Rede von
Dr.
Wilhelm
Gülich
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht heute bei der Verabschiedung des Bundeshaushalts um 27 Milliarden DM, also um eine Summe, unter der man sich an sich nichts vorstellen kann. Gliedert man diese Summe in die
*) Siehe Anlage 1 Seite 1271
üblichen Blöcke des Haushalts, also in Personalkosten, in sächliche Kosten, in allgemeine Ausgaben und einmalige Ausgaben, so ergibt sich, daß auf Personalkosten etwas über 900 Millionen DM = 3,6 %, auf sächliche Kosten 460 Millionen DM = 1,8 %, auf einmalige Ausgaben 433 Millionen DM = 1,6 % und auf den großen Block der allgemeinen Ausgaben 23 300 Millionen DM = 93 % entfallen. Es ist also klar, daß man sich auch nach dieser Aufteilung nichts vorstellen kann.
Gliedert man nun nach großen Sachgebieten, so ergibt sich ihrer Bedeutung nach — und dann können wir uns etwas darunter vorstellen —, daß für Besatzung und Verteidigung 9411 Millionen DM = 37,5 % ausgegeben werden, während wir in Wirklichkeit — wie ich am vorigen Freitag ausgeführt habe —, wenn man all die anrechnungsfähigen und anrechnungsnotwendigen Zahlen mit einbezieht, für Verteidigung und Besatzung 44,5 % unseres gesamten Finanzvolumens ausgeben. Für Sozialleistungen geben wir 9035 Millionen = 36 % aus, für volkswirtschaftliche Investitionen 2123 Millionen = 8,4 %, für den Schuldendienst 877 Millionen = 3,6 %, für die Berlin-Hilfe 715 Millionen = 3 %, für Subventionen und Vorratshaltung sowie Darlehen an die Bundesbahn 486 Millionen = 1,9 %, für Wiedergutmachung — Israel, Konversionskasse, Restitution, Ergänzungsgesetz — 417 Millionen = 1,7 %. Das macht bereits 92 % des gesamten ordentlichen Haushalts aus. Die Personalkosten einschließlich -der Versorgungsausgaben ohne Kriegsopferversorgungsverwaltung machen dann noch 837 Millionen = 3 %, die Sachausgaben einschließlich der Verwaltungskosten und Entschädigung an die Länder 433 Millionen = 1,7 % aus. Dazu kommen noch ein paar Sonderkosten wie StEG-Tilgung, Unterhaltung der See- und Wasserstraßenverwaltung, Verwaltung des Bundesvermögens mit 724 Millionen = 2,9 %.
Wenn man sich einmal diese großen Blöcke vor Augen hält und bemerkt. daß allein 92 % des gesamten Haushalts für mehr oder minder bestimmte Dinge, gesetzliche und international-vertragliche Verpflichtungen festgelegt sind, dann kann man fragen, ob diejenigen recht haben — und das sind ja nicht wenige unter uns —, welche sagen, man brauche sich mit dem Bundeshaushalt kaum noch oder gar nicht zu beschäftigen, weil ja doch eben mindestens 90 % der Ausgaben gebunden seien, man also ohnehin nur über 10 % diskutieren könne.
Nun, meine Damen und Herren, so bequem darf man es sich nicht machen. Denn selbst wenn das wahr wäre, wären 10 % von 27 Milliarden immerhin 2,7 Milliarden oder 2700 Millionen, und 1 % von 27 Milliarden wären immerhin 270 Millionen. Würde man also nur 1 % einsparen und produktiv einsetzen, dann hätte man 270 Millionen frei zur Verfügung. Wir wissen ja aus den Haushaltsberatungen, wie um wenige zehntausend Mark erbittert gerungen wird. Gelänge es aber — wohlgemerkt in diesem Haushaltssystem —, 4 % anders einzusetzen, so wären das immerhin 1080 Millionen, also über 1 Milliarde. Man sage also nicht, die Manövriermasse sei so gering, daß es sich nicht lohne, sich mit ihr zu beschäftigen. Man soll auch beim großen Haushalt im kleinen treu und genau sein. In Wirklichkeit aber ist die Manövriermasse, wenn man eine andere Finanz- und Haushaltspolitik betreibt, als es die gegenwärtige Bundesregierung tut, viel größer, wie ich später ausführen werde.
Auch gesetzliche Verpflichtungen können geändert werden. Auch die großen und größten Posten können finanzpolitisch beeinflußt werden, z. B. die Besatzungskosten, wenn der Bundesfinanzminister sich die Mühe macht, den Besatzungsmächten den Besatzungsluxus, den Besatzungsleerlauf, den Besatzungsmutwillen und den ganzen heute noch existierenden Besatzungsunfug durch wohlfundierte Argumente abzugewöhnen
und ebenfalls durch nachdrückliche Verhandlungen den Besatzungshandel unmöglich zu machen, mindestens aber so einzuschränken, daß er uns volkswirtschaftlich nicht mehr so bedrückt, wie er das bis heute tut und nach Abschluß der Verträge weiter und verschärft tun wird.
Nun bin ich der Meinung, daß wir den Bundeshaushalt nicht isoliert betrachten können, sondern wir müssen ihn in einen größeren Zusammenhang hineinstellen. Betrachten wir einmal den Finanzbedarf der gesamten öffentlichen Hand — nämlich die Finanzen des Bundes, der Länder, der Gemeinden und der Gemeindeverbände — als eine Einheit, so ergibt sich nach der vorzüglichen Denkschrift des Instituts Finanzen und Steuern, Heft 30, „Grundlagen und Möglichkeiten einer organischen Steuerreform", folgende hochinteressante Zusammenstellung.
Das Institut unterscheidet bei seinen Berechnungen drei große Gruppen von Ausgaben: zunächst die Sockel-Ausgaben: 1. Persönliche und sächliche Verwaltungsausgaben mit 7,96 Milliarden DM, 2. Pensionen und Beihilfen mit 1,32 Milliarden DM, 3. Allgemeine Haushalts- und Zweckausgaben mit 4,12 Milliarden DM, 4. Sozialleistungen mit 3,07 Milliarden DM, 5. Schuldendienst mit 1,77 Milliarden DM. Das macht zusammen 18,24 Milliarden DM.
Vergleicht man mit diesen Sockel-Ausgaben die Lasten des Krieges, so ergibt sich: 1. Besatzungs-
und Verteidigungslasten 9,63 Milliarden DM — die Besatzungsfolgekosten sind also hier nicht mit eingeschlossen —, 2. Soziale Kriegsfolgelasten 6,21 Milliarden DM, 3. Finanzhilfe Berlin 1,03 Milliarden DM und 4. Wiedergutmachung 0,50 Milliarden DM; macht zusammen 17,37 Milliarden DM.
Mit anderen Worten: Die Sockel-Ausgaben—also die Ausgaben für unser normales öffentliches Leben — liegen fast eine Milliarde über den Kriegsfolgelasten. Sie betragen also nicht nur 10 °/o. Und an diesen 18,24 Milliarden DM sollte sich durch eine sinnvolle Reform der Finanzverfassung, durch eine sinnvolle Reform der öffentlichen Verwaltung, d. h. durch eine Reform der Zuständigkeiten, eine Reform des gesamten Büro- und Kassenwesens der öffentlichen Verwaltung, nicht Wirkungsvolles sparen lassen? Man muß nur einmal aus dem alten Trott kameralistisch-bürokratisch-ärarisch-fiskalischer Vorstellungen heraus! Man muß mal einen Anfang zu einer zeitgerechten Lösung der Probleme der öffentlichen Finanzwirtschaft machen.
Bei dem gesamten Finanzbedarf aller Gebietskörperschaften habe ich eben die zusätzlichen Ausgaben nicht erwähnt, nämlich 1. Investitionen mit 5,98 Milliarden DM und 2. Subventionen mit 0,82 Milliarden DM; macht zusammen 6,80 Milliarden DM.
Die Addition aller drei Blöcke ergibt 42,41 Milliarden DM. Die Zahlen beziehen sich auf das
Haushaltsjahr 1953/54 der gesamten öffentlichen Finanzwirtschaft.
Die Haushalte der öffentlichen Hand und insbesondere der Bundeshaushalt und die Haushalte der Länder sind Wirtschaftshaushalte geworden. Haben wir einen Wirtschaftshaushalt, so muß man auch wirtschaftlich denken. Das Wirtschaftsdenken aber ist, wie wir in den Haushaltsberatungen ja immer wieder gesehen haben, in der Bürokratie nur in sehr schwachen Anfangsspuren festzustellen.
Ich wende mich kurz den Personalausgaben zu. Wir haben hier 837 Millionen DM — ohne Versorgung und ohne die 4 % Kürzung —, das sind 3 % des gesamten ordentlichen Bundeshaushaltes, und man sagt, das sei bescheiden. Die Bundesbediensteten gliedern sich in rund 65 000 planmäßige Beamte, 23 000 Angestellte und 10 000 Arbeiter. Vom Jahre 1953 auf 1954 wurde die Zahl der planmäßigen Beamten um 21 % erhöht,
die der Angestellten um 6 % und die der Arbeiter um 14,4 %. Bei den planmäßigen Beamten beträgt der Steigerungssatz von 1953 auf 1954 für den höheren Dienst 9,7 %, für -den gehobenen Dienst 4,6 %, für den mittleren Dienst 5,2 % und für den einfachen Dienst 86 %. Diese letzte Zahl ist allerdings so vollkommen irreführend; denn hierin sind die 10 000 Mann des Bundesgrenzschutzes enthalten. Man müßte, um eine wirkliche Vorstellung von der Zahl der öffentlichen Bediensteten zu erhalten, den Bundesgrenzschutz besonders ausweisen.
In allen Dienststellen zeigt sich — deswegen mache ich eine Bemerkung dazu — eine Tendenz zur Verbeamtung. Es ist aber nur da nötig, Beamte zu ernennen, wo wirklich staatliche Hoheitsaufgaben ausgeführt werden. Durch die Verbeamtung sollten ja ursprünglich — das war der Sinn der Verbeamtung — die Staatsdiener unabhängig gemacht werden; sie sollten also keine Angst vor ihren Vorgesetzten zu haben brauchen. Welcher Behördenchef kann sich heute rühmen, auf unbequeme Untergebene Wert zu legen, d. h. also auf Untergebene, die mitdenken, kritisch sind und dadurch den Zweck des Amtes wesentlich besser fördern?! Warum gab man den Beamten sonst „wohlerworbene Rechte", wenn nicht zu diesem Zwecke? Es muß nun gesagt werden, daß den wohlerworbenen Rechten auch wohlerworbene Pflichten entsprechen.
Wir haben in zahlreichen Bundesministerien hochqualifizierte Beamte sowohl nach ihrem Fachwissen wie nach ihrem Dienstwissen wie nach ihrem Charakter. Wer die intensiven Beratungen des Haushaltsausschusses mitgemacht hat, wer auch dem vorigen Bundestag angehört hat, der hat sich davon überzeugen können. Das soll hier ausdrücklich und anerkennend gesagt werden. Da aber viele an sich tüchtige Beamte nicht wirtschaftlich denken können, so müssen sie kontrolliert und im Wirtschaftsdenken erzogen und angeleitet werden. Das Gros unserer Beamten — auch das möchte ich ebenso ausdrücklich sagen — bedarf der fachlichen und der staatsbürgerlichen Fortbildung. Deshalb wäre es sehr zu wünschen, daß die „Vereinigung für staatswissenschaftliche Fortbildung", die im Jahre 1933 von den Nazis aufgelöst wurde und die dem Staat so vorzügliche Dienste geleistet hat, wieder eingerichtet würde.
Ein Wort zu den Angestellten. Es ist merkwürdig, daß der Tit. 104 heißt: „Dienstbezüge der nichtbeamteten Kräfte". Vor ein paar Jahren hieß es noch: „Hilfsleistungen durch nichtbeamtete Kräfte". Unter den Kräften, die diese Hilfsleistungen erbrachten, waren zum Teil ganz hervorragende leitende Angestellte, die nur zufällig nicht Beamte geworden sind. Es ist, wie man bei der Durchsicht der Stellenpläne sieht, wenn man die Aufgaben der Ministerien und der einzelnen Dienststellen kritisch betrachtet, ganz klar, daß viele Verbeamtungen nur zufällig vorgenommen worden sind und daß viele nur aus historischen Gründen dauernd Angestellte geblieben sind. Die Bundesregierung und der Bundestag sollten sich bemühen, das Problem gerecht zu lösen, sich insbesondere auch der Dauerangestellten in der öffentlichen Verwaltung anzunehmen und sich auch um die verstärkte Unterbringung der älteren Angestellten in der öffentlichen Verwaltung zu bemühen.
Es ist ein unerträglicher Zustand, daß soundso viele Angestellte — die Beamten sind ja 131er —, hochqualifizierte Angestellte des öffentlichen Dienstes, die etwa aus den Ostgebieten vertrieben sind, nur deswegen nicht wiedereingestellt werden können, weil sie schon 50 Jahre alt sind. Glauben Sie, daß ein deutsches Land bereit wäre, einen hochqualifizierten Gelehrten, der früher einmal in Berlin oder sonstwo an einer ostdeutschen Universität außerplanmäßiger, also nichtbeamteter Professor gewesen ist, trotz großer wissenschaftlicher Qualifikationen auf einen ordentlichen Lehrstuhl zu bringen, d. h. ihn zum Beamten zu machen, wenn er 55 Jahre alt ist? Das, meine Damen und Herren, sind Zustände, die der Deutsche Bundestag überprüfen muß.
Nun ein Wort zu den Sachausgaben, die, wie gesagt, nur rund 433 Millionen DM gleich 1,7 % des ordentlichen Haushalts ausmachen. Man sollte, dem Charakter einer modernen Verwaltung entsprechend, aus den Sachausgaben Betriebsausgaben machen.
Meine Damen und Herren, ich will, obwohl die meisten von Ihnen nicht zuhören und ich daran, mich zu konzentrieren, sehr dadurch gehindert werde, daß am Präsidentenstuhl fortgesetzt Gespräche geführt werden, in meinen Ausführungen fortfahren, weil ich es für richtig halte, daß die Dinge, die ich zu sagen habe, einmal im Deutschen Bundestag ausgesprochen werden; denn ein Etat von 27 Milliarden DM, den wir heute zu verabschieden haben, ist ja schließlich kein Pappenstiel.
Zudem haben einige von Ihnen eben doch die Freundlichkeit, sehr aufmerksam zuzuhören.
Ich sagte also, daß man aus den Sachausgaben, dem Charakter der modernen Verwaltung entsprechend, Betriebsausgaben machen sollte. So klein auch der Betrag von 433 Millionen DM erscheinen mag, wenn wir ihn im Verhältnis zum Ganzen betrachten, so groß sind doch die Möglichkeiten zur Einsparung. Natürlich wären das keine großen Summen, aber wenn es uns gelänge, bei den Sachausgaben 10 %, also 43 Millionen DM einzusparen, was würde das für die Förderung der wissenschaftlichen Forschung, was würde es für die Bekämpfung der Kinderlähmung bedeuten! Könnten wir dann nicht die 150 000 DM zahlen, die für ein Hirnverletztenkrankenhaus in Tübingen gefordert werden, und könnte man nicht manches tun, was eben nur einige Zehntausende Mark kostet und wofür heute kein Geld vorhanden ist?
Die Sachausgaben — das sind die 200er Titel, die 10 bis 20 Titel —, die eine erhebliche Verwaltungsmühe verursachen, sind nicht klar abgegrenzt und geben Mißbräuchen Raum. Wenn ich mir nun überlege, wie man dem im Rahmen des gegenwärtigen Haushaltssystems abhelfen kann, so glaube ich, daß die Übertragbarkeit der Sachausgaben auf das nächste Jahr größere Nachteile mit sich brächte als ihre jetzige Jährlichkeit. Auch die gegenseitige Deckungsfähigkeit der Sachausgabentitel scheint mir problematisch. Man müßte aber vereinfachen. Ich glaube deshalb, man sollte die Sachausgaben in drei Titel gliedern, erstens in sächliche Geschäftsunkosten, zweitens in persönliche Unkosten und drittens in Gebäudeunkosten. Allein die Reduktion der Titel der Sachausgaben auf drei Gruppen würde eine Buchungsvereinfachung und damit eine Verwaltungsvereinfachung bedeuten. Sie würde fernerhin — und das ist das Entscheidende — eine Qualifizierung der Verwaltung herbeiführen. Sie gibt den Behördenchefs etwas mehr Möglichkeit zur Disposition. Das scheint mir aus langer persönlicher Erfahrung entscheidend zu sein. Die Behördenchefs — nicht nur die der großen Behörden, sondern auch der kleinen und mittleren — sollen selbständiger werden. Sie sollen unter stärkerer Eigenverantwortung arbeiten, also weniger Mitzeichnung, weniger vorherige Befragung, weniger Vor-die-Notwendigkeit-gestellt-sein, dauernd Instruktionen einzuholen, aber stärkere nachherige Kontrolle. Jeder Behördenchef, der einen Kopf mit Verstand hat, würde eine solche Regelung, die ihm mehr Freiheiten gibt, sehr begrüßen; denn wenn er ordentlich ist, braucht er die Kontrolle nicht zu fürchten. Die Kontrolle aber ist notwendig, und jeder Behördenchef, der ein selbständiger Kopf ist, wird diese Regelung mit Freuden begrüßen. Bei den Beratungen im Haushaltsausschuß sind allerdings auch Chefs von Behörden aufgetreten, die mehr Selbständigkeit und mehr Kontrolle dankend ablehnen würden und die sich bei dem gegenwärtigen, eingefahrenen Zustand wohler fühlen.
Ich möchte an dieser Stelle noch ein paar grundsätzliche Bemerkungen als Erfahrungen aus den Beratungen im Haushaltsausschuß anfügen. Wir haben im Haushaltsausschuß besonders die Titel beachtet, die gegenüber dem Vorjahre verändert worden sind. Wir sollten uns in Zukunft mehr der Titel annehmen, die nicht verändert und seit Jahren nicht verändert worden sind; denn was sich Jahre hindurch nicht verändert, läuft Gefahr, steril zu werden.
Der Wirtschaftlichkeit in der öffentlichen Finanzwirtschaft ist äußerste Beachtung beizumessen. Das geschieht heute nicht. Haben wir einen Wirtschaftshaushalt, der Wirtschaftsdenken erfordert, dann müssen wir auch fortgesetzt wirtschaftliche Überlegungen in den Behörden und Institutionen anstellen. Was macht übrigens der Bundesbevollmächtigte für die Rationalisierung der Verwaltung?
Gibt's den eigentlich noch, und was tut er? Darüber möchte man doch einmal etwas hören!
Noch eins! Wer mit seiner Institution im Haushaltsplan drin steht, der steht drin. Eine Reichsstelle, irgendwann einmal, vielleicht während des Krieges vom Dritten Reich gegründet, die 1948/49 noch nicht ganz abgewickelt war, die hat wieder aufgewickelt und steht wieder drin und bleibt auch darin stehen, wenn wir nicht aufpassen.
Was ich auf diese Bemerkung hin nun wieder an Besuchen und an Briefen kriegen werde, bleibt abzuwarten. Denn auf einige Bemerkungen im Haushaltsausschuß hin hagelte es bereits Briefe, Fernschreiben, Telegramme, Besuche!
Es ist ja so weit gekommen — die Kollegen aus dem Haushaltsausschuß wissen das — : wenn man sich beispielsweise, weil man musikalisch nicht gebildet genug ist, eine kritische Bemerkung über Beihilfen für Richard-Wagner-Festspiele erlaubt — nur eine leicht kritische Bemerkung —, dann wird es einem ein paar Stunden später über den Bayerischen Rundfunk angekreidet, und dann kriegt man Briefe, sehr böse Briefe! Und wenn man irgendeinem wissenschaftlichen Institut gegenüber eine kritische Äußerung getan hat — weil man es sehr genau kennt —, dann gibt es Briefe und Besuche, und dann wird an die Kollegialität appelliert und so!
Ich möchte von vornherein allen sagen: da gibt es gar keine Kollegialität, und da gibt es keine Nachsicht, von welcher Gruppe, Fakultät, Weltanschauung und Partei die Leute auch sein mögen!
Wir vom Haushaltsausschuß haben die Pflicht —
und diese Pflicht wollen wir wahrnehmen —, uns
— Aber, Herr Arndgen, haben Sie nicht ganz deutlich gemerkt, daß ich nach allen Seiten des Hauses geredet habe? Dieses Hinweises hätte es wirklich nicht mehr bedurft. Im übrigen wissen Sie doch ganz genau, wie nett und sachlich, ich möchte fast sagen, wie freundschaftlich wir uns im Haushaltsausschuß gemeinsam um die Lösung der Aufgaben bemühen. Es gibt natürlich gewisse Dinge, die man als Sprecher der Opposition leichter sagen kann, als sie die Sprecher der Koalition sagen können,
die manchmal doch — ich will aber damit nichts Böses sagen — in der Furcht des Herrn stehen.
Sie haben es ja auch erlebt, daß wir einen Beschluß gefaßt hatten, der dem Herrn Bundesfinanzminister nicht paßte, und daß er — sein Nachrichtendienst funktioniert ausgezeichnet — zehn Minuten später mit einem Stab wohlinformierter Beamter da war, worauf die Sache nochmals erörtert wurde, obwohl es eine zweite Lesung an sich nicht gab.
Ich will nun keinem der Kollegen zu nahe treten; einige blieben ja auch dann noch tapfer bei ihrem ersten Wort.
Nun muß ich mich allerdings der Politik des Herrn Bundesfinanzministers zuwenden. Dabei muß ich einiges sagen, was ihm vielleicht nicht so sehr gut gefällt; es muß aber gesagt werden. Der Haushalt 1954 wurde vom Bundesfinanzminister mal wieder als ein Haushalt der Sparsamkeit, und zwar der unbedingten und strengsten Sparsamkeit bezeichnet. Er weiß selbst, daß das eine Übertreibung ist. Bei den Beratungen des Haushaltsausschusses sind uns, nicht nur Vertretern der Opposition, erhebliche Zweifel gekommen. Ich glaube, daß wir bei der Durchforschung des Haushalts, die wir nach der Verabschiedung in diesem Sommer vornehmen werden, manchen interessanten Anhaltspunkt für die Einwirkung auf den Bundeshaushaltsplan 1955 bekommen werden. Weiterhin wird behauptet — jetzt wird es ernster —, entscheidend sei, daß der Haushalt ausgeglichen sei, daß er echt und nicht nur scheinbar ausgeglichen sei. Als ich bei der ersten Beratung des Haushaltsplans 1953, Ende Januar 1953, hier auf gewisse unechte und nur scheinbare Deckungsmanöver hinwies, wurde mir das auf der Regierungsbank übel angekreidet. Der Finanzminister hat mit der ihm eigenen freundlichen Überzeugungskraft auf das Haus gesagt, daß alles in bester Ordnung sei. Aber als er den Haushalt 1954 einbrachte, hat er gesagt, jetzt sei der Etat echt ausgeglichen und nicht nur scheinbar. Er hat ausgeführt: Der Haushaltsausgleich 1953 war keineswegs ein echter und fundierter, sondern der Haushaltsausgleich ist 1953 nur mit Hilfe einer gewissen Kreditaktion herbeigeführt worden. Sehen Sie einmal, wie nett man so etwas ausdrücken kann: „nur mit Hilfe einer gewissen Kreditaktion". Ich bin auch so freundlich, es nicht unfreundlicher auszudrücken, als es da geschehen ist.
Wie sieht nun der Haushaltsplan 1954 aus? Der Fehlbetrag von 1951 ist wiederum nicht in den Haushaltsplan eingestellt worden. Der § 75 der Reichshaushaltsordnung schreibt das zwingend vor. Aber das Parlament folgt in seiner Mehrheit unbedenklich dem Bundesfinanzminister auch dieses Mal wieder und setzt den § 75 der Reichshaushaltsordnung durch Haushaltsgesetz außer Kraft. Die Leistungen an die Sozialversicherungsträger sollen auch in diesem Jahre nicht in bar, sondern in Schuldverschreibungen, diesmal in Höhe von 512 Millionen DM — im vorigen Jahre waren es 740 Millionen DM —, geleistet werden. Das scheint mir wieder so eine „gewisse Kreditaktion" zu sein, welche einen echten Haushaltsausgleich nicht ermöglicht.
Die bedenklichste Deckungsmaßnahme im Haushalt 1954 dürfte aber die vierprozentige Kürzung aller Ausgabensätze sein. Sie beträgt bei allen Einzelplänen zusammen 1 007,6 Millionen DM, also über eine Milliarde. Was das allein für eine Arbeit, eine Sisyphusarbeit, gewesen ist, in jedem Kapitel die Kürzung auszurechnen und aufzuschreiben! Was das allein für Mehrdruckkosten verursacht hat, das in jedem Kapitelchen zu drucken, obgleich man von vornherein wußte, daß die Kürzung bei den allermeisten Ausgabetiteln gar nicht vorgenommen werden konnte!
Nun hat der Herr Bundesfinanzminister listigerweise in den Einzelplan 60 einen Gegenposten von 680,6 Millionen DM eingesetzt. Er strebt also im Ernst gar nicht eine Kürzung von 1 007,6 Millionen DM, sondern nur eine solche von 327 Millionen DM an, wenn man das Ding bei Licht besieht. Denkt
denn eigentlich einer der Beteiligten im Ernst daran, Herr Bundesfinanzminister, daß Sie die 327 Millionen DM wirklich einsparen könnten, daß die 327 Millionen DM auch nur zum größten Teil eingespart werden könnten? Nein! Diese vierprozentige Kürzung ist ein ganz simpler Trick. Sie ist in Wirklichkeit keine Sparmaßnahme, sondern eine Deckungsmaßnahme, die dem Bundesfinanzminister zum Schluß eingefallen ist, als er des Raufens mit den Ressorts müde war. So stelle ich mir das vor.
— Bitte?
— Verehrte Frau Kollegin Weber, ich kann mir vorstellen, wie es bei diesen Ressortbesprechungen zugeht und wie sie da miteinander raufen. Schließlich hat er resigniert, und da ist vielleicht einem seiner gescheuten Helfer eingefallen, man könnte es ja mal mit der vierprozentigen Kürzung versuchen, dann käme man so hin. Dann sah man, daß das so nicht ging, und dann stellte man den Gegenposten von 680 Millionen DM ein, nur um zunächst einmal den Haushaltsplan — scheinbar und nicht echt — auszugleichen. Dieser Trick stellt also eine höchst fragwürdige formale Deckungsmaßnahme dar. Die vierprozentige Kürzung bedeutet nichts anderes, als daß das Raufen der Ressorts untereinander, das sonst bis zur Verabschiedung des Haushaltsplans im Kabinett geführt wird, wobei dann noch ein bißchen im Haushaltsausschuß weitergeplänkelt wird, nunmehr das ganze Jahr andauert. Ich beneide Sie um diese Geschichte nicht. Wieviel Zeit wird damit verlorengehen, was für Eingaben werden gemacht werden, was für ein Kampf unter den einzelnen Ressorts wird da geführt werden!
Übrigens habe ich neulich von einem sehr gescheuten Mann — aber nicht des Finanzministeriums, sondern eines ganz anderen Ministeriums
— erfahren, was eigentlich eine Ressortbesprechung ist. Eine Ressortbesprechung, sagte er, sei nach Auffassung der Beamtenschaft der mühselige Versuch der anderen Ressorts, unter den Ressorts des Wirtschaftsministeriums eine einheitliche Auffassung zu erzielen.
— Ach, Herr Sabel, das braucht man ja nicht zweimal zu sagen.
— Sie haben es nicht verstanden? Dann will ich es Ihnen noch mal sagen.
Also: Eine Ressortbesprechung sei der mühselige Versuch der anderen Ressorts, unter den Ressorts des Wirtschaftsministeriums eine einheitliche Auffassung zu erzielen.
Ich komme zurück zu den Manipulationen im Haushalt. Ich bin der Meinung — und das ist nicht nur eine private Meinung, es ist eigentlich eine allgemeine finanzpolitische Meinung —, daß man nicht jahrelang Fehlbeträge vor sich herschieben und dann so tun kann, als ob der Haushalt echt ausgeglichen sei, daß man sich nicht hier hinstellen und das verkünden kann, ohne rot zu werden.
Nun habe ich mir sagen lassen, daß aufwärts vom Ministerialrat an die Ministerialen nicht mehr rot werden.
Herr Kollege Schäffer wird es ja sicher nicht, wie wir ihn kennen. Aber es ist doch so: wenn die Ausgaben wirklich unvermeidbar sind, dann muß eben die Deckung durch erhöhte Einnahmen oder durch sinnvolle Einsparungen an den Ausgaben erreicht werden. Nun sei zugegeben, im gegenwärtigen System ist das tatsächlich schwierig. Die Reichshaushaltsordnung und die Wirtschaftsbestimmungen, dieses ganze fiskalistische System zwingen vielleicht zur Anwendung fiskalistischer Mittelchen. Aber muß das auf die Dauer wirklich so sein? Wollen wir bei der stetigen Ausweitung ides Sozialprodukts und bei der stetigen Ausweitung des öffentlichen Haushalts uns nicht endlich einmal um eine zeitgerechte Lösung unserer Haushaltsprobleme bemühen?
Es gibt eine ganze Reihe von Reformvorschlägen zur Neugestaltung des Haushaltswesens. Nun kann man sicher nicht leichtfertig zu einem ganz neuen System der Budgetgestaltung übergehen. Man sollte es aber schrittweise versuchen. Übrigens, da ich eben gerade Herrn Bundesinnenminister Dr. Schröder sehe, fällt mir, wenn ich „schrittweise" sage, ein, daß sein früherer thüringischer Kollege Exzellenz von Goethe, der ja in weiteren Kreisen bekanntgeworden ist — er hat auch Gedichte gemacht —
und der ein ganz ausgezeichneter Verwaltungsfachmann war, immer der Meinung war, daß man bei Verwaltungsreformen schrittweise vorwärtsgehen sollte; man solle also nicht frontal eine gesamte Verwaltungsreform durchführen wollen, sondern die Sache zunächst einmal auf einzelnen Gebieten probieren. Der Herr Bundesfinanzminister sollte — ich habe ihm das kürzlich schon persönlich gesagt — sich einmal mit den besten Sachkennern auf diesem Gebiet, die sich literarisch ausgewiesen haben, mit einigen nachdenklichen Abgeordneten verschiedener Parteien aus dem Haushaltsausschuß und mit einigen seiner hochqualifizierten Beamten zusammensetzen, um nach einer sinnvolleren Gestaltung ides gesamten Haushaltsplans zu suchen. Denn es ist kein Zweifel, eine vernünftige Zuständigkeitsregelung im Haushalt zieht automatisch eine Verwaltungsreform nach sich. Der Bundeshaushalt sollte sowohl in seiner Form wie in seiner Finanzgebarung vorbildlich für die Länder- und die Gemeindehaushalte sein. Im Bundeshaushalt hat diese Reform zu beginnen, die Finanzwirtschaft der Gebietskörperschaften wird dann nachfolgen.
Aber der Bundeshaushalt ist keineswegs vorbildlich, gerade auch nicht in seinem Verhältnis zu den Ländern, wie diese zumeist nicht vorbildlich sind in ihrem Verhältnis zu den Gemeinden und Gemeindeverbänden.
Aber nur, wenn wir uns angewöhnen, alle das an. gewöhnen, endlich die Finanzwirtschaft von der Gemeinde bis zum Bund einschließlich aller Körperschaften des öffentlichen Rechts und sonstiger Institutionen, auf die öffentliche Aufgaben übertragen sind, als eine Einheit zu sehen, ist eine Gesundung unserer Finanzwirtschaft, ja, ich möchte
sagen, eine Gesundung unseres gesamten Staatslebens möglich. Nur dann auch wird unsere Demokratie, werden unsere Staatsmänner und werden unsere Volksvertreter im Volke glaubwürdig erscheinen.
Was soll man aber nun davon halten, daß der Bundeshaushalt die Gewährung von Heimkehrerhilfe, zu der der Bund gesetzlich verpflichtet ist, oder die Gewährung von bescheidenen Mitteln für die Zonenrandgebiete, die zu leisten der Bund rechtlich und moralisch verpflichtet ist, von so unfeinen Klauseln abhängig macht wie der Erhöhung des Bundesanteils an der Einkommen- und Körperschaftsteuer auf 42 %.
Warum reden wir eigentlich im Bundestag nicht über den Tit. St 9 im Einzelplan 60, der doch immerhin die nicht unbeträchtliche Summe von 5040 Millionen gleich 20,1 % des gesamten ordentlichen Haushalts gleich 42 % Bundesanteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer beträgt? Die Mehrheit des Hauses hat am vergangenen Freitag den Einzelplan 60 mit diesen 5040 Millionen DM gutgeheißen, also mit den 42 %, obgleich doch keiner von Ihnen daran glaubt, daß die 42 % erreicht werden, daß also der Bundesrat zustimmt, sondern jeder von Ihnen weiß, daß das unwürdige Geraufe alsbald nach der Verabschiedung des Haushalts in der dritten Lesung im Vermittlungsausschuß fortgesetzt wird.
Ich möchte auch an dieser Stelle — wir werden ja am 20. Mai bei der ersten Beratung der sogenannten großen Finanz- und Steuerreform darüber mehr zu sagen haben — vor den Verhandlungen im Vermittlungsausschuß sagen, daß das Verhältnis Bund—Länder unerträglich zu werden beginnt.
Die Länderfinanzminister durchforschen mit ihrem ganzen Fachwissen und mit ihren durchaus nicht gerinnen Erfahrungen und den Erfahrungen einer ebenfalls qualifizierten Beamtenschaft — sie kennen ja bekanntlich keine Parteien mehr, sie kennen nur noch Länder! —
den gesamten Bundeshaushalt und sparen nicht mit den einschneidendsten Vorschlägen, ohne sich aber selber einer gleichen kritischen Durchleuchtung zu unterziehen.
Das Grundgesetz gibt dazu keine Möglichkeit. Aber Sie haben doch die schöne große Mehrheit hier! Machen Sie doch einmal eine anständige Finanzverfassung!
Darüber am 20. Mai mehr.
Ich bin wirklich der festen Überzeugung, daß man der weiteren finanzpolitischen Entwicklung nur mit der größten Besorgnis entgegensehen kann. Wenn die Länder so fortfahren, wird der Föderalismus in Deutschland bald zum Teufel gehen.
Unsere gesamte Staatlichkeit, davon bin ich überzeugt, kann von der Finanzpolitik her erschüttert
werden. Dieser Föderalismus, den wir haben, ist
wahrhaftig nicht fleckenlos. Ich bin der Meinung: der Flecken wird immer bösartiger!
— Wie heißt es doch bei Morgenstern:
Korf erfindet eine Art von Witzen,
die erst viele Stunden später wirken.
Jeder hört sie an mit langer Weile.
Doch als hätt ein Zunder still geglommen,
wird man nachts im Bette plötzlich munter,
selig lächelnd wie ein satter Säugling. Passen Sie mal auf, bei wem von Ihnen in der kommenden Nacht die Wirkung auch schon eintreten wird!
Der Bundesfinanzminister ist an dieser Entwicklung nicht schuldlos. Der Bundesfinanzminister zieht keine Konsequenzen. Der Bundesfinanzminister hat uns drei Finanzreformgesetze vorgelegt, die dieser bedrohlichen Entwicklung nicht Rechnung tragen. Der Bundesfinanzminister, zu dem ich jetzt selber etwas sagen muß, der sich so vieler, gelinde ausgedrückt, unerfreulicher Mittelchen bedient, wird persönlich immer unglaubwürdiger, und das ist schade. Denn angesichts der Schwere des Amtes, das er hat, wünschen auch wir von der Opposition einen Finanzminister, den wir auch bei sachlichen Meinungsverschiedenheiten immer ernst nehmen wollen.
Der Bundesfinanzminister aber sagt, ohne rot zu werden, der Haushalt sei echt ausgeglichen. Er sagt, es sei ein Haushalt der Sparsamkeit. Schäffer ist entweder ein kühner Optimist, oder er ist ein düsterer Pessimist. Er färbt entweder extrem schön - wir haben das ja alle erlebt —, oder er färbt extrem schaurig — schwarz oder weiß. Man vermißt bei ihm die ruhige Überlegenheit, die Sicherheit,
die Solidität, die einen Finanzminister auszeichnen muß. Unser Bundesfinanzminister denkt nicht volkswirtschaftlich, sondern fiskalisch.
Er ist kein Mann großangelegter Planung, sondern er ist ein Interventionist.
Seine wundeste Stelle hefte sind die Kassenbestände. Diese Kassenbestände sind wesentlich höher als die ausgewiesenen Einlagen; diese enthalten nicht die in den öffentlichen Kassen befindlichen Bargeldbestände, sie enthalten nicht die Geldmittel, die Wertpapiere, sie enthalten nicht die kurzfristig gewährten Darlehen, sie enthalten nicht die bei den privaten Einlagen mit erfaßten Einlagen der Unternehmungen des öffentlichen Rechts mit mindestens 50 % Beteiligung.
Meine Damen und Herren, ich möchte es einmal aussprechen, daß die enormen Kassenbestände bei der gesamten öffentlichen Hand in der Bundesrepublik allmählich zu einer öffentlichen Gefahr werden.
Der Bundesfinanzminister aber lebt ganz im „Geld-
im-Juliusturm-Komplex", und nur die ungeheure
Routine, die ihm eigen ist, seine nette — wir
schätzen das ja alle —, seine temperamentvolle, ansprechende, oft humorige, manchmal lyrische Art vermögen zu verdecken, daß er in Wirklichkeit volkswirtschaftlichen Denkens nicht fähig ist.
Das sehen Sie auch in der gesamten Steuerpolitik, sowohl in bezug auf die direkten Steuern als auch in bezug auf die indirekten Steuern, insbesondere die Verbrauchsteuern. Er hat wahrhaftig ein schweres Amt, und ich will es einmal an dieser Stelle sagen: Ich habe mir mehrere Jahre lang große Mühe gegeben, in der Opposition Verständnis für die Schwere seines Amtes zu erzielen. Aber bei aller persönlichen Hochschätzung muß ich ihm das doch sagen — und es muß nun auch einmal hier gesagt werden —, daß es mit diesem fiskalischen Denken nicht weitergeht.
Und wenn er dann nicht mehr weiterkommt und er mit Ihnen die größten Schwierigkeiten hat, weil ja auch Sie nicht alle ohne volkswirtschaftliche Einsicht sind,
dann droht er mit seinem Rücktritt. Wie oft hat er schon mit seinem Rücktritt gedroht! Ich habe mich wahrhaftig gewundert, daß der Herr Bundeskanzler nicht gelegentlich einmal plötzlich gesagt hat: Jehn Se!
Nun noch ein Wort zum Rechnungsprüfungswesen. Die Beschleunigung der Rechnungsprüfung ist nötig, da nur die möglichst schnelle Heranziehung der Ist-Ausgaben auf die Gestaltung der Soll-Ausgaben im Haushaltsjahr einen sinnvollen Einfluß ausüben kann. Ich möchte den schnelleren Rechnungsabschluß des Jahres 1953/54 anerkennen. Aber ich kann nicht unerwähnt lassen, welche Gefahren dem Rechnungsprüfungswesen jetzt drohen, und zwar in den Ländern, und welche Bedeutung das Rechnungsprüfungswesen hat. In mehreren Ländern zeigen sich deutliche Tendenzen bei den Regierungen, die Rechnungshöfe mehr und mehr unter ihre Kontrolle,
das heißt also, ganz formal unter die Dienstaufsicht des Innenministers zu bringen. Es besteht eine akute Gefahr in der Bundesrepublik für die echte Unabhängigkeit der Rechnungshöfe. Auf Einzelheiten, auf Bayern, auf Nordrhein-Westfalen, auf Hamburg will ich nicht eingehen; ich will nur feierlich an Sie appellieren, daß der gesamte Bundestag ohne Rücksicht auf parteiliche Einstellung sich als Sachwalter der echten Unabhängigkeit der Rechnungsprüfung fühlen sollte,
da von ihr die gesamte Kontrolle der öffentlichen Verwaltung abhängt. In der Demokratie hat der Rechnungshof die Stellung einer obersten, der Regierung gegenüber selbständigen Bundes- oder Landesbehörde, nach § 118 der Reichshaushaltsordnung und § 1 des Bundesrechnungshofgesetzes oder den entsprechenden Landesrechnungsgesetzen. Eine Dienstaufsicht durch die Regierung besteht nicht, wohl aber eine gewisse Prüfung durch das Parlament. Der Rechnungshof ist ein funktionelles Organ der Legislative, nicht ein Glied der Exekutive.
Der Rechnungshof ist der einzige bürokratische
Apparat, der geeignet ist, den Praktiken der Exekutive auf die Schliche zu kommen,
und wie wir gesehen haben, scheut der Rechnungshof auch nicht, das zu tun. Der Rechnungshof hat eine Tradition und eine hochqualifizierte Beamtenschaft. Man denke nur an die Wirksamkeit der preußischen Oberrechnungskammer und des späteren Rechnungshofs des Deutschen Reichs. Diese Tradition lebt auch im Bundesrechnungshof, und sie lebt auch in den Landesrechnungskammern weiter. Aber die Regierungen sind dabei, diese Bedeutung und das Gewicht der Landesrechnungshöfe zu mindern.
— Nein, bisher noch nicht; aber wir sehen die Tendenzen in den Ländern. Der Bundestag ist berufen — hier kommt es jetzt gar nicht auf die Zuständigkeit im Grundgesetz an —, die Institution der Rechnungshöfe zu hüten und zu bewahren
und sie vor allen Angriffen zu schützen, welche die Exekutive auf sie vornehmen will. Ich will nicht deutlicher werden; ich will nicht ausführen, was sich beispielsweise in Bayern ereignet hat.
Nun hatte ich zu Beginn zugesagt, noch einmal auf die „Manövriermasse" zurückzukommen. Die sechs Ministerien, die die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei streichen möchte, bringen ja nur 11 Millionen, wobei ich die Kosten, die diese Ministerien den anderen Ministerien verursachen, nicht mit veranschlage.
Eine Bundesfinanzverwaltung, die mit der demnächst zu beratenden Finanzreform einzuführen wäre, könnte an Einsparung und Mehraufkommen ja diese berühmte — Herr Kollege Schäffer sagt: sagenhafte — Milliarde erbringen, und ernsthaft geführte Verhandlungen über Einsparungen im Besatzungskostenhaushalt könnten größere Summen für die deutsche Volkswirtschaft, für die soziale Sicherheit und für die wissenschaftliche Forschung, die die Mutter aller Erkenntnis und allen Fortschritts ist, frei machen.
Darauf werden wir später zurückkommen.
Ich muß jetzt noch einige Dinge berühren, die von unserm Standpunkt aus grundsätzlich zum Etat gesagt werden müssen. Die Verabschiedung des Haushalts ist ja ein Ereignis, bei dem auch von einer der allerdringlichsten und wichtigsten Aufgaben des Bundes gesprochen werden muß, nämlich von der Wiedergutmachung.
Dem vom ersten Bundestag im letzten Augenblick unter absoluter Zeitnot erlassenen Bundesentschädigungsgesetz haben wir Sozialdemokraten nur mit dem ausdrücklichen Vorbehalt zugestimmt, daß dieser zweite Bundestag sofort das völlig unzureichende Gesetz von Grund auf verbessert. Wir erinnern uns in diesem Zusammenhang auch, daß damals der Kollege Gerstenmaier eine ähnliche Erklärung abgegeben hat. Um so mehr bedauern wir, daß dieser Haushaltsplan keinerlei Ansatz für die notwendige Verbesserung und vor allem Beschleunigung der Wiedergutmachung enthält.
Der derzeitige Stand der Wiedergutmachung in Deutschland ist durchaus unbefriedigend.
Daß unsererseits zum Haushaltsplan jetzt keine Anträge gestellt worden sind, erklärt sich daraus, daß diese Anträge zum Haushaltsplan ja doch nicht angenommen worden wären
— haben Sie es gehört, Herr Tillmanns; ja, ich habe es gesagt, ich kann noch mehr dazu sagen — und daß wir selbst an einer durchgreifenden Reform der Wiedergutmachung arbeiten und demnächst auf diesem Gebiet initiativ werden wollen. Die Bundesregierung war ja durch das Israel-Abkommen, aber auch durch die Bestimmungen im Generalvertrag verpflichtet, das amerikanische Gesetz als Minimum zur Grundlage zu nehmen und die Personenkreise zu berücksichtigen, die auf Grund der Gesetze der US-Zone und des IsraelAbkommens Ansprüche haben.
Ein weiteres Wort zum Bundesvertriebenenminister! Zum Einzelplan 26 war von den Sprechern meiner Fraktion in Aussicht genommen, die Arbeit des Bundesministers für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte einer weiteren kritischen Betrachtung zu unterziehen. Die eigenen Ausführungen des Herrn Ministers in der zweiten Lesung zu den damaligen Darlegungen meiner Freunde und die tatsächliche Situation hinsichtlich der zur Lösung anstehenden Probleme veranlassen uns, von dieser Erörterung heute abzusehen. Die Verantwortung den betroffenen Menschen gegenüber ist so groß, daß wir es für notwendig halten, diese Fragen in einer kommenden Bundestagssitzung zur Beratung zu stellen.
Noch ein letztes Kapitel von grundsätzlicher Bedeutung möchte ich ansprechen; das ist die Lage der Wissenschaft in Deutschland. Der Herr Bundesfinanzminister hat uns eine Zusammenstellung vorgelegt, nach der insgesamt in den Einzelplänen des Bundeshaushalts für 1954 fast '72 Millionen DM für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung ausgegegeben werden sollen. Allerdings sind unter „wissenschaftlicher Forschung" Dinge aufgeführt worden — Verpackungswesen und was weiß ich alles —, die wir nicht als wissenschaftliche Forschung anerkennen können. Was wird im Bundesetat für Geisteswissenschaften einschließlich der gesamten Sozialwissenschaften ausgegeben? Das sind keine 10 Millionen DM!
Aber dieser selbe Bundeshaushalt gibt über 30 Millionen DM für sogenanntes Informationswesen und für Propaganda aus.
Die Koalitionsparteien haben ja neulich einem Antrag zugestimmt, der nicht von der Bundesregierung, sondern von der stärksten Regierungspartei am letzten Tage der Haushaltsberatungen im Haushaltsausschuß gestellt wurde, den Verfügungsfonds des Bundeskanzlers für Informationszwecke von 5,5 Millionen DM — im vorigen Jahre betrug er 4,5 Millionen DM — auf 10 Millionen DM zu erhöhen. Ich habe an dieser Stelle neulich schon einige Bemerkungen dazu gemacht. Man muß sich vorstellen, was es bedeutet, wenn angesichts der katastrophalen Lage der Wissenschaft in Deutschland — und ich habe eine Vorstellung davon, was
da mit wenigen hunderttausend Mark geschehen könnte — hier das Geld bedenkenlos für Propaganda ausgegeben wird, angeblich damit man im Mittelwesten Amerikas eine bessere Meinung von Deutschland bekommt.
Die Zahlen — weniger als 10 Millionen für die gesamten Geisteswissenschaften und über 30 Millionen für Propaganda — geben eine anschauliche Relation im Zusammenhang mit dem Problem der Existenzfrage und der Weltgeltung der deutschen Wissenschaft. Bei diesen 72 Millionen steht ja die Förderung der Naturwissenschaften, der Zweckforschung, im Vordergrund. Die Weltgeltung der deutschen Wissenschaft vor Jahrzehnten hat auf dem Ansehen der Geisteswissenschaften beruht. Die Geisteswissenschaften — sie sind die Mutter aller Wissenschaften, — haben das deutsche Ansehen in der Welt begründet.
Nachdem dann die Machtstaaten des 19. Jahrhunderts begriffen hatten, daß man mit Zweckforschung die Macht des Staates erhöhen kann, da hat man die Naturwissenschaften gefördert, gefördert und gefördert. Und was für Gelder werden dafür ausgegeben, um Atombomben und Wasserstoffbomben zu entwickeln, die vielleicht den Untergang dieses gesamten Erdballes mit sich bringen werden!
Ich habe mir früher nichts Rechtes unter der biblischen Prophezeiung vom Weltuntergang vorstellen können. Jetzt fange ich an, die Dinge zu begreifen. Und wir tun nichts, um die Geisteswissenschaften zu fördern. Wir tun nichts, um — —
— Nein, wir tun nichts, verehrter Herr Kollege Tillmanns! Nun ja, wir tun etwas, aber viel zuwenig. Wir tun viel zuwenig, um die Sozialforschung zu fördern. Wir wissen doch ganz einfach zuwenig Tatsachen, um die Dinge beurteilen zu können, die wir gesetzgeberisch etwa in der Sozialreform regeln wollen.
Was sagen schon diese paar Millionen angesichts der gesamten Finanzmasse? ! Die Forschung ist teurer geworden und die Forschung ist differenzierter geworden. Es geht einfach nicht mehr an, daß die Forschung bei der Vergebung öffentlicher Mittel so stiefmütterlich behandelt wird. Die Forschung muß koordiniert werden, und es darf nicht so viel an Einzelpöstchen verkleckert werden.
Die Forschung und die Pflege der Wissenschaften können nicht Ländersache sein. Wir müssen daran denken — das sei an dieser Stelle in dieser Stunde gesagt —, einmal das Grundgesetz zu ändern. Wir müssen auch — ich spreche es ruhig aus — ein Bundeskultusministerium haben.
Es geht nicht an, daß weiterhin die Fragen der wissenschaftlichen Forschung, der Erziehung und Volksbildung von der mehr oder minder großen oder geringen Einsicht der Länderfinanzminister und von der mehr oder minder zulänglichen Finanzkraft der einzelnen Länder abhängen.
Meine Damen und Herren, ich habe Sie vielleicht etwas zu lange aufgehalten. Ich werde jetzt dem
Schluß zueilen. Wir verabschieden heute einen 27-Milliarden-Etat. Der Bundestag hat sich nicht so sehr dafür interessiert. Ein gar nicht unprominenter Kollege des Bundestages hat mich am vorigen Donnerstagabend gefragt: Wie lange dauert denn die Haushaltsberatung am Freitag? Wie lange kann ich wegbleiben? Von wann ab etwa wird es wieder interessant?
— Wer das war, ist ganz gleichgültig. Ich kann Ihnen sagen, wenn ich eben sagte: der Kollege, — der Kollege sitzt überall von links bis rechts.
Wollen Sie mir bitte glauben, daß das, was ich gesagt habe, ich möchte fast sagen: alles, was ich heute gesagt habe, gar kein Anliegen der Opposition ist. Das ist ein Anliegen des Parlaments,
und es sollte unser aller Anliegen sein. Das Parlament beschränkt sich mehr und mehr auf die eigentliche Gesetzgebung und erledigt die Etatberatung ohne große Anteilnahme in wenigen Sitzungen. Wenn die Opposition mit ihren Anträgen mit ihrer Kritik nicht wäre,
dann hätten wir wahrscheinlich die Haushaltsberatungen in der zweiten und dritten Lesung bequem an einem Tage erledigt.
Ich muß Ihnen etwas Unfreundliches sagen; aber ich sage es freundlich.
Ich habe oft den Eindruck, daß sich die Koalition nur als der verlängerte Arm des Bundesfinanzministers fühlt,
und das darf sie nicht tun.
— Herr Atzenroth, das ist leider mein Ernst, und ich könnte das sogar mit einer ganzen Reihe von Dingen so anschaulich beweisen, daß Sie es mir glauben würden;
aber vielleicht machen wir das unter uns ab. Es ist jedoch wirklich mein Ernst.
Ich bin der Meinung, daß das Parlament sein Bewilligungsrecht wieder stärker wahrnehmen muß; denn das Bewilligungsrecht des Parlaments ist die liberale Errungenschaft des 19. Jahrhunderts, die auch im 20. Jahrhundert kein Parlament aufgeben darf.
Ebenso darf das Parlament sein Kontrollrecht nicht aufgeben. Das Parlament hat in alles hineinzuschauen, in die Ministerien, in alles, was vom Bunde unterstützt wird, in die Einfuhr- und Vorratsstellen und in die Monopolverwaltung für Branntwein.
— Ja, das kommt. Es scheint, daß einige Herren hier sich der Hoffnung hingegeben haben, ich hätte meine Bemühungen um eine Neuordnung der Branntweinwirtschaft aufgegeben. Nein, ich habe es nicht.
Herr Kollege Schäffer, ich werde auch da wieder initiativ werden; denn Sie werden es ja nicht. Sie sind jetzt schon so lange im 2. Bundestag, und die so vielfach versprochenen Monopolnovellen sind bisher noch nicht gekommen, d. h., für den 2. Bundestag haben Sie sie auch gar nicht versprochen. Es ist jetzt ja nicht mehr nötig, obgleich das ein Wirtschaftszweig ist, der ganz dringend der Reform bedarf.
Nun ist es so, daß sich viele Kollegen vor den Haushaltsberatungen scheuen, weil ihnen das Gestrüpp der Haushaltspläne undurchdringlich erscheint. Die „Welt" — immerhin eine Zeitung von großem Ansehen und großer Verbreitung — schrieb neulich:
Der Haushaltsplan ist uns ein Buch mit sieben Siegeln. Es ist so dick wie eine Bibel und kann bisher nur in Bonn eingesehen werden.
Hier irrt die „Welt". Man kann die Haushaltspläne seit Monaten überall einsehen und schlimmstenfalls durch jede gute Buchhandlung beziehen.
Außerdem kann sich jeder Interessent an Hand der vorzüglichen Vorbemerkungen zum diesjährigen Haushaltsplan wirklich gut einarbeiten. Diese Vorbemerkungen haben nur den einen Nachteil, den so viele Amtsdrucksachen haben, daß sie kein Inhaltsverzeichnis und kein Register haben. Hätten sie das — ich vermute, das nächste Mal werden sie es haben —, dann könnten sich die Kollegen noch sehr viel leichter mit den Dingen beschäftigen.
Dann gibt es die vorzüglichen Schriften des Instituts für Finanzen und Steuern. Die neulich erschienene Schrift über den Bundeshaushalt 1954 und die beiden Vorgänger sind so ausgezeichnete Darlegungen der gesamten Haushaltsprobleme, daß ich darauf hinweisen möchte. Und wer noch ein bißchen einfacher anfangen will, soll die Haushaltsfibel von Kurt Heinig lesen, einem bedeutenden Experten aus dem früheren Reichstag.
Die „Zeit" fragte kürzlich in einem hochinteressanten Artikel, der geistreich und zutreffend war: „Weiß das Parlament sein Budgetrecht zu nützen?" Im Vorspann dieses Artikels wurde der Geist des unerreichten Sachkenners Eugen Richter beschworen, und es wurde bedauert, daß es im Bundestag keinen Mann seiner Qualitäten gäbe. Ich bin für die Anregung dankbar, und da ich mich schon früher mit Eugen Richter und den anderen Parlamentariern beschäftigt habe, habe ich mir die Mühe gemacht, mir mal so ein paar Haushaltspläne anzusehen. Das z. B. ist der Haushaltsplan 1894 für das Reich einschließlich dem Haushaltsetat, wie man damals sagte, für die Schutzgebiete und dem Nachtragsetat, ein dünner Band Etat und einige dicke Bände Reichstagsprotokolle, die ich nicht mitbringen konnte, weil sie mir zu schwer waren, die aber einzusehen ich empfehle. Eugen Richter war 29 Jahre alt, als er im Jahre 1867 Mitglied des Parlamentes des Norddeutschen Bundes wurde. Er hat dann 29 Jahre lang dem Deutschen Reichstag angehört. Wenn man in die Protokolle über die Debatten der damaligen Zeit hineinsieht und liest, wie in diesen Jahren von Bennigsen, Windthorst,
von Kardorf, Freiherr v. Schorlemer, August Bebel zum Haushalt gesprochen haben — um nur einige der noch heute ganz bekannten Namen zu nennen —, dann erkennt man, welche Bedeutung den Haushaltsberatungen früher beigemessen worden ist.
— Ja, ich kenne sie. Ich kenne überhaupt die politisch-ökonomische Literatur der damaligen Jahrzehnte relativ gut. Aber es ist hier nicht der Ort,
darauf zu antworten. Ich finde Ihre Bemerkung
eigentlich
hier gar nicht einmal angebracht. Aber darüber können wir uns auch unterhalten. Ich habe Ihnen gestern gesagt, Herr Dresbach, daß Sie einen ausgezeichneten Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen" geschrieben haben.
Ich bin also der Meinung, daß wir uns um die Einzelberatungen mehr Mühe geben sollten, und ich muß noch kurz ein letztes und kritisches Wort zu uns selber sagen. Man kann nicht vom Parlament verlangen, daß es Beratungen ernst nimmt, wenn das Parlament nicht selbst die Voraussetzungen dafür schafft. Wenn wir von morgens bis abends hintereinander einen Einzelplan nach dem anderen wie durch einen Fleischwolf hindurchdrehen, dann kann nichts als ein schlechter Hackepeter herauskommen. Wir müßten uns die Mühe geben, es anders zu machen. Ich möchte an den Ältestenrat des Bundestages appellieren, doch dafür zu sorgen, daß der Bundestag seine Haushaltsberatungen so führt, daß sie für die Abgeordneten, für die Minister, für die Journalisten, für alle Zuhörer zumutbar sind; denn nur dann kann das Verständnis für die öffentlichen Arbeiten geweckt und vertieft werden.
Wir haben uns sehr bemüht, den Ende Januar vorgelegten Haushaltsplan schnell zu beraten. Wir waren am 31. März gegen 23 Uhr im Haushaltsausschuß damit fertig. Ich möchte hier ausdrücklich sagen, daß ich die Arbeit der qualifizierten Beamtenschaft anerkenne. Es ist notwendig, an dieser Stelle ein Wort des Dankes an den Ausschußassistenten und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Haushaltsausschusses zu sagen, die von jedem Sitzungstag, der von 9 bis 19 Uhr oder noch länger dauerte, am nächsten Morgen um 9 Uhr das ausführliche, dicke Protokoll vorlegten, die also nachts bis 3 und 4 Uhr gearbeitet haben.
Das muß hier dankbar anerkannt werden. Aber man sieht, daß das eine Überforderung ist.
Die Bundesregierung sollte sich überlegen, ob es
nicht möglich ist, den nächsten Haushaltsplan möglichst schon im Dezember vorzulegen, damit wir spätestens Anfang Januar mit den Beratungen im Haushaltsausschuß beginnen können.
Nun meinen Sie — wenn ich noch ein Wort zur Rolle der Opposition sagen darf —, daß die Opposition im 2. Deutschen Bundestag eigentlich nichts zu sagen hat.
Dazu möchte ich sagen: die Opposition hat so viel zu sagen, wie sie zu sagen hat.
Das ist in den Ausschüssen viel, in Plenum wenig.
— Das ist im Ausschuß viel, Herr Arndgen; im Plenum ist es wenig.
Wir können nämlich im Plenum Anträge einbringen, Sie lehnen sie ab, von welcher Art sie auch sind. Sie haben alle unsere Anträge abgelehnt, obwohl Sie ihnen hätten zustimmen können und müssen.
Wir von der Opposition sind sehr darum besorgt, ob sich die Bundesregierung um konstruktive Lösungen bemühen und sich die Mitarbeit der Opposition sichern wird. Nach dem, was wir in den äußerst bedenklichen Saarabstimmungen am letzten Freitag erlebt haben, ist die Besorgnis größer geworden; sie wird immer größer. Warum hat am letzten Freitag niemand von der Koalition seine Stimme erhoben, als ich mir bei der Beratung des Einzelplans 35, des Plans der sogenannten Verteidigungslasten, im Namen meiner Fraktion die größte Mühe gegeben habe, den Bundesfinanzminister in seinen schwierigen Verhandlungen mit den Alliierten zu unterstützen? Warum machen Sie eine solche Sache zur Sache der Opposition?
Warum haben Sie sich nicht beteiligt, wo doch bei diesem Plan durch Verhandlungen wirklich etwas zu ändern ist?! Wenn sich der Bundeskanzler nicht mit einer listenvollen Kabinettspolitik eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag gesichert hätte, stünde er außenpolitisch stärker da.
Warum ließ sich der Herr Bundeskanzler am letzten Freitag an Stelle des vagen Bekenntnisses zu einer Rechtsauffassung, die nach diesem Beschluß der Mehrheit bei den internationalen Verhandlungen ja doch, weiß Gott, von niemandem mehr ernst genommen wird, nicht eine feste Richtschnur vom Parlament geben?
Mit dieser Politik der Vorleistungen muß ein Ende gemacht werden. Warum bedienen Sie sich hier nicht der Mitarbeit der Opposition, die sich dafür freudig zur Verfügung stellt?
— Jawohl! Wie können Sie da einfach lachen! Ich stelle mit Befriedigung fest, daß auf den vorderen Bänken, auf denen die Männer sitzen, die genaueren Einblick haben, niemand gelacht hat. Wie können Sie also dazu lachen!
Der Bundeskanzler ist doch bis jetzt von jeder Verhandlung zurückgekommen mit der Bemerkung: „Es war ein großer Erfolg", bevor auch nur irgend etwas erreicht war. Jetzt geht er nach Paris und weiß, daß ihn der Bundestag zu nichts verpflichtet hat. Er stünde, wenn sich der Bundestag zu den Beschlüssen von 1953 bekannt hätte, bei den Alliierten heute vielleicht etwas kleiner da, aber vor dem deutschen Volk und der Geschichte größer.