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ID0202900800

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    2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954 1313 29. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954. Geschäftliche Mitteilungen . . . 1314 A, 1372 C Glückwünsche zu Geburtstagen der Abg. Dr. Brönner, Schäffer, Frau Niggemeyer, Mühlenberg 1314 B Beschlußfassung des Deutschen Bundesrats zu Gesetzesbeschlüssen des Deutschen Bundestags 1314 B Mitteilung über Vorlage des Entwurfs einer Verordnung über Preise für Zuckerrüben der Ernte 1953, des Entwurfs einer Zweiten Verordnung zur Verlängerung der Verordnung über die Beimischung inländischen Rüböls und Feintalges, der Übersicht über die über- und außerplanmäßigen Haushaltsausgaben für das 3. Vierteljahr des Rechnungsjahres 1953 (Drucksache 525) 1314 C Mitteilung über Beantwortung der Kleinen Anfrage 53 betr. Verheizen von Zigarillos (Drucksachen 454, 521) 1314 C Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung der Finanzverfassung (Finanzverfassungsgesetz), des Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern an die Finanzverfassung (Finanzanpassungsgesetz) und des Entwurfs eines Gesetzes über den Finanzausgleich unter den Ländern (Länderfinanzausgleichsgesetz) (Drucksache 480) in Verbindung mit der Ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung von Steuern (Drucksache 481), mit der Ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Erhebung einer Abgabe „Notopfer Berlin" (NOG 1955) (Drucksache 482), mit der Ersten Beratung des Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes (Drucksache 483), mit der Ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über eine Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und zur Körperschaftsteuer (Drucksache 484) sowie mit der Beratung des Antrags der Fraktion der FDP betr. Inkrafttreten der Steueränderungsgesetze (Drucksache 280) 1314 C Schäffer, Bundesminister der Finanzen 1315 A Dr. Dresbach (CDU/CSU) 1323 A Dr. Gülich (SPD) 1328 B Neuburger (CDU/CSU) 1334 A Seuffert (SPD) 1341 B Dr. Eckhardt (GB/BHE) 1352 B Dr. Wellhausen (FDP) 1358 C Höcherl (CDU/CSU) 1366 A Eickhoff (DP) 1368 C Tenhagen (SPD) 1370 D Überweisung der Vorlagen an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen, an den Ausschuß für Kommunalpolitik und an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik, der Vorlagen Drucksachen 481, 482, 483 und 484 außerdem an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik und des Gesetzentwurfs Drucksache 482 außerdem an den Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen 1371 D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Preise für Getreide inländischer Erzeugung für das Getreidewirtschaftsjahr 1954/55 sowie über besondere Maßnahmen in der Getreide- und Futtermittelwirtschaft (Getreidepreisgesetz 1954 / 55) (Drucksache 524) 1372 C Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 1372 C Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung über den Antrag der Fraktion der SPD betr. Vereinfachung der Grenzformalitäten für Reisende (Drucksachen 499, 198) 1372 C Rücküberweisung an den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung und Überweisung an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten . 1372 C Nächste Sitzung 1372 D Berichtigungen zu den Stenographischen Berichten der 25. und der 28. Sitzung . 1372 Die Sitzung wird um 9 Uhr 7 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Schmid eröffnet.
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    Berichtigungen zum Stenographischen Bericht der 25. Sitzung In der Zusammenstellung der namentlichen Abstimmung ist zu lesen: Abstimmung 1. 2. Seite 1038 D Zeile 10 von unten: Frau Welter (Aachen) entschuld. entschuld. Seite 1039 B Zeile 8: Frenzel krank krank Seite 1040 B Zeile 7 von unten: Rademacher krank krank Seite 1041 C Zeile 4 von unten: Hübner Ja Ja Berichtigung zum Stenographischen Bericht der 28. Sitzung Seite 1207 A Zeile 14 ist nach Krammig statt „(SPD)" zu lesen: (CDU/CSU).
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    Rede von Dr. Wilhelm Gülich


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesfinanzminister hat in der Regierungserklärung vom 11. März gesagt, daß es sich bei den uns vorliegenden Drucksachen um „Gesetzgebungswerke von wahrhaft großer, ja vielleicht geschichtlicher Bedeutung" handle. Das waren stolze Worte; heute war er in der Wahl seiner Worte schon ein wenig vorsichtiger.
    Der Herr Kollege Dresbach hat ja eben die Verhältnisse unserer Finanzverfassungsart charakterisiert, und ich kann auf manches, was ich sagen wollte, verzichten, weil ich eine so schöne Einigkeit feststelle, die hoffentlich ein gutes Vorzeichen für die Verhandlungen im Finanz- und Steuerausschuß sein wird.
    Was gibt denn nun Anlaß zu dieser Reform? Seit Jahren gibt es heftige Auseinandersetzungen unter den Ländern der Bundesrepublik um einen horizontalen Finanzausgleich nach Art. 106 Abs. 4 des Grundgesetzes und einen heftigen Streit der Ländergesamtheit — in diesen Momenten, Herr Dresbach, bilden die Länder ja eine wahre Brüderschaft — gegen einen horizontalen Finanzausgleich nach Art. 106 Abs. 3. Am 9. April dieses Jahres kam es im Bundesrat zu einem offenen Konflikt zwischen dem Bundesfinanzminister und dem Bundesrat. Es fielen dann Worte von Verfassungskrise und von Staatskrise.
    Worin bestehen nun eigentlich die Schwierigkeiten, die weiteste Kreise der deutschen Bevölkerung an der Richtigkeit unserer demokratischen Staatsordnung verzweifeln lassen? Die Länder sind mit Ausnahme Bayerns keine historisch gewordenen Staatsgebilde und haben deshalb auch mit Ausnahme von Bayern kein historisch gewachsenes Staatsgefühl. Die Länder sind 1946 von den Besatzungsmächten ad hoc nach Militärverwaltungsgesichtspunkten gegründet und abgegrenzt worden.

    (Abg. Arnholz: Schon durch Napoleon!)

    Ziel der alliierten Politik war — und wir müssen uns dessen heute erinnern, wenn wir an ein großes Reformwerk herangehen wollen —, Deutschland für immer zu schwächen, die Deutschen untereinander auf Grund des deutschen Erbübels partikularistischer Bestrebungen zu entzweien und insbesondere jegliche Zentralgewalt zu beseitigen. Als eine der stärksten Kraftquellen des Reiches sah man seine wohlfunktionierende Reichsfinanzverwaltung an, die 1919 nach einem verlorenen Krieg zur Stärkung dieses armen, darniederliegenden deutschen Volkes von Erzberger erdacht und von der Weimarer Nationalversammlung eingeführt wurde. Die Weimarer Nationalversammlung wußte, was zur Zusammenfassung der Kräfte not tat. Die Alliierten wußten 1946 infolgedessen auch, was zur Zerschlagung der deutschen Kraft notwendig war. 1949 wurde — auch das wollen wir nicht vergessen — als Ergebnis des inzwischen ausgebrochenen amerikanisch-russischen Konflikts in den westlichen drei Besatzungszonen die Bundesrepublik gegründet. Und nun kommen wir her und machen aus dieser Not der Besatzungsjahre eine Tugend,

    (Richtig! beim GB/BHE)

    nun erklären wir, diese Länder, die da ad hoc und
    zufällig nach Autobahngesichtspunkten und was
    weiß ich geschaffen worden sind, seien echte Länder, welche Glieder einer Föderation sein könnten!

    (Sehr gut! beim GB/BHE.)

    Das ist der politische Ausgangspunkt, den wir bei der kritischen Betrachtung des vorliegenden Reformwerks nicht außer acht lassen dürfen.

    (Sehr richtig! bei der FDP.)

    Das Reformwerk enthält mit den ausführlichen Begründungen, Berechnungen, Tabellen, der Stellungnahme des Bundesrats und der Antwort der


    (Dr. Gülich)

    Bundesregierung 422 eng bedruckte DIN A 4-Seiten. Rechnen Sie für die Lektüre — sie liest sich ja nur an einigen Stellen wie ein Roman, aber teilweise liest sie sich tatsächlich wie ein Roman, wie ein guter Roman — zehn Minuten pro Seite, dann brauchen Sie volle 70 Stunden, um dieses Werk durchzuarbeiten. Sind Sie vorzüglich in der Materie zu Hause und außerdem mit der Korfschen Brille ausgestattet, können Sie also diagonal lesen, dann brauchen Sie doch 35 bis 40 Stunden als Minimum für die Lektüre dieses Werkes.
    Die historischen Darlegungen — ich gebe Kollegen Dresbach in allem, was er hierzu gesagt hat, vollkommen recht — sind ausgezeichnet, die Berechnungen sind gut, die Überlegungen sind scharfsinnig. Aber eines habe ich bei Ihnen vermißt, Herr Dresbach. In der Begründung zu den Reformwerken sieht man, wieviel klare Erkenntnis von der Fehlerhaftigkeit unserer Finanzverfassung vorhanden ist, die implizite bei der gesamten Begründung, explizite an manchen Stellen zum Ausdruck kommt, so daß ich also doch sagen muß: das Bundesfinanzministerium ist ein bißchen besser als sein Ruf in bezug auf die Erkenntnis vom Übel unserer Finanzverfassung. Es ist sehr interessant: wenn man in diesen Begründungen scharfe und klare Darlegungen liest, die so gehalten sind, daß man glaubt, jetzt kommt „also müssen wir die Sache ändern", dann folgt der schöne Satz:,, Dennoch hat sich die Bundesregierung entschlossen, das so oder so beizubehalten", nämlich den alten Schlendrian weiterzumachen,

    (Heiterkeit und Beifall links und bei der FDP)

    ja um Gottes willen nichts zu ändern, weil die Bundesregierung glaubt, dem föderalistischen Gedanken zu dienen. Sie dient ihm nicht — ich werde das noch ausführen —, sie schadet ihm.
    Wir wollen zunächst einmal betrachten, was im Reformwerk geregelt ist, und dann überlegen, was im Reformwerk nicht geregelt ist. Ich kann mich in diesem Punkt ziemlich kurz fassen, weil ich nichts von dem wiederholen möchte, was Kollege Dresbach gesagt hat.

    (Abg. Dr. Dresbach: Es war gut, daß Sie mich vorließen! — Heiterkeit.)

    — Ich habe Sie gerne vorgelassen, da Sie mich darum gebeten hatten. Ich bin nun in der unglücklichen Lage, Ihnen eigentlich nur zustimmen zu können.

    (Heiterkeit.)

    Es wäre ja viel netter gewesen, wir wären in ein ordentliches Gespräch gekommen, welches von verschiedenen Gesichtspunkten ausgeht.

    (Erneute Heiterkeit.)

    Daß die größte Oppositionspartei und die größte Regierungspartei sich in dieser Grundfrage einig sind, ist frappierend. Das heißt, wenn wir uns nachher im genauen die Sache ansehen, Herr Dresbach, dann wird die Einigkeit ja nicht so groß sein; denn der Herr Bundesfinanzminister gehört ja schließlich auch zu dieser größten Regierungspartei, wenn auch zu ihrem königlich-bayerischen Flügel.

    (Große Heiterkeit.)

    Ich will also die Artikel 106 a und b im einzelnen nicht erörtern. Nur, Herr Bundesfinanzminister, daß Sie da einfach den Begriff der Finanzmonopole in Art. 106 eingeschmuggelt haben, damit sollen Sie nicht durchkommen. Im alten Art. 106 stand: „der Ertrag der Monopole"; in den Art. 105 und
    108 steht „Finanzmonopole" in ganz anderem Zusammenhang. Nein, damit lassen wir Sie nicht
    durch! Ich werde das im Ausschuß näher ausführen.
    Neu ist der Begriff der gemeinschaftlichen Steuern, die Erklärung der Einkommen- und Körperschaftsteuer zu einer gemeinschaftlichen Steuer in Art. 106 c. Allerdings geht der Entwurf auch hier nicht bis zum Ende. Er hat den Begriff nicht zu Ende gedacht und hat die Konsequenzen, die man aus der gemeinschaftlichen Steuer ziehen müßte, nicht gezogen. Er hat sich damit begnügt, den Begriff zu statuieren, das Verhältnis 40 zu 60 festzulegen und eine Ergänzungsabgabe einzuführen. Ich frage Sie: Wo in aller Welt wird über die Verteilung einer Steuer ein Prozentsatz in der Verfassung festgelegt?
    Was haben Sie überhaupt alles hineingebracht! Der Art. 106 hatte bisher vier ordentliche Absätze. Der erste regelte die Bundeszuständigkeit, die Steuerertragshoheit des Bundes für Zölle, Umsatzsteuer und Verbrauchsteuern mit Ausnahme der Biersteuer. Der Abs. 2 regelte die Landessteuern, und der Abs. 3 gab die Möglichkeit zu einem vertikalen Finanzausgleich, von der unter gewaltsamer Interpretation dieses Abs. 3 in den letzten Jahren Gebrauch gemacht worden ist. Abs. 4 regelte den horizontalen Finanzausgleich. Aber die Festlegung des Bundesanteils mit 40 zu 60 und die Einführung der Ergänzungsabgabe sind des Pudels Kern des gesamten Reformwerkes. Ein großer Aufwand wird vertan, um zu verdecken, daß die gesamte Finanzverfassungsreform, so wie sie dem Herrn Bundesfinanzminister vorschwebt, nichts anderes als die unzulängliche Regelung des Finanzausgleichsproblemes darstellt. Das ist für eine Finanzverfassungsreform, die mit so großen Worten angekündigt worden ist, ein bißchen mager.
    Das Ziel einer solchen Reform, und zwar hier einer Reform der Steuerertragshoheit, müßte doch sein, die Steuern dahin zu geben, wohin sie steuerwirtschaftlich tendieren. Demnach dürfen Landessteuern nur solche Steuern sein, die an das Land gebunden sind. Steuern, die überlandlichen Charakter haben, müssen Bundessteuern sein. Hier fehlt im Gesetzestext — nicht in den Begründungen — des Reformwerkes jede Überlegung, obgleich auf dem Gebiet fast aller Steuern, die als Landessteuern deklariert sind, trübe Erfahrungen der letzten Jahre vorliegen, seitdem die einheitliche Reichsfinanzverwaltung zerschlagen ist. Steuersystematisch müssen z. B. die kleinen Verkehrsteuern, etwa die Versicherungsteuer und die Kapitalverkehrsteuern, ihres überregionalen Charakters wegen ebenso behandelt werden wie die Umsatzsteuer. Sie müssen also dem Bund zufließen. Dasselbe gilt in gewissem Grade für die Erbschaftsteuer. Hier tauchen zahlreiche Probleme auf, wenn der Erblasser in dem einen, der Erbe in dem anderen Lande lebt oder wenn der Erbe eine Körperschaft ist. Bei der Vermögensteuer z. B., die Landessteuer ist, fallen Steuerobjekt und Steuergläubiger auseinander. Steuerobjekt ist das Vermögen, Steuergläubiger aber nicht das Land, in dem sich das Vermögen befindet, sondern das, in dem der Eigentümer seinen gesetzlichen Wohnsitz hat. Die bisherige Regelung — ich will deren Kompliziertheit nicht weiter ausführen — war aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung innerhalb der alten Reichsfinanzverwaltung richtig. Jetzt behält man diese Regelung aus Gründen der Verwaltungskomplizierung bei.


    (Dr. Gülich)

    Nota bene: Die Vermögensteuer wird auch im Katalog des Art. 106 b als Landessteuer bestätigt. Im Finanzanpassungsgesetz wird dann ganz schlicht gesagt, daß die Vermögensteuer für 25 Jahre dem Lastenausgleichsfonds zufließen soll, wenigstens bis zum Aufkommen von 1785 Millionen DM, was ja bisher noch nicht erreicht worden ist.
    Also wohin man schaut, findet man Unklarheiten und stellt fest, daß das Reformwerk im Gesetzgebungstext nicht zu Ende gedacht ist. Ich habe das eben nur angedeutet; der Finanz- und Steuerausschuß wird sich damit noch eingehender zu befassen haben. Gibt man Steuern von überregionaler Bedeutung dem Bund, dann sollte man, solange wir Bund und Länder haben, den Ländern einen angemessenen Teil der Umsatzsteuer geben. Die Gründe, warum die Länder, zum mindesten gewisse Länder, dies nicht wollen, hat der Kollege Dresbach zutreffend angedeutet.
    Noch ein Wort zur Ergänzungsabgabe. Die Wirkungen der Steuerreform — Drucksache 481 — werden ja zum Teil durch die Einführung der Ergänzungsabgabe wieder aufgehoben, die in Wirklichkeit ein Zuschlag zur Einkommen- und Körperschaftsteuer ist, steuersystematisch aber eine neue Steuer darstellt, und zwar einseitig für den Bund. Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: ich begrüße es selbstverständlich, daß nicht auch die Möglichkeit einer Ergänzungsabgabe für die Länder vorgesehen ist, obgleich sie systematisch und logisch hier hineingehörte. Würden wir aber eine Ergänzungsabgabe für die Länder schaffen, dann wären die reichen Länder in der Lage, auf die Erhebung einer solchen Ergänzungsabgabe zu verzichten, könnten aber einen Druck auf die armen Länder ausüben, ihre ohnehin schon kleine Steuerkraft noch stärker zu strapazieren. Insofern begrüßen wir den Entwurf.
    Das Komische bei der ganzen Geschichte aber ist doch, daß der Bundesfinanzminister die Inanspruchnahme verfassungsrechtlich festlegen und dann noch eine Ergänzungsabgabe einführen will. Ist das nicht ein gewisser Widerspruch in sich? Man kann entweder das eine oder das andere tun.
    Ach, der Herr Bundesfinanzminister sprach so nett von den „unschönen Verhandlungen" zwischen dem Bund und den Ländern. Der Herr Kollege Dresbach sprach ein bißchen realistischer von Viehhandelsgeschäften, um die Art der unschönen Verhandlungen etwas genauer zu charakterisieren. Ich möchte Sie doch mal fragen, Herr Kollege Dresbach: Glauben Sie denn wirklich, daß bei der Verabschiedung dieser Gesetze die unschönen Verhandlungen aufhören oder daß nicht vielmehr sofort im nächsten Jahre über die Revisionsklausel wieder „unschön" verhandelt werden wird? Glauben Sie nicht, daß im nächsten Jahre diese oder jene Bundesaufgabe kommen und neue Verhandlungen mit den Ländern nötig machen wird? Ich möchte fragen: Glaubt der Herr Bundesfinanzminister denn wirklich daran, daß das aufhören wird, oder hofft er es nur? Ich glaube, er hofft nur. Ich prophezeie nicht gern; in diesem Falle kann ich es: Die Hoffnung wird zuschanden werden.

    (Abg. Dr. Dresbach: Herr Gülich, ich habe die Revisionsklausel als einen schwachen Punkt bezeichnet!)

    — Sie ist ein schwacher Punkt!
    Die Ergänzungsabgabe bedeutet eine unmittelbare Zugriffsmöglichkeit auf eine direkte Steuer.
    Damit lebt ein alter Kampf wieder auf. Die Ergänzungsabgabe hindert aber den Bund auch, was wir nicht übersehen wollen, daran, leichtfertig eine Erhöhung der indirekten Steuern vorzuschlagen. Das ist ein Vorteil.
    Nun ein Wort zu Art. 106 f, der die neue Form des horizontalen Finanzausgleichs statuiert. Wenn wir uns über Finanzausgleichsprobleme unter den Ländern unterhalten, müssen wir uns daran erinnern, wie diese Länder 1946 aussahen. Damals wirkten sich noch krasse Unterschiede in der Agrarproduktion aus, so daß beispielsweise in Nordrhein-Westfalen oder in Hamburg Hungersnot herrschte, während in gewissen anderen Ländern, z. B. in Bayern, relativ gute Ernährungsmöglichkeiten waren. Auch die verschiedenen Ausstattungen mit Industriekapazität wirkten sich zu jener Zeit noch krasser für die unmittelbare Versorgung der Bevölkerung aus.
    Wir haben nach wie vor eine krasse Unterschiedlichkeit zwischen Bevölkerungszahl und Wirtschaftskapazität und damit zwischen der Wirtschaftskraft und der Steuerkraft der einzelnen Länder. Das Steueraufkommen pro Kopf der Bevölkerung ist im reichsten Land der Bundesrepublik etwa fünfmal so groß als im ärmsten. Das ärmste Land Schleswig-Holstein liegt mit seinem Steueraufkommen pro Kopf etwa bei 50 % des Bundesdurchschnitts. Die wohlhabenden Länder liegen bei 140 %. Das sind wirklich ganz unmögliche Zustände. Die Wirtschaft in den Ländern wird immer unterschiedlicher. Die Entwicklung geht dahin, daß die westdeutschen Industrieländer mit ihrer gewaltigen Industriekraft Menschen, Kapital und Betriebe aus den armen Ländern anziehen. So werden also — hier ist der Ausspruch am Platze — infolge der gegenwärtigen Finanzverfassung die armen Länder immer ärmer und die reichen Länder immer reicher. Das ist durch keinen Finanzausgleich aus der Welt zu schaffen.
    Vorgestern bekam ich eine neue Denkschrift des Instituts für Raumforschung in Bad Godesberg mit ausgezeichneten, instruktiven Wirtschafts- und Bevölkerungskarten. Auf jeder Karte können Sie das West-Ost-Gefälle der deutschen Wirtschaft erkennen. Von diesem West-Ost-Gefälle droht unserem Staatswesen Gefahr. Wir werden darüber in der nächsten Woche bei der Behandlung der Anträge bezüglich der Zonenrandgebiete erneut zu sprechen haben.
    Wir kommen zu einem echten Finanzausgleich nur dann, wenn die Länder in sich besser ausgewogen sind. Und das läßt sich beim gegenwärtigen Zustand nicht erreichen. Infolgedessen müssen wir mit Ernst darangehen, den Auftrag des Art. 29 des Grundgesetzes, nämlich die territoriale Neugliederung des Bundes, in Angriff zu nehmen. Das ist eine Bundesaufgabe. Indem ich die Forderung ausspreche, weiß ich, wie schwer die Lösung zu finden sein wird. Aber soll man vor den Schwierigkeiten von vornherein kapitulieren? Soll man wie der Herr Bundesfinanzminister von vornherein sagen: Ich weiß ja, daß ich die Zustimmung der Länder nicht kriege, ich weiß ja, daß ich die Zustimmung der Besatzungsmächte zu einer Herabsetzung der Besatzungskosten nicht kriege; infolgedessen versuche ich es gar nicht. Nun, man hat solche Dinge zu versuchen, und wenn man versucht, hat ein solcher Versuch, wohlbegründet und -fundiert vorgetragen, auch den Keim zum Erfolge in sich. Bis dahin aber muß man sich mit einem


    (Dr. Gülich)

    notdürftigen System des Finanzausgleichs begnügen. Und da scheint mir Troegers Vorschlag sehr bemerkenswert, der meint, daß die Länder bis zu 75 % Steuerkraft des Bundesdurchschnitts vom Bund auf diese 75 % gehoben werden sollten und daß dann erst zwischen 75 und 95 % — es wird sich ja über die Prozentsätze noch reden lassen — ein horizontaler Länderfinanzausgleich eintreten sollte. Mir scheint der Gedanke gut. Das bisherige Finanzausgleichssystem und das künftige Finanzausgleichssystem nach den jetzt vorliegenden Reformwerken werden keine Abhilfe schaffen. Jeder Finanzausgleich, den wir in den letzten Jahren vorgenommen haben, war nichts als ein Pflaster auf eine nie heilende Wunde. Es kommt aber darauf an, die Wunde nun endlich mal richtig zu behandeln.
    Dem Finanzverfassungsgesetz folgt das Finanzanpassungsgesetz — ein großer Name für eine weniger große Sache. Sie hat aber ein paar ganz interessante Inhalte. Das Finanzanpassungsgesetz
    — Herr Dresbach hat es ja auch schon gesagt, aber ich will es mit ein bißchen anderen Worten sagen — bestimmt ja — Sie bekannten sich positiv zu dem Grundsatz —, daß auf dem Gebiete der Steuer- und Zollverwaltung eine Beteiligung des Bundes an den Ausgaben der Länder und Gemeinden entfällt und umgekehrt — Gerechtigkeit muß ja sein
    — auch eine Beteiligung der Länder und Gemeinden an den Ausgaben des Bundes. Ein schöner Grundsatz! Wer wollte dazu nicht ja sagen? Hätten wir einen wirklichen Föderalismus, würde ich sagen: Ja, ausgezeichneter Grundsatz! Wie sieht es aber in der Wirklichkeit aus? Die Länder verwalten rund 10 000 Millionen DM Umsatzsteuer für den Bund und sie verwalten runde 5000 Millionen DM Bundesanteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer, also runde 15 000 Millionen oder 15 Milliarden DM. Dafür bekämen sie nach altem Väterbrauch und Sitte 2 % Inkassoprovision, wären 300 Millionen DM: werden gestrichen. Der Bund aber, der hier als völlig gleichwertig dargestellt wird, verwaltet für die Länder die Biersteuer. Aus! Die Biersteuer hat ein Aufkommen von rund 300 Millionen DM, und da wären 2 % 6 Millionen DM. Es stünden sich also 300 Millionen DM Kostenersatz für die Länder und 6 Millionen DM Kostenersatz für den Bund gegenüber.
    Ich habe das deshalb einmal gesagt, weil man bei allen diesen Dingen — ich könnte Ihnen noch Dutzende von Beispielen bringen —, wo man hineingreift in dieses groß angekündigte Reformwerk, auf solche „Unschönheiten" stößt, um mich einmal zurückhaltend und freundlich auszudrücken. Vielleicht meint der Bundesfinanzminister in seinem tiefsten Herzen — ich will ihn jetzt nicht ansehen —,

    (Heiterkeit)

    vielleicht meint der Bundesfinanzminister im allertiefsten Herzen: Nun ja, wenn die Länder Föderalismus haben wollen, dann sollen sie auch bezahlen.

    (Erneute Heiterkeit und Beifall bei der SPD. — Abg. Mellies: Er nickt sogar!)

    — Ich muß doch mal vorsichtig hinübergucken!

    (Große Heiterkeit.)

    Bei den Kriegsfolgeleistungen sieht das Finanzanpassungsgesetz etwas Gutes vor. Es führt für gewisse Kriegsfolgeleistungen, bei denen der Bund die Mittel aufbringt, die Länder und Gemeinden die Mittel aber verwalten, eine Interessenquote ein. Ich habe die Einführung der Interessenquote — sie ist ja etwas Neues in der finanzwirtschaftlichen Praxis — sehr begrüßt. Sie ist im Ersten Überleitungsgesetz eingeführt worden. Ich habe sie damals begrüßt, und ich begrüße sie auch jetzt, weil damit eine sinnvollere Verwaltung der Bundesmittel ermöglicht wird. Ich meine, man soll auch für den großen Teil der Kriegsfolgeleistungen, den die Länder für den Bund verwalten, es bejahen, daß jetzt an die Stelle des bisherigen, ungeheuer komplizierten Abrechnungsverfahrens eine Pauschalierung treten soll. Das ist eine Verwaltungsvereinfachung, und es ist ein Erziehungsmoment für die Länder darin. Das ist zu begrüßen.
    Ich wünsche überhaupt, daß der Bund eine stärkere Stellung bekommt; denn nach dem Grundgesetz — Art. 120, Art. 131 — und nach zahlreichen Gesetzen, die wir hier beschlossen haben — bis zu der Regelung der Auslandsschulden —, hat der Bund immer stärkere Aufwendungen zu leisten, und er muß infolgedessen finanziell so gesichert werden, daß er seinen Aufgaben nachkommen kann. Dem Grundsatz stimmen wir vorbehaltlos zu; nur den Mitteln, mit denen die Bundesregierung das Ziel zu erreichen sucht, kann man nicht zustimmen. Wir wollen dem Bunde geben, was des Bundes ist:
    Dem Bunde — auch das muß einmal gesagt werden — sind ja in vielen Dingen einfach die Hände gebunden: Die Länder verwalten gute 5 Milliarden an Bundesmitteln für den Bund, ohne daß der Bund — Herr Dresbach hat schon darauf hingewiesen — ein Weisungsrecht oder gar ein Kontrollrecht hätte. Manche Länder sind nicht einmal geneigt, dem Bunde überhaupt einen Einblick zu geben, einen Einblick, der unter Privaten, die so wichtige Treuhändergeschäfte füreinander ausüben würden, auch ohne eine gesetzliche Regelung selbstverständlich wäre. Aber man beruft sich immer auf den Buchstaben des Gesetzes. Man ist überhaupt in der ganzen Frage unserer Finanzverfassung und ihrer Auslegung so gräßlich engherzig und formal. Man sieht nicht das Wesen der Sache, sondern man klebt am Wort.
    Die Wirklichkeit unserer Staatspraxis sieht so aus — und diese Wirklichkeit ist fürchterlich —: als Auswirkung unserer Finanzverfassung gibt es Konferenzen der Länder untereinander, Konferenzen der Referenten aller Ministerien der Länder untereinander, Konferenzen aller Referenten der Länderministerien mit den entsprechenden Referenten der Bundesministerien, Konferenzen der Minister —, alles das liegt v o r dem Bundesrat! Und das bedeutet: Briefe, Telegramme, Fernschreiben, Konferenzen, — Leerlauf, Leerlauf, Leerlauf, den der Steuerzahler erdulden muß, und Kosten, Kosten, Kosten, die der Steuerzahler bezahlen muß.

    (Beifall bei der SPD.)

    Interessanterweise interessiert sich aber der Steuerzahler für dieses System überhaupt nicht.
    Ich habe gesagt: wir wollen zunächst untersuchen, ob das Reformwerk die Möglichkeiten zur Neuordnung, die Art. 107 des Grundgesetzes gibt, genutzt hat. Ergebnis: es hat sie nicht genutzt! Jedenfalls hat der Regierungsentwurf den Art. 107 verfassungstheoretisch, und zwar sehr eng und sehr formal ausgelegt.
    Man erinnere sich, wie dieses Grundgesetz zustande gekommen ist. Die Alliierten erhoben gegen die vom Parlamentarischen Rat sinnvoll gestaltete


    (Dr. Gülich)

    Ordnung unserer Finanzverfassung Einspruch. Das brachte neue Verhandlungen mit sich, die Verhandlungen brachten Zeitverlust mit sich, und schließlich mußte das Grundgesetz verabschiedet werden, ohne daß überhaupt eine Generalredaktion stattgefunden hatte. So ist der Art. 107, der die Reform der Steuerverteilung ausdrücklich von den Aufgaben her einleiten will, hinter dem Art. 106 stehengeblieben und nicht hinter den Art. 108 gesetzt worden, wo er hingehört und wo er, des bin ich überzeugt, zweifellos hingekommen wäre, wenn nicht das Grundgesetz unter solchem Zeitdruck verabschiedet worden wäre. Stünde er hinter Art. 108, wo er hingehört, dann könnten die Verfassungstheoretiker es sich ein bißchen bequemer machen. So aber richten sie sich, vom Bundesfinanzminister angefangen bis zu den Finanzreferenten der Länder, nach dem Buchstaben des Gesetzes, so, wie sie ihn auslegen. Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig!
    Deshalb ist es meines Erachtens unumgänglich, über die verfassungstheoretischen Spekulationen hinaus eine kurze verfassungspolitische Überlegung anzustellen.
    Der Grundgesetzgeber hatte seine Aufgabe in bezug auf die Finanzverfassung richtig erkannt, sie aber wegen des Einspruchs der Alliierten nicht durchführen können. Der Grundgesetzgeber hat also in bezug auf die Finanzverfassung objektiv versagt. Der Bundesgesetzgeber hätte, auf den traurigen Erfahrungen der letzten Jahre fußend, nunmehr die Verpflichtung, das Verfehlte in unserer Finanzverfassung in Ordnung zu bringen.

    (Abg. Dr. Menzel: Sehr richtig!)

    Warum klammert sich die Regierung jammernd an ihre verfassungstheoretischen Überlegungen nach Art. 107, sie könne ja nur ein Gesetz mit einfacher Mehrheit machen? Warum zieht die Bundesregierung aus den unerträglichen Verhältnissen zwischen Bund und Ländern nicht die Konsequenz, dem Bundestag ein Gesetz vorzulegen, welches verfassungsändernden Charakter hat? Hier könnten Sie, meine verehrten Kollegen, einmal etwas tun mit Ihrer schönen Mehrheit, die Ihnen das Wahlergebnis vom 6. September vorigen Jahres gebracht hat. Falls die Koalition sich auch in diesem Punkte nicht ganz einig sein sollte,

    (Abg. Albers: Dann sind Sie dabei! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Dann leisten Sie Hilfestellung!)

    so darf ich erklären, daß die Opposition 160 gewichtige Stimmen für eine sinnvolle Ordnung unseres öffentlichen Lebens in die Waagschale zu werfen hat.

    (Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren! Machen Sie Gebrauch von dieser Möglichkeit, die die Opposition Ihnen bietet!
    Ich greife noch kurz zwei Gesichtspunkte heraus. Die Gemeinden und die Gemeindeverbände hatten in der Weimarer Republik die Stellung, die ihnen gebührt. Im Parlamentarischen Rat haben sich die zu wenigen Männer mit kommunalpolitischer Erfahrung nicht durchsetzen können. Sie brauchen sich nur einmal die Zusammensetzung des Parlamentarischen Rats anzusehen, um zu sehen, daß die Männer des Parlamentarischen Rates den Sinn, die Verpflichtung, die Aufgabe, die die Gemeinden in unserem öffentlichen Leben haben, nicht erkannt haben. In der Weimarer Republik waren die Gemeinden gesichert; im Grundgesetz sind sie die
    Stiefkinder des Bundes. Das große Reformwerk bringt es ja nicht einmal fertig, im Katalog bei Art. 107 b die Realsteuern und die Steuern mit örtlich bedingtem Wirkungskreis, also die Getränkesteuer, die Vergnügungsteuer, die Hundesteuer, zu Gemeindesteuern zu erklären. Sie sollen nach wie vor Ländersteuern bleiben, weil angeblich Art. 107 den Auftrag nicht zuläßt, die Gemeinden zu echten Partnern des Finanzausgleichs zu machen. Das Reformwerk bringt es noch viel weniger fertig, die von den Gemeinden und Kreisen und ihren kommunalen Spitzenverbänden so dringend geforderte steuerliche Verbundwirtschaft einzuführen. Jede Änderung unserer Finanzverfassung aber muß darauf ausgehen, den Dualismus zwischen Bund und Ländern durch eine gute und gerechte Regelung der Zuständigkeiten beider zu beseitigen.
    Zu diesem Problem hat wohl Popitz das wissenschaftlich Fundierteste und praktisch Klügste gesagt. Ich möchte immer wieder sagen: bei Popitz — nicht nur in seinem Buch „Der Finanzausgleich", sondern auch in einer Reihe von anderen Beiträgen — sind die Grundgedanken eines echten Finanzausgleichs auch in einem föderativen Staat großartig und bis heute noch nicht überholt dargestellt. Popitz kommt zu dem Ergebnis, daß die wahren Partner im Finanzausgleich der Staat, vorgestellt durch das Reich und die Länder, auf der einen Seite und die Gemeinden und Gemeindeverbände auf der anderen Seite seien. Auf heute übertragen, heißt das: Bund und Länder als eine Einheit bilden zusammen den Staat. Meine Damen und Herren! Wer von den Verantwortlichen im Bund und den Verantwortlichen in den Ländern hat heute eine Vorstellung von dieser Einheit, gemeinsam Staat bilden zu wollen! Wer hat bei dem Länderegoismus und Ressortpatriotismus überhaupt noch ein Bedürfnis nach einer solchen Einheit!
    Die Weimarer Verfassung hat ein blühendes Leben der Gemeinden ermöglicht; das Grundgesetz ermordet sie. Das Grundgesetz weint in seinem Reformwerk den Gemeinden keine Träne nach; aber es trocknet auch keine Träne der Gemeinden. Wir müssen deshalb uns der Gemeinden annehmen.
    Nun noch ein Wort zur Bundesfinanzverwaltung. Der Bundesfinanzminister sagt: „Die können wir eben nicht machen; das Grundgesetz gibt uns keine Möglichkeit." Er tut so, als ob dieses Grundgesetz eine gottgewollte Ordnung wäre und eine gottgewollte Ordnung geschaffen hätte. Dieses Grundgesetz ist nicht von Gott, sondern von Menschen, und es ist abänderlich wie alles, was von Menschen gemacht ist.
    Die Regelung der Steuerverwaltungshoheit im Grundgesetz ist so mangelhaft, daß immer wieder während des ersten Deutschen Bundestages auf die Notwendigkeit einer Änderung hingewiesen worden ist. Die FDP und die SPD haben die Einführung einer Bundesfinanzverwaltung zu ihrem Anliegen gemacht. Aber der Bundesfinanzminister hat es immer wieder fertig bekommen, die Zweidrittelmehrheit für eine solche vernünftige Regelung zu verhindern. Ich will die Diskussion darüber nicht fortführen,

    (Zuruf des Abg. Heiland)

    obwohl die Debatte heute sehr schönen Anlaß gegeben hätte, zu diesem Thema mehr zu sagen. — Kollege Heiland, ich habe Sie nicht verstanden.

    (Abg. Heiland: Der CSU war es doch noch zu gut im Parlamentarischen Rat! Deswegen hat sie gegen das Grundgesetz gestimmt!)



    (Dr. Gülich)

    — Ja, die CSU hat im Parlamentarischen Rat ja manches durchgesetzt — einiges darf ich nicht sagen —,

    (Abg. Mellies: Hört! Hört!)

    hat ja manches durchgesetzt, damit sie für das Grundgesetz stimmen wollte, und nachher hat sie gegen das Grundgesetz gestimmt, und es ist dann doch so geblieben.

    (Zuruf von der CSU: Gegenpart: die SPD in Bayern!)

    — Die Sozialdemokraten in Bayern sind auch Bayern; das interessiert hier nicht.

    (Heiterkeit.)

    — Die SPD in Bayern mag tun, was sie in Bayern für notwendig hält. Aber seien Sie davon überzeugt: wir tun, was nach unserer Auffassung im Bund nötig ist.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wir auch! — Abg. Dr. Menzel: Die SPD in Bayern hat dem Grundgesetz doch zugestimmt!)

    Ich will nur einen Sachverständigen zitieren, den wir im Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen gehört haben, den Mann, der am stärksten als Mitarbeiter Erzbergers an der Einführung der Bundesfinanzverwaltung beteiligt war, den Oberfinanzpräsidenten a. D. Dr. Carl. Er sagte : Ein privates Wirtschaftsunternehmen, das sich eine solche Organisation leisten würde wie die Finanzverwaltung vor 1919 und nach 1945, wäre schon in Normalzeiten, geschweige denn in Krisenzeiten, nicht lebensfähig gewesen. Nur der Bund leistet sich das. Ich möchte fragen: Warum interessieren sich die Steuerzahler denn immer nur für das, was sie unmittelbar aus ihrem Portemonnaie zu zahlen haben? Warum interessieren sie sich nicht für das, was von ihren Steuergroschen in dem übersetzten Verwaltungsapparat, der durch diesen Föderalismus notwendig ist, durch diese Konferenzen, die ich gekennzeichnet habe, durch diesen ganzen Leerlauf und die Reibungsverluste vergeudet wird? Das sind doch genau so gut Steuermittel!

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Warum interessieren sich die Politiker auch ganz überwiegend nur für eine Steuerreform und nicht für eine wirkliche Finanzreform? Die Politiker haben sich daran gewöhnt, in Prozentsätzen zu denken. Ich habe das neulich schon einmal zum Haushalt gesagt. Deshalb meinen sie, was unter 10 % liege — und mehr käme ja nie dabei heraus —, sei nicht mehr interessant. Wer so denkt, wer die Million überhaupt nicht mehr einzuschätzen weiß, der kann Finanzreform nicht betreiben wollen,

    (Sehr gut! bei der SPD)

    und wer die Million nicht ehrt, ist der Milliarde nicht wert.

    (Beifall bei der .SPD. — Abg. Dr. Eckhardt: Richtig! — Abg. Kunze [Bethel] : Ach!)

    Nun sagt der Bundesfinanzminister, wir müßten Föderalisten sein, und er legt ein neues Bekenntnis zum Föderalismus ab. Ich möchte ihm antworten, daß die Unhaltbarkeit unserer Finanzverfassung ja nicht darauf beruht, daß wir einen Föderalismus haben, sondern darauf, daß wir keinen echt en Föderalismus haben. Die Unhaltbarkeit unserer Bundesfinanzverfassung ist heute durch die Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers doch wieder bewiesen worden.
    Nach der Meinung des Herrn Bundesfinanzministers sind die Bayern die einzigen Föderalisten. Ich habe schon vorhin gesagt, daß ich anerkenne, daß in den Bayern ein echtes Staatsgefühl lebt, und insofern nehmen die Bayern und nimmt das Land Bayern eine Sonderstellung unter den deutschen Ländern ein. Wenn aber der Föderalismus das richtige Prinzip für unsere staatliche Ordnung ist und wenn die Bayern den Föderalismus in Reinkultur entwickelt haben, dann hätten die Bayern einschließlich ihres Abgeordneten aus Passau die Verpflichtung, uns einen anständigen Föderalismus vorzuleben.

    (Abg. Arnholz: Auch in Bayern selbst!)

    Man dient dem Föderalismus nicht, wenn man immer nur Forderungen stellt, wenn man besondere Vorteile, besondere Belange für sich in Anspruch nimmt. Föderalist sein heißt, sich als dienendes Glied dem Ganzen einzufügen. Im Begriff des Föderalismus liegt do h, daß die Föderation, das höhere Ganze von Einzelgliedern, organisch aufeinander abgestimmt sein soll. Die Länder — ich spreche jetzt nicht von Bayern, sondern von der Gesamtheit unserer Länder — sind keine Föderalisten. Sie sind Ressortpatrioten, sie sind Partikularisten. Im wahren Föderalismus liegt immer ein zentripetales Element, das dem Ganzen dienen will; im Partikularismus wirken sich zentrifugale Kräfte aus.
    Die Bundesregierung hat in ihrem Reformwerk die Diskrepanz zwischen Steuerertragshoheit und Steuerverwaltungshoheit vermeiden wollen. Sie hat nicht gewünscht, daß man es merkt, denn sie hat mit Recht nicht geglaubt, daß die eingehenden Begründungen studiert werden, in denen zwar alles steht.
    Die Bundesregierung hätte sich zu einem großen Reformwerk durchringen müssen, und sie hätte die Reibungen in Kauf nehmen sollen, um die Unhaltbarkeit des gegenwärtigen Systems noch deutlicher werden zu lassen. Aber die Bundesregierung unternimmt den Versuch, auf Grund des Unhaltbaren ein System zu errichten, um das Unhaltbare zu erhalten. Die Bundesregierung kuriert an Symptomen, ohne überhaupt den Versuch zu machen, dem Übel an die Wurzel zu gehen. Sie treibt mit diesem Reformwerk keine echte Finanzpolitik, sondern eine finanzpolitische Bastelei.
    Der Bundesfinanzminister hat heute die Länder geradezu zum Widerspruch aufgefordert. Er sagte: Na, Sie machen ja doch nicht mit! Versuchen wir's doch! Weiter sagt er, die Politik sei die Kunst des Möglichen. Jawohl, sie ist die Kunst des Möglichen, aber ich füge hinzu: im Hinblick auf das Notwendige, und wenn wir nicht versuchen, das Notwendige zu gestalten und auch unmöglich Scheinendes in Angriff zu nehmen, dann sind wir nicht wert, daß wir hier sitzen und die Belange des deutschen Volkes vertreten.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wo ist nun das Gesetzgebungswerk von wahrhaft großer, ja vielleicht geschichtlicher Bedeutung? Ich habe von Größe nichts entdeckt. Was ich positiv zu sagen hatte zum Inhalt und zur Form der Erläuterungen, habe ich gesagt. Ich möchte gern, daß die Dinge nicht nur in Dresbachschen und einigen anderen Bücherschränken sind, sondern daß ein solches Werk als ein wissenschaftlich wertvolles Werk auch im Buchhandel erscheint, vielleicht in der Form eines Kommentars oder wie man es sich sonst vorstellt.


    (Dr. Gülich)

    Das Wort hat nun der Bundestag, und die Aufgabe des Bundestags ist es, eine befriedigende Lösung zu finden, nachdem die Bundesregierung keine befriedigende Lösung vorschlagen konnte. Der Bundestag sollte bei seinen Überlegungen nicht zunächst auf das schauen, was vielleicht die Länder dazu sagen, sondern auf das, was das deutsche Volk vom Deutschen Bundestag erwartet. Natürlich wissen wir alle, daß eine wirklich durchgreifende Ordnung unseres staatlichen Lebens und somit auch eine wirklich durchgreifende Ordnung unserer Finanzverfassung in einem Fragmentstaatswesen nicht möglich ist, in einem Deutschland, dessen Ostgrenze an der Oder-Neiße liegt, in einem Staatswesen, dessen Ostgrenze faktisch bei Lübeck und Helmstedt verläuft. Um so größer aber ist unsere Aufgabe, in unserem Teile Deutschlands unsere öffentlichen Aufgaben so zu regeln, daß wir vor dem deutschen Volke und vor der Geschichte damit bestehen können.

    (Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Neuburger.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von August Neuburger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte, nunmehr vom Thema Finanzreform auf das Thema Steuerreform umzuschalten. Der Herr Präsident hat heute früh gesagt, die einzelnen Redner möchten nach Belieben, aber auch nach Vermögen zu den einzelnen Punkten der Tagesordnung sprechen. Ich glaube, die Bemerkung, nach Vermögen zu den einzelnen Punkten zu sprechen, hat heute beim Thema „Steuerreform" ihre besondere Berechtigung, und zwar deswegen, weil uns dieses Thema in doppelter Weise angeht: einmal als verantwortliche Parlamentarier — und als solcher spreche ich nun namens der größten Partei der Regierungskoalition —; es geht uns aber auch an in unserer Eigenschaft als Steuerzahler. Bei der Vorbereitung dieser Debatte wurde vielen klar—für mich wurde es sehr frühzeitig klar —, daß insoweit der Satz gilt: Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust. Die Seele des Steuerzahlers hat viele Wünsche und ist zweifellos gern dazu bereit, Kritik und' weitgehende Kritik zu üben. Als verantwortlicher Parlamentarier muß man aber sowohl die Wünsche wie die Kritik zwangsläufig zurückstellen, zumindest zurücksetzen bzw. einschränken.
    Nun, wie war es? Als im März dieses Jahres der Bundesfinanzminister die beiden Gesetzentwürfe hier verkündete, da erlebten wir die Überraschung, daß die öffentliche Meinung zumindest im unmittelbaren Anschluß daran eigentlich sauer reagierte. Die Kritik war im wesentlichen negativ, und erst allmählich ist eine gewisse Wandlung eingetreten. Der Finanzminister war darüber enttäuscht, die Öffentlichkeit war enttäuscht, der Steuerzahler war enttäuscht. Man hat daher wohl Grund, nach der Ursache zu fragen. Wenn man über etwas enttäuscht ist, dann ist normalerweise anzunehmen, daß man mehr erwartet hat. Der Finanzminister hat allgemeine Zustimmung erwartet, die Öffentlichkeit eine große Steuerreform, der Steuerzahler eine erhebliche Steuersenkung. Die Enttäuschung hat sich also in zwei Richtungen ausgebreitet: einmal dahin, daß das vorgelegte Gesetzgebungswerk — das wollen wir ganz offen zugeben — nicht den Namen „große" oder „organische Steuerreform" in Anspruch nehmen kann und darf.

    (Abg. Samwer: Sehr richtig!)

    Die Enttäuschung darüber halte ich für berechtigt,
    und zwar deswegen, weil sowohl im ersten Bundestag wie auch vom Herrn Bundesfinanzminister nicht nur einmal, sondern wiederholt gesagt wurde: wir wollen uns zu Beginn der Sitzungsperiode des zweiten Deutschen Bundestages mit der großen, organischen Steuerreform befassen. Wir haben alle erwartet, daß eben dieses Gesetzgebungswerk die große oder organische Steuerreform beinhalte.

    (Abg. Heiland: Vor allen Dingen haben Sie es vor dem 6. September sehr laut versprochen!)

    — Ich sage es ja; Sie brauchen es nicht noch extra zu betonen!

    (Abg. Heiland: Doch, das muß manchmal unterstrichen werden!)

    Nun, damit ist es also nichts. Wie begründet aber der Herr Bundesfinanzminister diese Entwicklung? Es ist richtig, daß sich die beauftragten Gremien — die teilweise auf völlig selbständiger, zum Teil auf halbstaatlicher Basis arbeiteten — und auch die Ministerien selbst zweifellos sehr eingehend mit unserem Steuersystem beschäftigt haben. Die Mehrheit dieser Gremien ist nun zu der Überzeugung gekommen, die Aufteilung unseres gegenwärtigen Steuersystems in direkte und indirekte Steuern und die Art der Verteilung der einzelnen Steuern sei im allgemeinen gut, und es bestehe kein wesentlicher Grund, dieses System zu ändern.
    Ich persönlich bin über dieses Ergebnis sehr enttäuscht; denn ich — ich spreche jetzt nur in meinem eigenen Namen — teile diese Auffassung nicht, daß unser derzeitiges Steuersystem wirklich gut sei.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Ich habe darüber schon im März 1953, als ich zur Haushaltsdebatte sprach, die gleichen Gedankengänge geäußert, treffe diese Feststellung also nicht zum erstenmal. Ich hätte zumindest erwartet, daß sich der Herr Bundesfinanzminister nicht mit der lakonischen Feststellung begnügt hätte: Unser Steuersystem ist gut, und auch die einzelnen Stellen, die sich damit befaßt haben, haben mir das bestätigt. — Ich hätte dann mindestens eine eingehende Begründung dafür erwartet, und zwar im Hinblick darauf, daß wir ja jahrelang von einer anderen Vorstellung ausgegangen sind, daß nämlich unser Steuersystem von Grund auf durchgeackert, durchgekämmt, umgeändert und organisch neu aufgebaut werden müsse.

    (Beifall bei der SPD und beim GB/BHE.)

    Ich meine, so billig hätte man es nicht machen dürfen.
    Wie steht es nun mit der Enttäuschung des Steuerzahlers selbst über die Steuersenkung? Als ich die Presseberichte am Tage nach der Verkündung dieses Reformgesetzes las, habe ich mich allen Ernstes gefragt, ob denn nun der Herr Bundesfinanzminister eine Gesetzesvorlage mit einer Steuersenkung oder einer Steuererhöhung vorgeschlagen habe.

    (Heiterkeit. — Abg. Dr. Gülich: Das ist noch nicht raus!)

    Die negative Kritik hätte eigentlich nicht stärker sein können, wenn er einen Gesetzentwurf mit Steuererhöhungen eingebracht hätte.
    Böse Zungen haben ja behauptet, er würde mit dieser Reform sogar mehr nehmen, als er gebe, und zwar einschließlich der beiden vorgeschlagenen Zusatzsteuern, Ergänzungsabgabe und Erhöhung der


    (Neuburger)

    Großhandelsumsatzsteuer. Dieser Auffassung bin ich nicht.

    (Vizepräsident Dr. Jaeger übernimmt den Vorsitz.)

    Es handelt sich vielmehr bei der vorliegenden Reformvorlage um eine echte Steuersenkung, und diese Steuersenkung erfolgt in einem Ausmaß, das meines Erachtens auch von der Öffentlichkeit anerkannt werden müßte.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Zweifellos hätte sich jeder Steuerzahler noch eine weitere Senkung gewünscht. Aber, Hand aufs Herz, können wir heute schon normale Steuersätze fordern? Das würde doch voraussetzen, daß wir bereits normale Verhältnisse haben, daß wir also den Krieg mit seinen Folgen überwunden haben und daß das alles der Vergangenheit angehört. Das ist aber doch nicht der Fall; Sie wissen doch alle und jeder Steuerzahler weiß es, daß wir die Kriegsfolgen noch nicht überwunden haben und demgemäß auch noch keine normalen Steuersätze haben können. Unsere Steuersätze, auch wie sie jetzt in der neuen Reformvorlage enthalten sind, sind also zwangsläufig auf Grund dieser Tatbestände noch überhöht, d. h. wir stehen noch alle, ob wir wollen oder nicht, unter einem Steuerdruck. Wir leiden darunter, wir müssen darunter leiden, und wir können uns auch darüber beklagen, aber wir können es nicht ändern.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Das ist ein Faktum, über das wir in keiner Weise hinweggehen dürfen.
    Wie steht es nun mit dem Weg, den diese Steuerreform genommen hat? Die Reformvorlage geht einen Weg weiter, den wir im 1. Deutschen Bundestag bereits mit Erfolg gegangen sind. Wir dürfen daher auch die Zuversicht haben, daß dieser Weg, der bisher richtig war, auch weiterhin richtig ist. Das bedeutet aber auch — und da setze ich mich mit der Auffassung, die ich nun namens meiner Parteifreunde vortrage, vielleicht etwas in Gegensatz zum Herrn Bundesfinanzminister, jedenfalls zu der gegebenen Begründung —, daß wir in dieser Reformvorlage nur einen weiteren Schritt in Richtung der Konsolidierung unserer steuerlichen Verhältnisse sehen. Das heißt, es ist nichts Endgültiges, und wir werden uns wahrscheinlich auch im kommenden oder übernächsten Jahr damit beschäftigen müssen. Das ergibt sich schon zwangsläufig aus dem, was ich vorhin herausgestellt habe: wir wollen wieder zu normalen Verhältnissen kommen. Wie wir auch sonst auf wirtschaftlichem Gebiet uns stetig Schritt für Schritt in dieser Richtung vorwärtsarbeiten, so wollen wir auch steuerlich zu normalen Verhältnissen kommen. Daher müssen wir uns wohl oder übel immer wieder mit Steuerreformgesetzen beschäftigen. Wir wollen, wenn weitere Senkungen möglich sind, uns gern damit beschäftigen, auch wenn die Senkungen vielleicht nur ganz wenige Prozente ausmachen.
    In der Vergangenheit, in unseren ersten beiden Steuersenkungsnovellen von 1950 und 1951 haben wir die Senkungen im wesentlichen durch die Einführung der Sondervergünstigungen herbeigeführt. Wir waren uns damals darüber im klaren, daß die Einführung von Sondervergünstigungen praktisch im Widerspruch steht zum Grundsatz der Steuergleichheit; denn jede Sondervergünstigung, die man einräumt, bedeutet in sich eine Verletzung dieses Grundsatzes der gleichmäßigen steuerlichen
    Behandlung der Steuerzahler. Wir haben den Weg beschritten, teilweise, weil wir noch nicht die notwendige staatliche Selbständigkeit hatten, teilweise aus — wie man so schön sagt — optischen Gründen im Verhältnis zum Ausland. Bei der Kleinen Steuerreform im Jahre 1953 haben wir dann gesagt: nun müssen wir aber den Weg frei machen zu einer echten Reform, d. h. zu einer Reform, die den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung verwirklicht. Aus diesem Grunde haben wir in der Kleinen Steuerreform neben einer Tarifsenkung so gut wie alle Steuervergünstigungen aufgehoben. Wir taten das nicht sofort, weil wir den Tarif noch nicht entsprechend senken konnten und die damit verbundenen nachteiligen, wirtschaftsschädigenden Folgen nicht in Kauf nehmen wollten, sondern erst mit Wirkung vom 31. 12. 1954, also dem Ende dieses Jahres. Wir waren uns aber darüber im klaren, daß bis zum Wegfall dieser Steuervergünstigungen eben eine neue Steuersenkung durch ein auf dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung aufgebautes Gesetz erfolgen müsse. Es ist deshalb nur logisch, daß die heutige Reformvorlage als Eck- und Kernpunkt einerseits die Senkung des Tarifs hat und daß dieser Tarif andererseits auf dem Prinzip der linearen Progression aufgebaut ist, ohne alle Ausbuchtungen nach oben oder unten; denn jede Ausbuchtung dieses Tarifs der linearen Progression bedeutet für die Betroffenen entweder eine Steuererhöhung oder eine Steuervergünstigung, mit anderen Worten, Wiedereinführung des Steuervergünstigungsprinzips über die Art der Tarifgestaltung. Es ist also insoweit absolut folgerichtig, wenn sich der Herr Bundesfinanzminister zu diesem Tarif entschlossen hat, der auf dem Prinzip der linearen Progression aufgebaut ist.
    Nun, zum Tarif hat der Steuerzahler selbstverständlich viele Wünsche. Sie können aber, wie bereits betont, noch nicht so verwirklicht werden, weil wir noch nicht normale Ausgabenverhältnisse geschaffen haben. Bei einer Tarifgestaltung muß man zwei Grenzen berücksichtigen, zunächst eine Grenze nach unten — wo muß oder wo darf ein solcher Tarif anfangen? — und dann eine Grenze nach oben: wo muß ein solcher Tarif aufhören? Die Grenze nach unten bildet zweifellos das Existenzminimum. Wenn nun dieses Existenzminimum rein zahlenmäßig feststünde, wenn man darüber so ganz einer Auffassung wäre, so wäre das ja sehr schön. Aber die Vorstellungen über das Existenzminimum gehen ja sehr weit auseinander.

    (Abg. Seuffert: Sehr richtig!)

    — Wir haben auch in diesem Hause, lieber Herr Kollege Seuffert, ja schon mehr als einmal darüber debattiert.

    (Abg. Seuffert: Wir werden es noch tun!)

    — Vielleicht bringen Sie es sogar nachher; ich weiß es nicht genau. Wieweit ist denn nun der Herr Bundesfinanzminister nach unten gegangen, was hat er als Existenzminimum, das nicht mehr belastet werden darf, steuerlich angesehen? Ohne Berücksichtigung der möglichen Sonderausgaben, wobei ich allerdings gerechterweise sagen will, daß, man, je weniger man verdient, um so weniger auch von den Sonderausgaben Gebrauch machen kann — § 10; wir wollen die Dinge ganz sachlich und unvoreingenommen sehen —, beginnt die steuerliche Verpflichtung für einen Ledigen bei einem Monatsgehalt von etwa 150 DM, für. Verheiratete ohne Kinder bei monatlich 225 DM, dann geht es


    (Neuburger)

    mit einem Kind gleich auf 300, weiter auf 350, 450, 550 bis zu 700 DM mit fünf Kindern und darüber. Ich persönlich habe das Gefühl — und meine Parteifreunde sind insoweit einer Meinung —, daß diese untere Grenze als Sozialgrenze anzusprechen und durchaus tragbar ist. Sie wissen, daß die Freigrenze, um den Sozialfaktor beim Aufbau des neuen Tarifs zu berücksichtigen, von 800 auf 900 und vom dritten Kind an bis auf 1440 DM erhöht wurde, eine Erhöhung für die Ehefrau, eine Erhöhung für jedes Kind, es sind also bei allen Gruppen Erhöhungen vorgenommen worden.
    Selbstverständlich sind Wünsche laut geworden, diese Erhöhungen der Freigrenzen noch zu steigern, und zwar auf mindestens 1000 DM pro Person.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Solange wir das jetzige Verhältnis zwischen direkten und indirekten Steuern haben

    (Abg. Seuffert: „Solange"!)

    - ja! —, sind wir der Auffassung, daß möglichst jeder im Erwerbsleben stehende Staatsbürger einen direkten und für ihn sichtbaren Obolus für das Staatswesen geben soll, an das er sich einmal wenden und mit Recht wenden kann, wenn er hilfsbedürftig oder nicht mehr arbeitsfähig ist. Mit anderen Worten: Aus der politischen Erwägung heraus, daß derjenige, der vom Staat etwas will, schon in seinen Arbeitstagen, auch wenn er wenig verdient, einen kleinen Obolus geben muß, glauben wir, bei Beginn die Sozialgrenze bei diesem gestaffelten Tarif gewahrt zu haben. Wenn wir die Möglichkeit haben — und darauf komme ich noch später zurück —, eine Erhöhung der Freigrenzen vorzunehmen, so werden wir das ohne weiteres tun.
    Die Grenze nach oben lag ursprünglich bei 90 %, dann beim Plafond 80 %, heute liegt sie beim Plafond 70 %. Wir wissen alle, daß diese überhöhten Steuern weder für den Staat noch für unsere Wirtschaft noch für jeden einzelnen von uns, und zwar nicht so sehr in seiner Eigenschaft als Steuerzahler, sondern noch mehr in seiner Eigenschaft als Konsument, von Nutzen waren; denn diese überhöhten Steuern halten unser Kostensystem in der Wirtschaft künstlich hoch. Es wäre eine Illussion, anzunehmen, daß die direkten Steuern keine Kostenelemente seien. Auch die direkten Steuern sind wie die Bruttolöhne, in denen ja sowieso schon die direkten Steuern aller Lohnempfänger stecken, echte Kostenelemente, und je mehr wir die Stufen nach oben erhöhen, desto mehr verteuern wir unseren ganzen Konsumentenapparat. Hinzu kommt, daß durch diese direkten Kosten die Wirtschaft zu einem unrationellen Denken und Handeln verführt wird. Sie kennen ja die Frage, die seit Jahren immer wieder herumgeistert, wenn eine Entscheidung darüber getroffen werden muß, ob diese oder jene Ausgabe gemacht werden soll: Wieviel davon zahlt die Steuer, wieviel zahlt Schäffer? Und dann heißt es: Ach, der zahlt 60, 70 % oder mehr.
    Mit diesem Steuertarif, der nunmehr an der oberen Grenze von rund 55 % enden soll, will man mit diesem unrationellen Denken endgültig Schluß machen; denn das sind wirtschaftsschädliche Tendenzen in unserer Steuergesetzgebung. Praktisch müßte die Grenze bei 50 % sein. Alles, was darüber ist, wirkt sich nicht nur kostensteigernd, sondern auch leistunghemmend aus und fördert nur unökonomisches Denken.
    Wir bejahen also den Tarif, und zwar auch insoweit, als er nicht über 55 % hinausgeht. Wir verlangen sogar, mindestens auf den kritischen Punkt von 50 % herabzugehen. Das muß zu gegebener Zeit geschehen. Im Rahmen dieser Beratung wird es wahrscheinlich nicht möglich sein.
    Nun zu den einzelnen Wünschen. Wie Sie wissen, haben wir im Jahre 1934 einen Steuertarif gehabt, der während des Krieges geändert worden ist. Er ist dann von den Besatzungsmächten, danach 1950, 1951 und 1953 geändert worden. Nun hat der Bundesfinanzminister auf einem völlig neuen Prinzip, nämlich dem Prinzip der linearen Progression, dem Prinzip der steuerlichen Gleichheit, einen neuen Tarif aufgebaut. Zwangsläufig ergibt sich daraus, daß nicht alle Gruppen der Steuerzahler die Steuersenkung gleichmäßig genießen.
    Zur Verwirklichung des Grundsatzes des Abbaus der Vergünstigungen und der Hinkehr zum Prinzip steuerlicher Gleichheit mußten wir tariflich sozusagen eine große Flurbereinigung vornehmen. Diese Flurbereinigung hat zwangsläufig zur Folge, daß nicht völlig gleichmäßig alle Steuerpflichtigen sagen können: die Steuern sind um 20 % oder um 19 % gesenkt. Für manche Gruppen ist die Steuersenkung gering. Einige kommen sogar in die unangenehme Lage, daß sie praktisch etwas mehr Steuern zahlen müssen als vorher. Man muß das offen aussprechen. Es ergibt sich aus der Flurbereinigung auf dem gesamten Tarifgebiet.
    Man kann aber generell sagen, daß etwa bis zu einer Grenze von 4500 Mark sämtliche Einkommensbezieher weniger direkte Steuern zahlen als vor dem Krieg. Ein sehr, sehr großer Teil der Steuerzahler nimmt also, obwohl wir noch unter überhöhtem Steuerdruck stehen und weiter stehen müssen, in bezug auf die direkten Steuern nicht daran teil. Damit kann man uns zweifellos in bezug auf diese Tarifgestaltung nicht den Vorwurf unsozialen Verhaltens machen.

    (Abg. Dr. Willeke: Sehr richtig!)

    Die höheren Einkommen bezahlen mehr als früher. Auf ihnen liegt also auf dem Sektor direkter Steuern die Last des Krieges, die Last der Kriegsfolgen. Aber auch hier ist die Steigerung so, daß wir immer noch von einer Progression von unten nach oben sprechen können, daß also immer noch das Prinzip gilt, daß je mehr einer verdient, desto höher seine Steuerprogression ist.

    (Abg. Seuffert: Noch! Noch! — Abg. Dr. Willeke: Sehr richtig! — Abg. Raestrup: Leider!)

    Welche Wünsche kann man nun berücksichtigen? Die beste Steuersenkung ist immer noch die Ausgabensenkung. Bei der Verwirklichung dieses Grundsatzes sind wir hier in diesem Hohen Hause bisher nicht als Beispiel vorangegangen. Das wissen wir j a alle. Andererseits haben nun mal eben die Steuern den verdammten Zweck, diese Ausgaben zu decken. Daher sind schon von der Ausgabeseite her die Beweglichkeit und die Möglichkeit der Steuersenkung entsprechend eingeschränkt. Wir hören, der Bundesfinanzminister will uns schon die Rechnung für die Ausgaben im Jahre 1955 aufmachen, um unseren Elan bei den Steuersenkungen entsprechend zu dämpfen. — Er guckt ganz böse.
    Was steht nun zur Verfügung? Selbstverständlich vertreten auch meine Parteifreunde den Grund-


    (Neuburger)

    satz: Bei dieser Steuerreform muß die Senkungsmöglichkeit aufs äußerste ausgenutzt werden.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Wir müssen die Steuern senken, soweit es irgend möglich ist,

    (Sehr richtig! in der Mitte)

    im Rahmen des Grundsatzes, daß der Haushalt gedeckt bleiben und unsere soziale Leistungsfähigkeit erhalten bleiben muß.
    Darüber, was nun auf Grund der neuen Tarife an Steuern eingehen wird, gehen die Meinungen etwas auseinander. Ich will Sie nicht aufhalten und hier mit Zahlen herumwerfen. Sie haben gehört, daß der Bundesfinanzminister sich entschlossen hat, diesen Schätzungen so weit wie nur möglich auf den Grund zu gehen, und daß er seinerseits alles dazu beitragen will, um auch uns als verantwortlichen Parlamentariern die Möglichkeit zu geben, diese Schätzungen bis in die letzten Ecken und Winkel zu durchleuchten. Soviel steht fest: wenn sich eine zusätzliche Möglichkeit der Steuersenkung ergibt, müssen wir die weitere Erhöhung der Freigrenzen auf dem sozialen Sektor ins Auge fassen, ihre weitere Erhöhung auf dem Sektor der Familienförderung. Im Interesse der Erhaltung und Förderung des Mittelstandes, damit im Interesse unserer freiberuflich Schaffenden, wollen wir eine, nun muß ich allerdings sagen, Steuervergünstigung, die in der Form gegeben wird, daß der Tarif etwa für die Steuergruppen von 10 000 bis 30 000 DM, um nur einmal zwei Zahlen zu nennen, entgegen der jetzigen linearen Progression etwas nach unten ausgebuchtet wird, also in Abweichung vom Tarifprinzip.
    In diesem Zusammenhang — darauf will ich nachher noch besonders eingehen — möchte ich auf die Freibeträge für die mitarbeitende Ehefrau hinweisen. Da es sich bei den hiermit angesprochenen Steuerzahlern im Rahmen der gesamten Direkt-Steuerpflichtigen immer um eine sehr große Zahl handelt — sie geht in die Millionen —, sind natürlich auch die Beträge in der Ausfallrechnung zwangsläufig sehr hoch. Wir haben z. B. rund 10 Millionen Lohnsteuerpflichtige. Eine Mark Steuersenkung pro Monat sind im Jahr 12 Mark für den einzelnen, aber für das Budget 120 Millionen.

    (Abg. Seuffert: Nicht alle haben dasselbe Einkommen, Herr Neuburger!)

    — Ich rede ja jetzt nur von der rechnerischen Auswirkung bei einer D-Mark.

    (Abg. Seuffert: Das macht auch nicht für alle eine Mark!)

    — Richtig. Aber ich wollte nur andeuten, daß wir uns in bezug auf die Steuersenkungsmöglichkeiten trotz eingehender Nachschätzungen nicht zu große Hoffnungen machen können, weil es sich, wie gesagt, bei den Forderungen, die wir zu berücksichtigen haben — Sozialforderungen, Erhöhung der Freigrenze, steuerliche Vergünstigung über den Tarif der mittelständischen und freiberuflich schaffenden Steuerzahler —, jeweils um eine sehr, sehr große Zahl von Steuerpflichtigen handelt.
    Nun noch zu den Einzelbestimmungen des Reformgesetzes. Wir haben die Vergünstigungen sowohl hinsichtlich des § 7 als auch des § 10 aufgehoben. Als wir den § 7 c mit Wirkung per 31. Dezember 1954 aufhoben, waren wir uns darüber im klaren, daß das Problem des sozialen Wohnungsbaus zu diesem Zeitpunkt noch nicht gelöst sei. Wir waren uns daher auch darüber
    klar, daß wir in irgendeiner Form einen Ersatz für den Ausfall der bisher über § '7 c geflossenen Gelder schaffen müßten. Das Volumen betrug zumindest in den letzten zwei Jahren durchschnittlich ungefähr 700 Millionen DM, die in den sogenannten unrentierlichen Teil des sozialen Wohnungsbaus flossen. Wir müssen also irgendeinen Ersatz bieten. In der Reformnovelle selber ist ein solcher Ersatz nicht vorgesehen. Im Kapitalmarktförderungsgesetz

    (Abg. Seuffert: Wo ist es denn?)

    soll als Ersatz

    (Abg. Seuffert: Soll?!)

    der Sozialpfandbrief vorgesehen sein.

    (Abg. Seuffert: Oder nicht sein! — Abg. Samwer: Das ist hier die Frage!)

    — Weil eine entsprechende Gesetzesvorlage noch fehlt,

    (Abg. Seuffert: Aha!)

    bin ich auch nicht ermächtigt, namens meiner Parteifreunde hierzu eine Erklärung abzugeben. Aber die Überlegungen, inwieweit der Sozialpfandbrief einen Ersatz darstellen kann, werden doch sehr eingeschränkt und zwangsläufig in eine ganz bestimmte Richtung gedrängt, wenn man die Zweckbestimmung berücksichtigt. Der zu erreichende Zweck soll sein, Gelder für einen unrentierlichen Teil im Rahmen der Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus zu bekommen. Das hinzugebende Geld ist also unrentierlich. Dieser Tatbestand ist unbestritten und leider auch unbestreitbar. Der Sozialpfandbrief verlangt eine 5%ige Verzinsung. Das Geld, das über den Sozialpfandbrief kommt, muß also rentierlich sein, oder es muß ein anderer kommen, der die 5 % bezahlt. Mit anderen Worten, ich sehe in dem Sozialpfandbrief keinen Ersatz

    (Abg. Samwer: Richtig!)

    für die Finanzierungslücke des unrentierlichen Teiles.

    (Abg. Dr. Eckhardt: Kein Zweifel!)

    Darüber hinaus sehe ich in dem Sozialpfandbrief einen absoluten Störenfried auf dem Kapitalmarkt,

    (Abg. Seuffert: Sehr richtig!)

    einen Störenfried, der nur Schaden bringt ohne jeden Nutzen.

    (Sehr richtig! bei der SPD und dem GB/BHE.)

    Es wäre meines Erachtens an der Zeit, ihn möglichst bald zu kassieren.

    (Hört! Hört! bei der SPD. — Abg. Schröter [Wilmersdorf] : Das war aber eine schwere Geburt!)

    Ich habe mich noch gar nicht so sehr umgehört, ob alle meine Parteifreunde dieser Auffassung sind.

    (Abg. Seuffert: Nachher freuen Sie sich über uns!)

    Aber ich habe ja eingangs schon erwähnt: wir haben uns noch nicht damit zu befassen, weil eine entsprechende Vorlage fehlt. Ich wollte und mußte aber im Zusammenhang mit der Frage, wo der Ersatz für § 7 c liegt,

    (Abg. Samwer: Also doch § 7 c!)

    darauf hinweisen, daß aus Zinsgründen der Sozialpfandbrief, auch wenn er noch so viel Geld und
    Kapital bringen würde, das Ersatzmittel nicht sein


    (Neuburger)

    kann, weil er eben kraft seiner Bestimmungen nicht unrentierlich, sondern rentierlich sein muß.
    Wie steht es nun mit der Wiedereinführung des § 7 c?

    (Abg. Samwer: Also doch 7 c!)

    Wie Sie wissen, hat sich der Bundesfinanzminister heute morgen nochmals dagegen ausgesprochen und hat gesagt: „Wir haben feierlich die Vergünstigungen aufgehoben. Es ist doch völlig unmöglich, daß wir sie wieder einführen".
    Es steht allerdings wohl fest, daß die Wiedereinführung des § 7 c nicht mehr so viel bringen würde, wie er bisher gebracht hat, und zwar mit Rücksicht darauf, daß eben die Tarifsätze doch eine entscheidende Senkung erfahren und damit der Anreiz für die Hingabe von 7 c-Geldern wegfällt. Viele 7 c-Gelder wurden doch unter dem Aspekt gegeben: Na, bald kommt ja eine mächtige Steuersenkung; die große organische Steuerreform ist ja schon feierlich angekündigt und kann nicht mehr lange auf sich warten lassen!
    Wenn ich unsere Leistungen und unsere Ausgaben betrachte, die wir heute haben und die vielleicht noch auf uns zukommen, dann muß ich sagen: wir haben unsere Steuern gesenkt und wollen sie noch weiter senken — von dem ursprünglichen Plafond von 90 % auf jetzt 55 %. Damit haben wir meines Erachtens die Steuern schon mehr gesenkt, als wir sie jeweils später noch senken können.

    (Abg. Seuffert: Hört! Hört!)

    Finden wir ein Mittel, um die Ausgaben zu senken, dann senken wir gern die Steuern weiter!

    (Zuruf von der SPD: Welche?)

    Ich glaube also, daß wir auch mit der Wiedereinführung des § 7 c die Mittel nicht bekommen. Daher wäre zu untersuchen, ob nicht völlig neue Wege beschritten werden können; etwa der Weg, die unrentierliche Lücke durch Staatsbürgschaften oder Zinssubventionen auszufüllen oder dadurch, daß die Gelder, die gegeben werden, dann, rein steuerlich gesehen, eine Teilwertabschreibung erfahren, weil sie unrentierlich sind; denn jedes Kapital, das unrentierlich, unverzinslich gegeben wird, steht ja nicht mehr zu pari. Man müßte also, teilwertmäßig gesehen, eine Abschreibung zulassen. Man könnte auch sagen, daß zwar die Hingabe der Gelder nicht steuerbegünstigt ist, daß aber im Zeitpunkt der Rückzahlung ein gewisser Prozentsatz der rückzuzahlenden Beträge steuerlich als Unkosten absetzbar ist. Wir wissen nur eines: wir müssen, da wir weiterhin den sozialen Wohnungsbau vorwärtstreiben müssen, so oder so eine Finanzierungsquelle für diesen unrentierlichen Teil finden. Es wird Aufgabe des Ausschusses sein, in Zusammenarbeit mit dem Wohnungsbauausschuß und mit den beteiligten Ministerien den Weg zu finden. Er muß auf jeden Fall gefunden werden.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Die Steuervergünstigungen, die der § 10 gebracht hat, sind wesentlich beschnitten. Wir haben zwar als Ausgleich die Sonderausgaben etwas erhöht. Trotzdem sind die Steuerzahler, die bisher im Genuß dieser Möglichkeiten waren, darin sehr beschränkt. Insbesondere ist die Möglichkeit der Altersversorgung für die selbständigen und unselbständigen Schaffenden eingeschränkt, und gar keine Möglichkeit der Altersversorgung besteht praktisch für den Mittelstand. Wir sind der Auffassung, daß hier im Rahmen der Beratung dieser Novelle etwas geschehen muß, vielleicht, indem man in beschränktem Umfang den Kapitalansammlungsvertrag wieder einführt, aber mit absolut verlängerten Laufzeiten und selbstverständlich mit der Höchstbegrenzung, wie sie jetzt vorgesehen ist. An eine Erhöhung dieser Sätze denkt niemand; man muß nur an die Erweiterung des Personenkreises denken. Denn von den erhöhten Sonderausgaben können nach der gesetzlichen Regelung bisher nur die unselbständig Arbeitenden und die in selbständiger Arbeit Stehenden Gebrauch machen. Sie sollen nunmehr im Hinblick auf die Verdoppelung der Beiträge für Lebensversicherungen und Bausparkassen beschränkt werden. Wenn nun z. B. ein freischaffender Mann über 50 Jahre alt ist und der Versicherungsarzt ihm sagt: „Es tut mir leid, Ihr Gesundheitszustand ist so, daß ich das Risiko, mit Ihnen einen Lebensversicherungsvertrag abzuschließen, nicht mehr eingehe" — mit einem Bausparvertrag ist es auch so eine Sache —, dann hat er zwar gesetzlich die Freibeträge, die gerade deswegen geschaffen sind, um eben hier eine Altersversorgung zu ermöglichen, aber er kann davon keinen Gebrauch machen. Es erhebt sich daher die Frage, ob nicht doch in beschränktem Umfang die steuerliche Begünstigung der Kapitalansammlungsverträge wieder eingeführt werden soll. Ich sage, es erhebt sich die Frage; man wird das im Rahmen der Möglichkeiten erörtern.
    Dasselbe gilt für die berechtigte Forderung des Mittelstandes, daß von dieser Altersversorgungsmöglichkeit nicht nur die in unselbständiger Arbeit und in selbständiger Arbeit Stehenden, sondern auch der gewerbliche Mittelstand. Gebrauch machen könne.
    In § 10 a soll durch die Novelle die Frist verkürzt werden. Dies ist die Steuervergünstigung, die wir seinerzeit für Flüchtlinge, Vertriebene usw. eingeführt hatten. Wir haben damals den Wegfall jener Vergünstigungen auf den 31. Dezember 1956 festgesetzt. Diese Frist soll also auch verkürzt werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind unglücklich darüber, daß eine solche Bestimmung in diesem Entwurf steht. Wir haben aus ganz bestimmten Gründen und mit viel Überlegung und viel Berechtigung — ich selbst unmittelbar als Initiator mit Ihnen zusammen, Herr Seuffert — seinerzeit dahin gewirkt, daß diese Bestimmungen im Interesse dieses Personenkreises hineinkamen, und wir sind der Auffassung: wenn Rechte mit Frist, nicht unbefristet, gegeben werden, dann soll man, sofern man sich schon zum Prinzip des Rechtsstaates bekennt — und unser ganzes demokratisches Leben basiert ja auf diesem Prinzip —, die Fristen, die man selbst gesetzt hat, respektieren.

    (Abg. Samwer: Sehr richtig!)

    Wir können also dieser Fristverkürzung, auch wenn sie natürlich dem Interesse der völligen Bereinigung und dem Abbau aller Sondervergünstigungen dient, nicht zustimmen.
    Eine andere Fristverkürzung liegt bei § 33 a. Diese Bestimmungen sind im Interesse eines bestimmten Personenkreises für eine bestimmte Dauer eingeführt worden. Alle, die die Vergünstigung von Anfang an über die ganze Dauer hinweg in Anspruch nehmen konnten, sind gut dran. Wenn nun einer erst im zweiten oder letzten Drittel der Gesetzesdauer Anwärter wird, sagt er sich: Ich bin als Spätheimkehrer schon sehr viel mehr benach-


    (Neuburger)

    teiligt als die anderen, und trotzdem kriege ich jetzt dafür noch die Quittung, daß ich die Vergünstigung nur noch ein halbes Jahr oder ein Jahr beanspruchen darf. Insofern liegt in diesen Fristbestimmungen eine Härte, und es wäre vielleicht zu überlegen — vielleicht hätte man es früher schon überlegen sollen —, ob man die Frist nicht für jeden einzelnen, sagen wir einmal, auf drei Jahre begrenzt, nach deren Ablauf die Vergünstigung entfällt. Allerdings stünde das in Widerspruch zu dem Grundsatz der Steuervereinfachung, dem wir mit unseren Gesetzen ja auch näher kommen wollen.
    Nun das Problem der Ehegattenbesteuerung. Der Herr Bundesfinanzminister hat ja zum Ausdruck gebracht, daß die derzeitige steuerliche Regelung einen glatten Widerspruch zum Prinzip der Gleichheit der Besteuerung darstellt.

    (Abg. Dr. Eckhardt: Richtig!)

    Die derzeitige Regelung stellt unbestreitbar die stärkste Verletzung dieses Grundsatzes dar. Der Herr Bundesfinanzminister will diesen ungesunden Zustand dadurch beseitigen, daß er allmählich zu der für ihn allein möglichen gemeinschaftlichen Besteuerung zurückkehrt. Deshalb hat er sich entschlossen, in der Vorlage einen weiteren Schritt in der Richtung auf dieses Ziel, die gemeinschaftliche Besteuerung, zu gehen, indem er nunmehr die Grenze für die getrennte Besteuerung auf 9000 DM angesetzt hat. Ob man zu diesem Grundsatz der gemeinschaftlichen Besteuerung angesichts der Tatsache, daß immer mehr Ehefrauen berufstätig sind, zurückkehren kann und ob wir nicht eventuell doch auf eine andere Lösung abgedrängt werden, etwa die Lösung der getrennten oder der halbierten Veranlagung, des Halbierens der Verdienste ohne Rücksicht darauf, wer von den einzelnen Ehegatten und wieviel der einzelne Ehegatte verdient, das können wir im Rahmen dieser Reform wahrscheinlich nicht lösen; denn eine solche Schwenkung wäre, wie feststeht, im Rahmen dieser Tarifgestaltung nicht möglich. Wenn wir uns ,also grundsätzlich von dem Vorschlag des Bundesfinanzministers abwenden sollten, so hätte das zwangsläufig zur Folge, daß wir auch den Tarif, so wie er vorliegt, nicht gebrauchen könnten. Es würde also eine völlige Umgestaltung des Tarifs bedeuten.
    Die vom Bundesfinanzminister jetzt vertretene Regelung ist unter sozialen Gesichtspunkten zu bejahen. Man müßte dann allerdings folgerichtig auch die übrigen mitarbeitenden oder mitverdienenden Ehefrauen im Rahmen eines solchen Einkommens bis zu 9000 DM gleich behandeln. Das würde bedeuten, daß wir die mittelständische Forderung auf Einräumung eines Freibetrags für die mitarbeitende Ehefrau und die gleichlautende Forderung der Landwirtschaft in entsprechender Form berücksichtigen müssen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Denn nach wie vor haben wir den wirklich mehr als unleidlichen Zustand, daß sich das Sichverheiraten steuerlich im Rahmen der Gesamtveranlagung nachteilig auswirkt. Diese Auswirkung wäre nur über eine andere Veranlagungsmethode oder über eine andere Tarifgestaltung mit völlig anderen Freigrenzen zu beseitigen. Steuerlich müßten wir auf diesem Sektor mindestens die Neutralität anstreben, von der Förderung der Familie ganz zu schweigen, die zusätzlich eingebaut werden
    müßte und heute in Form der Freigrenzen für Kinder zweifellos schon ganz erheblich eingebaut ist. Ich möchte dieses Streitthema nicht weiter erörtern. Ich wollte hier nur den heutigen Tatbestand aufzeigen, Möglichkeiten und Grenzen der Lösung, aber auch die Schwierigkeiten dieser Lösung und die Forderungen, die gegebenenfalls auch von meinen Parteifreunden im Interesse der Gleichheit der Besteuerung angemeldet werden müßten.
    Damit wären die Einzelthemen zur Einkommensteuernovelle, die ich mir vorgenommen habe, erschöpft. Ich muß nur noch folgendes ansprechen. Durch den 'Wegfall der Steuervergünstigungen, insbesondere den Wegfall des § 10, Kapitalansammlungsverträge, haben wir zweifellos ein außerordentliches Risiko auf dem Gebiet des Kapitalmarkts übernommen. Diese Kapitalansammlungsverträge hatten zwangsläufig zur Folge, daß sich hier echtes Kapital, langfristiges Kapital, bildete. Nun wird niemand mehr angehalten, Kapital zu bilden, um Steuern zu sparen. Dazu kommt noch die allgemeine Tarifsenkung. Wir werden also zwangsläufig einen Hang erleben — einen Trend, wie man heute zu sagen pflegt — vom Kapitalmarkt zum Konsum, soweit durch die Tarifsenkung Steuern eingespart werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist dies wirklich ein sehr großes Risiko, das wir hier eingehen. Ich bitte das nicht zu unterschätzeu. Denn auf dem Sektor Investitionen in unserer Wirtschaft sind wir noch nicht so weit, daß wir schon à jour wären. Wir können unseren Lebensstandard und den Wettbewerb im Rahmen der Weltwirtschaft nicht durchhalten, wenn wir auf diesem Sektor nicht noch viel mehr tun als heute. Die Investitionen von heute sind die Arbeitsplätze von morgen. Das ist heute für niemanden ein Geheimnis mehr. Trotz dieses Risikos wollen wir die Kapitalansammlungsverträge mit den bisherigen Vergünstigungen nicht mehr haben, sondern höchstens noch in Form der Altersversorgung. Um die Gefahr des Investitionsrückgangs etwas einzudämmen, soll zusammen mit der Einkommensteuer auch die Körperschaftsteuer gesenkt werden, und zwar von 60 auf 45%, unter Beibehaltung der Vergünstigungen bei der Dividendenausschüttung. Diese Maßnahme soll also in erster Linie dazu dienen, den Investitionsmarkt zu fördern bzw. die möglichen Ausfälle aus dem Wegfall der Kapitalansammlungsverträge wieder auszugleichen.

    (Abg. Seuffert: Wieso fördert eigentlich Steuervergünstigung für Dividenden die Investitionen, Herr Neuburger?)

    — Das ist sehr einfach. Sie wissen genau, Herr Kollege Seuffert, daß man auch investieren kann, indem man Teile des eigenen Gewinns, statt sie an die Steuer abzuführen, wieder in das eigene Unternehmen reinsteckt. Wenn dann vom eigenen Gewinn 15 % mehr als bisher verbleiben, dann hat man 15 % mehr Mittel, um den Betrieb zu erneuern, zu modernisieren, wettbewerbs- und konkurrenzfähiger zu machen.

    (Abg. Albers: Das sollte so sein!)

    — Das ist auch so. Das Geld wird nicht genommen und irgendwie nach auswärts verfrachtet.

    (Abg. Raestrup: Und die Personengesellschaften?)

    — Das kommt noch, lieber Herr Raestrup!


    (Neuburger)

    Des weiteren stellen wir leider eine steigende Verschuldung unserer Gesellschaften fest. Die Versorgung mit Eigenkapital und die Versorgung mit Schuldkapital klaffen immer weiter auseinander. Wenn Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, meinen, das sei eine erstrebenswerte Entwicklung, dann muß ich Ihnen sagen, daß ich persönlich völlig anderer Auffassung bin. Wir müssen, wenn wir uns wirklich in echter Weise zur sozialen Marktwirtschaft bekennen, das Prinzip der Stärkung des haftenden Kapitals ständig betonen und alles tun, damit dieses haftende Kapital sich verstärken kann und damit das Schuldkapital sinkt.

    (Beifall in der Mitte.)

    Die Entwicklung ist leider umgekehrt. Das haftende Kapital kann, wie gesagt, dadurch verstärkt werden, daß beim Gewinn etwas verbleibt, aber auch dadurch, daß der einzelne, statt sein Geld zu konsumieren, es der Industrie, der gewerblichen Wirtschaft in Form der Aktie als haftendes Kapital anbietet.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Denn wo soll denn die Aktienvermehrung herkommen? Sie fällt doch nicht vom Himmel, sie kann doch nur dadurch kommen, daß der einzelne sich bereit findet, zu sagen: ich vertraue unserer Wirtschaft und lege mein Geld in haftendem Kapital an.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    So gesehen ist es doch nicht mehr als vernünftig, wenn wir die Doppelbesteuerung wenigstens zum Teil abbauen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Wir haben das im Jahre 1953 genau überlegt und die dort vorgenommene Regelung mehr als begrüßt. Wir vertreten die Auffassung: die Dividende muß steuerbegünstigt bleiben. Den Keil, den wir in die Doppelbesteuerung reingeschlagen haben, müssen wir drinlassen und ihn allmählich noch- so ausweiten, daß die Doppelbesteuerung endgültig fällt. Dann, lieber Herr Raestrup, sind wir auch so weit, daß wir keinen Unterschied mehr zwischen Kapitalgesellschaften und Personalgesellschaften zu machen brauchen.

    (Abg. Seuffert: Heißt das Beseitigung der Körperschaftsteuer? Sagen Sie doch gleich, was das heißt!)

    Wie gesagt, dann sind wir auf dem Wege; das ist dann das Ergebnis.

    (Abg. Seuffert: Das sagen Sie aber dem Herrn Finanzminister!)

    — Ich habe ja mein Bedauern ausgesprochen!
    Das sind die Themen, die in der großen, der organischen Steuerreform einmal angesprochen und bewältigt werden müssen. Wir können das heute nun nicht. Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, daß wir dann auf dem richtigen Wege sind, um dieses Ziel: Einheitlichkeit in der Besteuerung von Personalgesellschaften und Kapitalgesellschaften, zu erreichen.

    (Abg. Raestrup: Aber ab 1. Oktober, bitte schön! — Heiterkeit.)

    — Herr Raestrup wird sich wahrscheinlich hier ganz besonders noch dafür einsetzen, weil er der Auffassung ist, daß die heutige Differenz zwischen den 45 % bei den Kapitalgesellschaften und dem Stoppauslauf mit 55 % bei den Personalgesellschaften noch nicht das richtige Verhältnis darstellt
    und daß die Personalgesellschaften nach wie vor noch etwas benachteiligt sind.

    (Abg. Dr. Eckhardt: Da hat er auch recht!)

    Ich wollte nicht verfehlen, auch dieser Meinung Ausdruck zu verleihen.
    Die Dividendenbegünstigung liegt, wie gesagt, bei 30 %. Nach der bisherigen Regelung müßte die Vergünstigung bei der Hälfte liegen. Bisher hatten wir 60 zu 30. Dieses Verhältnis müßte angestrebt werden. Vielleicht läßt es sich auch in dem Verhältnis 45 zu 221/2 verwirklichen.
    In diesem Zusammenhang muß auch das Problem des Schachtelprivilegs gelöst werden, das meines Erachtens lösbar ist. Das ist aber eine Spezialfrage, womit ich Sie, meine Damen und Herren, hier nicht belästigen möchte.
    Ich komme zum Schluß. Ich konnte unmöglich alle Probleme ansprechen. Wie ich bereits sagte, bedaure ich, daß diese Reformvorlage nicht die große oder organische Steuerreform beinhaltet. Die im Rahmen dieser Vorlage vorgesehene Erhöhung der Umsatzsteuer — diese Sondersteuer — wird namens meiner Parteifreunde nicht befürwortet. Ich kann es sogar hoch stärker ausdrücken: sie wird abgelehnt.

    (Sehr gut! rechts.)

    Diese Ablehnung wird aber auch jede Sondersteuer betreffen, die man sich vielleicht als Ersatz dafür ausdenken sollte. Diese Steuer ist eine Sondersteuer, und jede Sondersteuer, die einen Wirtschaftszweig belastet, wird im Rahmen des Wirtschaftsprozesses immer auf den schwächsten Teilnehmer in der Kette dieses Wirtschaftsprozesses abgewälzt, ob Sie wollen oder nicht.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Das gilt für diese Sondersteuer, wird aber auch für jede andere Sondersteuer zutreffen, die Sie einführen wollen. Wenn Sie irgendwie einmal dem Grundsatz der Steuergerechtigkeit und der Gleichmäßigkeit der Besteuerung ganz eklatant widersprechen wollen, dann müssen Sie eine Sondersteuer einführen, die einen einzelnen Wirtschaftszweig belastet. Sie wird, wie gesagt, im Rahmen dieses Wirtschaftsprozesses kraft der Konkurrenz und der dynamischen Kraft immer auf den Schwächsten abgewälzt, ob vor- oder rückgewälzt, ist gleichgültig.

    (Abg. Seuffert: Sagen Sie das Herrn Stücklen! — Abg. Stücklen: Ja, ja, der weiß schon Bescheid!)

    Auf jeden Fall wird jede Sondersteuer auf den Schwächsten abgewälzt. Daher spreche ich mich im Namen des Großteils meiner Parteifreunde gegen jede Sondersteuer aus.
    Die Frage der Ergänzungsabgabe will ich nicht besonders behandeln. Sie ist ja im Rahmen der Besprechung des Finanzreformgesetzes mit behandelt worden und wird mehr oder weniger das Schicksal des Finanzreformgesetzes teilen bzw. teilen müssen.
    Lassen Sie mich zusammenfassend sagen: Die Grundsätze dieser Steuerreform sind gut. Sie verwirklichen das Prinzip der Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Sie tragen dazu bei, unsere Kosten zu senken, weil wir von überhöhten Steuern herunterkommen. Sie tragen dazu bei, die Kosten zu senken, weil wir vom unökonomischen Denken abgehen. Sie tragen dazu bei, unser Sozialprodukt zu steigern, weil sie die Leistungsfähigkeit des einzelnen steigern. Denn der einzelne — d. h. 99 %


    (Neuburger)

    aller Einkommensteuerpflichtigen — weiß, daß er nun wenigstens, was ihn betrifft, bis zu 50 % seines Arbeitsertrags behält. Damit steigern wir unser Sozialprodukt, und damit senken wir zwangsläufig im Rahmen unserer Konkurrenz- und Wettbewerbswirtschaft die Kosten. Damit heben wir die reale Kaufkraft, und diese Hebung der realen Kaufkraft kommt allen zugute, den Schwächsten der Armen zuerst. Sie kommt also auch all denen zugute, die keine Einkommensteuer zahlen und die vielleicht annehmen könnten: Was kümmert uns das Gezänk dieser Leute, die Einkommensteuer zahlen, ob die Tarife so oder so sind? Ich muß ja so oder so keine bezahlen! Jawohl, durch die Art und Weise, wie wir jetzt unsere Einkommensteuertarife und Körperschaftsteuertarife gestalten, heben wir unmittelbar die reale Kaufkraft und tragen damit zur Erhöhung des Lebensstandards eines jeden einzelnen bei. Wenn einzelne Gruppen kommen und sagen, sie hätten das oder das zu wenig: nun, jeder einzelne nimmt in einem gewissen Ausmaß an dieser Steuersenkung teil, und dies soll und muß man sehen.
    Auch für den Mittelstand ist zu beachten, daß seinen Interessen im Rahmen des Verlustvortrags, im Rahmen der vereinfachten Buchführung und im Rahmen von anderen Vereinfachungsvorschriften in zusätzlicher Weise Rechnung getragen worden ist. Auch bei der Landwirtschaft ist das geschehen durch die Erhöhung von Freibeträgen für die Grünlandwirtschaften. Ich erinnere in dem Zusammenhang an die bereits durchgeführte Einführung der Degressivabschreibung. Ich erkläre es allerdings als eine sehr berechtigte und überaus durchgreifende Hilfe für die Landwirtschaft und den Mittelstand, wenn es möglich wäre, die degressive Abschreibung, die sich bisher auf Wirtschaftsgüter mit einer Lebensdauer von zehn und mehr Jahren erstreckt, auf die Wirtschaftsgüter mit einer Lebensdauer von fünf Jahren auszudehnen. Damit könnten wir über die Tarifsenkung und sonstigen Reformvorschläge hinaus dem Mittelstand und auch der Landwirtschaft entscheidend steuerlich helfen.
    Abschließend lassen Sie mich sagen, was Bundeskanzler Adenauer vorgestern abend in dem Interview gesagt hat: Diese Steuerreform ist eine große Tat, wenn auch unvollkommen. Zu dem bekenne auch ich mich, zu dem bekennen sich auch meine Parteifreunde. Unsere Aufgabe wird es nun sein, diese große Tat im Interesse unserer Wirtschaft, im Interesse unserer Steuerzahler, im Interesse unseres gesamten Volkes möglichst rasch zu verwirklichen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)