der Situation bei den Verteidigungslasten genau so gegenüber. Ich habe mich bereits neulich klar ausgedrückt —
— hören Sie doch mal zu! — ich habe es neulich
schon gesagt: wenn der Herr Bundesfinanzminister
von vornherein, bevor die Verhandlungen begin-
nen, sagt: „Ich komme mit den Besatzungsmächten doch nicht zurecht", dann kommt er nicht zurecht! Ich habe neulich gesagt, er sollte sich nicht mit den Alliierten gegen den Bundestag verbünden, sondern den Bundestag zu seinem Verbündeten gegen die Alliierten machen. Dann kämen wir schon weiter.
Denn in diesen sogenannten Verteidigungslasten
— das habe ich neulich bei der Behandlung des Einzelplans 35 ausgeführt und keinen Widerspruch dafür bekommen — liegt so viel Leerlauf, so viel Unfug, so viel Mutwillen, daß ein zäher Verhandler schon etwas erreichen könnte.
Vorhin wurde von Herrn Staatssekretär Westrick mitgeteilt, die 120 Millionen DM stünden jetzt zur Verfügung. Schön. Das habe ich auch heute gerüchtweise gehört. Bis dahin stand klar und deutlich im Einzelplan 60 des Bundeshaushaltsplans bei Tit. 950 — und das haben Sie gegen mein sehr entschiedenes Votum neulich beschlossen —, daß die Hilfe von 120 Millionen DM für die Zonenrandgebiete nur gegeben werden sollte, wenn der Bundesanteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer mehr als 40 %, nämlich 42 %, betrüge. Das steht im Dispositiv im Tit. 950 drin.
— Das ist nicht längst überholt. Bis heute ist es offiziell noch nicht überholt; es ist jetzt nur gerüchtweise überholt. Der Herr Finanzminister soll sich mit einigen Ländern geeinigt haben. Wohlgemerkt: mit einigen. Er kann nunmehr hoffen, auf der nunmehr abgewandelten Basis 40 % statt 42 %
— die Differenz wird praktisch durch die Bundesbahnanleihe gedeckt — im Bundesrat mit der Sache durchzukommen. Aber Sie konnten nicht davon ausgehen, daß das schon geschehen wäre, was noch nicht geschehen ist und wofür jetzt nur die Vorverhandlungen des Bundesfinanzministers geführt worden sind.
— Ich freue mich darüber, wenn es so ist, wenn der Bundesfinanzminister sich mit den Ländern geeinigt hat.
Frau Brökelschen sagte ferner, die Länder hätten nichts getan
für die Not der Gemeinden in den Zonenrandgebieten. Sehen Sie sich die Finanzausgleichsgesetze der Länder an! Frau Kollegin, sehen Sie sich den Finanzausgleich in Niedersachsen an! Da werden Sie feststellen, daß in den letzten Jahren 60 bis 80 oder 81 % der gesamten Bedarfszuweisungen im Finanzausgleich an Gemeinden in den Zonenrandgebieten gegangen sind.
Man darf also keine Vorwürfe erheben, die nicht berechtigt sind.