Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist ja ein merkwürdiger Plan, der Einzelplan 35, der bei nur mäßig besetztem Hause beraten wird! Er enthält nur einen Titel, 300. Dieser lautet: „Beitrag der Bundesrepublik an die Europäische Verteidigungsgemeinschaft 9 Milliarden". Neuntausend Millionen D-Mark stehen hier unter einem Globaltitel, der nicht weiter aufgegliedert ist.
*) Siehe Anlage 1 Seite 1183.
Diese 9 Milliarden machen ein Drittel des gesamten Finanzvolumens der Bundesrepublik aus. Dabei sind diese 9 Milliarden noch nicht der gesamte Beitrag, sondern dazu kommen die Besatzungskosten in Berlin, die Auftragsausgaben in Berlin, die Verkehrsleistungen, der Bundesgrenzschutz, die Landespolizei, die Dienststelle Blank, der Interims-ausschuß; also alle die Dinge, die mit dazu gehören und in anderen Ländern auch dazu gerechnet werden. Wir kommen dann auf die Summe von mindestens 12 Milliarden DM. Das sind 44 1/2 % des gesamten Haushaltsvolumens.
Die Bundesrepublik gibt damit 66,9, sagen wir, pro Kopf der Bevölkerung rund 67 DM für etwas aus, was hier „Verteidigung" genannt ist. Mehr geben aus: Großbritannien mit rund 86 DM pro Kopf der Bevölkerung, Frankreich mit rund 69 DM pro Kopf der Bevölkerung, und die USA geben über 300 DM pro Kopf der Bevölkerung aus. Diese Zahl ist allerdings nicht ganz vergleichbar. Vergleicht man nämlich die Kaufkraft, dann dürfte vielleicht nur die Hälfte eingesetzt werden. Der Beitrag der Bundesrepublik liegt über den Aufwendungen in Belgien, die etwa 53 DM pro Kopf der Bevölkerung betragen, über denjenigen in Norwegen, wo sie 50 DM betragen, in den Niederlanden 47, in Luxemburg 45, in Dänemark 36,5 und in Italien 16,5 DM. Man sieht also, daß die Aufwendungen in den westeuropäischen Ländern sehr verschieden sind.
Dieser Vergleich pro Kopf der Bevölkerung sagt aber nicht genug aus. Man muß mit dem Sozialprodukt vergleichen. Noch ungünstiger liegt die Zahl für die Bundesrepublik, wenn man sie mit der Zahl der schaffenden Hände vergleicht. Pro Kopf der schaffenden Hand kommt etwas ganz anderes heraus. Entscheidend ist nicht, was absolut für die Verteidigung pro Kopf ausgegeben wird, sondern was der Bevölkerung eines Staates nach Abzug der Verteidigungslasten zur Befriedigung ihrer Lebensbedürfnisse übrigbleibt. Dazu ist zu sagen, daß alle anderen Länder im Vergleich zu ihrer wirtschaftlichen Leistungskraft wesentlich weniger ausgeben als die Bundesrepublik.
Was nun aber den Steuerzahler, was den deutschen Staatsbürger, was den Deutschen Bundestag interessieren muß, ist die Frage: Dienen diese enormen Mittel wirklich und ausschließlich der Verteidigung? Was von diesen Beträgen sind Ausgaben für die Verteidigung? Was von diesen Beträgen sind Ausgaben für Besatzungskosten? Was ist von den Besatzungskosten Besatzungsluxus, und was ist davon Besatzungsleerlauf? Wenn wir diese Frage einmal untersuchen, kommen wir zu ganz betrüblichen Ergebnissen. Selbstverständlich hat sich der Besatzungsluxus gemildert, weil die Zahl der Dienststellen verringert worden ist. In den vorhandenen Dienststellen aber wird der Besatzungsaufwand, den man getrost mit Besatzungsluxus bezeichnen kann, ungeniert fortgesetzt, und zwar aus der Mentalität heraus: Will man dem Sieger untersagen, die Früchte seines Sieges zu genießen? Ich will die Diskussion bei der Beratung der Bonner und Pariser Verträge nicht aufleben lassen. Aber Sie erinnern sich, es zieht sich wie ein roter Faden durch diese Verträge, durch den Truppenvertrag, durch den Finanzvertrag, durch den EVG-Vertrag hindurch, daß den fremden Truppen in Deutschland eine wesentlich bessere Position eingeräumt wird als den fremden Truppen in anderen Ländern Europas. Diese Verträge befreien die auf deutschem Boden stationierten Besatzungssoldaten und deren Angehörige sogar von den kleinen Verbrauchsteuern. Und das haben Sie für 50 Jahre beschlossen!
Selbstverständlich gehen auch wir von der Voraussetzung aus, daß die Bundesrepublik einen angemessenen Beitrag zu ihrer Verteidigung leisten soll und leisten will. Wir wollen aber, daß jede Mark wirklich auch für ihren Zweck — und nur für diesen Zweck — ausgegeben wird und daß diese Zwecke sinnvoll sind. Wir haben Sorge, wenn Militärs entscheiden, wenn mit militärischem Übergewicht die Höhe unseres finanziellen Beitrags festgelegt wird, wenn nach einem uns unbekannten NATO-Verfahren Beiträge festgelegt werden, die wir aufzubringen haben und die, wie ich Ihnen einleitend gesagt habe, ganz anders aussehen als in anderen Ländern. Es widerspricht dem Wesen einer Verteidigungsgemeinschaft, nach wie vor in Sieger und Besiegte aufzuteilen. Bei einem Militärbündnis, wie es die EVG darstellt, muß die Gleichberechtigung die Voraussetzung, nicht das Ergebnis des Bündnisses sein. Wir wissen ja, daß sie nicht einmal ein Ergebnis ist, sondern daß durch die Vorbehaltsklauseln und durch die Vorrechte, die den Besatzungsmächten eingeräumt worden sind, tatsächlich diese Unterscheidung in Sieger und Besiegte geblieben ist. Der Standpunkt der Hohen Kommissare ist uns neulich wieder einmal klargemacht worden: Ihr könnt kein Wehrergänzungsgesetz ohne unsere Zustimmung beschließen. Man erinnere sich an die Äußerungen Schumans nach der Überreichung der Ratifikationsurkunde in Paris. Das waren Äußerungen, die man einem subalternen Staat, nicht aber einem gleichberechtigten Staat gegenüber macht und die man nicht gebraucht angesichts einer weltpolitischen Situation, in der doch weiß Gott ganz Westeuropa in einem Boote sitzt, nur mit dem Unterschied, daß wir an der äußersten Kante sitzen. Natürlich war Schuman in diesem Falle kein befugter Sprecher des gesamten Rates; aber er ist ein Repräsentant Frankreichs, und es beunruhigt uns, wenn er verkündet, daß wir demnächst statt 9 Milliarden 14,4 Milliarden DM zu zahlen haben würden.
Wir haben bei den Beratungen der Bonner und Pariser Verträge zum erstenmal gehört, — es handelte sich um den Verzicht auf das deutsche Auslandsvermögen —: „Wir haben das hingenommen." Dieser Ausdruck: „Wir nehmen hin" findet sich dann auch später sehr häufig. Das heißt, wir erkennen zwar äußerlich an, sind aber innerlich nicht einverstanden; „wir nehmen also hin".
Der Herr Bundesfinanzminister hat am 22. Januar in seiner Haushaltsrede, als er von dem Überhang sprach, der durch die Nichtabrufung der Besatzungskosten in Höhe von 1750 Millionen DM entstanden war, gesagt, daß es leider nicht möglich gewesen sei, diese Beträge oder einen Teil davon vorübergehend der deutschen Wirtschaft zuzuleiten. Er hat erklärt, daß Verhandlungen mit den Finanzvertretern der Alliierten stattgefunden hätten, mit dem Ergebnis, daß niemand die Hoffnung haben könne, die rückständigen Besatzungskosten würden nicht abgehoben und könnten dem Bunde verbleiben. Die Finanzvertreter hätten ausgeführt, daß sie Verpflichtungen für den gesamten Kredit eingegangen seien. Er hat weiter gesagt, der gesamte Überhang von damals 1750 Millionen DM sei also haushaltsrechtlich gebunden und es sei nicht möglich, diese Gelder anderswo einzusetzen. Man habe sich um einen Zahlungsplan bemüht, habe aber einen solchen nicht erreichen können.
Dazu ist, meine ich, zweierlei zu sagen. Erstens: Wenn die Alliierten bei so großen Beträgen Verfügungen getroffen, also Aufträge gegeben haben, dann sind solche Aufträge auch an Termine gebunden worden. Liegen Termine vor, so kann ein Zahlungsplan bekanntgegeben werden. Wenn die Finanzvertreter der Alliierten keinen Zahlungsplan haben vorlegen können, so haben sie entweder nicht über die Summe verfügt oder aber sie machen es sich bequem — das letzte ist wohl anzunehmen — und orientieren ihren Partner nicht. Das scheint uns ein bedenkliches System zu sein. Zweitens: Angesichts der enormen Bedeutung einer solchen Summe für die deutsche Volkswirtschaft hätte man die Verhandlungen auf beiden Seiten nicht den Finanzvertretern überlassen dürfen, sondern da hätte sich wohl der Herr Bundeskanzler selbst mit der Hilfe des Herrn Bundesfinanzministers um die Regelung dieser Fragen kümmern müssen. Wir haben aber den Eindruck, daß der Herr Bundeskanzler von der Richtigkeit seiner Integrationsideen derart überzeugt ist — nach den herben Erfahrungen der letzten Wochen haben wir ihn ja gestern erneut gehört —, daß er für die Bedeutung und das Gewicht finanzieller Probleme den rechten Maßstab verloren hat.
Wir wollen also nicht sagen, daß wir keine Verteidigung wollen, sondern wir erklären: wir wollen jede Mark der öffentlichen Finanzwirtschaft sinnvoll ausgeben und wir wollen das in einer Weise tun, daß das Parlament, welches das Budgetrecht als sein vornehmstes Recht hat, erfährt, um was es sich dabei handelt.
Ich sagte schon, daß die Höhe der finanziellen Leistungen nach einem uns unbekannten Verfahren festgestellt wird, daß uns die Grundsätze dieses Verfahrens, nach dem berühmten NATO-Fragebogen, geheim bleiben. Ich habe früher einmal von dieser Stelle ausgeführt: einem Oberregierungsrat im Finanzministerium, der keine Verantwortung trägt, ist der Fragebogen bekannt, aber den Abgeordneten, die über so enorme Summen zu verfügen haben, ist er nicht bekannt. Das Merkwürdige scheint mir dabei zu sein, daß die enormen „Verteidigungsbeiträge" in allen Ländern, um die es hier geht, von den Vertretern der Exekutive beschlossen werden. Dabei ist interessant, daß die Vertreter der Exekutive die Geheimhaltung vor den Vertretern der Legislative beschließen, die das Geld aufzubringen und zu bewilligen haben. Die Vertreter der Exekutive schließen also die Vertreter der Legislative von ihrem ureigensten Recht aus.
Die Organe der Exekutive haben sich hiermit die Parlamente vom Halse geschafft. Das ist die Tatsache, das ist unser Problem. Und was machen die Parlamente damit? Was macht der Deutsche Bundestag damit? Wollen auch wir das hinnehmen, und wollen wir das weiterhin hinnehmen? Wollen wir uns weiterhin nicht für den Einzelplan 35 interessieren, für die Festsetzung und die Verwendung von Summen, die wir seit zwei Jahren ganz überwiegend fälschlicherweise als „Verteidigungskosten" zahlen?
Nun kommt das Entscheidende. Wer den wir verteidigt? Garantieren diese enormen Aufwendungen, die 44 % unseres gesamten Finanzvolumens ausmachen, unsere Sicherheit? Erhöhen sie unsere Sicherheit, oder wird nicht vielmehr unsere Sicherheit dadurch vermindert? Immer
wieder kommen beunruhigende Nachrichten zu uns. Gruenther — mein Freund Ollenhauer hat das gestern schon zitiert — sagte vor 14 Tagen, die deutschen Divisionen sollten den Schirm bilden, unter dem sich die Amerikaner zurückziehen könnten. Gruenther sagt, der nächste Krieg finde auf deutschem Boden statt. Die Militärs sagen: Es ist eine alte Erfahrung, daß der Krieg da wieder anfängt, wo er aufgehört hat. Wenn man amerikanische und engliche Zeitschriften liest, kann es einem wirklich grauen, mit welcher Offenheit und manchmal mit welchem Zynismus diese Dinge besprochen werden und die Rolle der Deutschen dargestellt wird. Wir sind ja auch das einzige Land in der westlichen Welt, welches es hingenommen hat, daß links des Rheins mit der Richtung nach dem Osten Atomkanonen aufgestellt worden sind, die eine Reichweite von 40 km haben, — Atomwaffen, die von hier 40 km weit in das Gebiet der Bundesrepublik hineinfeuern können!
Wir haben Zweifel, daß die strategische Konzeption, nach der wir angeblich verteidigt werden sollen, uns in unserer Lage wirklich schützt.
Ich will Ihnen einmal ein, ich glaube nicht uninteressantes Beispiel nennen. Im Haushaltsausschuß erfuhr ich neulich zu meinem wirklichen Erstaunen, daß Kosten für die Verlegung des britischen Hauptquartiers von Bad Oeynhausen hinter den Rhein erforderlich sind. Da erinnerte ich mich sofort, daß am 9. Dezember 1952 im Britischen Unterhaus eine Anfrage gestellt worden ist — am 9. Dezember 1952! —: Was hat die Verlegung des britischen Hauptquartiers von Bad Oeynhausen hinter den Rhein bisher gekostet? Wer hat diese Kosten für die Verlegung des Hauptquartiers bezahlt, und aus welchen Gründen ist die Verlegung erfolgt? — Der Herr Kriegsminister antwortete: Die Kosten haben bisher — also am 9. Dezember 1952 — ungefähr 130 Millionen DM betragen;
die Verlegung erfolgte aus strategischen Gründen.
Aber der englische Kollege Frager war mit dieser Antwort nicht zufrieden und meinte, das sei ja eine ganz enorme Summe und es sei sehr befriedigend, zu hören, daß nicht die Engländer diese enormen Kosten aufzubringen hätten, sondern die Deutschen. Er fragte, warum denn eine solche Verlegung nötig sei — aus strategischen Gründen? —, das müsse man doch etwas genauer wissen. Darauf antwortete der Kriegsminister noch einmal und sagte, daß es sich hier um eine gewisse Anzahl von Faktoren handle, die er nicht im Detail betrachten könne. Er wolle nur soviel sagen — und das wolle doch wohl der ehrenwerte und tapfere Gentleman begreifen —, daß das britische Hauptquartier sich nicht in der umgekehrten Rolle des Duke of Plaza-Toro befinden könne, — worauf denn das Haus verstand und in schallende Heiterkeit ausbrach. Was ist mit dem Duke of Plaza-Toro? Jeder Engländer kennt die komische Gestalt — ein Don Quichotte oder ein Eulenspiegel —, der Duke of Plaza-Toro - „Plaza-Toro" heißt eigentlich „Stierkämpfer" — ist eine Figur, die in der komischen Oper „The Gondoliers" von Artur Sullivan und William Schwenk Gilbert auftritt. Den Abgeordneten fiel also prompt der schöne Vers aus dieser komischen Oper ein:
In enterprise of martial kind, When there was any fighting, He led his regiment from behind —
He found it less exciting.
But when away his regiment ran,
His place was at the fore, O —
That celebrated,
Cultivated,
Underrated
Nobleman,
The Duke of Plaza-Toro!
Man kann die Heiterkeit der britischen Abgeordneten verstehen und man kann verstehen, daß der Kriegsminister sagte: Wenn wir das Hauptquartier nicht verlegen, dann wäre es ja genau im Gegenteil der Rolle des Duke of Plaza-Toro, nämlich im Gefecht wäre der Stab nicht hinter der Front, wohin er gehört, sondern vorn,
und beim Fortlaufen, auf der Flucht wäre er nicht vorn, sondern hinten. Der General würde also als erster geschnappt. So kann man verstehen, daß der Engländer es „less exciting", weniger aufregend findet, seine Truppe von hinten zu führen.
Was ist nun mit Oeynhausen? Ich bin vor ein paar Tagen mal eben von der Autobahn abgefahren und bin mal so ein bißchen in Oeynhausen herumgegangen. Was ich dort gesehen habe, wäre wert, daß der Herr Bundesfinanzminister sich einmal darum bekümmerte, sowohl um das, was da alles weggekommen ist, wie um den Brand des Badehauses II und um den Brand des Kurhauses. Die Verlegung hat zwar bis zum 9. Dezember 1952 nach Angabe der Engländer schon 130 Millionen DM gekostet, aber die Verlegung ist noch keineswegs fertig, sondern Oeynhausen sitzt noch ganz schön voll, und jedermann auf der Straße weiß, was sich in Oeynhausen ereignet hat.
Soll man nicht angesichts dieser Tatsachen von schwerer Sorge bedrückt sein? Der Herr Bundesinnenminister hat neulich bei der Beratung des Antrags meiner Fraktion auf Einrichtung des Luftschutzes von der exzeptionellen Lage der Bundesrepublik gesprochen, die ein einziger Grenzstreifen sei. In diesem Grenzstreifen leben wir. Es ist das deutsche Schicksal, zwischen Ost und West zu leben, und wir k innen die geographische Lage Deutschlands nicht verändern. Wir müssen aber danach trachten, daß unsere starken finanziellen Aufwendungen für Maßnahmen gemacht werden, die dieser geographischen Lage Rechnung tragen, und uns gegen eine Auffassung wenden, die die Bundesrepublik von vornherein nicht verteidigen will, sondern die von vornherein als selbstverständlich annimmt, daß ein zukünftiger Krieg auf deutschem Boden ausgefochten werden würde. Ich habe die schwere Sorge, daß der Politik der Stärke, die wir seit einigen Jahren betreiben,
die Politik. der verbrannten Erde folgen könnte. — Nein, Kollege Mommer, stärker sind wir nicht geworden. Wir zahlen nur, und wir wünschen, daß wir in diesen Zahlungsplan endlich Einblick gewinnen.
Gebe Gott, daß der Herr Bundeskanzler mit seiner Auffassung recht hat; gebe Gott, daß ich mit meinen Befürchtungen unrecht habe.