Rede von
Ernst
Kuntscher
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu den Ausführungen meiner beiden Vorredner will ich nicht grundsätzlich Stellung nehmen, denn ich glaube, der Herr Minister, der hier angesprochen wurde, wird zu den einzelnen Punkten selber etwas zu sagen haben. Nur eine Antwort möchte ich dem Kollegen Reitzner geben: Selbstverständlich wurde in der CDU-Fraktion über Personalangelegenheiten im Vertriebenenministerium gesprochen, die uns Sorge bereiten. Aber ich glaube, das wird auch in den anderen Fraktionen so sein. Das ist ja nur eine Handhabung nach demokratischen Spielregeln.
Nun einige Worte zum Einzelplan 26! Der Herr Berichterstatter hat in seinen Ausführungen das zahlenmäßige Bild des Haushaltsplans 26 eingehend erörtert. Aber in der Zeit zwischen der Aufstellung des Haushaltsplans für das Rechnungsjahr 1954, der ersten Beratung, den abschließenden Ausschußberatungen und nun den Beratungen in zweiter und dritter Lesung hat sich durch die Ausweitung des Bundesvertriebenenministeriums eine wesentliche Änderung ergeben, die bedauerlicherweise haushaltsmäßig im vorliegenden Einzelplan 26 nicht zum Ausdruck kommt.
Im wesentlichen gliedert sich der Haushaltsplan 26 in zwei Aufgabengebiete: 1. in die Betreuung der Vertriebenen mit den entstehenden Personal- und Sachkosten und den Sonderaufgaben und 2. in die Aufgaben, die sich aus dem Aufnahmeverfahren für unsere Schicksalgenossen aus der Sowjetzone, die dem dortigen politischen Druck weichen müssen, ergeben. Beim Vergleich der einzelnen Ansätze im Haushaltsplan finden wir eine Reihe von Etatposten, die in diesem Jahr wesentliche und beachtliche Erhöhungen ausweisen, was wir gern anerkennen.
Wir können aber nicht umhin, zu einigen Positionen doch unsere Anliegen und unsere Sorgen vorzutragen. Wir begrüßen es z. B., daß die Ansätze in Kap. 2601 Tit. 301 erstens zur Betreuung von Organisationen und Verbänden, die der Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge dienen, sowie zweitens zur Erhaltung und Auswertung des kulturellen Heimaterbes der Heimatvertriebenen und zur Förderung der kulturellen Bestrebungen der Flüchtlinge erhöht wurden. Diese Erhöhung kommt erst richtig zum Ausdruck, wenn man sich einmal die Zahlengrößen für diese beiden Zwecke aus den vergangenen Jahren ansieht. Im Jahre 1951 betrugen die Leistungen im Rahmen dieser beiden Titel 600 000 DM. 1952 sind diese Leistungen auf 750 000 DM gestiegen, im Haushaltsplan 1953 waren 900 000 DM vorgesehen, und für das Jahr 1954 weist der Haushaltsplan 1 Million DM an Mitteln aus. Von dieser 1 Million DM sind 250 000 DM für die Betreuung von Organisationen und Verbänden und 750 000 DM für die Erhaltung des kulturellen Heimatgutes vorgesehen. Die Steigerung innerhalb dieser vier Jahre für diese beiden Positionen ist beachtlich. Aber ich glaube, wir können in Anbetracht der Wichtigkeit der Erhaltung des kulturellen Heimatgutes doch noch nicht sagen, daß die bereitgestellten Beträge ausreichend sind.
Sie haben aus den Ausführungen des Kollegen Reitzner unsere kulturellen Anliegen, die für die Heimatvertriebenen in der Gesamtheit die gleichen sind, gehört und sicher auch zur Kenntnis genommen. Ich will zu diesem Punkt keine allzu langen Ausführungen machen; denn wir stehen ja unter Zeitdruck. Nur auf eines möchte
ich hinweisen: wie groß eigentlich das aus dem Osten herübergekommene Kulturgut ist. Ich weise auf die Bamberger Symphoniker, die Sudetendeutschen Symphoniker hin, die vorige Woche aus den USA zurückgekommen sind und die unerhörte Erfolge in Mexiko, in New York, in Washington, auf Kuba usw. erzielt haben. Die Förderung dieser Menschen, die hier in den bescheidensten Verhältnissen leben, ist eine Kulturaufgabe, die wir dem deutschen Osten schuldig sind.
Unser echtes Ansuchen an den Herrn Bundesminister ist, daß aus diesen beiden Positionen, also aus den zur Förderung den Organisationen und Verbänden, die der Eingliederung dienen, bereitgestellten Mitteln sowie aus den Mitteln, die der Erhaltung des kulturellen Heimatgutes dienen sollen, auch alle Vertriebenenorganisationen bedacht werden, die sich ernsthaft mit diesen Aufgaben beschäftigen. Denn alle diese Organisationen haben auch Verbandsverpflichtungen zu erfüllen. Sie haben daher nach meiner Auffassung auch aus der ersten Position einen bestimmten Betrag zu erhalten.
Erfreulich ist weiter die Bereitstellung von 3 555 000 DM im Einzelplan 26 und, einem Nachtragsbeschluß entsprechend, von weiteren 950 000 DM in Tit. 305 für die Erfüllung von Suchdienstaufgaben und für die dokumentarische Erfassung der deutschen Kriegsgefangenen, der Wehrmachtvermißten, der Zivilverschleppten, der Zivilgefangenen und der vermißten Heimatvertriebenen. Bei Gelegenheit der Besprechung dieser Position ersuchen wir den Herrn Bundesminister, er möge den immer mehr und immer wieder auftauchenden Bestrebungen, die eine Verlagerung der Aufgaben dieser karitativen Suchdienste anstreben, widerstehen. Es gibt nämlich — um es ganz klar auszusprechen — eine ganze Reihe von Verbänden, die heute, nachdem dieser Suchdienst von diesen Stellen in jahrelanger, mühseliger Arbeit aufgebaut worden ist, das gesamte Material, die gesamte Suchkartei für sich beanspruchen, um selbst die Arbeit weiterzuführen. Ein Nachgeben auf diesem Gebiet wäre ein unverzeihliches Unrecht; denn diese Suchdienste nahmen ihre mühselige Arbeit auf, als noch keine staatlichen Stellen vorhanden waren, als noch keine Verbände sich um diese mühevolle Arbeit bemühten, als auch noch nichts aus öffentlichen Mitteln gegeben wurde und keine Zuschüsse zur Durchführung dieser mühsamen und schwierigen Arbeit zu erhalten waren. Die Menschen, die sich bereits in der zweiten Hälfte des Jahres 1945 aus reinem Idealismus und aus wahrer Nächstenliebe für diesen Dienst zur Verfügung gestellt haben, wurden zu echten Vermittlern und sind es bis heute geblieben, da sie Hunderttausende von Familien zusammenführten und Hunderttausenden ihre Hand reichten, um ihnen zu helfen, ihre Bekannten und Verwandten zu finden. Leider Gottes sind die Aufgaben, die diese Suchdienststellen zu erfüllen haben, noch lange nicht restlos gelöst.
Nun ein ernstes Wort zu dem zweiten Aufgabengebiet, das im Einzelplan 26 angesprochen wird. Ich meine die Notaufnahmelager, das Aufnahmeverfahren und die Arbeitsbedingungen des Personals in den Notaufnahmelagern und im Notaufnahmeverfahren. Laut Einzelplan 26 des Haushaltsplans sind 515 Angestellte und 7 Arbeiter in diesen Aufnahmelägern im Aufnahmeverfahren beschäftigt. Infolge des verstärkten Zustroms von
Flüchtlingen mußten die Stellen wesentlich vermehrt werden.
Bedauerlicherweise ist im Haushaltsplan keine Aufschlüsselung des Personalstandes auf die einzelnen Läger enthalten. Diese Aufschlüsselung wäre auch für uns sehr wünschenswert, die wir ja Woche für Woche mit einzelnen dieser Läger, ihren Aufgaben und ihren Anliegen in Berührung kommen.
Alle im Aufnahmeverfahren Beschäftigten stehen im Angestelltenverhältnis. Ein großer Teil dieser Angestellten ist nur auf Zeit ohne besondere Kündigungsfrist oder mit nur ganz kurzer Laufzeit eingestellt. Jedem Kenner der Verhältnisse ist ohne weiteres klar, daß der Arbeitsanfall im Aufnahmeverfahren Schwankungen unterworfen ist, die im engsten Zusammenhang mit dem jeweiligen politischen Kurs in der Sowjetzone stehen. Der Ausgang der Berliner Konferenz wird aber bedauerlicherweise den Fortbestand des Aufnahmeverfahrens und das Weiterbestehen dieser Dienststellen auf unabsehbare Zeit notwendig machen.
Wir erachten es daher als dringendst geboten, daß diesen auf Zeitarbeitsvertrag Angestellten auch Kündigungsfristen zugestanden werden, damit die bestehende Unsicherheit behoben wird, die auch auf die Arbeitsmoral nicht ohne Einfluß bleibt. Beim heutigen Zustand ist es bedauerlicherweise vielfach so, daß die Betroffenen am 28. oder 29. eines ablaufenden Monats nicht wissen, ob sie am 1. des kommenden Monats weiterbeschäftigt werden. Es ist auf die Dauer gesehen ein untragbarer Zustand, daß Dienststellen der öffentlichen Hand eine solche unsoziale Haltung einnehmen.
Und noch ein letztes Anliegen. Herr Bundesminister, Sie haben in den letzten Wochen sehr oft, sehr eindringlich und sehr klar in der Öffentlichkeit Ihre Pläne entwickelt, und Sie haben gewiß bei sehr vielen Schicksalsgenossen starke Hoffnungen erweckt. Wir werden Sie bei Ihren Bemühungen um die Eingliederung und um die soziale Befriedung bestimmt unterstützen. Wir nehmen mit Genugtuung zur Kenntnis, daß diese Pläne, die Sie entwickelt haben, aufgestellt werden können. Daß die Aufstellung dieser Pläne möglich ist, beweist, daß in der ersten Legislaturperiode dieses Bundestages die gesetzlichen Maßnahmen geschaffen wurden, die die Grundlage und die Voraussetzung für diese Planungen sind.
Die gesetzgeberische Arbeit, die auf diesem Gebiet geleistet wurde, war doch nicht so schlecht, wie man sie oft in der Öffentlichkeit hingestellt hat.
Wäre bei dieser Arbeit und bei diesen gesetzgeberischen Maßnahmen nur Unkraut gesät worden, dann wäre heute kein Mensch in der Lage, aus dieser Saat irgendwelche Früchte zu ernten. Wir kommen vorwärts auf dem Gebiet der gewerblichen, der industriellen und der landwirtschaftlichen Eingliederung, auf dem der Arbeitsplatz- und Wohnraumbeschaffung. Die Mittel aus dem Lastenausgleich fließen in verstärktem Maße. Die Außenpolitik, soweit sie auch unsere alte Heimat betrifft, wollen wir aber vertrauensvoll unserem Außenminister und Bundeskanzler überlassen.
Es ist sicher im Rahmen des gesamten Vertriebenenproblems, des Problems unserer Sowjetzonenflüchtlinge und auch der Kriegssachgeschädigten noch sehr vieles zu ordnen, noch sehr vieles in der Gesetzgebung zu verbessern. Auch da wollen wir unsere Mitarbeit nicht versagen. Doch eines bedrückt uns, wenn wir die Entwicklung in der letzten Zeit verfolgen. Wir befürchten, Herr Minister, daß zu große Änderungen in der Referatsverteilung Ihres Hauses der gemeinsamen, von uns angestrebten Sache nicht dienen.
Es erfüllt uns mit Besorgnis, wenn hierbei Beamte, die sich bisher auf einzelnen Sachgebieten bewährt haben, die wir bei der Erarbeitung und Beratung der einzelnen grundlegenden Gesetze auf dem Vertriebenensektor in der ersten Legislaturperiode als Fachleute schätzen gelernt haben, heute von ihren Fachreferaten abgelöst werden.
Der Herr Bundeskanzler hat vorgestern hier gesagt, man solle während des Rennens nicht die Pferde wechseln. Ich glaube, daß man auch bei der Durchführung der Eingliederung der Heimatvertriebenen und bei der nunmehr intensiver anlaufenden Arbeit bewährte Fachkräfte nicht beiseite stellen sollte,
sondern, daß man die Arbeit dieser Fachkräfte weiter ausnützen müßte.
Zum Schluß der Wunsch meiner Freunde, der auch der meine ist
und der der Fraktion ist: Herr Minister, wir wünschen sehnlichst, daß der menschliche Kontakt und das gute persönliche Verhältnis, die zwischen Ihrem Vorgänger im Vertriebenenministerium, den Vertriebenenabgeordneten und der Gefolgschaft Ihres Hauses
bestariden haben, erhalten bleiben. Die Entscheidung liegt bei Ihnen.