Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich Ihre Aufmerksamkeit zunächst noch einmal ganz kurz auf die Finanzreform und auf das Finanzreformwerk selbst lenke.
Als ich in diesen zweiten Bundestag eintrat, wurde ich sehr bald auf die Person meines verehrten Kollegen August Dresbach aufmerksam gemacht, und zwar in erster Linie auf seine Qualitäten und auf seine Rednergabe, nicht zuletzt aber auch darauf, daß es sich bei ihm um einen enragierten Zentralisten handle.
Ich muß sagen, daß dieser Verdacht durch seine heutigen Ausführungen in etwa bestätigt worden ist. Es haben sich darin tatsächlich einige böse zentralistische Mißtöne gefunden,
die fast an unseren Arbeitsvertrag rühren. Man würde juristisch, zivilrechtlich vielleicht davon sprechen, daß es sich um eine positive Vertragsverletzung handelt,.
also um eine Zuwiderhandlung gegen den Geist unserer Zusammenarbeit.
Ich halte aber unseren Kollegen Dr. Dresbach nicht für unverbesserlich, im Gegensatz zu einigen anderen Zentralisten,
die sich hier ganz unschamhaft, muß ich sagen — unschamhaft; ein stärkeres Wort darf ich nicht gebrauchen, es ist heute schon einmal gegen die Person des Herrn Bundesfinanzministers gerügt worden —, zum Zentralismus, also zu einer Irrlehre, bekennen.
Ich halte unseren Kollegen deswegen nicht für
unverbesserlich, weil er sich zum Schluß doch für
die Vorlage ausgesprochen und damit in etwa auch ihren föderalistischen Teil bejaht hat.
Außerdem hat er die Bundestreue Bayerns an- gesprochen. Das ist etwas, das wirklich einer Erwähnung wert ist.
Denken Sie doch bitte an die Gründung des Bismarckschen Reiches! Welchen hervorragenden Anteil hat damals Bayern am Zustandekommen dieses Bundes gehabt! Oder nehmen Sie ein praktisches Beispiel aus der jüngsten Gegenwart, das an den praktischen Teil der ganzen Geschichte, nämlich den Geldbeutel, rührt. Wir haben nach dem Zusammenbruch 1945 als armes Land einen sehr großen Teil von Heimatvertriebenen und Evakuierten aufgenommen und behalten, während es Zentralisten gegeben hat, die sich ganz vornehm, ich möchte fast sagen: separatistisch vornehm in dieser Ausgleichsfrage zurückgehalten haben.
Das nur nebenbei.
Zu dem Auftrag, der uns durch die Verfassung gegeben ist, stehen wir auf dem Standpunkt, daß jetzt unbedingt gehandelt werden muß, daß wir das Werk in Angriff nehmen und in der vorgeschriebenen Zeit auch zu Ende führen müssen. Ich habe durchaus Verständnis dafür — man muß das auch von der Gegenwart aus in die Vergangenheit hinein sagen —, daß der Beschluß des ersten Deutschen Bundestages, die Frist zu verschieben, richtig war. Damals waren die Grundlagen noch nicht erarbeitet, um die Aufgabe in ihren Grenzen und in ihrer ganzen Bedeutung übersehen zu können. Heute dürfen wir uns dieser Aufgabe nicht mehr versagen. Das Volk als Ganzes, der Bund und die Länder, alle zusammen möchten und müssen eine finanzielle Ordnung haben, und es ist unsere Pflicht und unsere Aufgabe, es ist nicht nur verfassungsmäßig geboten, sondern es ist auch praktisch so weit, daß wir diese Aufgabe erledigen können.
Dabei handelt es sich keineswegs darum, etwas Endgültiges zu schaffen. Dieser Begriff „endgültig", der sich auch in der Verfassung findet, meiner Ansicht nach zu Unrecht, ist schon wiederholt angesprochen worden. Auf dem Gebiet des Finanzwesens gibt es überhaupt nichts Endgültiges. Wir werden immer in der Entwicklung bleiben. Aber wir sind heute so weit, daß wir eine praktische Zwischenlösung schaffen können, und auf diese sollen wir nicht verzichten. Wir sollen sie nicht neuerdings hinausschieben, sondern sie jetzt erledigen.
Wir sind der Meinung, daß das Gesetzeswerk, das der Bundesfinanzminister vorgelegt hat, ein großer Wurf, eine bedeutende Arbeit ist, die meiner Ansicht nach überhaupt mit zum Besten in unserer deutschen Finanzgeschichte gehört. Sie eignet sich auch durchaus zur praktischen Durchführung. Von der Brillanz der Begründung, die schon wiederholt hervorgehoben worden ist, möchte ich gar nicht sprechen. Genau die gleichen brillanten Züge zeigen sich auch in den politischen und finanztechnischen Lösungsversuchen, die uns vorgelegt werden.
Ich teile durchaus nicht die Meinung, daß man diese beiden Gesetzesvorlagen trennen könnte. Es ist schon eine ganze Reihe von ausgezeichneten sachlichen Gründen vorgetragen worden, die für
die Gemeinsamkeit dieser beiden Vorlagen sprechen. Ich schließe mich ihnen an. Wer will denn die Verantwortung auf sich nehmen, eine Steuerreform von diesem erheblichen Ausmaß mit ihren ungeheuren Auswirkungen auf den Haushalt des Bundes, der Länder und mittelbar auch der Gemeinden auf sich zu nehmen, ohne gleichzeitig die Neuordnung des gegenseitigen Verhältnisses durchzuführen? Das wäre eine Halbheit, die wir uns nicht zuschulden kommen lassen dürfen.
Nun hat sich heute bei der ganzen Debatte herausgestellt, daß jedes Gespräch über eine Finanzreform in erster Linie ein Gespräch über den Föderalismus ist. Dieser Föderalismus wurde hier sehr eifrig erwähnt. Vor allem wurden wir Bayern angesprochen. Es freut mich sehr, daß in unseren Reihen wir die echtesten, unverdorbensten Föderalisten sind.
Ich bin aber der Meinung, daß es durch alle Fraktionen hindurch noch einige solcher unverdorbener Gemüter geben muß.
Es gibt noch etwas Interessantes. Es gibt auf diesem Gebiet einen Wechselbalg. Wir haben hier Unitaristen, die zu Hause in der gleichen Person oder in ihren Genossen Föderalisten sind.
Was unter gar keinen Umständen möglich ist, ist, daß man die Frage des Föderalismus mit Mark und Pfennig und mit dem Rechenschieber behandelt. Das sind Dinge, die weit darüber hinausgehen und viel tiefer liegen. Ich muß sogar sagen: selbst wenn der Föderalismus teurer wäre — aber das ist noch niemals bewiesen worden —, müßten wir absolut zu ihm stehen, weil wir auch auf anderen Gebieten bedeutende staatspolitische Werte und Leistungen vielfach bezahlen müssen.
Das ist ja schließlich die Aufgabe der Politiker. Aber er ist ja gar nicht teurer, und Sie haben das bis heute noch nicht nachweisen können, Herr Gülich.
Wir haben auch verschiedene Kollegs über uns ergehen lassen müssen. Ausgesprochene Zentralisten haben sich hier als Lehrer des Föderalismus aufgeworfen. Ich glaube, man müßte die Lehrbefähigung dieser Herren einmal nachprüfen. Sie haben ja gar kein inneres Verhältnis — —
— Sie haben kein inneres Verhältnis dazu, Herr Gülich, und können deshalb hier kein Dogma aussprechen, wie es geschehen ist.
Weil — ich wiederhole es — der Finanzausgleich und die Finanzreform in erster Linie ein föderalistisches Thema sind, sind wir darauf bedacht, jede Vorschrift in diesem großen Gesetzeswerk auf ihre föderalistische Tragbarkeit und Gründlichkeit hin zu prüfen. Es ist ganz klar, daß in einem so umfangreichen Gesetzeswerk sich die eine oder andere Vorschrift befindet, die dem Schmarotzer Zentralismus, der sehr zählebig ist und der in den kleinsten Lücken sich entwickeln kann, Anhaltspunkte gibt. Die wollen wir beseitigt haben. Eine derartige Gefahr finden wir z. B. in der Vorschrift des neuen Art. 106 d, wie er uns vorgetragen worden ist. Wir
haben in den vorausgegangenen Art. 106 a bis c eine strenge Dreiteilung zwischen bundeseigenen, landeseigenen und gemischten Steuerquellen. In Art. 106 d findet sich nun die Vorschrift, daß bei Änderung einer derartigen Steuer sie nur dann wieder in die gleiche Schublade zurückfällt, wenn sie einen gleichwertigen Ersatz darstellt. Das ist nun eine außerordentlich gefährliche Geschichte. Es könnte auf einmal — wir haben solche Dinge schon im engeren Kreise besprochen — durch eine andere Steuertechnik eine Schublade zugunsten der anderen ausgeleert werden. Ich glaube, in den Ausschußberatungen muß man Möglichkeiten einbauen, um es dem Bundesgesetzgeber in dieser Hinsicht nicht allzu leicht zu machen.
Mit der Revisionsklausel sind wir im Prinzip einverstanden. Wir halten sie sogar für das föderalistische Kernstück, und wenn sie sich nur auf die Revision beschränkt hätte, hätten wir gar nichts dagegen einzuwenden. Aber sie hat noch einen Appendix, einen Blinddarm, der meiner Ansicht nach wegoperiert werden muß. Schon im Text werden Einschränkungen gemacht. Es werden Gummiparagraphen eingeführt, die erhebliche Gefahren vom föderalistischen Standpunkt aus begründen. Vor allem die Begründung selbst zu dieser Gesetzesbestimmung beweist, daß man Unterschiede macht zwischen vermögenswirksamen und vermögensunwirksamen Ausgaben. Selbstverständlich ist der Unterschied berechtigt.
— Passen Sie nur auf, lassen Sie mich ausreden! Es ist ein Unterschied, der vor allem zu Lasten der Länder gehen muß. So, wie die Situation jetzt ist, ist es klar, und zwar weil es schon mit der Aufgabenverteilung zusammenhängt, daß die Länder im Sinne der Begründung mehr vermögenswirksame Ausgaben haben als der Bund, obwohl wir da auch eine andere Rechnung aufmachen könnten.
Nun werden aber diese vermögenswirksamen Ausgaben, Ausgaben ohne Ertrag oder, ich möchte sagen, wirtschaftlich oder erwerbsmäßig gesehen unrentable Ausgaben wie Ausgaben und Anschaffungen für Straßen, Schulen usw. mit eingerechnet. Nun sagt man: Wenn da einmal ein Revisionsantrag gestellt werden soll von einem Lande, dann müßten zunächst die Budgets verglichen werden, und es müßte eine Reinigung der Budgets stattfinden. Die Länderbudgets müßten von all diesen vermögenswirksamen, aber auch von diesen verwaltungsmäßigen vermögenswirksamen Ausgaben gereinigt werden; dann erst hätten sie einen wirksamen Revisionsanspruch. Darin liegt eine Gefahr, und zwar eine außerordentliche. Wir werden uns mit Nachdruck bemühen, sie im Ausschuß zu beseitigen.
Nicht anders ist es bei der Sicherungsklausel, an und für sich eine ganz selbstverständliche Angelegenheit, weil sie nur der Ausdruck für den föderativen Aufbau unseres Staatswesens ist.
In diesem Zusammenhang darf ich vielleicht folgendes sagen. Ich finde es merkwürdig, daß man von diesem Platze aus ein Bekenntnis zum Zentralismus ablegen kann. Ich bin der Meinung, daß der Föderalismus nicht nur eine einfache Verfassungsbestimmung, sondern überverfassungsmäßiges Recht ist, das wir selbst mit Zweidrittelmehrheit nicht beseitigen könnten.
Wir haben eine ganze Menge von solchen Bestimmungen.
Aber jetzt zurück zum eigentlichen Thema. Auch in der Sicherungsklausel finden sich einige Einschränkungen, die meiner Ansicht nach in der Ausschußberatung fallen müssen.
Was nun das Finanzanpassungsgesetz betrifft, so sind wir der Meinung, daß wir diesen Teil der Vorlage auch sehr gründlich prüfen müssen, weil sich darin ein erheblicher materieller Teil des Finanzausgleichs, und zwar in vertikaler Richtung, befindet. Es müssen die finanziellen Auswirkungen bis zum letzten zu Ende gedacht werden; wir dürfen hier nicht etwas versäumen, was sich am Schluß dann zu Lasten der gleichberechtigten Gliedstaaten auswirken müßte.
Was den horizontalen Finanzausgleich anlangt, so bin ich der Meinung, daß wir ihn absolut bejahen müssen. Da habe ich mir den Vorwurf — nicht persönlich, sondern ganz allgemein wegen der Theorie — des verehrten Kollegen Dr. Dresbach zugezogen, der ja auch ein Kolleg über den Föderalismus gehalten hat, obwohl er Zentralist ist bzw. sich vielleicht jetzt schon in einem Mittelstadium befindet.
Er hat vorgetragen, daß es eine Sünde gegen den echten Föderalismus wäre, wenn man einen horizontalen Finanzausgleich zu Lasten der wohlhabenderen Länder durchführen würde. Das wäre eine Nivellierung, und man müßte die Armut stolz tragen. Das wäre echter Föderalismus. Ich habe den schweren Verdacht, daß hier nicht nur eine Theorie spricht, sondern der Umstand, daß unser Kollege Dresbach einem sehr wohlhabenden Vaterland angehört, das abgeben muß. Vielleicht spielt das in seinem Unterbewußtsein eine gewisse Rolle.
Ich bin der Meinung, der Föderalismus bleibt in seinen Prinzipien ständig derselbe; aber er wandelt sich in seinen Methoden. Ich glaube, daß es eine Art geläuterten Föderalismus gibt. Früher hat man in einem Bundesstaat den Föderalismus wegen der Gliedstaaten in erster Linie auf die Gliedstaaten als Ganzes, auf ihre staatsrechtliche Ausstattung bezogen. Heute muß man den Föderalismus weiter erstrecken. Man muß — und so ist die Entwicklung gegangen, und der Föderalismus muß das in seiner praktischen Ausgestaltung mitmachen — das Schicksal, die Lebensumstände und den Lebensstandard des einzelnen Bürgers mit berücksichtigen. Aus dieser Fortentwicklung des Föderalismus, aus dem geläuterten Föderalismus heraus, und nicht aus Vorteilssucht — vom bayerischen Standpunkt aus gesehen werden wir nicht allzu viele Vorteile daraus ziehen — bejahen wir dieses Prinzip.
Ich darf zum Schluß kommen und erklären, daß wir die ganze Gesetzesvorlage in allen ihren Teilen als eine ausgezeichnete Diskussions- und Arbeitsgrundlage betrachten, die wir, was uns betrifft, mit allem Nachdruck innerhalb der gesetzlichen Frist zur Verabschiedung bringen wollen, damit unsere junge Bundesrepublik von dieser Seite von Sorgen befreit wird und sich den vielen andrängenden anderen Aufgaben mit einer finanziell besseren Ausstattung, mit einem finanziell und finanzpolitisch besseren Ertrag zuwenden kann.