Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung im Oktober vorigen Jahres von der Überalterung des deutschen Volkes gesprochen und darauf hingewiesen, daß der Anteil der im produktiven Lebensalter Stehenden 67% und der Anteil der Alten und Jugendlichen 9 % bzw. 24 % ausmache. Er hat ferner erklärt, daß sich diese Zusammensetzung ständig zuungunsten der im produktiven Lebensalter Stehenden ändere, weil die Langlebigkeit zunehme und die Geburten abnähmen, und daß hier nur durch eine zielbewußte Familienpolitik und durch die Stärkung des Willens zum Kinde Abhilfe geschaffen werden könne. Dieser Vorstellung des Herrn Bundeskanzlers verdankt wohl das Ministerium für Familienangelegenheiten seine Entstehung.
Liegen denn die Dinge wirklich so einfach? Der Herr Bundeskanzler hat anscheinend übersehen, daß der Anteil der im produktiven Lebensalter Stehenden im Jahre 1910 61,2% war, daß er also heute weit höher ist. Und was bedeutet die hohe Geburtenanzahl des Jahres 1900, wenn wir dabei in Betracht ziehen, daß von 10 Neugeborenen 3 nicht das erste Lebensjahr erreicht haben und daß jedes vierte vor dem 15. Lebensjahr gestorben ist, also niemals das produktive Lebensalter erreicht hat? Die breite Basis des Lebensbaumes ist keineswegs immer ein Zeichen eines gesunden Volksaufbaus.
Auch der Herr Bundesfamilienminister hat uns in der ersten Lesung des Haushalts mit einigen Zahlen aufgewartet. Er hat die Geburtenziffer des Jahres 1900 von 36,5 pro tausend der heutigen Geburtenziffer von 15,7 pro tausend gegenübergestellt. Er hat weiter den Geburtenüberschuß des Jahres 1900 von 13,6 pro tausend dem heutigen von 5,2 pro tausend gegenübergestellt. Der Herr Bun-
*) Siehe Anlage 11 Seite 1034 A **) Siehe Anlage 14 Seite 1035
desminister für Familienangelegenheiten ist etwas eilig über die Jahrzehnte hinweggesprungen. Ich bitte, mir zu gestatten, seine Zahlen ein wenig zu ergänzen. Die Zahl der Geburten im Jahre 1917 war bereits 13,9, 1930 17,6, 1932 15,1. Der Geburtenüberschuß war 1929 5,4, 1933 3,5, 1942 2,9. Er hat also heute mit 5,2 bereits wieder aufgeholt. Ein Blick auf das Ausland zeigt, daß England mit 3,3 noch unter uns liegt, Frankreich mit 6,1 zwar über uns, die Schweiz mit 4,5 wieder unter uns.
Verzeihen Sie, daß ich Ihnen hier soviel Zahlen nenne. Aber ich glaube, sie illustrieren und vervollständigen das Bild. Man kann, glaube ich, wirklich nicht davon sprechen, daß „ein unser ganzes Volk in wenigen Generationen vernichtender Prozeß" vorliegt. Wir sind kein sterbendes Volk. Es dürfte eine Übertreibung sein, wenn das gesagt wird. Selbstverständlich haben wir eine Zunahme der Langlebigkeit, weil die Lebenserwartung höher ist. Sie war 1900 42 Jahre und liegt jetzt zwischen 60 und 65 Jahren. Hier liegen Erfolge der Medizin vor, die wir doch hoffentlich nicht bedauern wollen. Wir werden dieser Tatsache bei unserer Wirtschafts- und Sozialpolitik Rechnung tragen müssen. Aber ich glaube, man löst dieses Problem nicht durch die Errichtung eines Familienministeriums.
Der Herr Familienminister hat sein besonderes Augenmerk auf die Ehescheidungen gerichtet. Aber die von ihm selber gegebenen Zahlen zeigen, daß die im Jahre 1948 ohne Zweifel sehr hohe Zahl der Ehescheidungen von 187 heute bereits wieder bei 105 angelangt ist und sich so der Zahl von 1939 mit 85 nähert.
Liegt denn wirklich überhaupt eine Gefährdung der Familie vor? Wir müssen doch sagen, daß gerade die Familie die Probe der Kriegs- und Nachkriegszeit gut überstanden hat. Diese Erfahrung haben wir nicht nur alle selber gemacht. Vielmehr hat Schelsky in seinen Untersuchungen festgestellt, daß gerade die Belastungen, denen die Familie durch Kriegs- und Nachkriegszeit ausgesetzt war, zu einer erhöhten Stabilität und zu einem wiedergewonnenen Zusammengehörigkeitsgefühl geführt haben. Hier liegen also, gerade wenn wir die von mir vorhin erwähnten Zahlen heranziehen, genau die gleichen Vorgänge und Verhältnisse vor, wie wir sie etwa in der Weimarer Republik erlebt haben und wie sie eben nach Kriegen natürlich sind.
Der Herr Bundesminister für Familienangelegenheiten weist nun mit besonderem Stolz darauf hin, daß er auf die sogenannte Steuerreform des Herrn Finanzministers eingewirkt hat, und wir müssen sagen, daß für die kinderreichen Familien ohne Zweifel erfreuliche Erleichterungen vorgenommen worden sind.
Aber, Herr Bundesminister für Familienfragen, die
Familie fängt ja nicht erst beim dritten Kind an!
Ich möchte darauf hinweisen, daß gerade bei den jungen Familien, die das erste Kind erwarten, sehr viele wirtschaftliche Schwierigkeiten vorliegen, weil der Mann noch sehr wenig verdient. Ich halte es nicht für einen gesunden Zustand, daß die jungen Frauen vielfach gezwungen sind — keine tut das gern und aus besonderer Freude —, noch zu arbeiten, um den Lebensunterhalt zu sichern.
Völlig vermisse ich, daß der Herr Bundesminister für Familienangelegenheiten jemals etwa der Halbfamilie gedacht hat, wo der Vater fehlt und wo die Frau — dazu gehört auch die uneheliche Mutter mit ihrem Kind, die ebenfalls eine kleine Familie darstellt — allein Vater und Mutter zugleich sein muß und hier besonderen Verantwortungen und Belastungen ausgesetzt ist. Denken Sie an die vielen Kriegerwitwen, an die vielen Kriegswaisen, denen der Staat den Vater genommen hat! Hier ist eine besondere Fürsorge und Aufmerksamkeit des Staates notwendig.
Wenn der Herr Familienminister die Zuschriften, die er bekommt, für eine Zustimmung der Bevölkerung zu seinem Ministerium hält, so ist dazu zu sagen: er selbst teilt mit, diese Zuschriften gingen meistens dahin, daß eine kinderreiche Familie ihn um eine Wohnung bittet oder eine Ehefrau ihn auffordert, den ungetreuen Ehegatten zur Ordnung zu rufen. So ist doch diese vermeintliche Zustimmung auf einer völlig falschen Voraussetzung begründet, und sie geht von einer völligen Verkennung der Möglichkeiten Ihres Ministeriums aus. Das kann man doch nicht als eine Zustimmung auffassen!
Nun möchte ich mich noch kurz Ihrem Ministerium und seinem Aufbau zuwenden. Sie sagen, Sie hätten das Ministerium sehr klein gehalten. Sie haben es in vier Abteilungen eingeteilt; darunter finden wir eine Grundsatzabteilung, eine Abteilung für Sozialpolitik, für Wirtschafts- und für Steuerpolitik, sowie für das Familienrecht. Ich überlege mir, in welcher dieser Abteilungen Ihre Herren sich so langweilen, daß sie durch die Städte ziehen und dort die Schaufensterdekorationen zu Ostern kontrollieren.
Wie mir berichtet worden ist, ist in einer rheinischen Stadt ein Herr aufgetaucht und hat die Hasenköpfchen auf den Puppen in einem Fenster beanstandet. Ich weiß nicht, ob das ein Aprilscherz sein sollte oder was man davon halten soll.
— Das ist eine Tatsache.
— Ich möchte wissen, warum man solche Dinge von einem Ministerium durchführen läßt; das wirkt ja doch sehr eigenartig!
Es wäre uns sehr viel lieber gewesen, wenn sich die Bundesregierung, statt ein solches Ministerium zu gründen, da etwas freigebiger gezeigt hätte, wo Anträge auf wirkliche materielle, finanzielle Hilfe für die Familie gestellt worden sind. Da haben wir es sehr oft erlebt, daß unsere Anträge abgelehnt wurden. Es erstaunt etwas, daß man in einem Zeitpunkt, in dem man ein 'Familienministerium gründet, ein wirklich für die Familie so wichtiges Werk wie das Müttergenesungswerk, das nun tatsächlich für die Gesundheit der Mütter etwas tun will, mit ganzen 30 000 DM abspeist. Diese Abteilungen in
Ihrem Ministerium, die nun auf allen Gebieten der Gesetzgebung mitarbeiten sollen, halte ich schon deshalb für überflüssig, weil ich glaube, daß schließlich in jedem Ministerium bei der Gesetzgebung Rücksicht auf die Belange der Familie genommen werden muß. Das ist ja eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Im Wohnungsbauministerium haben wir sogar ein besonderes Referat für die Frauen, und ich kann mir nicht vorstellen, daß, wenn der Wohnungsbau etwa mit den Augen der Frau betrachtet werden soll, man das dann anders als eben vom Gesichtspunkt der Familie aus tun kann.
Schließlich ist ja auch der Bundestag noch da. Ich glaube, hier auf diesen Bänken, überall in diesen Reihen sitzen Familienmütter und Familienväter, die in diesen Angelegenheiten keines Mentors bedürfen.
Meine Damen und Herren! Die Begründung, die der Herr Bundeskanzler für die Notwendigkeit der Schaffung dieses Ministeriums gegeben hat, ist nicht stichhaltig. Die Aufgaben, die sich der Herr Bundesminister für Familienangelegenheiten gestellt hat, können anderswo besser und richtiger durchgeführt werden.
Wir halten deshalb die Einrichtung dieses Ministeriums für eine Verschwendung von Steuermitteln und beantragen seine Streichung.