Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zur Begründung unseres Antrags betreffend Änderung des Umsatzsteuergesetzes ist es notwendig, daß ich mit einigen Worten auf das eingehe, was der Herr Staatssekretär soeben gesagt hat. Wenn man gewisse Stichdaten günstig wählt, kann man natürlich zu einem verhältnismäßig günstigen Bild kommen. Ich halte es auch für eine schlechte Sache, wenn man z. B. die Entwicklung der Beschäftigtenzahl in den Zonenrandgebieten nur mit dem Bundesdurchschnitt in ein Verhältnis setzt. Um ein klares Bild der unterschiedlichen Entwicklung zu geben, müßte man selbstverständlich die Entwicklung der Beschäftigtenzahl in den Zonenrandgebieten mit jener in den günstigen Gebieten im Bundesgebiet in Vergleich stellen.
Dabei ergeben sich dann natürlich ganz andere Zahlen. Ich unterstelle einmal, daß die Zahlen des Herrn Staatssekretärs richtig sind, nach denen der Bundesdurchschnitt vom Herbst 1949 bis zum Herbst 1953 um ungefähr 20% heraufgegangen und die Durchschnittszahl in den Zonenrandgebieten um ungefähr 10 % gestiegen ist. Zieht man aber die günstigen Gebiete der Bundesrepublik zum Vergleich heran, so ergibt sich ungefähr eine Verdreifachung des Entwicklungstempos in den begünstigten Gebieten im Verhältnis zu den Zonenrandgebieten.
Außerdem ist noch folgendes zu berücksichtigen. Natürlich ist auch das Stichdatum vom 30. September 1949 ein sehr willkürlich gewähltes Datum; denn gerade in der Zeit zwischen der Währungsreform und diesem Datum ist in den Zonenrandgebieten und in den Ländern am Eisernen Vorhang ein außerordentlicher Rückgang der Beschäftigung eingetreten. Mir stehen leider die Ziffern für die Notstandsgebiete allein nicht zur Verfügung, weil wir ja — und das ist auch eine sehr bedauerliche Tatsache — auf diesem Gebiet außerordentlich schlecht mit statistischem Material versorgt werden. Wenn ich einmal die Zahl für ganz
Bayern nehme, dann stelle ich fest, Herr Staatssekretär, daß sich z. 13. vom März 1949 bis März 1953 in ganz Bayern die Beschäftigtenzahl um weniger als 5 % erhöht hat, im Durchschnitt des Bundesgebietes dagegen um 25 %. Das sind also sehr große Unterschiede, und ich glaube, Ihre verhältnismäßig günstigen Daten haben zweifellos etwas mit einer gewissen Frisierung der Statistik zu tun.
Wenn Sie bestreiten, daß Abwanderungen in nennenswertem Umfang stattgefunden haben, wird es uns nicht schwerfallen, das zu widerlegen. Einer meiner Fraktionsfreunde wird Ihnen nachher im einzelnen dazu Material liefern. Ich glaube daher — insbesondere nach dem, was der Vertreter der FDP gesagt hat —, wir können hier im Hause allgemein davon ausgehen, daß die bisherige Methode, den Notstandsgebieten und den Zonenrandgebieten zu helfen, wirklich als unzureichend betrachtet werden muß. Die bisher angewendeten Einzelmaßnahmen haben nicht die Abwanderung verhindern können, und sie haben diese Gebiete nicht zu einer Wirtschaftsentfaltung bringen können, die auch nur annähernd mit der normalen Entwicklung in sonstigen Gebieten, z. B. am Rhein, verglichen werden könnte. Uns stellt sich ja gerade der unglückselige Sog vom Osten nach dem Westen als das entscheidende Problem dar, mit dem wir uns befassen müssen.
Wir sind nun der Meinung, daß wir hier mit Einzelmaßnahmen allein nicht mehr weitermachen können. In diesem Zusammenhang wundere ich mich ganz besonders über die Ausführungen, die der Vertreter der FDP, Herr D r. Drechsel, hier gemacht hat. Er hat sich für individuelle Maßnahmen ausgesprochen. Wir befürchten gerade bei nur individuellen Maßnahmen, daß dann sehr oft dem Untüchtigen geholfen wird, und mich wundert aufrichtig, daß dieser Gedankengang und diese Argumentation aus den Kreisen der FDP kommen.
Das ist um so erstaunlicher — ich weiß nicht, ob Dr. Drechsel sich dessen bewußt war —, als sich der Bundestag im Juli 1953 schon zu der Auffassung durchgerungen hatte, daß mit individuellen Maßnahmen allein nichts mehr zu machen ist. Vielmehr hieß es damals in der Entschließung, daß allen Betrieben im Zonengrenzgebiet mit gewissen steuerlichen Maßnahmen geholfen werden solle. Ich weiß nicht, ob sich die FDP mit dem, was Dr. Drechsel gesagt hat, von dem damaligen Beschluß distanzieren und nur zu individuellen Maßnahmen übergehen will.
Wir glauben auch — und daß hat mein Fraktionskollege Dr. Bleiß schon gesagt —, daß das ganze Problem der steuerlichen Förderung der Zonenrandgebiete gerade jetzt von uns behandelt werden muß, weil es zum Zeitpunkt der sogenannten Steuerreform am besten in Angriff genommen werden kann. Wir hoffen, daß ein wesentlicher Teil dieses Hauses mit uns zusammen versuchen wird, auch die Lösung dieses Problems im Rahmen einer echten Steuerreform vorwärtszutreiben.
Es ist nun von den Maßnahmen gesprochen worden, die der Bundestag im Juli beschlossen hatte, und es ist auch schon festgestellt worden, daß nur ein ganz bescheidener Teil davon von der Bundesregierung tatsächlich durchgeführt worden ist. Ich habe mit einem gewissen Staunen in dem Bericht des Herrn Bundeswirtschaftsministers in
Drucksache 534 gelesen, daß für diese sehr bescheidene Verwirklichung der Beschlüsse des Bundestags gerade auf steuerlichem Gebiet die angespannte Haushaltslage verantwortlich gemacht werden soll. Jeder, der die Steuergesetzvorschläge des Bundesfinanzministers sorgfältig gelesen hat, weiß aber, daß dort sehr erhebliche Zugeständnisse gemacht werden. Ich glaube deshalb, daß die Begründung, die der Bundeswirtschaftsminister gegeben hat, außerordentlich schlecht ist.
Wir haben nun einen Vorschlag gemacht, der in gewisser Beziehung, jedenfalls unter den Vorschlägen, die im Bundestag gemacht worden sind, neu ist. Wir haben eine wesentliche Herabsetzung der Umsatzsteuer für alle Betriebe der Zonengrenzgebiete vorgeschlagen. Lassen Sie mich einmal die zahlreichen sehr entscheidenden Vorteile, die ein solcher Vorschlag beinhaltet, aufzählen. Erstens wird dadurch den Betrieben im Zonenrandgebiet ein echter und allgemeiner Konkurrenzvorteil gegenüber den Betrieben außerhalb der Zonenrandgebiete gegeben. Sie können mit diesem Konkurrenzvorteil dann in einen echten Wettbewerb mit den Betrieben außerhalb des Zonenrandgebiets eintreten. Das ist doch das, was gerade Sie, meine Herren von den Koalitionsparteien, begrüßen müssen, und das ist nur möglich, wenn wir uns weitgehend von den individuellen Subventionen lösen.
Zweitens glaube ich, daß eine solche Maßnahme, die zu einer wesentlichen Erleichterung der finanziellen Lasten dieser Gebiete führt, auch eine allgemeine Belebung der Wirtschaftstätigkeit in diesen Gebieten zur Folge haben wird, eine Belebung, die sich zweifellos dann auch beim Steueraufkommen dieser Gebiete auswirken kann.
Drittens haben wir den großen Vorteil, daß Maßnahmen hinsichtlich der Umsatzsteuer sofort wirksam werden. Der Betrieb braucht nicht bis zu seiner Steuererklärung zu warten. Die Umsatzsteuerermäßigung ist vielmehr eine sofort wirksame Maßnahme. Sie ist insbesondere auch geeignet, die Kreditfähigkeit der Betriebe zu erhöhen.
Im Grundsatz ist das auch gar kein neuer Vorschlag. Einen ähnlichen Weg ist der Bundestag schon bei den Exportförderungsmaßnahmen und kürzlich bei den besonderen Förderungsmaßnahmen für Berlin gegangen. Es sollte uns also nicht sehr schwerfallen, uns nunmehr zur Realisierung dieses Vorschlages durchzuringen.
Ein besonderer Vorteil ist schließlich noch, daß von dieser Maßnahme, der Herabsetzung der Umsatzsteuer, gerade die notleidenden Gemeinden und die notleidenden Länder nicht betroffen werden. Das war ja gerade das besondere Problem, das bisher bezüglich der Gewerbesteuer so große Schwierigkeiten gemacht hat. Der Bund wird hier eine Gelegenheit haben, nun wirklich einmal selbst etwas zu tun und nicht nur immer die Länder und Gemeinden oder die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung zu eigenen Leistungen freundschaftlich zu ermutigen.
Nun zu den Bedenken, die teilweise hier schon geäußert worden sind oder noch geäußert werden können. Es ist mit Recht gesagt worden, daß die Frage der Abgrenzung des Gebietes ein Problem darstellt. Aus diesem Grunde haben wir in unserem Vorschlag die Ermächtigung der Bundesregierung eingebaut, das Gebiet zweckentsprechend abzugrenzen.
Über die Deckungsfrage hat mein Freund Dr. Bleiß schon einige Bemerkungen gemacht.
Selbstverständlich haben wir uns als verantwortungsbewußte Parlamentarier über diese Dinge Gedanken gemacht. Ich möchte dazu nur eins sagen. Es ist doch wirklich nicht einzusehen, warum man in einem Augenblick, in dem der Bundesfinanzminister sich entschließt, sehr erhebliche Steuererleichterungen zu bewilligen — er selbst hat sie ja bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer auf 2,3 Milliarden DM beziffert —, diesen Segen der Steuererleichterungen völlig gleichmacherisch auf die Bereiche unserer Wirtschaft mit verhältnismäßig kleinen Sorgen und auf die Bereiche mit sehr großen Sorgen verteilen will.
Ich glaube also — das ist überhaupt unsere Auffassung von einer konstruktiven Finanzpolitik —, daß sie es sich zum Ziel setzen sollte, eine gewisse Differenzierung der verschiedenen Wirtschaftsgebiete vorzunehmen.
Man könnte auch noch den Einwand erheben, daß mit einer solchen Steuer, die Erleichterungen für einen begrenzten Kreis von Betrieben bringt, technische Schwierigkeiten verbunden sein könnten. Ich möchte dieses Argument auch gleich widerlegen und Sie darauf hinweisen, daß noch bis zum Jahre 1950 für die Umsatzsteuer der Ort der Lieferung maßgebend war. Man braucht also nur zu den Methoden, die wir bis 1950 in den Notstandsgebieten angewendet haben, zurückzukehren, um die Schwierigkeiten, die man hier vielleicht vermuten könnte, zu beseitigen.
Das, was die Bundesregierung an Steuererleichterungen bisher effektiv durchgeführt hat, ist — das ist schon gesagt worden — außerordentlich bescheiden. In dem Bericht des Herrn Bundeswirtschaftsministers wird auf die Erleichterung der Stundung und des Erlasses hingewiesen. Meine Damen und Herren, jeder von Ihnen weiß doch ganz genau, daß solche Erleichterungen erst dann für einen Betrieb wirksam werden, wenn er sich in akuten wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindet. Mit einer solchen Maßnahme wird man wohl kaum jemanden in Zukunft in das Notstandsgebiet locken können.
Dann zu den Erleichterungen der Abschreibungen. Sie haben sehr wesentliche Nachteile. Es ist durchaus nicht sicher, daß die Konkurrenznachteile der Betriebe in den Zonenrandgebieten in der Mehrzahl der Fälle durch Neuinvestitionen beseitigt werden können. Von dieser Voraussetzung geht aber der Vorschlag aus. Ich könnte mir eine Menge von Fällen vorstellen, in denen die mangelnde Konkurrenzfähigkeit durchaus nicht nur durch Neuinvestitionen beseitigt werden kann.
Das zweite Argument: Wenn man die Betriebe in den Zonenrandgebieten nur begünstigen will, wenn sie investieren, dann kommen nur die Betriebe in Frage, die zumindest einen wesentlichen Teil dieser Neuinvestitionen aus eigenen oder fremden Mitteln finanzieren können. Das war aber bisher eines der entscheidenden Probleme. Wenn wir ferner in Zukunft zu einer Herabsetzung der Steuersätze kommen, dann wird die Förderung durch Abschreibungserleichterungen in ihrer Wirkung noch außerordentlich stark absinken.