Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion ver-
mag sich den Rechtsausführungen des Herrn Staatssekretärs, die soeben vorgetragen worden sind, in keiner Weise anzuschließen. Gerade der Schluß der Ausführungen von Herrn Staatssekretär Hallstein zeigt doch in seiner eigenen Argumentation das, was der Jurist ein venire contra factum proprium nennt,
d. h. einen Widerspruch in sich selbst. Denn wenn es wahr wäre, Herr Staatssekretär, daß die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers nur eine deklaratorische Bedeutung hätte, und wenn es wahr wäre, daß eine Berufung auf den alten Vertrag nicht mehr in Betracht käme, so wäre gar nicht einzusehen, welchen Schaden eigentlich die von uns vorgeschlagene Entschließung anrichten könnte.
Sie müssen also ein Interesse daran haben, daß diese Entschließung nicht gefaßt wird; sonst würden Sie nicht namens der Regierung bitten, ihr nicht zuzustimmen.
Aber auch sonst ist das, was Sie dargetan haben, in keiner Weise zutreffend. Zunächst einmal darf ich Sie an den Wortlaut dessen erinnern, was der Herr Bundeskanzler am 3. Juni 1953 anläßlich der Unterzeichnung des Abkommens erklärt hat. Es lautet wörtlich:
Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland wird sich nicht auf die Bestimmung des Art. I Abs. 4 des Freundschafts-, Handels- und Konsularvertrages zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 8. Dezember 1923 beruf e n.
Also ist doch vorausgesetzt, daß dieser Vertrag noch gültig war, auch gültig geblieben war; denn ich kann sinnvollerweise die Erklärung, daß ich mich auf etwas nicht berufen werde, nur dann abgeben, wenn das, worauf ich mich berufen könnte, noch vorhanden ist. Die Erklärung selbst ergibt, daß auch der Herr Bundeskanzler vom Fortgelten des Vertrages während der ganzen Zeit, insbesondere während des Krieges, ausgegangen sein muß. Andernfalls nämlich hätte man die Erklärung so formuliert — und Sie formulieren ja Erklärungen meistens ganz genau —, daß gesagt worden wäre, man sei sich darüber einig, daß der Vertrag während des Krieges nicht gegolten hätte und erst jetzt wieder in Kraft treten sollte. Das steht gerade nicht drin. Also die Erklärung selbst ergibt, daß es sich um einen Verzicht handelt, und zwar um einen Verzicht aus einem noch bestehenden Vertrage.
Am meisten erstaunt bin ich aber über das, was Sie dem Hohen. Hause als Inhalt des vom Supreme Court am 9. Juni 1947 gefällten Urteils vorzutragen den Mut haben. Ich habe die Originalausgabe des Urteils da und ,bin bereit, sie, wie man das so nennt, auf dem Tisch des Hauses niederzulegen. Das Urteil besagt zu dem Vertrage, und zwar zu dem Vertrage im ganzen und auch zum Art. IV genau das Gegenteil dessen, was Sie hier auszuführen beliebt haben.
Es wird als Leitsatz aufgestellt: Der Ausbruch
eines Krieges führt nicht notwendig zur Suspendierung oder Aufhebung von Vertragsvorschriften.
Das ist der Kern des Urteils, und dieser Kern des Urteils hat ja eine Vorgeschichte, nämlich die, daß während des ersten Weltkrieges schon, nach unserer Auffassung unter Verletzung der allgemeinen Vorschriften des Völkerrechts, leider eine amerikanische Gesetzgebung das deutsche Privateigentum in den Vereinigten Staaten angetastet hatte. Diese Vorgeschichte führte dazu, daß man erklärtermaßen durch den Vertrag vom Jahre 1923 der beiderseitigen Überzeugung Ausdruck geben wollte und sich auch dahin geeinigt hat: Wir wollen jetzt einen Freundschaftsvertrag machen, der Bestand haben soll, und zwar gerade auch für den Fall solcher kriegerischen Verwicklungen, wie sie 1914/18 bestanden haben. Aus dieser Vorgeschichte heraus ist schon zu ersehen, daß hier ein beständiges Vertragswerk beabsichtigt war.
Diese Frage kam dann im Jahre 1947 zur Entscheidung des Supreme Court, und zwar auf Grund einer gewissen Ironie der Rechtsgeschichte. Der Anlaß war nämlich der, daß in Kalifornien eine Erbschaft an einen deutschen Erbberechtigten nur unter der Voraussetzung fallen konnte, daß dem kalifornischen lokalen Recht nach der bekannten Supreme-Law-of-the-Land-Klausel in der Unionsverfassung der deutsch-amerikanische Freundschaftsvertrag vom Jahre 1923 vorging. Nur also, wenn jener Vertrag noch bestand, fiel die Erbschaft an einen Deutschen, und nur dann konnte der von der amerikanischen Regierung durch die Gesetzgebung — Verbot eines Handels mit dem Feind — eingesetzte Treuhänder an diese Erbschaft heran.
Es war also eine völlig umgekehrte Interessenlage. Man hatte damals in Amerika ein Interesse daran, zu behaupten, daß der Freundschaftsvertrag vom Jahre 1923 noch bestehe, und in dieser Situation fragte man beim amerikanischen Außenministerium an, wie sich das State Department zur Fortgeltung des Vertrages stelle. Der amtierende stellvertretende Außenminister, Mr. Joseph C. Grew, gab die amtliche Auskunft, daß das State Department ungeachtet des Krieges den Vertrag noch als in Geltung betrachte.
Diese Auskunft liegt dann auch dem Urteil des Supreme Court vom 9. Juli 1947 zugrunde, das zu dem Leitsatz geführt hat: Der Ausbruch eines Krieges führt nicht notwendig zur Suspendierung oder Aufhebung von Vertragsvorschriften. In der Begründung wird dann — ich kann es ungefähr wörtlich auf deutsch zitieren — gesagt: Wir — der Supreme Court — sind nicht der Meinung, daß die in der ergänzten Trading-with-the-Enemy-Act ausgedrückte nationale Politik mit dem durch Art. IV des Vertrages deutschen Ausländern garantierten Erbrechte unvereinbar ist. Es wird vor allen Dingen erklärt: Aber das Gesetz — nämlich dieses Gesetz über den Handel mit dem Feind — und die Durchführungsverordnungen zeigen nicht eine solche Feindlichkeit gegenüber dem Eigentum der Staatsangehörigen feindlicher Staaten, als daß sie implizieren würden, daß die Erwerbung von Eigentum durch deutsche Staatsangehörige mit der nationalen Politik in Konflikt steht. Im Grundsatz also, nicht bloß für die Frage des Erbfalles, hat der höchste amerikanische Gerichtshof zwei Sätze aufgestellt: den einen, daß der Krieg einen solchen Vertrag keineswegs außer Kraft setzt, und den andern, daß speziell dieser Vertrag und sein ganzer Art. IV in Geltung geblieben sind.
Sie haben sich dann darauf berufen, daß zahlreiche Urteile im übrigen die Gültigkeit der amerikanischen Beschlagnahme- und Liquidierungs-
gesetze bejaht hätten. Das ist bekannt, schließt ja aber nicht aus, daß gleichwohl dieser Vertrag bestand und daß jene Maßnahmen unter Verletzung des Vertrages erfolgten. Sie haben aber kein Urteil nennen können, welches dahin geht, daß dieser Vertrag während des Krieges nicht mehr in Geltung gewesen sei. Es stimmt also nicht, daß mit Ausbruch des Krieges der Freundschaftsvertrag suspendiert worden wäre, wie Sie behauptet haben.
Unter diesen Umständen kommt der Erklärung, die der Herr Bundeskanzler abgegeben hat, keine nur deklatorische Bedeutung zu. Es ist eine völlig unwirksame Erklärung, weil die Regierung durch einen einseitigen Akt und ohne Zustimmung des Parlaments sowie ohne Bevollmächtigung durch den Herrn Bundespräsidenten zum Erlaß von solchen Kabinettsordern oder allerhöchsten Entschließungen nicht befugt ist. Dies bürgert sich zwar heute immer mehr ein, steht aber mit dem Grundgesetz nicht im Einklang. Denn nach dem Grundgesetz vertritt allein der Herr Bundespräsident die Bundesrepublik Deutschland dem Auslande gegenüber, und er bedarf, um solche Angelegenheiten zu regeln, die Sache der Gesetzgebung sind, wie es hier die Frage des Eigentums ist, einer in Gesetzesform zu erteilenden Ermächtigung durch die gesetzgebenden Körperschaften. Infolgedessen ist die von dem Herrn Bundeskanzler am 3. Juni 1953 mündlich abgegebene Erklärung ohne Rechtsbedeutung.
Zuletzt haben Sie dann noch die Frage aufgeworfen, warum wir denn hier durch diese Maßnahmen den Freundschaftsvertrag wieder in Geltung setzen wollten, wenn er ungeachtet des Krieges noch gültig gewesen wäre. Sie wissen ganz genau, Herr Staatssekretär, daß das lediglich eine rhetorische Frage ist — um mich höflich auszudrücken —; denn wir haben z. B. auch die deutschen Auslandsschulden bestätigt, gerade weil wir von der Auffassung ausgingen und ausgehen, daß das Deutsche Reich mit sich identisch heute in Gestalt der Bundesrepublik Deutschland fort-existiert und es durchaus Veranlassung geben kann, eine solche Rechtsauffassung durch Bestätigungen bereits existierender Rechte und Pflichten geltender Verträge zum Ausdruck zu bringen. Auch hier besagt das Abkommen, dem wir gern zustimmen, ja lediglich, daß dieser Freundschaftsvertrag aus dem Jahre 1923 bestätigt wird und wir als der deutsche Staat uns aus diesem Vertrage berechtigt und verpflichtet fühlen.
Ich glaube, es ist nicht sehr schön, wie Sie es getan haben, letzten Endes aus der Kompliziertheit des von vier Besatzungsmächten gespaltenen Deutschlands zu argumentieren. Für uns ist Deutschland derselbe Staat, der es im Jahre 1923 war, und nach der eigenen Rechtsprechung der Amerikaner, ihres Supreme Court in Washington, ist der Vertrag jederzeit gültig geblieben. Der Herr Bundeskanzler ist nicht berechtigt, durch eine einseitige, vom Parlament nicht gebilligte und nicht ratifizierte Erklärung auf das Auslandsvermögen zu verzichten und damit vor allen Dingen auch unter Verletzung des Art. 14 des Grundgesetzes in private Rechte einzugreifen.