Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sprecher dieses Hohen Hauses haben heute den Hilferuf der Zonenrandgebiete weitergeleitet und Möglichkeiten zur Behebung der Not aufgezeigt. Wenn meine ostbayerischen Landsleute heute hier zugehört hätten, hätten sie sicher neuen Mut geschöpft, und sicher wäre mancher auf den Gedanken gekommen, daß nun die Not ein für allemal behoben werden könne. So leicht ist aber das Problem der Zonenrandgebiete bei weitem nicht zu lösen.
In Bayern sind die Verhältnisse so, daß ein Teil, nämlich der Norden und der Nordosten, durch den Eisernen Vorhang von den bisherigen Rohstoffquellen und Absatzgebieten abgeschnitten ist. Ein anderer Teil, nämlich derjenige entlang der tschechoslowakischen Grenze, gehört schon seit Jahrzehnten zu einem wirtschaftlich schwachen Gebiet.
Die Grenzlandfahrten der Minister, Ministerialbeamten, Abgeordneten und Wirtschaftsexperten dürften wohl aufgezeigt haben, daß den Zonenrandgebieten unter allen Umständen geholfen werden muß. Das ist aber keine Angelegenheit nur der Grenzlandabgeordneten, das ist auch keine Angelegenheit nur einer Partei, sondern das müßte an und für sich Angelegenheit dieses ganzen Hauses sein.
Wir haben unlängst in diesem Hause zusätzliche Leistungen für Berlin beschlossen, und wir haben das gern getan; einmal, weil wir die schwierigen Verhältnisse in Berlin kennen, zum zweiten deshalb, weil wir, die wir aus dem Grenzland stammen, schon aus diesem Grunde besonderes Verständnis dafür haben. Man braucht ja nur an die Ecke von Hof zu denken, wo im Norden die sowjetische Zone und im Osten die Tschechoslowakei ist. Wir haben das gern getan und hoffen nunmehr, daß auch die Anliegen, die die Grenzgebiete haben, vom ganzen Hause unterstützt werden.
Meine Damen und Herren! Ein Vater, der ein krankes Kind hat oder ein Kind hat, das schon von Geburt aus leidend ist, wird es ganz besonders pflegen. Die gleiche Verpflichtung hat der Vater Staat im Falle der Gebiete, die ohne die Schuld der Bewohner zu wirtschaftlich äußerst schwierigen Gebieten geworden sind.
Ich sagte schon, daß in Bayern neben den Zonenrandproblemen, die schon von zahlreichen Rednern aufgezeigt wurden, besonders schwierige Verhältnisse an der Grenze zur Tschechoslowakei bestehen. Bei dieser Gelegenheit möchte ich eines sagen: vergessen wir über den Fragen des Zonenrandprogramms nicht die Gebiete, insbesondere in Schleswig-Holstein, in Niedersachsen, aber auch in Bayern, die zwar nicht unmittelbar an der Grenze liegen, die aber wirtschaftlich in den denkbar schlechtesten Verhältnissen leben!
Die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, die im Gebietsdurchschnitt des ostbayerischen Grenzraums bestehen, haben in der Bundesrepublik kaum eine Parallele. Immer dann, wenn ich die Fahrt von meinem Grenzlandwahlkreis nach Bonn unternehme, kommt mir ein kleiner Neid. Denn bei uns ist die Not zu Hause. Bei uns im Bayerischen Wald ist eine Arbeitslosenzahl, auf die ich später noch zurückkommen werde, die mit den Berichten des Ministeriums in keiner Weise übereinstimmt.
Immer dann, wenn ich hierher fahre, fahre ich von einem Gebiet, das nach Arbeit ruft, in ein Gebiet, in dein man nach dem Arbeiter ruft.
Gestatten Sie mir deshalb, Ihnen trotz der vorgeschrittenen Zeit ganz wenige Zahlen hinsichtlich der Arbeitslosen zu geben. Der Durchschnitt ist im Bunde im Dezember 1953 bei 8,9 % gelegen, in Bayern betrug der Durchschnitt 14,3 %. Im Arbeitsamtsbezirk Cham sind von 100 arbeitsfähigen und arbeitswilligen Kräften 35,8 arbeitslos gewesen.
Im Arbeitsamtsbezirk Deggendorf haben wir 33,1 % Arbeitslose. Auf die einzelnen Landkreise übertragen, stellt sich das Verhältnis noch weit ungünstiger dar. So beträgt der Prozentsatz der Arbeitslosen beispielsweise im Landkreis Oberviechtach 39%, im Landkreis Kötzting 41,6%, im Landkreis Viechtach 39 %, im Landkreis Grafenau 39,6% und im Landkreis Wolfstein 44,6%. Diese Zahlen sind besorgniserregend, und ich glaube, die Minister und die Ministerialbeamten, die die Besichtigungsfahrten in unserm Grenzgebiet mitgemacht haben, hätten diese Zahlen unter allen Umständen erfahren müssen. Sie hätten aber auch etwas tun müssen, um das Problem der Arbeitslosigkeit zu meistern; denn das ist das Problem, das uns an der Ostgrenze Bayerns am meisten bedrückt. Ich muß hier ganz offen sagen: wenn die Verhältnisse so bleiben, wie sie bisher sind, befürchte ich, daß die Bevölkerung weiterhin resigniert und keine Hoffnung auf einen Wiederaufstieg mehr hat. Ich habe schon einmal zum Ausdruck gebracht, daß die Beseitigung dieser Not nicht eine Frage der Parteien oder einzelner Abgeordneten, sondern eine Frage unseres Hauses und des ganzen deutschen Volkes ist.
Es kann nicht daran gezweifelt werden, daß die 120 Millionen DM, die im Haushaltsjahr 1954 für diese Zonenrandgebiete eingesetzt sind, tatsächlich zur Auszahlung kommen. Dieses Wort hat mir der Herr Bundesfinanzminister gegeben, und daran zweifle ich nicht.
Ich würde mich außerordentlich freuen, wenn noch weitere Mittel zur Verfügung gestellt werden könnten.
Ihre Anträge, meine Damen und Herren von der SPD, werden wir in den Ausschüssen gewissenhaft prüfen. Sofern wir irgendeine Möglichkeit sehen, ihnen zuzustimmen, werden wir dies tun, weil wir auf dem Standpunkt stehen, daß diese Grenzgebiete unbedingt eine Stützung benötigen. Es geht jedoch nicht so, wie Sie es getan haben. Ich habe mir die Zahlen annähernd aufgeschrieben und komme zu dem Ergebnis, daß man auf einen Betrag von etwa 200 Millionen DM oder, wenn man die Umsatzsteuerermäßigung von etwa 400 Millionen DM hinzurechnet, von etwa 600 Millionen DM kommt. Es geht nicht so sehr um die Höhe dieses Betrages; aber ich möchte dazu folgende Gedanken vortragen. Ich weiß nicht, ob es richtig ist, zu sagen: Arbeitsbeschaffung 60 Millionen DM, Kredithilfe für die mittelständische .Wirtschaft 50 Millionen DM, Straßenbau 65 Millionen DM, Kultur 25 Millionen DM. Weil ich die Verhältnisse an der Zonengrenze sehr genau kenne und weiß, daß die Wirtschaftsverhältnisse dort differenziert sind, würde ich es, vor allem mit meinem föderalistischen Herzen, lieber sehen, wenn diese Mittel den
Ländern möglichst global zur Verfügung gestellt werden könnten, weil die Länder nämlich am besten wissen, wo die einzelnen Gebiete der Schuh drückt. Das ist auch ein Wunsch, den die bayerische Staatsregierung hat und den ich hier zum Ausdruck bringen möchte. Ich befürchte nicht so sehr, daß diese Mittel in irgendeine Kasse des Landes gelangen könnten; ich befürchte vielmehr, daß wir durch eine Direktive von oben nicht in der Lage sind, den einzelnen Grenz- und Zonenrandgebieten wirksam da zu helfen, wo ihnen etwas fehlt.
Ich habe einige Vorschläge zu unterbreiten und mich kurz mit den Anträgen der SPD auseinanderzusetzen. Ich sagte schon, wir werden die Anträge in den Ausschüssen gründlich überprüfen und werden versuchen, das Gute herauszuholen. Da ist zunächst einmal der Antrag auf Ermäßigung der Umsatzsteuer um die Hälfte. Meine Damen und Herren, das ist nicht neu, was hier die SPD gebracht hat. Das ist eine Ausarbeitung der Wirtschaftskreise, die schon seit Jahren besteht. Ich weiß aber nicht, ob diese Herabsetzung der Umsatzsteuer wirklich in die Tat umgesetzt werden kann. Das wird man prüfen müssen. Ich weiß nicht, ob man sie technisch durchführen kann und ob es zweckmäßig ist, sie allen Teilen und allen Betrieben des Zonenrandgebietes zugute kommen zu lassen; denn es gibt darunter auch Gebiete, die einen Vergleich mit anderen wirtschaftlich unterentwickelten oder schwach entwickelten Gebieten gar nicht zulassen.
Im übrigen habe ich bereits gesagt, daß Schätzungen ergeben haben, daß dadurch ein Steuerausfall von 400 Millionen DM eintritt. Ich würde eher den bisherigen Weg der Bezuschussung gehen, weil dadurch individuelle Hilfe geleistet werden kann.
Ich möchte weiterhin gern von der Bundesregierung und diesem Hohen Hause erbitten, daß die 1953 bis 1955 für das Zonenrandgebiet geltenden Sonderabschreibungen für bewegliche und unbewegliche Wirtschaftsgüter für eine längere Zeitdauer bewilligt werden. Ich möchte hier einen Zeitraum von etwa 10 Jahren vorschlagen, und zwar deshalb, weil die Wirtschaft dann besser und zweckmäßiger disponieren kann.
Unsere Forderungen gerade in bezug auf unsere ostbayerische und nordbayerische Grenze gehen dahin, daß zinsgünstige mittel- und langfristige Kredite für das wirtschaftsschwache Grenzgebiet zur Verfügung gestellt werden. Ich kann mich hier mit diesem Plan nicht weiter auseinandersetzen, möchte ihn nur kurz andeuten.
Ein Punkt scheint mir von besonderer Wichtigkeit zu sein. Bei der Erteilung von Staatsaufträgen soll auf das Zonenrandgebiet besondere Rücksicht genommen werden. Obwohl ich mich um diese Frage sehr eingehend bemüht habe, muß ich offen gestehen, daß in dieser Hinsicht bisher noch nicht alles geschehen ist, was geschehen könnte und was geschehen müßte. Ich möchte deshalb fragen, ob wir nicht in Form einer Vermittlungsstelle für öffentliche Aufträge, die weiß Gott nicht die Form eines Kommissariats haben soll, in etwa helfen können.
Bayern hat bisher als einziges Land von der Frachtenhilfe Gebrauch gemacht. Ich muß gestehen, daß wir damit gute Erfahrungen gemacht haben. Wir wünschen nur, daß diese Frachtenhilfe noch weiter erhöht werden könnte oder daß die anderen
Länder der Bundesrepublik darauf verzichten zugunsten der Verhältnisse in Bayern, die ja weiß Gott in verkehrsmäßiger Hinsicht schwer genug sind.
Unser besonderes Augenmerk werden wir auf die Ausarbeitung der Verkehrsgesetze lenken müssen. Ich möchte jetzt nicht auf die besonders schlechten Straßenverhältnisse zu sprechen kommen, weil ich vermute, daß das noch mancher Nachredner tun wird. Ich möchte aber einige Verkehrsprobleme herausgreifen. Da ist einmal die Erweiterung der 50-km-Luftlinie für den Güternahverkehr aller Grenzlandbetriebe. Es ist ungerecht, daß die Unternehmer des Güternahverkehrs oder des Güterwerkverkehrs, die an einer Zonen- oder anderen Grenze liegen, nur ein en Halbkreis zur Verfügung haben, während der andere Halbkreis der 50-km-Zone jenseits des Eisernen Vorhangs oder jenseits der Grenze ist. Man kann dieses Problem des § 2 Abs. 4 des Güterkraftverkehrsgesetzes, in dem der Herr Bundesverkehrsminister ermächtigt wird, für diese Zonenrandgebiete Ausnahmen zu schaffen, nicht so lösen, daß man hier, wie das unlängst ein Ministerialbeamter getan hat, zum Ausdruck bringt: Dafür haben ja diese Fuhrunternehmer und die sonstigen Unternehmer jenseits keine Konkurrenz. Das scheint mir doch nicht der richtige Weg zu sein.
Wir fordern außerdem eine bevorzugte Zuteilung von Mitteln aus dem Sozialen Wohnungsbauprogramm zur Erstellung von Eigenheimen für die Arbeitnehmer der Grenzlandwirtschaft. Hier ist mir bei der Beantwortung der Großen Anfragen etwas sehr Böses aufgefallen, nämlich daß man sich auf den Standpunkt stellt, man solle Wohnungen nur dort bauen, wo die Arbeitsmöglichkeiten vorhanden seien. Meine Damen und Herren, dann werden wir gerade in den Zonenrandgebieten und gerade in den wirtschaftlich unterentwickelten ostbayerischen Gebieten niemals zu vom Staat geförderten Wohnungen kommen.
Das Hauptproblem ist das Heranschaffen von Arbeit an die Menschen in diesem Gebiet. Hier muß der Staat meiner Überzeugung nach alles tun, was getan werden kann, um zunächst einmal die bestehenden Betriebe gesund zu erhalten und auszuweiten und allenfalls neue Betriebe anzusiedeln.
Auf die Frage der Ausbildung unserer Facharbeiter, der Ausbildung unserer Schuljugend brauche ich in diesem Zusammenhang nicht weiter einzugehen. Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß wir hier im ostbayerischen Raum vieles nachholen müssen. Die Mittel, die der Bund dafür zur Verfügung stellt, scheinen mir bei weitem nicht ausreichend zu sein. Denn mit einem Betrag von 400 000 DM für das Rechnungsjahr 1954 kann man in Bayern weiß Gott nicht allzu viele Schulen fördern.
Freilich ist es richtig, wir haben zunächst einmal 120 Millionen DM. Wir haben aber auch einen Bundesfinanzminister Fritz Schäffer, der ja Abgeordneter eines Grenzlandwahlkreises ist. Wir wollen hoffen, daß er weitere Möglichkeiten aufzeigt und vor allem dafür sorgt, daß diese Zuschüsse des Bundes auch in den ferneren Jahren gewährleistet werden können.
Lassen Sie mich zum Schluß in diesem Zusammenhang auch noch ein Wort an die Länder richten. Das Zonenrandproblem ist nicht allein durch den Bund zu lösen, sondern die Länder müssen hier tatkräftig mittun. Es ist eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund u n d Ländern. Uns aber bleibt die Hoffnung, daß uns unsere gemeinsame Arbeit, die wir hier in diesem Bundestag leisten wollen, die Möglichkeit gibt, vor unsere Bevölkerung hinzutreten und ihr zu sagen: Wir haben alles getan, was im Bereich des Möglichen lag. Uns bleibt weiter zu hoffen übrig, daß dieser unselige Eiserne Vorhang recht bald verschwindet. Dann haben große Teile unseres Vaterlandes die wirtschaftliche Not überwunden.