Rede von
Dr.
Marie-Elisabeth
Lüders
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor wenigen Tagen hat der Herr Bundeskanzler in einer sehr beachtenswerten Rede in Düsseldorf auf dem Kongreß für die freien Berufe sein lebhaftes
Mißfallen der Tatsache gegenüber ausgesprochen, daß die geistige Arbeit so ungeheuer unterbewertet wird. Wir werden dem alle zustimmen, einerlei, wo wir politisch oder sonst stehen. Aber, meine Damen und Herren, ich möchte doch darauf hinweisen — es gab in Düsseldorf natürlich keine Diskussion —, daß ganz besonders niedrig die geistige Arbeit von Frauen bewertet wird. Sie werden höchstwahrscheinlich alle mit mir der Meinung sein, daß die vor vielen Jahrzehnten gemachten Ausführungen eines bekannten Arztes — ich glaube, er lebte in München — über den „physiologischen Schwachsinn des Weibes"
heute nicht mehr unbedingt zutreffen, sondern daß der physiologische Schwachsinn gleichmäßig auf beide Geschlechter verteilt ist.
Es ist überaus bemerkenswert, in welcher Weise man sich, um die Benachteiligung der geistig arbeitenden Frauen zu erreichen, über vorhandene Bundesgesetze einfach hinwegsetzt, z. B. Frauen, Akademikerinnen, die einen 131er-Schein besitzen, unter ganz fadenscheinigen Begründungen immer wieder abweist und ihnen das nicht zugute kommen läßt, was man bei den Männern auf Grund des Art. 131 absolut selbstverständlich findet. Auch die Juristinnen, die in der Nazizeit aus ihren Ämtern entfernt oder z. B. an der Ausübung der Anwaltspraxis gehindert worden sind, werden heute bei der Einstufung immer noch zurückgestellt. Wozu haben wir eigentlich allgemein gültige Bundesgesetze, wenn jedes Land oder jede Organisation — auch die Universitäten und diese nicht zuletzt — glaubt, es sich herausnehmen zu können, gegen diese Gesetze zu verstoßen?
— Es gibt ja ganz exzeptionelle Verdienste, und ich
freue mich, daß ich immer schon Gelegenheit hatte,
bei Ihnen diese Verdienste beobachten zu können;
und weil ich das, verehrte Frau Kollegin Weber, aus jahrzehntelanger Erfahrung weiß, darf ich annehmen, daß Sie für meine folgenden Ausführungen großes Verständnis besitzen und mir und uns allen helfen werden.
— Ich weiß nicht, ob alle „sehr gern" sagen werden; Sie sicher.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, daß ich einige weitere, aber sehr ernste Worte zu dem Tatbestand der völligen Mißachtung von Bundesgesetzen und damit der völligen Mißachtung der Autorität der Bundesregierung an Sie richte. Seit Jahr und Tag beobachten wir täglich immer schwerere Verstöße beinahe in allen Großstädten, wahrscheinlich auch in mittleren — ich habe sie sogar auf dem Lande beobachtet —, gegen das „Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten". Meine Damen und Herren, erschrecken Sie nicht über das, was ich jetzt sagen werde. Sie werden es verstehen von jemandem, der vierzig Jahre lang gekämpft hat, um den Dingen, die in diesem Gesetz behandelt werden, zu Leibe zu rücken. Dieses Gesetz von 1953 verbietet klipp und klar und ganz unzweideutig die Einrichtung und die Unterhaltung von Bordellen. Man fällt aber täglich mehr in die Methoden der Nazi zurück, die 1940 gegen das erste Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten von 1927 einen schweren Stoß unternommen und dem System der „Reglementierung" mit allem, was dazu gehört, wieder den Weg gebahnt haben. Wollen wir Nazi-Systeme nachahmen oder nicht? Darüber müssen wir uns klar sein, und dann müssen wir ehrlich genug sein, j a oder nein zu sagen; dazwischen gibt es hier nichts.
Aber wie denken wir denn eigentlich über die Verwendung öffentlicher Mittel zum Ankauf von Gelände zur Errichtung von Bordellen sowie zur Ausstattung der Gebäude für dieses schmutzige Handwerk oder Gewerbe — man darf ja beide Worte eigentlich gar nicht gebrauchen; es ist eine Beleidigung für das Handwerk und eine Beleidigung für das Gewerbe —, wie denkt man eigentlich über die Verwendung öffentlicher Mittel für solche schmutzigen Zwecke?
— Jawohl, pfui! Und wer genehmigt denn diese Mittel, und wer weiß um die Verwendung dieser Mittel, und wer rührt keinen Finger dagegen?
Meine Damen und Herren, das sind die amtlichen Kuppler; einen anderen Ausdruck gibt es für Oberbürgermeister und Bürgermeister, die so etwas dulden, überhaupt nicht.
Und wer bringt diese amtlichen Kuppler, die nicht besser sind als die, die in die Häuser hineingesteckt werden, vor den Strafrichter — mir ist nichts bekannt! —, so wie das Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten es verlangt? Nichts dergleichen geschieht! Kennt man vielleicht in den Verwaltungsbehörden den § 180 des Strafgesetzbuches nicht, oder will man ihn eigentlich nicht kennen? Ich behalte mir vor, dem Strafrechtsausschuß entsprechende Vorschläge zur Ergänzung von § 180 Abs. 2 zu machen. Kennt man auch nicht die Entschließung der Vereinten Nationen zu diesen Fragen? Man scheint immer dann ein Analphabet zu sein, wenn es einem gerade paßt.
Und was tut die Staatsanwaltschaft? Sie verschanzt sich zur Begründung für ihr Nichteingreifen dahinter, daß in diesen Lokalitäten angeblich „keine Ausbeutung" und „kein Anhalten" zur Unzucht stattfinde. Dann möchte ich doch einmal fragen: sind 15 bis 25 DM und mehr tägliche Miete keine Ausbeutung, und ist das kein Anhalten zur Unzucht? Denn es muß ja erst einmal das Geld verdient werden, um diese Mieten bezahlen zu können.
Mit uns deutschen Frauen kämpfen seit Jahrzehnten die Deutsche Dermatologische Gesellschaft, die Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, der Internationale Verband zur Bekämpfung des Mädchenhandels — der Mädchenhandel besitzt j a bekanntlich in den Bordellen Zutrei-
ber für sein schmutziges Geschäft —, und mit uns kämpfen seit Jahrzehnten die Kirchen aller Konfessionen, — alles vergebens!
Wie denkt man sich denn eigentlich die Möglichkeit, die Methode gewisser Besatzungsstellen zu bekämpfen, die innerhalb von Kasernen deutsche Mädchen in Bordellen halten? Will die Besatzungsbehörde solche Unternehmungen in ihren Kasernen haben, dann mag sie es tun; aber dann mag sie es bitte tun unter ihrer nationalen Flagge, die sollten sie dann dort hochhängen,
und dann mag sie es bitte tun auf ihre Kosten, aber nicht über Besatzungskosten auf unsere Kosten. Dann mag sie es auch tun mit Frauen ihrer Nation, aber nicht mit deutschen Frauen.
Meine Damen und Herren, Kollegin Weber ist Zeuge, Kollegin Teusch aus dem Reichstag ist Zeuge, und die Kollegin Schroeder ist Zeuge: wir haben seinerzeit nach 1918 nicht ohne Erfolg gegen diese Methoden der damaligen Besatzungsbehörden gekämpft.
Sollten Sie uns nicht alle unterstützen, wieder den Kampf durchzuführen und mit Erfolg durchzuführen?
Aber, meine Damen und Herren, es wird ungeheuer schwer sein, wenn ich rufe: „Haltet den Dieb!" und meine Hände selber in der Tasche des Nachbarn habe. Wie will eine deutsche Obrigkeit sich dagegen auflehnen, wenn man ihr Material über Material nachweisen kann, daß sie genau das gleiche tut! Aber wollen die deutschen Behörden das selber tun, — dann bitte unter vollkommen gleichen Voraussetzungen für die Behandlung der Besucher wie für die Behandlung der Insassen dieser Häuser. Die Besucher sind nicht einen Deut besser als die anderen.
Es gibt ein altes Wort: „Der Hehler ist so gut wie der Stehler." Wenn man die deutschen Gesetze und wenn man die Autorität der Bundesregierung derart mißachten will, dann höre man endlich auf mit dem heuchlerischen Gejammer vom Verfall von Sitte und Moral bei der Jugend.
„Wie die Alten sungen, so zwitschern die Jungen", das wissen wir sehr genau. Man höre endlich einmal auf, volltönende Reden über den Schutz von Ehe und Familie zu halten, wenn man nicht den Mut hat, hier offen einzugreifen und den Bundesgesetzen Geltung zu verschaffen; denn Bundesrecht geht vor Landesrecht.
Man hat sich früher bezüglich dieser Einrichtungen darauf berufen, sie wären aus gesundheitlichen Gründen notwendig. Wer will das heute noch behaupten? Wenn uns jeden Tag erzählt wird, welche Wirkungen das Penicillin — die einen sagen: Gott sei Dank, die anderen sagen: leider — hat, dann ist kein Anlaß mehr vorhanden, diese Einrichtungen aus gesundheitlichen Gründen aufrechtzuerhalten. Man hat sich darauf berufen, man wolle
dort dem Verbrechertum zu Leibe rücken. Nun, da züchtet man Verbrecher en gros, und da zieht man die Jugend auf einen verbrecherischen Weg! Aber wenn man alles das, was das Gesetz vorschreibt, mißachtet, dann, so bitte ich, bekenne man sich ganz offen und ehrlich zum „Grundsatz der doppelten Moral!" Will man ihn, oder will man ihn nicht?
Man leugnet, daß wir schon wieder bei der im alten Gesetz verbotenen Kasernierung angekommen sind. Nun, wenn ein Häuserbesitzer oder mehrere Mädchen als Häuserbesitzer in einer größeren Anzahl nebeneinander liegender Häuser in der gleichen Straße wohnen — sie sind zwar nicht qua Gesetz, wie früher, kaserniert —, sagen Sie, ist das keine, nun, meinetwegen sagen Sie: freiwillige Kasernierung? Verstößt die nicht genau so gut gegen das Gesetz wie das, was ich vorher gesagt habe? Je länger man das duldet, desto lückenloser wird dieses System.
Was ich hier sage, kann ich Ihnen alles an Hand einer Fülle von Material beweisen. Wer wird denn in diese Wohnungen ziehen? Die Herren der Obrigkeit, die es dulden, daß das alles gemacht wird, werden sich dort ganz bestimmt keine Villen bauen, aber die Stiegen kehrt man bekanntlich von oben.
Da fängt man an. Man sagt ja immer, wir Alten
hätten alles hinter uns, wir könnten schlau reden.
Ganz so ist es ja nun doch nicht. Man höre aber auf mit Moralpredigten! Die stehen mir sämtlich h i er, wenn ich das immer alles anhören muß, was den Jungen nahegelegt wird und was uns angeblich so am Herzen liegt. Auf der anderen Seite stört es niemanden, wenn alle diese Dinge vorkommen.
— Ja, das wäre eine ausgezeichnete Aufgabe. Aber ich möchte ihn nicht zitieren, weil ich fest überzeugt bin: er weiß selber ganz genau, was er auf dem Gebiet tun könnte, wenn er wollte.
Ich darf Ihnen aber ganz zum Schluß nur einmal einige Beispiele geben. Es hat vor gar nicht sehr langen Jahren — es war zur Nazizeit — in Düsseldorf einen Stadtobermedizinalrat gegeben, der für den damaligen Herrn Oberbürgermeister — er war später Bundesminister — einen sehr ausführlichen Plan ausarbeitete unter dem Titel „Sexualverkehrsgewerbeordnung".
— Meine Herren und Damen, das ist gar nicht lächerlich!
Ist das vielleicht ein Gewerbe? Ich nehme jedes anständige Gewerbe dagegen in Schutz, daß man die Bezeichnung für anständige Gewerbe hierauf überträgt. Und vor allem: zahlen denn die Bewohnerinnen dieser Häuser Gewerbesteuer, Herr Finanzminister?
— Ach, Sie sind nicht hier. — Mir ist nichts davon bekannt. — Ah, da sind Sie ja. Verehrter Herr Minister, ich will Ihnen nur zu Einnahmen verhelfen.
Zahlen die Insassinnen dieser Häuser Einkommensteuer, Herr Minister? Ich glaube nicht.
Der Herr Arbeitsminister ist auch nicht hier. Haben diese Frauen ein Recht, wenn sie arbeitslos sind, sich bei den Arbeitsnachweisen einzutragen und vermitteln zu lassen?
— Nein, meine Herren, das ist gar nicht lächerlich! Sie verkennen ganz den Ernst dessen, was ich sage. — Herr Arbeitsminister, sind sie versicherungspflichtig? Mir ist nichts davon bekannt.
Aber noch etwas, was in dieser schönen „Sexualverkehrsordnung" angeraten war. Das ist gar nicht gleichgültig im Hinblick auf die vielen Messen und Ausstellungen, die wir haben. Es wurde dort von jenem Stadtobermedizinalrat empfohlen, den Polizisten Lagepläne dieser Häuser in die Hand zu geben, damit sie die ortsfremden Besucher davor behüteten, wie es in dem Entwurf heißt, in der falschen Richtung zu gehen, sich zu verlaufen. Mir scheint, sie verlaufen sich unter allen Umständen, mit und ohne polizeiliche Anweisung.
Kann man vielleicht von diesen Einnahmen, die man in den Häusern hat, etwas bei der Steuer absetzen oder nicht? Und können die Besucher auch etwas von der Steuer absetzen für die Ausgaben, die in diesen Häusern bekanntlich sehr hoch sind?
Sehr hoch. Ich will weiter niemanden fragen.
— Meine Herren, regen Sie sich ja nicht auf!
Ich verzichte darauf, Ihnen das Material hier vorzulesen, das ich besitze.
Es ist wohl besser, wir betrachten die Dinge einmal ohne diese Begleitmusik; die könnte sonst anders ausfallen.
Wie denkt man darüber, daß diese Frauen einen bevorzugten Zuzug in Städten bekommen? Wie denkt man darüber, daß sie bevorzugt Wohnung bekommen? Wie denkt man darüber, daß in mit Mitteln des sozialen Wohnungsbaus erbauten Wohnungen die Untervermietung an diese Frauen zugelassen ist? Wie denkt man darüber, daß eine nahegelegene Stadt in ihrem Aufbauplan eine riesig hohe Mauer in der Planung vorgesehen hatte, lie erst von einer mutigen Stadtverordneten entdeckt und dann wegrasiert wurde? Wie denkt man darüber, daß man alles mögliche beschlagnahmt; aber z. B. ist mir gar nichts von der Beschlagnahmung der Zeitschrift „Quick" bekanntgeworden, die n Hamburg vier Seiten umfassende Abbildungen Tiber die Hamburger Bordelle, ihre Eigentümer und ihre Insassinnen brachte. Und wo bleibt das Bewahrungsgesetz? „Die Botschaft hör' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube." Will man also „doppelte Moral", dann sage man es offen. Will man christliche Ethik oder nicht, dann sage man es offen. Will man Ausnahmegesetze nur für Frauen, dann sage man es ebenfalls offen, und dann werden wir uns darüber weiter unterhalten.