Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte, nunmehr vom Thema Finanzreform auf das Thema Steuerreform umzuschalten. Der Herr Präsident hat heute früh gesagt, die einzelnen Redner möchten nach Belieben, aber auch nach Vermögen zu den einzelnen Punkten der Tagesordnung sprechen. Ich glaube, die Bemerkung, nach Vermögen zu den einzelnen Punkten zu sprechen, hat heute beim Thema „Steuerreform" ihre besondere Berechtigung, und zwar deswegen, weil uns dieses Thema in doppelter Weise angeht: einmal als verantwortliche Parlamentarier — und als solcher spreche ich nun namens der größten Partei der Regierungskoalition —; es geht uns aber auch an in unserer Eigenschaft als Steuerzahler. Bei der Vorbereitung dieser Debatte wurde vielen klar—für mich wurde es sehr frühzeitig klar —, daß insoweit der Satz gilt: Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust. Die Seele des Steuerzahlers hat viele Wünsche und ist zweifellos gern dazu bereit, Kritik und' weitgehende Kritik zu üben. Als verantwortlicher Parlamentarier muß man aber sowohl die Wünsche wie die Kritik zwangsläufig zurückstellen, zumindest zurücksetzen bzw. einschränken.
Nun, wie war es? Als im März dieses Jahres der Bundesfinanzminister die beiden Gesetzentwürfe hier verkündete, da erlebten wir die Überraschung, daß die öffentliche Meinung zumindest im unmittelbaren Anschluß daran eigentlich sauer reagierte. Die Kritik war im wesentlichen negativ, und erst allmählich ist eine gewisse Wandlung eingetreten. Der Finanzminister war darüber enttäuscht, die Öffentlichkeit war enttäuscht, der Steuerzahler war enttäuscht. Man hat daher wohl Grund, nach der Ursache zu fragen. Wenn man über etwas enttäuscht ist, dann ist normalerweise anzunehmen, daß man mehr erwartet hat. Der Finanzminister hat allgemeine Zustimmung erwartet, die Öffentlichkeit eine große Steuerreform, der Steuerzahler eine erhebliche Steuersenkung. Die Enttäuschung hat sich also in zwei Richtungen ausgebreitet: einmal dahin, daß das vorgelegte Gesetzgebungswerk — das wollen wir ganz offen zugeben — nicht den Namen „große" oder „organische Steuerreform" in Anspruch nehmen kann und darf.
Die Enttäuschung darüber halte ich für berechtigt,
und zwar deswegen, weil sowohl im ersten Bundestag wie auch vom Herrn Bundesfinanzminister nicht nur einmal, sondern wiederholt gesagt wurde: wir wollen uns zu Beginn der Sitzungsperiode des zweiten Deutschen Bundestages mit der großen, organischen Steuerreform befassen. Wir haben alle erwartet, daß eben dieses Gesetzgebungswerk die große oder organische Steuerreform beinhalte.
— Ich sage es ja; Sie brauchen es nicht noch extra zu betonen!
Nun, damit ist es also nichts. Wie begründet aber der Herr Bundesfinanzminister diese Entwicklung? Es ist richtig, daß sich die beauftragten Gremien — die teilweise auf völlig selbständiger, zum Teil auf halbstaatlicher Basis arbeiteten — und auch die Ministerien selbst zweifellos sehr eingehend mit unserem Steuersystem beschäftigt haben. Die Mehrheit dieser Gremien ist nun zu der Überzeugung gekommen, die Aufteilung unseres gegenwärtigen Steuersystems in direkte und indirekte Steuern und die Art der Verteilung der einzelnen Steuern sei im allgemeinen gut, und es bestehe kein wesentlicher Grund, dieses System zu ändern.
Ich persönlich bin über dieses Ergebnis sehr enttäuscht; denn ich — ich spreche jetzt nur in meinem eigenen Namen — teile diese Auffassung nicht, daß unser derzeitiges Steuersystem wirklich gut sei.
Ich habe darüber schon im März 1953, als ich zur Haushaltsdebatte sprach, die gleichen Gedankengänge geäußert, treffe diese Feststellung also nicht zum erstenmal. Ich hätte zumindest erwartet, daß sich der Herr Bundesfinanzminister nicht mit der lakonischen Feststellung begnügt hätte: Unser Steuersystem ist gut, und auch die einzelnen Stellen, die sich damit befaßt haben, haben mir das bestätigt. — Ich hätte dann mindestens eine eingehende Begründung dafür erwartet, und zwar im Hinblick darauf, daß wir ja jahrelang von einer anderen Vorstellung ausgegangen sind, daß nämlich unser Steuersystem von Grund auf durchgeackert, durchgekämmt, umgeändert und organisch neu aufgebaut werden müsse.
Ich meine, so billig hätte man es nicht machen dürfen.
Wie steht es nun mit der Enttäuschung des Steuerzahlers selbst über die Steuersenkung? Als ich die Presseberichte am Tage nach der Verkündung dieses Reformgesetzes las, habe ich mich allen Ernstes gefragt, ob denn nun der Herr Bundesfinanzminister eine Gesetzesvorlage mit einer Steuersenkung oder einer Steuererhöhung vorgeschlagen habe.
Die negative Kritik hätte eigentlich nicht stärker sein können, wenn er einen Gesetzentwurf mit Steuererhöhungen eingebracht hätte.
Böse Zungen haben ja behauptet, er würde mit dieser Reform sogar mehr nehmen, als er gebe, und zwar einschließlich der beiden vorgeschlagenen Zusatzsteuern, Ergänzungsabgabe und Erhöhung der
Großhandelsumsatzsteuer. Dieser Auffassung bin ich nicht.
Es handelt sich vielmehr bei der vorliegenden Reformvorlage um eine echte Steuersenkung, und diese Steuersenkung erfolgt in einem Ausmaß, das meines Erachtens auch von der Öffentlichkeit anerkannt werden müßte.
Zweifellos hätte sich jeder Steuerzahler noch eine weitere Senkung gewünscht. Aber, Hand aufs Herz, können wir heute schon normale Steuersätze fordern? Das würde doch voraussetzen, daß wir bereits normale Verhältnisse haben, daß wir also den Krieg mit seinen Folgen überwunden haben und daß das alles der Vergangenheit angehört. Das ist aber doch nicht der Fall; Sie wissen doch alle und jeder Steuerzahler weiß es, daß wir die Kriegsfolgen noch nicht überwunden haben und demgemäß auch noch keine normalen Steuersätze haben können. Unsere Steuersätze, auch wie sie jetzt in der neuen Reformvorlage enthalten sind, sind also zwangsläufig auf Grund dieser Tatbestände noch überhöht, d. h. wir stehen noch alle, ob wir wollen oder nicht, unter einem Steuerdruck. Wir leiden darunter, wir müssen darunter leiden, und wir können uns auch darüber beklagen, aber wir können es nicht ändern.
Das ist ein Faktum, über das wir in keiner Weise hinweggehen dürfen.
Wie steht es nun mit dem Weg, den diese Steuerreform genommen hat? Die Reformvorlage geht einen Weg weiter, den wir im 1. Deutschen Bundestag bereits mit Erfolg gegangen sind. Wir dürfen daher auch die Zuversicht haben, daß dieser Weg, der bisher richtig war, auch weiterhin richtig ist. Das bedeutet aber auch — und da setze ich mich mit der Auffassung, die ich nun namens meiner Parteifreunde vortrage, vielleicht etwas in Gegensatz zum Herrn Bundesfinanzminister, jedenfalls zu der gegebenen Begründung —, daß wir in dieser Reformvorlage nur einen weiteren Schritt in Richtung der Konsolidierung unserer steuerlichen Verhältnisse sehen. Das heißt, es ist nichts Endgültiges, und wir werden uns wahrscheinlich auch im kommenden oder übernächsten Jahr damit beschäftigen müssen. Das ergibt sich schon zwangsläufig aus dem, was ich vorhin herausgestellt habe: wir wollen wieder zu normalen Verhältnissen kommen. Wie wir auch sonst auf wirtschaftlichem Gebiet uns stetig Schritt für Schritt in dieser Richtung vorwärtsarbeiten, so wollen wir auch steuerlich zu normalen Verhältnissen kommen. Daher müssen wir uns wohl oder übel immer wieder mit Steuerreformgesetzen beschäftigen. Wir wollen, wenn weitere Senkungen möglich sind, uns gern damit beschäftigen, auch wenn die Senkungen vielleicht nur ganz wenige Prozente ausmachen.
In der Vergangenheit, in unseren ersten beiden Steuersenkungsnovellen von 1950 und 1951 haben wir die Senkungen im wesentlichen durch die Einführung der Sondervergünstigungen herbeigeführt. Wir waren uns damals darüber im klaren, daß die Einführung von Sondervergünstigungen praktisch im Widerspruch steht zum Grundsatz der Steuergleichheit; denn jede Sondervergünstigung, die man einräumt, bedeutet in sich eine Verletzung dieses Grundsatzes der gleichmäßigen steuerlichen
Behandlung der Steuerzahler. Wir haben den Weg beschritten, teilweise, weil wir noch nicht die notwendige staatliche Selbständigkeit hatten, teilweise aus — wie man so schön sagt — optischen Gründen im Verhältnis zum Ausland. Bei der Kleinen Steuerreform im Jahre 1953 haben wir dann gesagt: nun müssen wir aber den Weg frei machen zu einer echten Reform, d. h. zu einer Reform, die den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung verwirklicht. Aus diesem Grunde haben wir in der Kleinen Steuerreform neben einer Tarifsenkung so gut wie alle Steuervergünstigungen aufgehoben. Wir taten das nicht sofort, weil wir den Tarif noch nicht entsprechend senken konnten und die damit verbundenen nachteiligen, wirtschaftsschädigenden Folgen nicht in Kauf nehmen wollten, sondern erst mit Wirkung vom 31. 12. 1954, also dem Ende dieses Jahres. Wir waren uns aber darüber im klaren, daß bis zum Wegfall dieser Steuervergünstigungen eben eine neue Steuersenkung durch ein auf dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung aufgebautes Gesetz erfolgen müsse. Es ist deshalb nur logisch, daß die heutige Reformvorlage als Eck- und Kernpunkt einerseits die Senkung des Tarifs hat und daß dieser Tarif andererseits auf dem Prinzip der linearen Progression aufgebaut ist, ohne alle Ausbuchtungen nach oben oder unten; denn jede Ausbuchtung dieses Tarifs der linearen Progression bedeutet für die Betroffenen entweder eine Steuererhöhung oder eine Steuervergünstigung, mit anderen Worten, Wiedereinführung des Steuervergünstigungsprinzips über die Art der Tarifgestaltung. Es ist also insoweit absolut folgerichtig, wenn sich der Herr Bundesfinanzminister zu diesem Tarif entschlossen hat, der auf dem Prinzip der linearen Progression aufgebaut ist.
Nun, zum Tarif hat der Steuerzahler selbstverständlich viele Wünsche. Sie können aber, wie bereits betont, noch nicht so verwirklicht werden, weil wir noch nicht normale Ausgabenverhältnisse geschaffen haben. Bei einer Tarifgestaltung muß man zwei Grenzen berücksichtigen, zunächst eine Grenze nach unten — wo muß oder wo darf ein solcher Tarif anfangen? — und dann eine Grenze nach oben: wo muß ein solcher Tarif aufhören? Die Grenze nach unten bildet zweifellos das Existenzminimum. Wenn nun dieses Existenzminimum rein zahlenmäßig feststünde, wenn man darüber so ganz einer Auffassung wäre, so wäre das ja sehr schön. Aber die Vorstellungen über das Existenzminimum gehen ja sehr weit auseinander.
— Wir haben auch in diesem Hause, lieber Herr Kollege Seuffert, ja schon mehr als einmal darüber debattiert.
— Vielleicht bringen Sie es sogar nachher; ich weiß es nicht genau. Wieweit ist denn nun der Herr Bundesfinanzminister nach unten gegangen, was hat er als Existenzminimum, das nicht mehr belastet werden darf, steuerlich angesehen? Ohne Berücksichtigung der möglichen Sonderausgaben, wobei ich allerdings gerechterweise sagen will, daß, man, je weniger man verdient, um so weniger auch von den Sonderausgaben Gebrauch machen kann — § 10; wir wollen die Dinge ganz sachlich und unvoreingenommen sehen —, beginnt die steuerliche Verpflichtung für einen Ledigen bei einem Monatsgehalt von etwa 150 DM, für. Verheiratete ohne Kinder bei monatlich 225 DM, dann geht es
mit einem Kind gleich auf 300, weiter auf 350, 450, 550 bis zu 700 DM mit fünf Kindern und darüber. Ich persönlich habe das Gefühl — und meine Parteifreunde sind insoweit einer Meinung —, daß diese untere Grenze als Sozialgrenze anzusprechen und durchaus tragbar ist. Sie wissen, daß die Freigrenze, um den Sozialfaktor beim Aufbau des neuen Tarifs zu berücksichtigen, von 800 auf 900 und vom dritten Kind an bis auf 1440 DM erhöht wurde, eine Erhöhung für die Ehefrau, eine Erhöhung für jedes Kind, es sind also bei allen Gruppen Erhöhungen vorgenommen worden.
Selbstverständlich sind Wünsche laut geworden, diese Erhöhungen der Freigrenzen noch zu steigern, und zwar auf mindestens 1000 DM pro Person.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Solange wir das jetzige Verhältnis zwischen direkten und indirekten Steuern haben
- ja! —, sind wir der Auffassung, daß möglichst jeder im Erwerbsleben stehende Staatsbürger einen direkten und für ihn sichtbaren Obolus für das Staatswesen geben soll, an das er sich einmal wenden und mit Recht wenden kann, wenn er hilfsbedürftig oder nicht mehr arbeitsfähig ist. Mit anderen Worten: Aus der politischen Erwägung heraus, daß derjenige, der vom Staat etwas will, schon in seinen Arbeitstagen, auch wenn er wenig verdient, einen kleinen Obolus geben muß, glauben wir, bei Beginn die Sozialgrenze bei diesem gestaffelten Tarif gewahrt zu haben. Wenn wir die Möglichkeit haben — und darauf komme ich noch später zurück —, eine Erhöhung der Freigrenzen vorzunehmen, so werden wir das ohne weiteres tun.
Die Grenze nach oben lag ursprünglich bei 90 %, dann beim Plafond 80 %, heute liegt sie beim Plafond 70 %. Wir wissen alle, daß diese überhöhten Steuern weder für den Staat noch für unsere Wirtschaft noch für jeden einzelnen von uns, und zwar nicht so sehr in seiner Eigenschaft als Steuerzahler, sondern noch mehr in seiner Eigenschaft als Konsument, von Nutzen waren; denn diese überhöhten Steuern halten unser Kostensystem in der Wirtschaft künstlich hoch. Es wäre eine Illussion, anzunehmen, daß die direkten Steuern keine Kostenelemente seien. Auch die direkten Steuern sind wie die Bruttolöhne, in denen ja sowieso schon die direkten Steuern aller Lohnempfänger stecken, echte Kostenelemente, und je mehr wir die Stufen nach oben erhöhen, desto mehr verteuern wir unseren ganzen Konsumentenapparat. Hinzu kommt, daß durch diese direkten Kosten die Wirtschaft zu einem unrationellen Denken und Handeln verführt wird. Sie kennen ja die Frage, die seit Jahren immer wieder herumgeistert, wenn eine Entscheidung darüber getroffen werden muß, ob diese oder jene Ausgabe gemacht werden soll: Wieviel davon zahlt die Steuer, wieviel zahlt Schäffer? Und dann heißt es: Ach, der zahlt 60, 70 % oder mehr.
Mit diesem Steuertarif, der nunmehr an der oberen Grenze von rund 55 % enden soll, will man mit diesem unrationellen Denken endgültig Schluß machen; denn das sind wirtschaftsschädliche Tendenzen in unserer Steuergesetzgebung. Praktisch müßte die Grenze bei 50 % sein. Alles, was darüber ist, wirkt sich nicht nur kostensteigernd, sondern auch leistunghemmend aus und fördert nur unökonomisches Denken.
Wir bejahen also den Tarif, und zwar auch insoweit, als er nicht über 55 % hinausgeht. Wir verlangen sogar, mindestens auf den kritischen Punkt von 50 % herabzugehen. Das muß zu gegebener Zeit geschehen. Im Rahmen dieser Beratung wird es wahrscheinlich nicht möglich sein.
Nun zu den einzelnen Wünschen. Wie Sie wissen, haben wir im Jahre 1934 einen Steuertarif gehabt, der während des Krieges geändert worden ist. Er ist dann von den Besatzungsmächten, danach 1950, 1951 und 1953 geändert worden. Nun hat der Bundesfinanzminister auf einem völlig neuen Prinzip, nämlich dem Prinzip der linearen Progression, dem Prinzip der steuerlichen Gleichheit, einen neuen Tarif aufgebaut. Zwangsläufig ergibt sich daraus, daß nicht alle Gruppen der Steuerzahler die Steuersenkung gleichmäßig genießen.
Zur Verwirklichung des Grundsatzes des Abbaus der Vergünstigungen und der Hinkehr zum Prinzip steuerlicher Gleichheit mußten wir tariflich sozusagen eine große Flurbereinigung vornehmen. Diese Flurbereinigung hat zwangsläufig zur Folge, daß nicht völlig gleichmäßig alle Steuerpflichtigen sagen können: die Steuern sind um 20 % oder um 19 % gesenkt. Für manche Gruppen ist die Steuersenkung gering. Einige kommen sogar in die unangenehme Lage, daß sie praktisch etwas mehr Steuern zahlen müssen als vorher. Man muß das offen aussprechen. Es ergibt sich aus der Flurbereinigung auf dem gesamten Tarifgebiet.
Man kann aber generell sagen, daß etwa bis zu einer Grenze von 4500 Mark sämtliche Einkommensbezieher weniger direkte Steuern zahlen als vor dem Krieg. Ein sehr, sehr großer Teil der Steuerzahler nimmt also, obwohl wir noch unter überhöhtem Steuerdruck stehen und weiter stehen müssen, in bezug auf die direkten Steuern nicht daran teil. Damit kann man uns zweifellos in bezug auf diese Tarifgestaltung nicht den Vorwurf unsozialen Verhaltens machen.
Die höheren Einkommen bezahlen mehr als früher. Auf ihnen liegt also auf dem Sektor direkter Steuern die Last des Krieges, die Last der Kriegsfolgen. Aber auch hier ist die Steigerung so, daß wir immer noch von einer Progression von unten nach oben sprechen können, daß also immer noch das Prinzip gilt, daß je mehr einer verdient, desto höher seine Steuerprogression ist.
Welche Wünsche kann man nun berücksichtigen? Die beste Steuersenkung ist immer noch die Ausgabensenkung. Bei der Verwirklichung dieses Grundsatzes sind wir hier in diesem Hohen Hause bisher nicht als Beispiel vorangegangen. Das wissen wir j a alle. Andererseits haben nun mal eben die Steuern den verdammten Zweck, diese Ausgaben zu decken. Daher sind schon von der Ausgabeseite her die Beweglichkeit und die Möglichkeit der Steuersenkung entsprechend eingeschränkt. Wir hören, der Bundesfinanzminister will uns schon die Rechnung für die Ausgaben im Jahre 1955 aufmachen, um unseren Elan bei den Steuersenkungen entsprechend zu dämpfen. — Er guckt ganz böse.
Was steht nun zur Verfügung? Selbstverständlich vertreten auch meine Parteifreunde den Grund-
satz: Bei dieser Steuerreform muß die Senkungsmöglichkeit aufs äußerste ausgenutzt werden.
Wir müssen die Steuern senken, soweit es irgend möglich ist,
im Rahmen des Grundsatzes, daß der Haushalt gedeckt bleiben und unsere soziale Leistungsfähigkeit erhalten bleiben muß.
Darüber, was nun auf Grund der neuen Tarife an Steuern eingehen wird, gehen die Meinungen etwas auseinander. Ich will Sie nicht aufhalten und hier mit Zahlen herumwerfen. Sie haben gehört, daß der Bundesfinanzminister sich entschlossen hat, diesen Schätzungen so weit wie nur möglich auf den Grund zu gehen, und daß er seinerseits alles dazu beitragen will, um auch uns als verantwortlichen Parlamentariern die Möglichkeit zu geben, diese Schätzungen bis in die letzten Ecken und Winkel zu durchleuchten. Soviel steht fest: wenn sich eine zusätzliche Möglichkeit der Steuersenkung ergibt, müssen wir die weitere Erhöhung der Freigrenzen auf dem sozialen Sektor ins Auge fassen, ihre weitere Erhöhung auf dem Sektor der Familienförderung. Im Interesse der Erhaltung und Förderung des Mittelstandes, damit im Interesse unserer freiberuflich Schaffenden, wollen wir eine, nun muß ich allerdings sagen, Steuervergünstigung, die in der Form gegeben wird, daß der Tarif etwa für die Steuergruppen von 10 000 bis 30 000 DM, um nur einmal zwei Zahlen zu nennen, entgegen der jetzigen linearen Progression etwas nach unten ausgebuchtet wird, also in Abweichung vom Tarifprinzip.
In diesem Zusammenhang — darauf will ich nachher noch besonders eingehen — möchte ich auf die Freibeträge für die mitarbeitende Ehefrau hinweisen. Da es sich bei den hiermit angesprochenen Steuerzahlern im Rahmen der gesamten Direkt-Steuerpflichtigen immer um eine sehr große Zahl handelt — sie geht in die Millionen —, sind natürlich auch die Beträge in der Ausfallrechnung zwangsläufig sehr hoch. Wir haben z. B. rund 10 Millionen Lohnsteuerpflichtige. Eine Mark Steuersenkung pro Monat sind im Jahr 12 Mark für den einzelnen, aber für das Budget 120 Millionen.
— Ich rede ja jetzt nur von der rechnerischen Auswirkung bei einer D-Mark.
— Richtig. Aber ich wollte nur andeuten, daß wir uns in bezug auf die Steuersenkungsmöglichkeiten trotz eingehender Nachschätzungen nicht zu große Hoffnungen machen können, weil es sich, wie gesagt, bei den Forderungen, die wir zu berücksichtigen haben — Sozialforderungen, Erhöhung der Freigrenze, steuerliche Vergünstigung über den Tarif der mittelständischen und freiberuflich schaffenden Steuerzahler —, jeweils um eine sehr, sehr große Zahl von Steuerpflichtigen handelt.
Nun noch zu den Einzelbestimmungen des Reformgesetzes. Wir haben die Vergünstigungen sowohl hinsichtlich des § 7 als auch des § 10 aufgehoben. Als wir den § 7 c mit Wirkung per 31. Dezember 1954 aufhoben, waren wir uns darüber im klaren, daß das Problem des sozialen Wohnungsbaus zu diesem Zeitpunkt noch nicht gelöst sei. Wir waren uns daher auch darüber
klar, daß wir in irgendeiner Form einen Ersatz für den Ausfall der bisher über § '7 c geflossenen Gelder schaffen müßten. Das Volumen betrug zumindest in den letzten zwei Jahren durchschnittlich ungefähr 700 Millionen DM, die in den sogenannten unrentierlichen Teil des sozialen Wohnungsbaus flossen. Wir müssen also irgendeinen Ersatz bieten. In der Reformnovelle selber ist ein solcher Ersatz nicht vorgesehen. Im Kapitalmarktförderungsgesetz
soll als Ersatz
der Sozialpfandbrief vorgesehen sein.
— Weil eine entsprechende Gesetzesvorlage noch fehlt,
bin ich auch nicht ermächtigt, namens meiner Parteifreunde hierzu eine Erklärung abzugeben. Aber die Überlegungen, inwieweit der Sozialpfandbrief einen Ersatz darstellen kann, werden doch sehr eingeschränkt und zwangsläufig in eine ganz bestimmte Richtung gedrängt, wenn man die Zweckbestimmung berücksichtigt. Der zu erreichende Zweck soll sein, Gelder für einen unrentierlichen Teil im Rahmen der Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus zu bekommen. Das hinzugebende Geld ist also unrentierlich. Dieser Tatbestand ist unbestritten und leider auch unbestreitbar. Der Sozialpfandbrief verlangt eine 5%ige Verzinsung. Das Geld, das über den Sozialpfandbrief kommt, muß also rentierlich sein, oder es muß ein anderer kommen, der die 5 % bezahlt. Mit anderen Worten, ich sehe in dem Sozialpfandbrief keinen Ersatz
für die Finanzierungslücke des unrentierlichen Teiles.
Darüber hinaus sehe ich in dem Sozialpfandbrief einen absoluten Störenfried auf dem Kapitalmarkt,
einen Störenfried, der nur Schaden bringt ohne jeden Nutzen.
Es wäre meines Erachtens an der Zeit, ihn möglichst bald zu kassieren.
Ich habe mich noch gar nicht so sehr umgehört, ob alle meine Parteifreunde dieser Auffassung sind.
Aber ich habe ja eingangs schon erwähnt: wir haben uns noch nicht damit zu befassen, weil eine entsprechende Vorlage fehlt. Ich wollte und mußte aber im Zusammenhang mit der Frage, wo der Ersatz für § 7 c liegt,
darauf hinweisen, daß aus Zinsgründen der Sozialpfandbrief, auch wenn er noch so viel Geld und
Kapital bringen würde, das Ersatzmittel nicht sein
kann, weil er eben kraft seiner Bestimmungen nicht unrentierlich, sondern rentierlich sein muß.
Wie steht es nun mit der Wiedereinführung des § 7 c?
Wie Sie wissen, hat sich der Bundesfinanzminister heute morgen nochmals dagegen ausgesprochen und hat gesagt: „Wir haben feierlich die Vergünstigungen aufgehoben. Es ist doch völlig unmöglich, daß wir sie wieder einführen".
Es steht allerdings wohl fest, daß die Wiedereinführung des § 7 c nicht mehr so viel bringen würde, wie er bisher gebracht hat, und zwar mit Rücksicht darauf, daß eben die Tarifsätze doch eine entscheidende Senkung erfahren und damit der Anreiz für die Hingabe von 7 c-Geldern wegfällt. Viele 7 c-Gelder wurden doch unter dem Aspekt gegeben: Na, bald kommt ja eine mächtige Steuersenkung; die große organische Steuerreform ist ja schon feierlich angekündigt und kann nicht mehr lange auf sich warten lassen!
Wenn ich unsere Leistungen und unsere Ausgaben betrachte, die wir heute haben und die vielleicht noch auf uns zukommen, dann muß ich sagen: wir haben unsere Steuern gesenkt und wollen sie noch weiter senken — von dem ursprünglichen Plafond von 90 % auf jetzt 55 %. Damit haben wir meines Erachtens die Steuern schon mehr gesenkt, als wir sie jeweils später noch senken können.
Finden wir ein Mittel, um die Ausgaben zu senken, dann senken wir gern die Steuern weiter!
Ich glaube also, daß wir auch mit der Wiedereinführung des § 7 c die Mittel nicht bekommen. Daher wäre zu untersuchen, ob nicht völlig neue Wege beschritten werden können; etwa der Weg, die unrentierliche Lücke durch Staatsbürgschaften oder Zinssubventionen auszufüllen oder dadurch, daß die Gelder, die gegeben werden, dann, rein steuerlich gesehen, eine Teilwertabschreibung erfahren, weil sie unrentierlich sind; denn jedes Kapital, das unrentierlich, unverzinslich gegeben wird, steht ja nicht mehr zu pari. Man müßte also, teilwertmäßig gesehen, eine Abschreibung zulassen. Man könnte auch sagen, daß zwar die Hingabe der Gelder nicht steuerbegünstigt ist, daß aber im Zeitpunkt der Rückzahlung ein gewisser Prozentsatz der rückzuzahlenden Beträge steuerlich als Unkosten absetzbar ist. Wir wissen nur eines: wir müssen, da wir weiterhin den sozialen Wohnungsbau vorwärtstreiben müssen, so oder so eine Finanzierungsquelle für diesen unrentierlichen Teil finden. Es wird Aufgabe des Ausschusses sein, in Zusammenarbeit mit dem Wohnungsbauausschuß und mit den beteiligten Ministerien den Weg zu finden. Er muß auf jeden Fall gefunden werden.
Die Steuervergünstigungen, die der § 10 gebracht hat, sind wesentlich beschnitten. Wir haben zwar als Ausgleich die Sonderausgaben etwas erhöht. Trotzdem sind die Steuerzahler, die bisher im Genuß dieser Möglichkeiten waren, darin sehr beschränkt. Insbesondere ist die Möglichkeit der Altersversorgung für die selbständigen und unselbständigen Schaffenden eingeschränkt, und gar keine Möglichkeit der Altersversorgung besteht praktisch für den Mittelstand. Wir sind der Auffassung, daß hier im Rahmen der Beratung dieser Novelle etwas geschehen muß, vielleicht, indem man in beschränktem Umfang den Kapitalansammlungsvertrag wieder einführt, aber mit absolut verlängerten Laufzeiten und selbstverständlich mit der Höchstbegrenzung, wie sie jetzt vorgesehen ist. An eine Erhöhung dieser Sätze denkt niemand; man muß nur an die Erweiterung des Personenkreises denken. Denn von den erhöhten Sonderausgaben können nach der gesetzlichen Regelung bisher nur die unselbständig Arbeitenden und die in selbständiger Arbeit Stehenden Gebrauch machen. Sie sollen nunmehr im Hinblick auf die Verdoppelung der Beiträge für Lebensversicherungen und Bausparkassen beschränkt werden. Wenn nun z. B. ein freischaffender Mann über 50 Jahre alt ist und der Versicherungsarzt ihm sagt: „Es tut mir leid, Ihr Gesundheitszustand ist so, daß ich das Risiko, mit Ihnen einen Lebensversicherungsvertrag abzuschließen, nicht mehr eingehe" — mit einem Bausparvertrag ist es auch so eine Sache —, dann hat er zwar gesetzlich die Freibeträge, die gerade deswegen geschaffen sind, um eben hier eine Altersversorgung zu ermöglichen, aber er kann davon keinen Gebrauch machen. Es erhebt sich daher die Frage, ob nicht doch in beschränktem Umfang die steuerliche Begünstigung der Kapitalansammlungsverträge wieder eingeführt werden soll. Ich sage, es erhebt sich die Frage; man wird das im Rahmen der Möglichkeiten erörtern.
Dasselbe gilt für die berechtigte Forderung des Mittelstandes, daß von dieser Altersversorgungsmöglichkeit nicht nur die in unselbständiger Arbeit und in selbständiger Arbeit Stehenden, sondern auch der gewerbliche Mittelstand. Gebrauch machen könne.
In § 10 a soll durch die Novelle die Frist verkürzt werden. Dies ist die Steuervergünstigung, die wir seinerzeit für Flüchtlinge, Vertriebene usw. eingeführt hatten. Wir haben damals den Wegfall jener Vergünstigungen auf den 31. Dezember 1956 festgesetzt. Diese Frist soll also auch verkürzt werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind unglücklich darüber, daß eine solche Bestimmung in diesem Entwurf steht. Wir haben aus ganz bestimmten Gründen und mit viel Überlegung und viel Berechtigung — ich selbst unmittelbar als Initiator mit Ihnen zusammen, Herr Seuffert — seinerzeit dahin gewirkt, daß diese Bestimmungen im Interesse dieses Personenkreises hineinkamen, und wir sind der Auffassung: wenn Rechte mit Frist, nicht unbefristet, gegeben werden, dann soll man, sofern man sich schon zum Prinzip des Rechtsstaates bekennt — und unser ganzes demokratisches Leben basiert ja auf diesem Prinzip —, die Fristen, die man selbst gesetzt hat, respektieren.
Wir können also dieser Fristverkürzung, auch wenn sie natürlich dem Interesse der völligen Bereinigung und dem Abbau aller Sondervergünstigungen dient, nicht zustimmen.
Eine andere Fristverkürzung liegt bei § 33 a. Diese Bestimmungen sind im Interesse eines bestimmten Personenkreises für eine bestimmte Dauer eingeführt worden. Alle, die die Vergünstigung von Anfang an über die ganze Dauer hinweg in Anspruch nehmen konnten, sind gut dran. Wenn nun einer erst im zweiten oder letzten Drittel der Gesetzesdauer Anwärter wird, sagt er sich: Ich bin als Spätheimkehrer schon sehr viel mehr benach-
teiligt als die anderen, und trotzdem kriege ich jetzt dafür noch die Quittung, daß ich die Vergünstigung nur noch ein halbes Jahr oder ein Jahr beanspruchen darf. Insofern liegt in diesen Fristbestimmungen eine Härte, und es wäre vielleicht zu überlegen — vielleicht hätte man es früher schon überlegen sollen —, ob man die Frist nicht für jeden einzelnen, sagen wir einmal, auf drei Jahre begrenzt, nach deren Ablauf die Vergünstigung entfällt. Allerdings stünde das in Widerspruch zu dem Grundsatz der Steuervereinfachung, dem wir mit unseren Gesetzen ja auch näher kommen wollen.
Nun das Problem der Ehegattenbesteuerung. Der Herr Bundesfinanzminister hat ja zum Ausdruck gebracht, daß die derzeitige steuerliche Regelung einen glatten Widerspruch zum Prinzip der Gleichheit der Besteuerung darstellt.
Die derzeitige Regelung stellt unbestreitbar die stärkste Verletzung dieses Grundsatzes dar. Der Herr Bundesfinanzminister will diesen ungesunden Zustand dadurch beseitigen, daß er allmählich zu der für ihn allein möglichen gemeinschaftlichen Besteuerung zurückkehrt. Deshalb hat er sich entschlossen, in der Vorlage einen weiteren Schritt in der Richtung auf dieses Ziel, die gemeinschaftliche Besteuerung, zu gehen, indem er nunmehr die Grenze für die getrennte Besteuerung auf 9000 DM angesetzt hat. Ob man zu diesem Grundsatz der gemeinschaftlichen Besteuerung angesichts der Tatsache, daß immer mehr Ehefrauen berufstätig sind, zurückkehren kann und ob wir nicht eventuell doch auf eine andere Lösung abgedrängt werden, etwa die Lösung der getrennten oder der halbierten Veranlagung, des Halbierens der Verdienste ohne Rücksicht darauf, wer von den einzelnen Ehegatten und wieviel der einzelne Ehegatte verdient, das können wir im Rahmen dieser Reform wahrscheinlich nicht lösen; denn eine solche Schwenkung wäre, wie feststeht, im Rahmen dieser Tarifgestaltung nicht möglich. Wenn wir uns ,also grundsätzlich von dem Vorschlag des Bundesfinanzministers abwenden sollten, so hätte das zwangsläufig zur Folge, daß wir auch den Tarif, so wie er vorliegt, nicht gebrauchen könnten. Es würde also eine völlige Umgestaltung des Tarifs bedeuten.
Die vom Bundesfinanzminister jetzt vertretene Regelung ist unter sozialen Gesichtspunkten zu bejahen. Man müßte dann allerdings folgerichtig auch die übrigen mitarbeitenden oder mitverdienenden Ehefrauen im Rahmen eines solchen Einkommens bis zu 9000 DM gleich behandeln. Das würde bedeuten, daß wir die mittelständische Forderung auf Einräumung eines Freibetrags für die mitarbeitende Ehefrau und die gleichlautende Forderung der Landwirtschaft in entsprechender Form berücksichtigen müssen.
Denn nach wie vor haben wir den wirklich mehr als unleidlichen Zustand, daß sich das Sichverheiraten steuerlich im Rahmen der Gesamtveranlagung nachteilig auswirkt. Diese Auswirkung wäre nur über eine andere Veranlagungsmethode oder über eine andere Tarifgestaltung mit völlig anderen Freigrenzen zu beseitigen. Steuerlich müßten wir auf diesem Sektor mindestens die Neutralität anstreben, von der Förderung der Familie ganz zu schweigen, die zusätzlich eingebaut werden
müßte und heute in Form der Freigrenzen für Kinder zweifellos schon ganz erheblich eingebaut ist. Ich möchte dieses Streitthema nicht weiter erörtern. Ich wollte hier nur den heutigen Tatbestand aufzeigen, Möglichkeiten und Grenzen der Lösung, aber auch die Schwierigkeiten dieser Lösung und die Forderungen, die gegebenenfalls auch von meinen Parteifreunden im Interesse der Gleichheit der Besteuerung angemeldet werden müßten.
Damit wären die Einzelthemen zur Einkommensteuernovelle, die ich mir vorgenommen habe, erschöpft. Ich muß nur noch folgendes ansprechen. Durch den 'Wegfall der Steuervergünstigungen, insbesondere den Wegfall des § 10, Kapitalansammlungsverträge, haben wir zweifellos ein außerordentliches Risiko auf dem Gebiet des Kapitalmarkts übernommen. Diese Kapitalansammlungsverträge hatten zwangsläufig zur Folge, daß sich hier echtes Kapital, langfristiges Kapital, bildete. Nun wird niemand mehr angehalten, Kapital zu bilden, um Steuern zu sparen. Dazu kommt noch die allgemeine Tarifsenkung. Wir werden also zwangsläufig einen Hang erleben — einen Trend, wie man heute zu sagen pflegt — vom Kapitalmarkt zum Konsum, soweit durch die Tarifsenkung Steuern eingespart werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist dies wirklich ein sehr großes Risiko, das wir hier eingehen. Ich bitte das nicht zu unterschätzeu. Denn auf dem Sektor Investitionen in unserer Wirtschaft sind wir noch nicht so weit, daß wir schon à jour wären. Wir können unseren Lebensstandard und den Wettbewerb im Rahmen der Weltwirtschaft nicht durchhalten, wenn wir auf diesem Sektor nicht noch viel mehr tun als heute. Die Investitionen von heute sind die Arbeitsplätze von morgen. Das ist heute für niemanden ein Geheimnis mehr. Trotz dieses Risikos wollen wir die Kapitalansammlungsverträge mit den bisherigen Vergünstigungen nicht mehr haben, sondern höchstens noch in Form der Altersversorgung. Um die Gefahr des Investitionsrückgangs etwas einzudämmen, soll zusammen mit der Einkommensteuer auch die Körperschaftsteuer gesenkt werden, und zwar von 60 auf 45%, unter Beibehaltung der Vergünstigungen bei der Dividendenausschüttung. Diese Maßnahme soll also in erster Linie dazu dienen, den Investitionsmarkt zu fördern bzw. die möglichen Ausfälle aus dem Wegfall der Kapitalansammlungsverträge wieder auszugleichen.
— Das ist sehr einfach. Sie wissen genau, Herr Kollege Seuffert, daß man auch investieren kann, indem man Teile des eigenen Gewinns, statt sie an die Steuer abzuführen, wieder in das eigene Unternehmen reinsteckt. Wenn dann vom eigenen Gewinn 15 % mehr als bisher verbleiben, dann hat man 15 % mehr Mittel, um den Betrieb zu erneuern, zu modernisieren, wettbewerbs- und konkurrenzfähiger zu machen.
— Das ist auch so. Das Geld wird nicht genommen und irgendwie nach auswärts verfrachtet.
— Das kommt noch, lieber Herr Raestrup!
Des weiteren stellen wir leider eine steigende Verschuldung unserer Gesellschaften fest. Die Versorgung mit Eigenkapital und die Versorgung mit Schuldkapital klaffen immer weiter auseinander. Wenn Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, meinen, das sei eine erstrebenswerte Entwicklung, dann muß ich Ihnen sagen, daß ich persönlich völlig anderer Auffassung bin. Wir müssen, wenn wir uns wirklich in echter Weise zur sozialen Marktwirtschaft bekennen, das Prinzip der Stärkung des haftenden Kapitals ständig betonen und alles tun, damit dieses haftende Kapital sich verstärken kann und damit das Schuldkapital sinkt.
Die Entwicklung ist leider umgekehrt. Das haftende Kapital kann, wie gesagt, dadurch verstärkt werden, daß beim Gewinn etwas verbleibt, aber auch dadurch, daß der einzelne, statt sein Geld zu konsumieren, es der Industrie, der gewerblichen Wirtschaft in Form der Aktie als haftendes Kapital anbietet.
Denn wo soll denn die Aktienvermehrung herkommen? Sie fällt doch nicht vom Himmel, sie kann doch nur dadurch kommen, daß der einzelne sich bereit findet, zu sagen: ich vertraue unserer Wirtschaft und lege mein Geld in haftendem Kapital an.
So gesehen ist es doch nicht mehr als vernünftig, wenn wir die Doppelbesteuerung wenigstens zum Teil abbauen.
Wir haben das im Jahre 1953 genau überlegt und die dort vorgenommene Regelung mehr als begrüßt. Wir vertreten die Auffassung: die Dividende muß steuerbegünstigt bleiben. Den Keil, den wir in die Doppelbesteuerung reingeschlagen haben, müssen wir drinlassen und ihn allmählich noch- so ausweiten, daß die Doppelbesteuerung endgültig fällt. Dann, lieber Herr Raestrup, sind wir auch so weit, daß wir keinen Unterschied mehr zwischen Kapitalgesellschaften und Personalgesellschaften zu machen brauchen.
Wie gesagt, dann sind wir auf dem Wege; das ist dann das Ergebnis.
— Ich habe ja mein Bedauern ausgesprochen!
Das sind die Themen, die in der großen, der organischen Steuerreform einmal angesprochen und bewältigt werden müssen. Wir können das heute nun nicht. Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, daß wir dann auf dem richtigen Wege sind, um dieses Ziel: Einheitlichkeit in der Besteuerung von Personalgesellschaften und Kapitalgesellschaften, zu erreichen.
— Herr Raestrup wird sich wahrscheinlich hier ganz besonders noch dafür einsetzen, weil er der Auffassung ist, daß die heutige Differenz zwischen den 45 % bei den Kapitalgesellschaften und dem Stoppauslauf mit 55 % bei den Personalgesellschaften noch nicht das richtige Verhältnis darstellt
und daß die Personalgesellschaften nach wie vor noch etwas benachteiligt sind.
Ich wollte nicht verfehlen, auch dieser Meinung Ausdruck zu verleihen.
Die Dividendenbegünstigung liegt, wie gesagt, bei 30 %. Nach der bisherigen Regelung müßte die Vergünstigung bei der Hälfte liegen. Bisher hatten wir 60 zu 30. Dieses Verhältnis müßte angestrebt werden. Vielleicht läßt es sich auch in dem Verhältnis 45 zu 221/2 verwirklichen.
In diesem Zusammenhang muß auch das Problem des Schachtelprivilegs gelöst werden, das meines Erachtens lösbar ist. Das ist aber eine Spezialfrage, womit ich Sie, meine Damen und Herren, hier nicht belästigen möchte.
Ich komme zum Schluß. Ich konnte unmöglich alle Probleme ansprechen. Wie ich bereits sagte, bedaure ich, daß diese Reformvorlage nicht die große oder organische Steuerreform beinhaltet. Die im Rahmen dieser Vorlage vorgesehene Erhöhung der Umsatzsteuer — diese Sondersteuer — wird namens meiner Parteifreunde nicht befürwortet. Ich kann es sogar hoch stärker ausdrücken: sie wird abgelehnt.
Diese Ablehnung wird aber auch jede Sondersteuer betreffen, die man sich vielleicht als Ersatz dafür ausdenken sollte. Diese Steuer ist eine Sondersteuer, und jede Sondersteuer, die einen Wirtschaftszweig belastet, wird im Rahmen des Wirtschaftsprozesses immer auf den schwächsten Teilnehmer in der Kette dieses Wirtschaftsprozesses abgewälzt, ob Sie wollen oder nicht.
Das gilt für diese Sondersteuer, wird aber auch für jede andere Sondersteuer zutreffen, die Sie einführen wollen. Wenn Sie irgendwie einmal dem Grundsatz der Steuergerechtigkeit und der Gleichmäßigkeit der Besteuerung ganz eklatant widersprechen wollen, dann müssen Sie eine Sondersteuer einführen, die einen einzelnen Wirtschaftszweig belastet. Sie wird, wie gesagt, im Rahmen dieses Wirtschaftsprozesses kraft der Konkurrenz und der dynamischen Kraft immer auf den Schwächsten abgewälzt, ob vor- oder rückgewälzt, ist gleichgültig.
Auf jeden Fall wird jede Sondersteuer auf den Schwächsten abgewälzt. Daher spreche ich mich im Namen des Großteils meiner Parteifreunde gegen jede Sondersteuer aus.
Die Frage der Ergänzungsabgabe will ich nicht besonders behandeln. Sie ist ja im Rahmen der Besprechung des Finanzreformgesetzes mit behandelt worden und wird mehr oder weniger das Schicksal des Finanzreformgesetzes teilen bzw. teilen müssen.
Lassen Sie mich zusammenfassend sagen: Die Grundsätze dieser Steuerreform sind gut. Sie verwirklichen das Prinzip der Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Sie tragen dazu bei, unsere Kosten zu senken, weil wir von überhöhten Steuern herunterkommen. Sie tragen dazu bei, die Kosten zu senken, weil wir vom unökonomischen Denken abgehen. Sie tragen dazu bei, unser Sozialprodukt zu steigern, weil sie die Leistungsfähigkeit des einzelnen steigern. Denn der einzelne — d. h. 99 %
aller Einkommensteuerpflichtigen — weiß, daß er nun wenigstens, was ihn betrifft, bis zu 50 % seines Arbeitsertrags behält. Damit steigern wir unser Sozialprodukt, und damit senken wir zwangsläufig im Rahmen unserer Konkurrenz- und Wettbewerbswirtschaft die Kosten. Damit heben wir die reale Kaufkraft, und diese Hebung der realen Kaufkraft kommt allen zugute, den Schwächsten der Armen zuerst. Sie kommt also auch all denen zugute, die keine Einkommensteuer zahlen und die vielleicht annehmen könnten: Was kümmert uns das Gezänk dieser Leute, die Einkommensteuer zahlen, ob die Tarife so oder so sind? Ich muß ja so oder so keine bezahlen! Jawohl, durch die Art und Weise, wie wir jetzt unsere Einkommensteuertarife und Körperschaftsteuertarife gestalten, heben wir unmittelbar die reale Kaufkraft und tragen damit zur Erhöhung des Lebensstandards eines jeden einzelnen bei. Wenn einzelne Gruppen kommen und sagen, sie hätten das oder das zu wenig: nun, jeder einzelne nimmt in einem gewissen Ausmaß an dieser Steuersenkung teil, und dies soll und muß man sehen.
Auch für den Mittelstand ist zu beachten, daß seinen Interessen im Rahmen des Verlustvortrags, im Rahmen der vereinfachten Buchführung und im Rahmen von anderen Vereinfachungsvorschriften in zusätzlicher Weise Rechnung getragen worden ist. Auch bei der Landwirtschaft ist das geschehen durch die Erhöhung von Freibeträgen für die Grünlandwirtschaften. Ich erinnere in dem Zusammenhang an die bereits durchgeführte Einführung der Degressivabschreibung. Ich erkläre es allerdings als eine sehr berechtigte und überaus durchgreifende Hilfe für die Landwirtschaft und den Mittelstand, wenn es möglich wäre, die degressive Abschreibung, die sich bisher auf Wirtschaftsgüter mit einer Lebensdauer von zehn und mehr Jahren erstreckt, auf die Wirtschaftsgüter mit einer Lebensdauer von fünf Jahren auszudehnen. Damit könnten wir über die Tarifsenkung und sonstigen Reformvorschläge hinaus dem Mittelstand und auch der Landwirtschaft entscheidend steuerlich helfen.
Abschließend lassen Sie mich sagen, was Bundeskanzler Adenauer vorgestern abend in dem Interview gesagt hat: Diese Steuerreform ist eine große Tat, wenn auch unvollkommen. Zu dem bekenne auch ich mich, zu dem bekennen sich auch meine Parteifreunde. Unsere Aufgabe wird es nun sein, diese große Tat im Interesse unserer Wirtschaft, im Interesse unserer Steuerzahler, im Interesse unseres gesamten Volkes möglichst rasch zu verwirklichen.