Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zunächst das tiefe Bedauern meiner Fraktion darüber aussprechen, daß es erst Großer Anfragen und einer Reihe von Anträgen bedurft hat, bis der Bericht der Bundesregierung über die eingeleiteten und durchgeführten Maßnahmen im Zonengrenzgebiet, der bereits zum 15. Februar dieses Jahres vorliegen sollte, dem Hohen Hause vorgelegt worden ist.
Wenn dieser Bericht der Regierung rechtzeitig oder nur mit geringer Verzögerung hier vorgelegen hätte, dann wäre Gelegenheit gewesen, daß der Gesamtdeutsche Ausschuß bzw. sein Unterausschuß für die Zonengrenzgebiete und vielleicht auch der Finanzausschuß
zu den Fragen, die heute hier erörtert wurden, eine einheitliche Stellungnahme hätten erarbeiten können. Die Erörterungen im Plenum wären dann vielleicht etwas anders, vielleicht auch etwas sachlicher verlaufen. als es der Fall gewesen ist.
Wir haben — das sagen wir offen — sehr ernste Bedenken ob der schleppenden Behandlung dieser so wichtigen Angelegenheit durch den federführenden Bundesminister, Herrn Professor Erhard.
Es stellt sich für uns alle die Frage, ob die Ursachen für diesen schleppenden Gang nicht vielleicht zum großen Teil in dem Umstande zu suchen sind, daß Herr Minister Professor Erhard
als leidenschaftlicher Vertreter der freien Wirtschaft ein eingeschworener Gegner selbst des leisesten Lenkungs- und Planungsversuchs und auch des leisesten Versuchs des Dirigismus ist, wie er beim Zonenrandgebiet aber nun einmal nötig ist.
Wir können, wenn wir dem Zonenrandgebiet helfen wollen, auch bei Bejahung des Prinzips der freien Wirtschaft nicht darauf verzichten, in gewissem notwendigem und vertretbarem Umfange Lenkungsmaßnahmen ins Auge zu fassen.
Diese Sorgen hinsichtlich der Person des federführenden Ministers sind uns gekommen, als wir die Rede des Herrn Bundeswirtschaftsministers Erhard am 14. Februar dieses Jahres in Kassel hörten.
Damals wurde ein eben neu errichtetes Gebäude der Wirtschaft eröffnet. Herr Bundeswirtschaftsminister Professor Erhard ist dort sowohl von dem Vertreter der hessischen Regierung wie von den Vertretern der Industrie- und Handelskammer Kassel besonders auf die Fragen des Zonennotstandsgebiets im hessischen Raum angesprochen worden. Er hat aber in einer fast eineinhalbstündigen Rede darauf keinerlei Antwort gegeben, sondern einen Vortrag allgemein wirtschaftlicher Art gehalten, der wohl recht interessant war, aber vom Zonengrenzgebiet nicht ein Wort enthielt. Und das, obwohl Herr Professor Erhard damals bereits zehn Wochen lang mit der Federführung für die Fragen des Zonengrenzgebietes betraut gewesen war! Erst ganz zum Schluß seiner Rede hat damals der Herr Bundeswirtschaftsminister mit einem Blick auf die Uhr erklärt, leider müsse er nun zum Bahnhof eilen, er könne deshalb die angeschnittenen Fragen bezüglich des Zonengrenzgebiets hier nicht mehr behandeln,
aber man könne sich darüber ja am grünen Tisch unterhalten.
Ich bin nun der Meinung und mit mir die Kollegen meiner Fraktion, daß gerade Kassel als die Hauptstadt des hessischen Zonennotstandsgebietes, wenn ich das so nennen darf, ein geeigneterer Ort gewesen wäre
als der verrufene grüne Tisch, von dem wir außerdem nicht einmal wissen, ob er in dieser Frage bisher überhaupt in Anspruch genommen worden ist.
Wir betrachten es als ein dringendes Anliegen an den Chef der Bundesregierung, den Herrn Bundeskanzler, ernstlich zu erwägen, ob nicht die Notwendigkeit besteht, die Kompetenz für die Behandlung der Fragen des Zonenrandgebiets neu und sinnvoller zu regeln.
Hierbei darf ich vielleicht darauf hinweisen, daß auch wir vom Gesamtdeutschen Block/BHE in dem Auftrag, der vor wenigen Wochen an Herrn Bundesminister Kraft erteilt worden ist, eine Denkschrift über die Zonenrandgebiete auszuarbeiten, durchaus nicht eine Maßnahme sehen, die geeignet wäre, Wandel zu schaffen. Die Erklärung des Herrn Staatssekretärs Westrick, diese Denkschrift werde in etwa drei bis vier Monaten vorliegen, möchten wir in keinem Fall so ausgelegt wissen, daß wir erst in drei oder vier Monaten mit den noch ausstehenden Maßnahmen im Grenzgebiet beginnen können. Die Verantwortlichkeit für alles bisher Geschehene und auch für das bisher nicht Geschehene muß aber — das möchten wir von unserer Fraktion besonders herausstellen — trotz des an Herrn Minister Kraft erteilten Auftrags natürlich nach wie vor beim Herrn Bundeswirtschaftsminister liegen.
Zur Sache selbst gestatten Sie mir, daß ich einige grundsätzliche Fragen behandle. Ich möchte mich im wesentlichen auf Grundsatzfragen beschränken, da Detailfragen, vielleicht nicht so sehr des Wahlkampfes wegen, aber damit sie in den Kreiszeitungen draußen entsprechende Aufnahme finden,
zur Genüge behandelt worden sind.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat zum Schluß seines Berichts, der uns liebenswürdigerweise gestern mittag in die Fächer gelegt worden ist, erklärt, die Meinung sei nicht begründet, es handle sich bei der Regelung der wirtschaftlichen Hilfe für das Zonengrenzgebiet um eine Behebung von Kriegsfolgeschäden; folglich müßten Bund und Länder gemeinsam an diesen Aufgaben beteiligt werden. Nun, diese Frage ist offen. Aber wir sollten doch, wie es auch schon zum Ausdruck kam, niemals übersehen, daß gerade die Zonengrenzländer Bayern, Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein die ärmsten Länder der Bundesrepublik sind. Deshalb sollten wir auch im allgemeinen — das ist unsere übereinstimmende Meinung in der Fraktion — das sonst bei der Behebung von Kriegsfolgeschäden übliche Beteiligungsverhältnis von 85 % für den Bund und 15 % für die Länder berücksichtigen. Dabei sollten wir auch bedenken, daß es sich bei all diesen Fragen, wie Frau Abgeordnete Dr. Brökelschen im Vorjahr in der Debatte hier zum Ausdruck gebracht hat, um das sogenannte dritte gesamtdeutsche Problem neben denen der Zone und Berlins handelt.
Im Haushalt Berlins beispielsweise sind Aufwendungen enthalten für Maßnahmen, die eigentlich gar nichts mit Berlin zu tun haben, die nicht ureigene Berliner Angelegenheiten sind, sondern typisch gesamtdeutsche Maßnahmen bzw. Angelegenheiten darstellen. Aus dieser Tatsache entsteht aber bei Berlin kein besonderes Problem, weil der Bund ja verpflichtet ist, den Fehlbedarf des Berliner Haushalts zu decken.
Bei den Zonengrenzgebieten liegen die Dinge aber ähnlich. Auch dort müssen die Kommunen und die betreffenden Länder aus eigener Kraft Aufgaben bewältigen, besonders auf dem sozialen und dem kulturellen Sektor, die in Wahrheit gar nicht Gemeindeangelegenheiten oder Angelegenheiten der betreffenden Länder, sondern gesamtdeutsche Angelegenheiten sind.
Unter gesamtdeutscher Verantwortung stehen aber nicht nur diese Zonengrenzgemeinden oder die Zonengrenzländer, sondern es müssen alle deutschen Bundesländer und besonders auch der Bund unter gesamtdeutscher Verantwortung stehen.
Der Beschluß des Deutschen Bundestages vom Juli vorigen Jahres ist ja auch ein Beweis dafür, daß sich die Volksvertretung ihrer gesamtdeutschen Verpflichtung durchaus bewußt war. Es ist aber bedauerlich, daß wir heute; zehn Monate nach diesem Bundestagsbeschluß, fragen müssen, was denn eigentlich in Verfolg des vorjährigen Bundestagsbeschlusses an wesentlichen Maßnahmen veranlaßt worden ist.
Wir betrachten als Kernstück des von der Bundesregierung am 19. August des Vorjahres verkündeten Programms für die Notstandsgebiete die Zusicherung, 120 Millionen DM für Zwecke der Wirtschaftsförderung und zur Behebung von Wirtschaftsschäden in den Haushalt des Jahres 1954 einzusetzen. Über diese 120 Millionen DM war bis heute irgendwie ein mysteriöser Schleier gebreitet, und noch mein Herr Vorredner hat hier, obwohl Herr Staatssekretär Westrick vorhin erklärt hat, die 120 Millionen DM ständen zur Verfügung, angezweifelt, daß sie auch tatsächlich zur Verfügung gestellt werden. Es ist uns im Laufe dieser nachmittägigen Debatte zwar nicht offiziell, aber sozusagen durch Späher aus dem Finanzausschuß, die Mitteilung zugegangen, daß Herr Bundesfinanzminister Schäffer praktisch das Junktim, das ja immer noch bestand, gelöst hat und erklärt haben soll, die 120 Millionen DM würden nun endgültig zur Verfügung stehen. Darüber sind wir sehr glücklich; denn ohne diese 120 Millionen DM hätte das von der Bundesregierung in Aussicht genommene Programm überhaupt nicht in ausreichendem Umfange durchgeführt werden können.
Aber es ist nun an der Zeit, daß man uns nicht nur erklärt: „Die 120 Millionen DM werden auf alle Fälle bereitgestellt", sondern auch sagt, wann diese 120 Millionen DM denn zur Verfügung stehen.
Es kann im Zonenrandgebiet mit den Maßnahmen, die beschlossen worden sind, nicht länger zugewartet werden. Wir würden deshalb den Herrn Bundesfinanzminister oder den Herrn Staatssekretär dringend darum bitten, bei nächster Gelegenheit diesem Hohen Hause zu erklären, von wann ab die Förderungsmaßnahmen im Rahmen dieser 120 Millionen DM tatsächlich im Grenzgebiet draußen anlaufen können.
Im Zusammenhang mit diesen 120 Millionen ist uns aber noch wichtig, auf folgendes hinzuweisen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat auf Seite 6 seines Berichts seinem Bedauern darüber Ausdruck gegeben, daß die Bundesregierung nicht alle vom Bundestag seinerzeit beschlossenen bzw. empfohlenen Maßnahmen habe realisieren können. Er führt dort im einzelnen auf: die Bereitstellung von 25 Millionen DM für kulturelle Förderungsmaßnahmen, dann die ebenfalls nicht in die Wege geleitete und ermöglichte steuerfreie Rücklage und die Ermäßigung der überhöhten Gewerbesteuersätze in den Gemeinden des Zonenrandgebiets; und dann heißt es dort: deshalb, weil diese Maßnahmen also wahrscheinlich nicht durchgeführt werden konnten, habe die Bundesregierung 120 Millionen DM in den Haushalt 1954 eingesetzt. Wir müssen hier fragen: Was soll dieses „deshalb" bedeuten? Doch nicht etwa, daß mit der Hingabe oder Bereitstellung dieser 120 Millionen DM die Wirtschaftslage in den Zonenrandgebieten in absehbarer Zeit so zum Guten hin verändert werden
kann, daß alle diese bisher nicht in Angriff genommenen und durchgeführten Maßnahmen überflüssig werden bzw. die Zonengrenzgebiete und die Länder dann so gestärkt werden, daß sie diese Maßnahmen aus Eigenem finanzieren könnten?
Wir sind der Meinung, daß gerade die kulturellen Hilfsmaßnahmen unbedingt außerhalb der 120 Millionen DM durchzuführen sind.
Unsere Fraktion hat während der zweiten und auch während der dritten Lesung des Haushalts jenen Antrag gestellt, der diesmal von der sozialdemokratischen Fraktion wiederholt wird, nämlich die seinerzeit vom Bundestag beschlossenen 25 Millionen DM für kulturelle Förderungsmaßnahmen noch zu bewilligen. Leider ist unser Antrag damals abgelehnt worden, und wir befürchten, daß nunmehr der Antrag der Sozialdemokratischen Partei, wenn es einmal darüber zur Abstimmung kommt, dasselbe Schicksal erleiden wird wie unser gleichlautender Antrag während der Haushaltsdebatte.
In diesem Zusammenhang möchten wir darauf hinweisen, daß wir schon in der Debatte zur dritten Lesung des Haushalts durch unseren Kollegen Gille hier zum Ausdruck gebracht haben: Wenn es auf gar keinen Fall 25 Millionen sein können, dann soll man doch wenigstens einen Betrag von 10 oder selbst von 5 Millionen für diese kulturellen Förderungsmaßnahmen zur Verfügung stellen, damit im Zonengrenzgebiet auf dem kulturellen Sektor überhaupt etwas geschehen kann. Deshalb sollten bei den Beratungen im Ausschuß — denn wir hoffen ja und werden dafür stimmen, daß alle heute gestellten Anträge an die Ausschüsse überwiesen werden — für den Fall, daß dieser Antrag der SPD keine Chance zur Realisierung hat, alle Parteien gemeinsam zumindest versuchen, zu erreichen, daß für kulturelle Förderungsmaßnahmen im Zonenrandgebiet ein entsprechender Betrag zur Verfügung gestellt wird.
Ich will zu den Maßnahmen, die hier schon besprochen wurden, im einzelnen nichts mehr sagen. Gestatten Sie aber, daß ich noch auf zwei Dinge besonders hinweise.
Hier ist von der Frachthilfe die Rede gewesen. Im Bericht des Herrn Bundeswirtschaftsministers steht zu lesen, daß sich nunmehr die bisher mit dem Bund streitenden Länder Hessen und Niedersachsen mit dem Bund dahingehend geeinigt hätten, daß das Verhältnis nun nicht mehr 1:1, sondern 2 für den Bund und 1 für die Länder sein soll. Hier entsteht nun die Frage, ob dann aber — da die 5 Millionen DM, die der Bund dafür zur Verfügung stellt, wie es in dem Bericht heißt, nicht erhöht werden sollen — die vom Bund zur Verfügung gestellten Mittel noch ausreichend sind. Diese Frage ist für uns deshalb besonders interessant, weil bekanntlich die Hälfte der vom Bund zur Verfügung gestellten Mittel allein für Kohle und da wieder fast ausschließlich für Bayern zur Verfügung stand, während die anderen Länder, insbesondere Niedersachsen und Hessen, Wert darauf legen, daß neben der Ausweitung der Frachthilfe auf andere Verkehrs- oder Transportmittel vor allem auch andere Transportgüter mit einbezogen werden. Dieses Problem ist für die betroffenen Länder wichtig, und hier bleibt, wenn man das neue Verhältnis zugrunde legt, nach
unserem Dafürhalten für die Finanzierung der Frachthilferegelung zuwenig übrig, als daß noch tatsächlich genügende und ausreichende Maßnahmen ins Auge gefaßt werden könnten. Deshalb wird es notwendig sein, sowohl von seiten der Bundesregierung als auch von seiten der zuständigen Ausschüsse zu untersuchen und zu erwägen, ob es nicht doch möglich ist, hier eine gewisse Erhöhung vorzunehmen.
Zu den steuerlichen Maßnahmen möchte ich noch sagen: Wenn die Umsatzsteuersenkung, die hier von der sozialdemokratischen Fraktion beantragt worden ist, aus technischen oder anderen Schwierigkeiten, die erwähnt wurden, nicht realisiert werden kann, dann müßte aber insbesondere ein verstärktes Augenmerk auf eine Senkung der überhöhten Gewerbesteuersätze gerichtet werden. Wir möchten in diesem Zusammenhang aber auch darauf hinweisen, daß die Wünsche, die von der Landwirtschaft vorgetragen wurden, nämlich auch in gewissen Gemeinden des Zonennotstandsgebietes die Grundsteuerhebesätze, soweit sie überhöht sind und bis an 300 % heranreichen, billigerweise ebenfalls in die Betrachtungen zur Senkung dieser Steuern einbezogen werden müssen.
Ich darf abschließend noch eines sagen, was hier nicht erwähnt worden ist. Sie alle wissen, daß uns von vielen Kreisen aus den Zonengrenzländern, und zwar von Kreisen, die nicht in das Zonengrenzgebiet einbezogen sind, vorgetragen wird, sie fühlten sich durch ihre Nichteinbeziehung besonders benachteiligt. Nun sind wir der Auffassung, daß es notwendig und richtig war, irgendeine Begrenzung des zu fördernden Zonengürtels vorzunehmen. Aber wir meinen, man sollte bei der Ziehung der neuerlichen Grenze vor dem Zonengürtel doch nicht gar zu engherzig vorgehen; denn es ist tatsächlich so, daß die negativen Ausstrahlungen in wirtschaftlicher, sozialer und auch kultureller Hinsicht, die infolge der Ziehung der Zonengrenze vorhanden sind, viel weiter als nur 40 oder 50 km reichen. Ich möchte also anregen, daß wir bei den Beratungen im Ausschuß auch die Frage erörtern sollten, ob man derzeit vor dem Zonengürtel liegende Kreise, in denen zum Teil wegen der Zonengrenzziehung eine besonders große Arbeitslosigkeit herrscht und in denen eine besonders niedrige Kopfsteuerquote festzustellen ist, nicht ebenso, wie es vereinzelt in Niedersachsen gemacht worden ist, auch in das Gebiet des zu fördernden Zonengrenzgürtels einbeziehen kann.
Meine Damen und Herren, wir haben uns hier auf einige wesentliche Fragen beschränkt, die uns erwähnenswert schienen. Wir werden den Anträgen auf Überweisung an die Ausschüsse zustimmen.