Rede von
Dr.
Luise
Rehling
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Abgeordnete Hubert, ich möchte wohl sagen, daß Sie den Herrn Bundeskanzler doch wohl mißverstanden haben, wenn Sie meinen, daß er die Gründung des Familienministeriums in erster Linie vorgenommen habe, weil wir eine Bevölkerungspolitik treiben wollten etwa, wie sie im Dritten Reich betrieben worden ist.
Mit Statistiken kann man j a allerlei beweisen. Ich glaube, Sie haben bei der Ihren vollkommen vergessen, daß einige Jahrgänge durch den Krieg völlig ausgefallen sind.
Es ist immerhin — wenn man die Familie als die Keimzelle eines gesunden Volks- und Staatslebens ansieht, und ich glaube, darin sind wir uns einig — besorgniserregend, daß wir heute nur einen Geburtenüberschuß aufzuweisen haben, wie er in der Prozentzahl so niedrig noch gar nicht gelegen hat.
— Ja, ich sagte Ihnen schon: mit Statistiken kann man keine schlüssigen Beweise führen.
Wir sind mit Ihnen auch darin einig, daß die deutsche Familie ihre Bewährungsprobe in den chaotischen Kriegs- und Nachkriegsjahren glänzend bestanden hat.
Man kann wohl sagen, daß sie eine ganz besondere
Lebenszähigkeit bewiesen hat. Aber auf der anderen Seite ist doch nicht abzuleugnen, daß heute
Politiker und Männer der Kirche, Sozialwissenschaftler und Sozialarbeiter und Psychologen in Arbeitsgemeinschaften und auf Tagungen, in Zeitschriften und Zeitungen sich immer wieder damit beschäftigen, wie es um die Familie bestellt ist, und ihre vordringlichste Aufgabe darin sehen, den Problemen, die hier aufgeworfen werden, zu Leibe zu gehen.
Und wenn Sie nun etwa sagen, Frau Hubert, es liege keine Gefährdung der Familie vor, dann will ich gar nicht mit meinen Gegenargumenten kommen, sondern Ihnen nur anführen, was Ihr Fraktionskollege, Herr Kühn, am Freitag vergangener Woche gesagt hat. Er führte aus: „Die Gefährdung der Familie ist eine soziale Realität."
Sie scheinen sich da doch in einem wesentlichen Gegensatz zu befinden.
Es wird uns auch immer wieder zum Vorwurf gemacht — heute ist das nicht geschehen —, wir beabsichtigten, die Familie zu bürokratisieren und in sie hineinzuregieren. Sehen Sie, da haben wir die Verhältnisse in der nationalsozialistischen Zeit noch in sehr frischer Erinnerung und sehen nun heute in der sowjetisch besetzten Zone unseres Landes, wie das ist, wenn der Staat in die Familie hineinregiert. Wir haben, meine ich, in unserer Politik bisher unter Beweis gestellt, daß auf allen politischen Sachgebieten für uns die Devise gilt: Je weniger staatliche Einmischung, um so besser, und dafür um so mehr persönliche Verantwortungsfreudigkeit.
Ich möchte wünschen, daß Sie für diese unsere Auffassung Verständnis aufbringen, sowohl hier im Hause wie auch in den Auseinandersetzungen mit Ihren Parteifreunden in den Länderparlamenten.
Nun wissen wir ja, daß man vom Staat aus weder kulturschöpferisch noch gemeinschaftsbildend wirken kann. Wir haben aber die Auffassung, daß es bei der unleugbaren Gefährdung der Familie notwendig ist, ihr eine Hilfestellung zu gewähren, damit sie ihre wichtigen Funktionen ungehindert und in vollem Umfange erfüllen kann. Der auch in Ihren Reihen sehr geschätzte Sozialwissenschaftler Professor Mackenrodt — jedenfalls hat ihn, wie ich dem Protokoll des Haushaltsausschusses entnommen habe, Herr Professor Gülich Herrn Minister Wuermeling als Sachverständigen warm empfohlen — hat in aller Deutlichkeit gesagt, daß an Stelle der Arbeiterklasse heute die Familie Objekt der Sozialpolitik werden müsse,
und zwar quer durch alle Klassen und Schichten, und daß es hier überhaupt keine Unterschiede mehr gebe.
Es erscheint uns immerhin alarmierend, wenn wir von erfahrenen Kriminalisten hören, daß zwar die kriminelle Veranlagung der Jugend nicht zugenommen habe, daß aber 90 % aller kriminellen Jugendlichen aus zerstörten Familien kommen. Sie haben vorhin selbst auf den Notstand hingewiesen, daß heute so viele Frauen, die gern in der Familie bleiben möchten, berufstätig sind. Da scheint es mir allerdings dringend notwendig zu sein, Abhilfe zu schaffen.
— Jawohl, materiell! Und nun sagen Sie, man könne ja alle diese Angelegenheiten in den zuständigen Ministerien erledigen. Ich meine aber, es ist im verflossenen Jahr deutlich geworden, daß wir da eben nicht genug getan haben;
denn die Fachministerien sind mit Arbeit außerordentlich belastet, und es passiert schon sehr leicht, daß man die Belange einer Gruppe nicht so berücksichtigt, wie das wünschenswert wäre. Wenn wir heute so viel von dem Kampf gegen die Vermassung reden, dann sollten wir doch ernstlich danach trachten, daß wir gerade die Familie, die hier ein starkes Bollwerk bilden kann, vor dem Absinken ins Kollektiv und vor der sozialen Deklassierung bewahren. Ich meine, wenn wir es wirklich ernst nehmen mit dem Art. 6 unseres Grundgesetzes, der dem Staat die besondere Verpflichtung zum Schutz der Familie auferlegt, und wenn wir der Überzeugung sind, daß sie gefährdet ist, dann ist die Gründung eines Familienministeriums eine Konsequenz aus diesem Artikel des Grundgesetzes. Sie haben vorhin j a selbst schon darauf hingewiesen, daß dieses Ministerium bei der wesentlichen Heraufsetzung der Freigrenze für die kinderreichen Familien im Rahmen der Steuerreform einen ersten Erfolg aufzuweisen hat.
— Immerhin ist das doch wohl schon als ein Erfolg dieses Ministeriums zu buchen.
Im übrigen möchte ich Ihnen auch in Erinnerung rufen, daß wir mit dieser Gründung des Familienministeriums wirklich nicht allein dastehen. Ein solches ist in Luxemburg bereits 1950, in Belgien 1951 gegründet worden. Diese Ministerien haben sich durchaus bewährt.
Ich habe gehört, daß in Belgien selbst bei einem Wechsel der Regierungspartei dieses Ministerium beibehalten wurde.
Was nun den Beamtenapparat anlangt, so meine ich doch, daß er klein gehalten ist. Ich möchte hoffen und wünschen, es möge von diesem Ministerium einmal heißen, daß hier von wenigen für viele viel geschaffen worden ist.